Am Prostitutionsmarkt regiert das Gesetz der Stärkeren, hier haben die ‚Freier‘ alle Rechte und die Frauen praktisch keine. Das könnte sich bald ändern. Das EU-Parlament fordert von seinen Mitgliedern, dass die Nachfrage reduziert werden muss. Das betrifft in erster Linie die „Sexkäufer“, die bis dato in der Diskussion außen vor gelassen wurden, wie BRIGITTE HOFMANN und SUSANNE RIEGLER zeigen.
I. Einleitung
Der 14. September 2023 könnte ein ‚historisches‘ Datum für die Frauenpolitik in der EU werden. Das EU-Parlament hat an diesem Tag einen entscheidenden Schritt gegen die Ausbeutung von Frauen gesetzt, indem seine Abgeordneten mit deutlicher Mehrheit für eine EU-weite, einheitliche Prostitutionspolitik gestimmt haben, welche die Nachfrage ins Visier nehmen soll.
Abgestimmt wurde über eine Entschließung, die vom Ausschuss für die Rechte der Frauen und die Gleichstellung der Geschlechter (FEMM) erarbeitet und von der deutschen Sozialdemokratin Maria Noichl als Berichterstatterin vorgetragen wurde. Dem FEMM-Papier ist zu entnehmen, dass die EU ein veritables Problem mit der Prostitution hat. Zum einen wegen des Menschenhandels, der in Europa floriert wie nie zu vor. Dann wegen der damit verknüpften organisierten Kriminalität, die zu einer zunehmenden Sicherheitsbedrohung wird. Und zu guter Letzt spießen sich die tolerierte Ausbeutung auf den großen europäischen Prostitutionsmärkten wie etwa Deutschland (lt. Spiegel „Das Bordell Europas“), den Niederlanden oder Belgien mit den Gleichstellungsgesetzen und Antidiskriminierungsbemühungen der Union. Denn das System Prostitution ist nicht nur unmittelbar mit dem Menschenhandel verknüpft, es birgt auch Rassismus, Sexismus, Klassismus und symbolisiert wie kein anderes gesellschaftliches Phänomen das Machtgefälle zwischen Männern und Frauen.
II. Prostitution befeuert den Menschenhandel
Dass sich dieser milliardenschwere Wirtschaftszweig innerhalb der EU so fest etablieren konnte, hat auchmit den unterschiedlichen Prostitutionsregelungen innerhalb der Union zu tun. Sie machen es den Frauen, die sich oft nur kurz in einer Stadt oder einem Land aufhalten, meistens die jeweilige Sprache nicht sprechen, unmöglich, die Gesetze, geschweige denn ihre Rechte kennenzulernen. Und wenn dann noch innerhalb der Staaten, wie in Österreich, neun unterschiedliche Regionalgesetze das Prostitutionsgeschehen regeln, ist es ganz aus mit dem Überblick. Die, die ihn behalten, sind die Menschenhändler, die Ihre Ware in Staaten mit liberalen Regelungen feilbieten. Zahlreiche Studien belegen,[1] dass in diesen Ländern „der Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung, einschließlich des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen, aufgrund der hohen Nachfrage zunimmt“, während Staaten, die Konzepte wie das Nordisches Modell verfolgen, „keine großen Märkte für Menschenhandel mehr sind“.Das ist ein Grund, warum das Parlament an jenem 14. September für „einheitliche Leitlinien“ zur Regulierung der Prostitution in der EU gestimmt und die Kommission aufgefordert hat, solche zu entwickeln.
III. Wie funktioniert das Nordische Modell
Geht es nach dem EU-Parlament, könnte das erwähnte Nordische Modell Vorbild für eine künftige europaweite Prostitutionsgesetzgebung sein, da es von vielen als das derzeit fortschrittlichste Politik-Modell gesehen wird.
Es erkennt Prostitution als eine Form von geschlechtsspezifischer Gewalt an und geht davon aus, dass sie gegen sämtliche Gleichstellungsgebote verstößt. Das Nordische Modell besteht im Wesentlichen aus vier Säulen:
- Entkriminalisierung der in der Prostitution tätigen Frauen. D. h., die Frauen werden nicht bestraft.
- Bekämpfung der Nachfrage und Eindämmen des Menschenhandels durch eine Strafverfolgung der Freier. Dieses ‚Sexkaufverbot‘ hinterfragt das ‚männliche Recht‘ auf sexuelle Befriedigung zu Lasten von (prekarisierten) Frauen.
