Bedingungslos für eine gerechtere Gesellschaft – VON MICHAEL ERTL

I. Einleitung

Hinter dem Wunsch nach einem bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) sammeln sich viele berechtigte Ängste, Sorgen und Hoffnungen. Ein existenzsicherndes Grundeinkommen nimmt zum Beispiel die Sorge vor Arbeitslosigkeit und die Angst vor Armut und gesellschaftlicher Ausgeschlossenheit. Anders als unsere derzeitige Arbeitslosensicherung, die lediglich eine Nettoersatzrate von 55 % vorsieht oder unsere Sozialhilfe als letztes soziales Netz, deren Maximalbeträge markant unter der Armutsgrenze liegen. Ein existenzsicherndes Grundeinkommen weckt aber auch Hoffnungen, wenn Menschen sich vom ökonomischen Zwang der Erwerbsarbeit oder von der Arbeitsintensität erdrückt fühlen. Sie sehen im Grundeinkommen die willkommene Möglichkeit nach einer Phase der Auszeit oder einer beruflichen Neuorientierung. In unserem derzeitigen Aus- und Weiterbildungssystem werden diese Hoffnungen gebremst oder enttäuscht, denn es lässt meist nur sehr begrenzte Auszeitmöglichkeiten zu, die häufig hohe eigene zeitliche und finanzielle Ressourcen voraussetzen. Während die Vision eines BGE diese Sorgen, Ängste und Hoffnungen aufgreift, gelingt das dem Sozialstaat derzeit nur bedingt.

II. Grundeinkommen ist nicht gleich Grundeinkommen

Die Vorstellungen zur konkreten Ausgestaltung eines Grundeinkommens könnten kaum unterschiedlicher sein. Auf der einen Seite des Spektrums stehen Proponent*innen wie Milton Friedman und Friedrich August von Hayek. In ihrer Vision besteht das Grundeinkommen in Form einer negativen Einkommensteuer, die ohne eigenes Einkommen einen Grund- bzw. Freibetrag für alle vorsieht. Ihre Motivation drückt sich aber in einem grundsätzlichen Misstrauen gegenüber dem Sozialstaat aus, der abgeschafft oder zumindest zurückgedrängt werden muss.

Am anderen Ende des Spektrums findet man viele progressive Vorschläge, etwa von der Katholischen Sozialakademie oder der globalisierungskritischen Nichtregierungsorganisation ATTAC. Sie betrachten das Grundeinkommen als wichtige Ergänzung zum bestehenden Sozialstaat und nur vereinzelte sozialstaatliche Leistungen würden durch die Auszahlung eines Grundeinkommens entfallen. Ein Grundeinkommen, dass die anfangs formulierten Bedürfnisse berücksichtigt, kann jedenfalls nur als Ergänzung zum bestehenden Sozialstaat eingeführt werden und nicht als Ersatz für die vielfältigen Sozialleistungen in Österreich.

III. Finanzierungsbedarf bei existenzsicherndem Niveau

Ein existenz- und teilhabesicherndes Niveau bei gleichzeitigem Beibehalten zentraler sozialstaatlicher Leistungen erfordert jedoch einen beachtlichen Finanzierungsbedarf. Zur Illustration reicht eine Überschlagsrechnung. Der finanzielle Bedarf für ein menschenwürdiges Leben in Österreich sollte jedenfalls über der Armutsgefährdungsschwelle von aktuell 1.392 Euro im Monat liegen. Runden wir also großzügig auf 1.500 Euro auf. Das entspricht in etwa dem Referenzbudget der Schuldner*innenberatung für einen Einzelpersonenhaushalt, einer Art Mindestausgabenniveau für ein einfaches Leben mit sozialer Teilhabe.

Österreich Bevölkerung besteht derzeit aus 9,1 Millionen Menschen. Wenn wir jeder erwachsenen Person über 19 Jahren zwölf Mal im Jahr 1.500 Euro und den Kindern und Jugendlichen jeweils 750 Euro bezahlen, kommen wir auf einen jährlichen Finanzierungsbedarf von etwa 148 Mrd. Euro. Selbst bei großzügiger Berücksichtigung des Wegfalls diverser Ausgaben (Familienbeihilfe, Sozialhilfe etc.) bleibt zumindest noch ein Nettofinanzierungsbedarf von über 100 Mrd. Euro übrig, der die derzeitigen Ausgaben für die gesamte soziale Sicherung (Pensionen, Arbeitslosensicherung, Familienleistungen etc.) übersteigt. Die derzeitigen Einnahmen aus Steuern und Sozialbeiträgen belaufen sich aktuell auf etwa 200 Mrd. Euro. Entsprechend müssten die Einnahmen um die Hälfte steigen, um das skizzierte existenzsichernde Grundeinkommen finanzieren zu können.

