Nadja Habibis „Prostitution versus Sexarbeit“. Eine Rezension – VON VIKTORIA KRIEHEBAUER

Mit der Rezension von Nadja Habibis Prostitution versus Sexarbeit arbeitet VIKTORIA KRIEHEBAUER neben historischen, rechtlichen und sozialen Aspekten vor allem heraus, dass eine Diskussion des „Nordischen Modells“ für die neue Frauenpolitik unabdingbar ist. Dabei wird auch deutlich, dass Feminismus und Marxismus sich keineswegs widersprechen, sondern intrinsisch miteinander verbunden sind.

I. Einleitung

Dass eine Autorin wie Nadja Habibi ihre Bachelorarbeit zum Thema Prostitution mit einem ideologisch marxistischen Hintergrund dezidiert gegen den Ansatz positioniert, dass Prostitution Sexarbeit sei, ist Grund genug, ihren Band Prostitution versus Sexarbeit auch im Rahmen der ZUKUNFT zu Neuer Frauenpolitik zu besprechen. Dies auch deshalb, weil diese Position eher von rechtsgerichteten Kräften vertreten wird. Linksliberale Feministinnen glauben mit dem Begriff „Sexarbeit“ die Selbstbestimmtheit der Prostituierten stärken zu können. Wir erfahren indes bei Habibi, dass der Begriff „Sexarbeit“ erst von der amerikanischen Aktivistin Carol Leigh Ende der 1970er-Jahre geprägt wurde und seither gerne verwendet wird, um Prostitution als eine Art normaler Erwerbsarbeit unter verschiedenen Arten von Dienstleistungsberufen darzustellen. So wird hier auch oft von Arbeitsmigration statt Menschenhandel gesprochen.

Dass der modernisierte, neoliberale Sprachgebrauch bezüglich Prostitution den betroffenen prostituierten Frauen Verbesserungen gebracht hätte, wird in diesem Zusammenhang deutlich verneint. Habibi weist auch immer wieder darauf hin, dass eine Trennung von erzwungener und freiwilliger Prostitution den Eindruck vermittelt, es gäbe eine „gute“ Prostitution, die auf einem fairen Vertrag zwischen Freiern und Prostituierten fußt, und eine „böse“ Prostitution, die unfreiwillig passiert. Das erinnert an die österreichische Debatte: der große Graubereich, der die Alternativlosigkeit ansprechen würde, die durch Hunger, Armut, Obdachlosigkeit entsteht, wird von den liberalen Feministinnen bewusst nicht angesprochen.

Ob dieser sozialen Zwangssituationen werden Risiken in Kauf genommen, die Sex ohne Kondom, viele Freier pro Tag, Verkehr von Schwangeren, hohe Abgaben an Zuhälter oder Partner bedeuten. Juristisch fällt das alles unter „freiwillige“ Prostitution. Was Freiwilligkeit und Unfreiwilligkeit bedeuten, ist daher in dieser Debatte äußerst umstritten.

II. Zur (marxistischen) Geschichte der Prostitution

Prostitution wird oft als das älteste Gewerbe der Welt bezeichnet. Habibi zeigt auf, dass dies nicht der historischen Realität entspricht. In präzivilisatorischen Zeiten, also in bäuerlichen Kulturen, war Prostitution nicht vorhanden. Hausbau, Ackerbaubewirtschaftung, Töpferei und Viehzucht sind ältere Gewerbe. Prostitution entsteht in städtischen Bereichen unter speziellen ökonomischen Bedingungen, wie sie im antiken Griechenland und später im Römischen Reich zu finden sind.

„Die babylonischen Frauen mussten einmal im Jahr sich im Tempel der Mylitta preisgeben; (…) wo sie mit selbstgewählten Günstlingen der freien Liebe zu pflegen hatten, ehe sie heiraten durften.“ (Friedrich Engels: Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats)

Dieser Venuskult wurde damit beendet, dass Solon in Griechenland um 600 vor Christus die ersten städtischen Bordelle eröffnete. Dort arbeiteten Sklavinnen, die von Staatsmitteln für diese Tätigkeit gekauft wurden. Sie erwirtschafteten Profit, der in die Staatskassen floss. Prostitution wurde zu einem staatlich überwachten ökonomischen Tauschgeschäft. Hier entstand auch die typische sexuelle Doppelmoral, die die Monogamie einerseits hochschätzte, männliches sexuelles Ausleben in Bordellen mit Sklavinnen aber staatlich duldete. Die weibliche außereheliche Sexualität wurde hingegen strikt untersagt:
„Dieser Hetärismus, der eine gesellschaftliche Einrichtung ist wie jede andere, setzt also die alte Geschlechtsfreiheit fort – zu Gunsten der Männer. In der Wirklichkeit nicht nur geduldet, sondern namentlich von den herrschenden Klassen flott mitgemacht, wird er in der Phrase verdammt. Aber in der Wirklichkeit trifft diese Verdammung keineswegs die dabei betheiligten Männer, sondern nur die Weiber: sie werden geächtet und ausgestoßen, um so nochmals die unbedingte Herrschaft der Männer über das weibliche Geschlecht als gesellschaftliches Grundgesetz zu proklamiren.“ (Friedrich Engels: Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats)