- Umfassende sozial-, gesundheits- und berufspolitische Unterstützungsmaßnahmen, wie etwa Ausstiegshilfen für Prostituierte in Form von beruflichen (Um-)Schulungen und Bildungsangeboten. Damit sollen den Frauen alternative Verdienstmöglichkeiten außerhalb der Prostitution eröffnet werden.
- Bildungsprogramme an Schulen, welche Geschlechtergleichstellung und ein positives, respektvolles Bild von Sexualität zum Inhalt haben.
Voraussetzung ist, dass alle vier Säulen ineinandergreifen. Beim Nordischen Modell handelt es sich also nicht ‚nur‘ um eine Freier-Bestrafung, als die es oft dargestellt wird, sondern um ein ganzes Maßnahmenpaket im Kampf gegen Sexismus, Menschenhandel und Gewalt gegen Frauen. Es ist ursprünglich ein Konzept der schwedischen Frauenbewegung aus den 1970er-Jahren. Als nach jahrzehntelangem Diskutieren, u. a. auch mit Prostituierten, die Entscheidung über ein Gewaltschutzpaket anstand, waren es die Feministinnen, gemeinsam mit den Vertreterinnen der Frauenhäuser und den Sozialdemokrat*innen, die sich dafür einsetzten, dass die Gewalt in der Prostitution ins allgemeine Gewaltschutzpaket aufgenommen wird. 1998 wurde Kvinnofried – so heißt das Gewaltschutzpaket in Schweden – vom Parlament verabschiedet.
Weil Schweden das erste Land der Welt war, das ein Sexkaufverbot einführte, spricht man manchmal noch vom Schwedischen Modell. Spätestens als es Norwegen (2008) und Island (2009) einführten, wurde es zum Nordischen Modell. 2014 übernahm es Kanada, 2016 Frankreich, 2017 Irland und 2020 setzte Israel das Nordische Modell in Kraft.
Die sozialdemokratische EU-Abgeordnete Maria Noichl verweist darauf, dass rund 70 Prozent der Prostituierten in der EU Migrantinnen sind und aus besonders prekären Verhältnissen stammen: „Diese Menschen befinden sich nicht aus freiem Willen in der Prostitution, sondern aus purer Perspektiv- und Alternativlosigkeit“. Sie gelte es, in den Fokus der neuen EU-Politik zu, indem man „ihre Rechte stärkt und ihnen Unterstützung und Alternativen anbietet“, so die Sozialdemokratin.
Das Abstimmungsverhalten der österreichischen Abgeordneten zur Neuregulierung der Prostitution in der EU war beschämend. Lediglich eine einzige österreichische EU-Abgeordnete, die Sozialdemokratin Evelyn Regner, hat sich solidarisch hinter die Frauen in der Prostitution gestellt und für den Entschließungsantrag gestimmt. Denn die SPÖ und ihre Kolleginnen von der ÖVP haben sich entweder der Stimme enthalten bzw. gar nicht abgestimmt. Die Freiheitlichen und die Grünen (außer Sarah Wiener, die sich enthalten hat) haben gegen die Entschließung gestimmt.
IV. Mythos „Illegalität“
Ein Argument, das die Gegner*innen des Nordischen Modells gemeinsam mit der Lobby der Sexindustrie gebetsmühlenartig ins Treffen führen, hat diesmal Monika Vana, Delegationsleiterin der österreichischen Grünen im EU-Parlament, vorgebracht: dass sich unter einem Nordischen Modell die Prostitution in den Untergrund verlagere und dadurch „die Sexarbeit in gefährliche und ungeschützte Orte gedrängt“ würde. Der EU- Gleichbehandlungsausschuss, der kiloweise Studien und transkribierte Hearings herankarrte, konnte keine validen Beweise für diese hartnäckige Behauptung vorlegen. Sie beruht lediglich auf einem Aufsatz der schwedischen Sozialanthropologin Petra Östergren,[2] in dem es heißt, dass der Rückgang der Straßenprostitution zu einem Rückzug der Prostitution in illegale Clubs führe, wo sie weniger sicher seien. Simon Häggström, der seit zehn Jahren Detective in der Stockholmer prostitution unit ist, spricht von einem „bedauerlichen Irrglauben. Prostitution kann gar nicht untertauchen. Wie in jedem anderen Business auch, müssen Käufer und Verkäufer in irgendeiner Weise miteinander kommunizieren“[3]. Die Polizist*innen bewegen sich in den gleichen Foren wie die potenziellen Sexkäufer. Dort, wo die Freier hinkommen, kommt auch die Polizei hin. Wobei vielleicht erwähnt werden sollte, dass die Polizist*innen in Schweden bei ihren Einsätzen von Sozialarbeiter*innen begleitet werden. Diese informieren die Frauen, die ja in Staaten mit dem Nordischen Modell keine Strafen zu befürchten haben, über deren Rechte, über Unterstützungsmöglichkeiten, Beschäftigungsalternativen und Ausstiegsprogramme.