IV. Vermögensbesteuerung mit hohem Umverteilungspotenzial

Aber auch hier liegen – auch mit den anderen Beiträgen dieser Ausgabe der ZUKUNFT – eine Reihe an Vorschlägen auf dem Tisch. Neben der Anpassung diverser bestehender Steuern wie der Anhebung der (Spitzen)Steuersätze bei Lohn- und Einkommenssteuern, höherer Verbrauchssteuern und Ähnlichem sind auch neue Steuern enthalten, die (endlich) einen angemessenen Beitrag von Konzernen und Überreichen einfordern. Dazu zählen progressiv ausgestaltete Vermögens- und Erbschaftsteuern genauso wie eine Finanztransaktionssteuer oder eine Wertschöpfungsabgabe.

Diese Anknüpfungspunkte in der Finanzierung des Grundeinkommens sind begrüßenswert, denn sie adressieren das Strukturproblem in der Finanzierung des Sozialstaates: Derzeit entfallen mehr als 80 % der Steuern und Abgaben auf unselbständige Arbeit, Pensionen und Konsum. Der Beitrag der Vermögen liegt bei nur knapp 2 %, das ist der fünftletzte Platz in der OECD. Auch der der Kapitalgesellschaften ist unterdurchschnittlich – Österreich lag 2021 auf Platz 20 innerhalb der EU.

Jede einzelne der neu angedachten Steuern könnte einerseits die Finanzierungsstruktur etwas ausbalancieren und andererseits die Vermögens- und Machtkonzentration an der Spitze der Vermögensverteilung reduzieren. Jede einzelne dieser Forderungen setzt aber eine Regierung voraus, die Steuern und Abgaben als Sozialstaatsbeiträge und somit als etwas Positives betrachtet und die damit die Errungenschaften der Solidargemeinschaft feiert. Die notwendige gleichzeitige Einführung all dieser steuerlichen Anpassungen wäre jedenfalls eine enorme politische Herausforderung. Das bedeutet auch, dass die Finanzierung des Grundeinkommens zumindest mit großen Unsicherheiten verbunden ist. Gleichzeitig muss sich der ärmere Teil der Empfänger*innen auf die monatliche Auszahlung verlassen können, während das reichste Prozent das Ausbleiben einer monatlichen Überweisung von 1.500 Euro vielleicht gar nicht bemerkt.

V. Einführung des Grundeinkommens ist mit Unsicherheiten verbunden

Eine weitere Form der Unsicherheit bei der Einführung des Grundeinkommens kann aber unmöglich vorausgesehen werden. Es ist nämlich völlig unklar, wie sich Werte und soziale Normen in diesem neuen Umfeld verändern. Einzelne Grundeinkommens-„Experimente“ wurden meist nur in kleinen Gruppen und über einen begrenzten Zeitraum durchgeführt. Sie erlauben jedenfalls keine Ableitungen über das sich verändernde Verhalten einer gesamten Gesellschaft. Wie ändern sich die Präferenzen bezüglich Arbeitsangebot, über Konsum- und Freizeitverhalten? Wird eine Erwerbsarbeitswoche mit 20 Stunden zur Norm? Was wäre im Extremfall, wenn sich die Mehrheit der Bevölkerung dazu entscheidet, sich vorübergehend ausschließlich der persönlichen Entfaltung zu widmen? All dies bleibt bis zur Einführung des Grundeinkommens unklar, die Finanzierung beruht aber in Teilen darauf.

VI. Conclusio: Ausbau des Sozialstaats kann die Sorgen und Hoffnungen berücksichtigen

Die hehren Ziele der progressiv ausgerichteten Befürworter*innen eines Grundeinkommens sind wichtige Ziele und sie verdeutlichen zugleich die blinden Flecke des bestehenden Sozialstaates. Viele der vorgeschlagenen Finanzierungsmaßnahmen haben zudem eine doppelte Dividende, denn sie haben das Potenzial, Armut zu verhindern und extreme Vermögens- und Machtkonzentration aufzulösen. Die Umsetzung eines existenzsichernden Grundeinkommens ist jedoch mit großen Unsicherheiten verbunden, die durch einen konsequenten Ausbau des Sozialstaates vermieden werden können. Beispielsweise böte eine sukzessive Arbeitszeitverkürzung und mehr Möglichkeiten von bezahlten Auszeiten mehr Raum, den eigenen Interessen nachzugehen. Menschen mit dem Wunsch nach einer beruflichen Neuorientierung könnten in Form umfangreicherer Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten oder durch eine Jobgarantie unterstützt werden. Diese Liste ließe sich noch beliebig fortsetzen und lässt noch viel Platz für Träume von einer gerechteren Gesellschaft. Viele davon lassen sich in einem Sozialstaat realisieren, der je nach Lebenslage all jenen hilft, die Unterstützung brauchen.

MICHAEL ERTL

Ist Referent für Konjunktur- und Verteilungsfragen in der Abteilung Wirtschaftswissenschaften und Statistik in der Arbeiterkammer. Weitere Informationen online unter: https://wissenschaft.arbeiterkammer.at/wirtschaftswissenschaft/Ertl.html.

L ERTL