PROSTITUTION VERSUS SEXARBEIT
VON NADJA HABIBI
Hamburg: Alma Marta
136 Seiten | € 12,00 (Taschenbuch)
ISBN: 978-3948731083
Erscheinungstermin: 16.11.2022

Im Römischen Reich war die strikte moralische Ordnung so organisiert, dass die Nachkommenschaft aus einer ehelichen Beziehung stammen musste. Außereheliche Sexualität sollte vermieden werden, aber für verheiratete Männer galt keine diesbezügliche strikte Enthaltsamkeit. Prostitution galt als eine erhaltende und schützende Funktion bezüglich der Heiligkeit und Treue innerhalb der Ehe. 535 nach Christus begann Kaiser Justinian mit der Schließung der Bordelle und berief sich dabei auf die neutestamentarische Morallehre, die Prostitution zur Sünde erhob und die Ehe zum heiligen Sakrament, in dessen Rahmen Sexualität nur der Reproduktion zu dienen habe.

Das Mittelalter ist hingegen die Blütezeit der Bordelle. Im 15. Jahrhundert entwickelten sich die Frauenhäuser in allen Städten. Die Trennung zwischen unsittlichen und jungfräulichen Frauen war eine von den Dominikanern angepriesene Praxis. Durch die Huren sollten anständige Frauen vor Übergriffen geschützt werden. Hier äußerte sich schon ein bis heute gängiger Glaube, dass männliche Sexualität unkontrollierbar sei.

Im Spätmittelalter wurde aufgrund des wachsenden Einflusses des Christentums Prostitution als Verstoß gegen die Sittlichkeit wahrgenommen. Sie verlagerte sich dann in die Keller und geheimen Mietwohnungen. Im 19. Jahrhundert wird die Bordellfrage durch die Syphilis und andere Geschlechtskrankheiten geprägt. Die erste Sperrgebietsverordnung wurde in München 1871 erlassen. Prostituierte wurden als Ausgangspunkt von gesundheitlichen Gefahren für die männliche Bevölkerung begriffen. Sittenwidrigkeit wurde als Begründung für repressive Gesetze angegeben.

III. Rechtliche und soziale Fragen

Habibi widmet sich neben den historischen Aspekten eingehend der Grundlage für die neue deutsche Gesetzgebung bezüglich Prostitution. Sie zitiert die rechtlichen Grundlagen, die zum aktuellen Prostitutionsgesetz in Deutschland führten. Das deutsche Prostitutionsgesetz, das 2002 eingeführt wurde, gilt als eines der liberalsten in ganz Europa. Es sollte keine Aufwertung aber auch keine Abschaffung der Prostitution damit erreicht werden. Es ging vor allem darum, jene Frauen und Männer, die „freiwillig“ in der Prostitution arbeiten, zu unterstützen, indem eine Verbesserung ihrer rechtlichen und sozialen Lage angestrebt wird. Die soziale Situation von Migrantinnen ohne Aufenthaltstitel, von Minderjährigen oder drogenabhängigen Beschaffungsprostituierten war nicht von Interesse.

Man wollte durch die Abschaffung der Sittenwidrigkeit die Einführung eines erleichterten Zugangs von Prostituierten zur Sozialversicherung erreichen. Die sogenannte Sittenwidrigkeit bedeutete, dass Vereinbarungen zwischen Freiern und Prostituierten unwirksam sein konnten, sodass die Prostituierten keinen Anspruch auf eine Gegenleistung für ihre Dienste hatten. Dieser Anspruch wurde durch das neue Gesetz geregelt. Die gerichtliche Durchsetzung solcher Ansprüche wurde aber nur sehr selten genutzt. Denn es ist verbreitete Praxis in der Prostitution, dass auf Vorkasse gearbeitet wird. Auch die gewünschte Anonymität der betroffenen Frauen und ihrer Freier ist ein Hindernis. Die Zielsetzung des Gesetzgebers, die Schließung von Arbeitsverträgen zu erleichtern, damit sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse entstehen mögen, wäre für die soziale Absicherung der Prostituierten ein Meilenstein gewesen. Doch die Realität war eine andere.