Das Nordische Modell funktioniert nur dann gut, wenn die jeweilige Regierung bereit ist ausreichend Mittel dafür bereitzustellen. In Frankreich gibt es z. B. einen Fonds, in den die konfiszierten Gelder und Güter von Menschenhändlerringen und Zuhältern sowie die Bußgelder der Freier fließen. Prostituierte aus Drittstaaten, die das Ausstiegsprogramm annehmen, erhalten eine verlängerte Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis. Eine Randbemerkung dazu: Gegen diese Regelung ist der rechtspopulistische Front National Sturm gelaufen, da man befürchtete, dass sich die Frauen eigens für diese Aufenthaltserlaubnis „ein bisschen prostituieren“ würden.
V. Asylwerber*innen in der Prostitution
Aber nicht nur die französische, auch die österreichische Rechte hat so ihre Sorgen mit den ausländischen Prostituierten: Weil es in Österreich Flüchtlingen während des Asylverfahrens nur in wenigen Bereichen – als Saisonkräfte, Erntehelfer*innen oder in einem „freien Gewerbe“, wozu die Prostitution gehört – erlaubt ist, zu arbeiten, wollte der FPÖ-Politiker Herbert Kickl 2019 die „Erwerbs“-Möglichkeit Prostitution streichen.[4] Mit der Begründung, dass dieses Erwerbs-Schlupfloch dem Menschenhandel und der Ausbeutung Tür und Tor öffnen würde. Wobei er nicht ganz unrecht hat. Denn es gehört zum Geschäft der Menschenhändler, Frauen aus asiatischen oder afrikanischen Ländern mit falschen Versprechungen nach Europa zu locken und in Asylverfahren zu drängen, die von vornherein aussichtslos sind. Solange das Verfahren läuft, werden die Frauen und Mädchen, denen in der Regel sämtliche Dokumente abgenommen werden, von Zuhältern und Sexkäufern ausgebeutet. Kommt es zur Abschiebung, werden die Menschenhändler unangenehme Zeuginnen los und ersparen sich auch noch die Kosten für den Rücktransport; Kickls Vorstoß wäre allerdings erst dann ernsthaft zu begrüßen, wenn er für die geflohenen, oft traumatisierten Frauen Erwerbsoptionen fordern würde, die menschwürdigere Bedingungen zu bieten haben als Bordelle, Laufhäuser oder den Straßenstrich. Aber das hat er bis heute nicht getan. Aber auch sonst rührt niemand einen Finger. Selbst Einrichtungen, die Frauen in der Prostitution beraten, haben offensichtlich kein Problem mit den Bestimmungen des Asylrechts: Darauf angesprochen, sagte die Leiterin der „Beratungsstelle für Sexarbeiterinnen Sophie“ im Standard: „Wir haben oft Frauen beraten, die in sehr langen Verfahren steckten, und wir wissen, dass es für die Menschen positiv ist, wenn sie das Gefühl haben, dass sie auch erwerbstätig sein können. Auch wenn es Sexarbeit ist“. Flüchtlingen „Sexarbeit“ als Empowerment schmackhaft zu machen, ist ein starkes Stück, noch dazu, wenn es aus dem Mund einer Expertin kommt, die die Ausbeutungsformen in dem Feld sehr gut kennen müsste.