Die Bedingungen für ein derartiges Beschäftigungsverhältnis wären gewesen:

  • Eigenverantwortung der Prostituierten,
  • eingeschränktes Direktionsrecht des Arbeitgebers,
  • eine Eingliederung in den Betrieb und
  • Freiwilligkeit der Tätigkeit.

Die Option wurde indes kaum wahrgenommen: 72,8 % der Prostituierten arbeiteten selbstständig oder auf Provisionsbasis. Nur ein Prozent sind in einem Arbeitsvertrag. Andere hatten Verträge als Barfrauen, Hostessen oder arbeiteten in einem Minijob. Die Prostituierten wollten also en gros keine Arbeitsverträge, weil sie um ihre sexuelle Autonomie fürchteten bzw. um ihre selbstbestimmte Arbeitszeit. Auch die Sorge um ihre Anonymität spielte eine große Rolle. Die Betreiber wiederum sahen bei der Einschränkung des Weisungsrechts ein hohes betriebswirtschaftliches Risiko, weil die Prostituierten Freier oder bestimmte Sexualpraktiken ablehnen könnten, während die Betreiber zu der Zahlung eines Gehalts verpflichtet wären.

Breite Kritik am Prostitutionsgesetz führte 2017 zu einem Prostituiertenschutzgesetz:

„Das Gesetz bezweckt gefährliche Erscheinungsformen in der Prostitution wie Menschenhandel, Zwangsprostitution und Zuhälterei einzudämmen, ohne dabei vor allem die Stärkung des sexuellen Selbstbestimmungsrechts von Prostituierten aus dem Blick zu verlieren.“ (BMFSFJ)

Gegnerinnen des „Nordischen Modells“, das die Freier bestrafen und die Frauen völlig entkriminalisiert sehen will, meinen, dass das Nordische Modell zu sehr vom Opferbegriff ausgeht, und die Selbstbestimmtheit der Frauen völlig negiert. Habibi zitiert hier Alice Schwarzer: „Wie praktisch für die Frauenhändler. Wo keine Opfer sind, sind schließlich auch keine Täter“.

Habibi lässt des Weiteren Huschke Mau zu Wort kommen, die mit Frauen gesprochen hat, die sich an Beratungsstellen für Prostituierte gewandt haben:

„Ich kenne Frauen, die sich an solche Beratungsstellen gewandt haben mit der Bitte um Ausstiegshilfe, und denen gesagt wurde, der Job sei nicht das Problem, sondern sie, und sie sollten sich doch einfach innerhalb der Prostitution umorientieren: wäre Escort was für sie, oder SM? Oder andere Praktiken vielleicht?“

IV. Conclusio

Resümierend schreibt Habibi:

„Somit lässt sich abschließend sagen, dass die (rechtliche) Liberalisierung der Prostitution in Deutschland eine grundlegende Voraussetzung für die Zunahme der Zahl an migrantischen Prostituierten, insbesondere aus Osteuropa, darstellt (…) Die bisherige Datenlage lässt die Vermutung zu, dass der Ruf Deutschlands, das ‚Bordell Europa‘ zu sein, unmittelbar mit der Gesetzgebung zusammenhängt und diese eine Erschwernis im Bereich der Kriminalitätsbekämpfung darstellt.“

Entsprechend ihrer politischen Haltung, lässt Habibi mit Eleanor Marx-Aveling am Ende ihres Buches die Tochter von Karl Marx abschließend zu Wort kommen:

„Um uns von der Prostitution zu befreien, müssen wir uns von den Eltern der Prostitution, den gesellschaftlichen Bedingungen befreien, die diese hervorbringen. Mitternachtstreffen, Zufluchtsorte für die Unglüchlichen, all diese wohlgemeinten Versuche, mit dem entsetzlichen Problem fertig zu werden, sind wirkungslos, […]. Und sie werden wirkungslos bleiben, solange das Produktionssystem erhalten bleibt, welches durch die Erschaffung einer überschüssigen Arbeiterbevölkerung männliche und weibliche Kriminelle produziert, die wortwörtlich und beklagenswerterweise ‚aufgegeben‘ werden. Befreit euch vom kapitalistischen Produktionssystem, so sagen die Sozialisten, und die Prostitution wird untergehen“.

VIKTORIA KRIEHEBAUER
hat 1982 die Hertha Firnberg Schule gegründet. Die Schule hat sich immer den frauenspezifischen Themen verpflichtet gefühlt. Alte, überkommene Rollenbilder der Geschlechter wurden in unzähligen Projekten in Frage gestellt, das Schulleitbild hat sich immer an dieser Haltung orientiert. Heute engagiert sie sich als Vorstandsmitglied der Frauen-NGO Terre des Femmes Österreich dafür, alle Formen der Gewalt an Frauen zu bekämpfen.