„Es riecht nach Kolonialismus hier und nach einer fetten Kombi aus Rassismus und Frauenverachtung – die Arbeitsplätze dürfen Asylbewerber*innen keinem wegnehmen aber unseren weißen Herren die Schwänze lutschen, das geht“[5], kommentierte dann wenigstens eine Deutsche den unwürdigen Umgang mit Asylwerberinnen in Österreich: Huschke Mau ist Exprostituierte, Aktivistin für das Nordische Modell und Gründerin der unabhängigen Interessenvertretung für Frauen aus der Prostitution Netzwerk Ella. Ella tritt für das Nordische Modell ein, ebenso wie SPACE International, die größte Organisation der „Survivors of Prostitution“ weltweit, welche von Rachel Moran gegründet wurde. Die Verfasserin des Bestsellers Was vom Menschen übrig bleibt (2015)weigert sich, das Wort „Sexarbeit“ in den Mund zu nehmen. Dieser Begriff, der den Eindruck erweckt, Prostitution sei ein normales Alltagsgeschäft, blendet das gesamte Feld, wo und wie diese „Arbeit“ stattfindet, die „Arbeitgeber“ wie auch die Mechanismen der Abwertung und der Gewalt aus. Prostitution ist für Rachel Moran, die 2014 auf Einladung der „Initiative STOPP SEXKAUF“ in Wien war, eine Form des sexuellen Missbrauchs.
2021 haben die SPÖ-Frauen auf ihrer Bundeskonferenz beschlossen: „Sexarbeit ist Arbeit“. Begleitend dazu forderten sie die „gesellschaftliche Aufwertung von Sexarbeit und die Anerkennung als sozialversicherungspflichtige Arbeit“. Der Beschluss ist einem 22 Jahre alten Gesetz der rot-grünen Koalition unter Bundeskanzler Gerhard Schröder nachempfunden, als man die „Sexarbeit“ noch als Akt der Selbstbestimmung und den freien Sexkauf als Ausdruck einer libertären Gesellschaft pries. Ein Ziel des Gesetzes war es, die Frauen in der Prostitution ins Sozialsystem aufzunehmen, damit sie sich sozial- und krankenversichern könnten. Das istnicht aufgegangen. Gynäkolog*innen berichten, dass 90 Prozent der Prostituierten, die in ihre Praxis kommen, keine Krankenversicherung haben. Profiteure des Gesetzes sind die Bordellbetreiber und Zuhälter. Denn bald zeigte sich, dass die Bundesrepublik Deutschland – auch wegen der EU-Osterweiterung – „zum größten europäischen Umschlagplatz von Menschenhandel und zu einer Drehscheibe der Zwangs- und Armutsprostitution geworden ist“. Die Anzahl der in der Prostitution tätigenFrauen wird in Deutschland inzwischen auf mindestens 200.000 geschätzt. Doch nur rund 40.000 sind auch registriert. Demzufolge befinden sichmindestens 160.000 Frauen ‚arbeitsrechtlich‘ in der Illegalität. So viel zur Behauptung, das Nordische Modell würde die Frauen in die Illegalität drängen. Offensichtlich ist das Gegenteil der Fall, auch in Wien wo 3.200 registrierte Prostituierte noch einmal so vielen Frauen gegenüberstehen, die illegal anschaffen. In einem Nachfolgegesetz 2017, dem „Prostituiertenschutzgesetz“, hat der deutscheGesetzgeber versucht, die heftigsten Auswüchse einzudämmen. Dazu zählen u. a. ein Verbot von Geschlechtsverkehr ohne Kondom, Gangbangpartys (nachgestellte Gruppenvergewaltigungen) und von Flatrate-Sex, auch als „All-Inclusive“-Angebot bekannt. Dabei kann der Freier für einen Fixpreis von z. B. 99 Euro mit allen Mädchen des Hauses Sex haben, so oft er möchte und so lange er kann. Zur Stärkung sind alkoholfreie Getränke und Snacks im Fixbetrag inkludiert. Gangbang und Flatrate-Angebote sind übrigens in Österreich nach wie vor erlaubt. Die Novellierungen von 2017 haben aber nichts daran geändert, dass es in Deutschland weiterhin hunderttausende ausgebeutete Frauen in der Prostitution gibt.
VI. Widerspricht Prostitution dem Grundgesetz?
In Reaktion auf diese Situation haben der Verfassungsrechtler Ulrich Rommelfanger und die Sozialethikerin Elke Mack 2023 eine 330 Seiten starke Untersuchung vorgelegt, aus der eindeutig hervorgeht, dass der deutsche Staat diese Ausbeutung und die verheerenden psychischen wie körperlichen Schäden an den Prostituierten in Kauf nimmt und somit seiner Schutzpflicht nicht nachkommt.[6] Fazit: das deutsche Gesetz ist mit dem Grundgesetz nicht mehr vereinbar. Die Autor*innen der Studie erachten es als „äußerst befremdlich“, dass der Staat bei seiner Gesetzgebung automatisch die „Freiwilligkeit der Menschen in der Prostitution annimmt“. Das, obwohl es unzählige Zeugnisse von Betroffenen, Gynäkolog*innen, Polizist*innen, Staatsanwält*innen und Sozialarbeiter*innen gibt, die das Gegenteil belegen. Man muss davon ausgehen, so Elke Mack, dass „90 Prozent der Prostituierten dies nicht freiwillig tun“. Ebenso lässt die Forschungsarbeit keine Zweifel daran, dass es sich bei der Prostitution um ein „rassistisches, sexistisches und klassistisches“ System handelt, das Menschen „zu Objekten herabgewürdigt“.
Die Gynäkologin Liane Bissinger, die in der Studie ebenfalls zitiert wird, hat 2022 bei einem Vortrag in Wien die „typischen Symptome“, mit denen die Frauen in ihre Praxis kommen zusammengefasst: „Entzündungen und Verletzungen im Unterleib, zerstörte Darmflora, ein generell entzündetes Magen-Darm-System aufgrund von häufigem Erbrechen durch Ekel bei Oralverkehr mit erzwungenem Sperma-Schlucken, miserable Ernährungssituationen, Mangelernährung, Essstörungen, nervöse Störungen, Hämatome, kahle Kopfhautstellen durch ausgerissene Haare, entzündete Kiefergelenke durch zu lange Überdehnung des Gelenkes bei Oralverkehr usw.“
Angesichts dessen, dass all dieses Wissen zur Verfügung steht, ist es gelinde gesagt ignorant das Feld der Prostitution zum Arbeitsplatz zu erklären und „Sexarbeit“ als sozialversicherungspflichtige „Arbeit“ auszurufen. Abgesehen davon, dass die SPÖ-Frauen mit ihrer Haltung (die übrigens auch die Grünen teilen) den Männern nach wie vor das Benützen von Frauen ganz selbstverständlich zugestehen, negieren sie rechtliche Abkommen zu deren Einhaltung sich Österreich verpflichtet hat.
Eines ist das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, kurz die Istanbul-Konvention genannt. Sie wurde nicht nur von Einzelstaaten (u.a. auch Österreich) ratifiziert, sondern von der gesamten EU. Sie ist das erste völkerrechtlich verbindliche Instrument zur umfassenden Bekämpfung aller Formen von Gewalt an Frauen in Europa.[7] In Deutschland wurden auf dieser Grundlage bereits einige Fälle betreffend den Sachverhalt, dass Freier gegen den Willen der Prostituierten gewaltsame Handlungen an ihren Körpern ausführten, vor Gericht verhandelt. Dass diese Übergriffigkeit nicht wie bisher üblich, als „Berufsrisiko“, sondern als Vergewaltigung gewertet wurde, ist einer adaptierten Rechtsprechung gemäß der Istanbul-Konvention zu verdanken.
Auch das CEDAW-Übereinkommen (Frauenrechtsübereinkommen/Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination Against Women)[8], das 1979 von der UN Generalversammlung verabschiedet wurde, ist ein Völkerrechtsabkommen. Noch dazu das erste, das einen speziellen Ausschuss für die Beseitigung der Diskriminierung von Frauen eingerichtet hat. Und dieser CEDAW-Ausschuss hat am 20 November 2020 die allgemeine Empfehlung Nr.38 zum Frauen-und Mädchenhandel vorgelegt. Darin wird festgehalten, dass der Handel mit Frauen und Mädchen und ihre Ausbeutung in der Prostitution eindeutig geschlechtsspezifische Gewalt und Diskriminierung darstellt und empfiehlt den Unterzeichnerstaaten explizit, die erhöhte Nachfrage nach Prostitution, die die Ausbeutung von Frauen begünstigt zu bekämpfen. Die Prostitution zu einem ‚normalen‘ Arbeitsplatz für Frauen zu etablieren, ist wohl das ganze Gegenteil von dem, wozu CEDAW die Unterzeichnerstaaten verpflichtet und was in unserem Gleichheitsgrundsatz- und Gleichbehandlungsgeboten steht.
Es kann doch nicht sein, dass Frauen mit ihrem Körper den Preis für fehlende (Verteilungs-)Gerechtigkeit bezahlen müssen und gezwungen sind, ein Leben in fortgesetzter Ausbeutung und Gewalt zu führen! Solange wir als Gesellschaft tolerieren, dass man gegen Bezahlung über den Körper anderer verfügen darf, solange wird es keine Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern geben. Daher fordern wir als Initiative STOPP SEXKAUF auch für Österreich eine neue, bundesweite Prostitutionsgesetzgebung nach dem Vorbild des Nordischen Modells, welche die Absicherung der Menschenrechte und die soziale und ökonomische Sicherheit aller Frauen in den Mittelpunkt stellt.
BRIGITTE HOFMANN-MUZIK
ist Gründungsmitglied und Vorsitzende des Vereins Feministischer Diskurs, Mitbegründerin der Initiative StoppSexkauf und Absolventin des Rosa Mayreder College. Ihr Anliegen ist eine konsequent feministische Sichtweise und Analyse von Politik und Gesellschaftsstruktur.
Kontakt: brigitte.hofmann138@aon.at
SUSANNE RIEGLER
Journalistin und Filmemacherin; Initiatorin und Mitglied zahlreicher autonomer feministischer Initiativen u. a von Autonomes Frauenhaus Neunkirchen/NÖ, Initiative STOPP SEXKAUF, Verein Feministischer Diskurs.
Kontakt: susanne.riegler@inode.at
[1] Vgl.: Entschließung des Europäischen Parlaments vom 14. September 2023 zur Regulierung der Prostitution in der EU: ihre grenzübergreifenden Auswirkungen und ihr Einfluss auf die Gleichstellung und die Frauenrechte (2022/2139[INI]), online unter: https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/A-9-2023-0240_DE.html; Di Nicola, A., „The differing EU Member States’ regulations on prostitution and their cross-border implications on women’s rights“, 27. Juli 2021, online unter: https://www.europarl.europa.eu/thinktank/en/document/IPOL_STU(2021)695394 und OSZE-Büro der Sonderbeauftragten und Koordinatorin für die Bekämpfung des Menschenhandels(2021) „Discouraging the demand that fosters trafficking for the purpose of sexual exploitation“, Wien, online unter: https://www.osce.org/cthb/489388 (letzte Zugriffe: 01.02.2024).
[2] „LINKE für eine Welt ohne Prostitution“: Zwölf Mythen über Prostitution und Sexkaufverbot, online unter: www.linke-gegen-prostitution.de (letzter Zugriff: 01.02.2024).
[3] Vgl. Haggström, Simon (2016): Shadow’s Law: The True Story of a Swedish Detective Inspector Fighting Prostitution, Bullet Point Publishing
[4] Vgl. derStandard.at (2019) „FPÖ fordert Prostitutionsverbot für Flüchtlinge“, 02.09.2019, online unter: https://www.derstandard.at/story/2000108116717/fpoe-fordert-prostitutionsverbot-fuer-fluechtlinge (letzter Zugriff: 01.02.2024).
[5] Vgl. „Zwischen den Fronten“, 02.09.2019, Kommentar von Huschke Mau, online unter: www.stoppsexkauf.at (letzter Zugriff: 01.02.2024).
[6] Vgl. Mack, Elke/Rommelfanger, Ulrich (2023): Sexkauf. Eine rechtliche und rechtsethische Untersuchung der Prostitution, Baden-Baden: Nomos, 15.
[7] Vgl. Sekretariat des Ausschusses für Gleichstellung und Nichtdiskriminierung der Parlamentarischen Versammlung des Europarats in Zusammenarbeit mit Anne-Katrin Speck, Fachberaterin (2019): Die Istanbul-Konvention, ein umfassendes Instrument zur Beendigung geschlechtsspezifischer Gewalt. Ein Handbuch für Parlamentarier zur Konvention des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, 15, online unter: https://www.bundeskanzleramt.gv.at/agenda/frauen-und-gleichstellung/gewalt-gegen-frauen/istanbul-konvention-gewalt-gegen-frauen.html (letzter Zugriff: 01.02.2024).
[8] Vgl. https://www.frauenrechtskonvention.de/ (letzter Zugriff: 01.02.2024).