Ist es Menschenrecht, eine Frau zu sein? – VON ELFI ROMETSCH

Der Beitrag von ELFI ROMETSCH geht der Frage nach, wie missbräuchlich die Universalität der Menschenrechte von partikularen Interessen instrumentalisiert wird und betont nachdrücklich, dass es noch immer kein Menschenrecht ist, eine Frau zu sein, wenngleich jede Frau Menschenrechte hat.

I. Einleitung

„In demokratischen Verfassungen sind Identitäten immer ein wenig anrüchig, weil sie quer zum universalistischen Anspruch stehen, den die Demokratie per definitionem hat“, sagte Bettina Reiter in ihrer keynote speech[1], die sie vor knapp einem Jahr bei der ersten Veranstaltung der Europäischen Gesellschaft für Geschlechtergerechtigkeit Österreich (EGGö) hielt. Diese Keynote findet sich als Wiederabdruck auch in dieser Ausgabe der ZUKUNFT. Identität ist eine im Grunde reaktionäre Idee und kommt gern als Identitätspolitik daher, wie es bei der „Identitären Bewegung“ der Fall ist. Wo sie Persönlichkeit ersetzt und als unhinterfragbare „Geschlechtsidentität“ verkauft wird, wirkt sie zusätzlich regressiv. Ein fulminanter Siegeszug von „Gefühl schlägt Vernunft“ reißt nun viele mit, die sich als links und fortschrittlich einordnen. Woher kommt diese Euphorie? Woher die Begeisterung für Identität, wenn sie als selbstbestimmbares Geschlecht (Self-ID) propagiert wird? Was ist geschehen?

II. Historisches zu LGBTI

Im Jahr 2006 trafen sich in Yogyakarta 29 Menschenrechtsexperten aus verschiedenen Weltregionen (ein paar wenige Frauen waren auch dabei) und stellten aus bestehenden Partikularregelungen einen Katalog von Menschenrechtsstandards für LGBTI zusammen[2], der im Jahr darauf als „Yogyakarta-Prinzipien“ veröffentlicht wurde.[3] Zehn Jahre später wurde dieser Katalog auf 39 Prinzipien[4] erweitert und trägt seither deutlich die Handschrift der Transgenderrechtebewegung. Dieser neue Schwerpunkt entstand nach der Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Partnerschaft bzw. Ehe in den Vereinigten Staaten, Kanada, England, Schottland, Wales und in einigen anderen europäischen und außereuropäischen Ländern. Mit der „Homoehe“ war, nach Abschaffung der Strafbarkeit der Homosexualität und der gesellschaftlichen und rechtlichen Gleichstellung mit Heterosexuellen, das letzte zentrale Ziel der Lesben- und Schwulenbewegung erreicht. Nun war es an der Zeit, neue Ziele zu definieren. Die Genderidentitätspolitik und der Transgender-Rechtsaktivismus wurden in das Zentrum der Bewegung gerückt.

III. Selbstbestimmung, Biologie und Menschenrechte

Das moralisch begründete Postulat der Selbstbestimmung des Geschlechts als Menschenrecht ist der Hauptpfeiler dieser Erfolgsgeschichte. Jede Debatte, jeder Einwand, jeder Hinweis auf biologische Fakten und Frauenrechte wird damit recht erfolgreich zum Verstummen gebracht. Wer will schon als Menschenfeind gelten, wer gegen Selbstbestimmung auftreten? Der Fokus auf Transgenderrechte als Menschenrechte wurde und wird folglich in westlichen Gesellschaften mehrheitlich positiv aufgenommen und mit sinnleeren Mantras wie: „trans rights are human rights“ verankert. Das, ohne die Hohlheit des Slogans zu erkennen, denn Menschenrechte sind Individualrechte und wurden nicht für Gruppen von Menschen verfasst. Das, ohne zu hinterfragen, welche Rechte „Transpersonen“ vorenthalten werden, die nicht ohnehin als universelle Menschenrechte allen zukommen.

Die inhaltliche Neu-Ausrichtung auf Genderidentitätsideologie und Transrechte sicherte den mittlerweile gut etablierten NGOs und Vereinen, die ursprünglich Gründungen innerhalb der LGB-Bewegung waren, weiterhin ihre ökonomische Grundlage und ihren Fortbestand. Zusätzlich entstanden Trans-Organisationen, ebenfalls auf Basis großzügiger öffentlicher Förderungen und Spenden. Mit diesem massiven Propaganda-Apparat dauerte es nur etwa eine Dekade, die Überzeugung herzustellen, dass es einen einzigartigen Menschentypus gibt, der nicht an biologische Realitäten gebunden ist.

Das IGLYO-Dentons-Paper 2019[5] ist die Grundlage für die Kampagnen- und Öffentlichkeitsarbeit der Transgender-Rechtsaktivisten für Selbstbestimmungsgesetze weltweit. Diese Handreichung hat den Titel Only Adults? Good Practices in Legal Gender Recognition for Youth, übersetzt: Nur Erwachsene? Bewährte Praktiken bei der rechtlichen Anerkennung des Geschlechts für Jugendliche. Das Paper repräsentiert, abgesehen von Tipps und Tricks für die Öffentlichkeitsarbeit, die gesammelten Mythen und Mystifikationen, auf denen die Propaganda aufgebaut ist. Doch nach und nach tauchen Fragen zur Ideologie und Kritik daran auf. Die Versuche, die öffentliche Auseinandersetzung mit dem Thema per #NoDebate zu unterdrücken, führen zu einer dramatischen Zuspitzung mit autoritärem und totalitärem Charakter.

IV. Transphobie und Equality Act

Robert Wintemute, Professor für Menschenrechte und einer der Erstunterzeichner der Yogyakarta-Prinzipien, hatte seinen light bulb moment, als er realisierte, dass schon die erste Fassung die Rechte anderer, insbesondere von Frauen beschneidet.[6] Auch er war anfangs davon überzeugt, Gutes zu tun. Vor allem für Männer, die alles unternehmen, um sich dem weiblichen Geschlecht anzupassen. Doch man hatte nicht in Betracht gezogen, dass sich durch den Personenstandswechsel eines Mannes eine gleichgeschlechtliche Ehe ergibt, zu der die Frau bei der Eheschließung nicht zugestimmt hat und möglicherweise mit der geänderten Situation nicht einverstanden ist. Es wird als „Transphobie“ angesehen, wenn Frauen Einwände haben und sich nicht selbstverständlich unter neuen Vorzeichen arrangieren. Auf rechtliche und persönliche Probleme dieser Art hatte man keinen Gedanken verschwendet. Wintemute sieht u. a. daran die Selbstzentriertheit dieser Bewegung, die „Transrechte“ über die Rechte anderer stellt. Sein Vortrag an einer Universität in Kanada zum Thema wurde nach wenigen Minuten von aufgebrachten trans activists gestürmt und unterbunden.

Argentinien war 2012 das erste Land der Welt, das ein Selbstbestimmungsgesetz einführte, das vollkommen frei ist von Sicherheitsvorkehrungen, Vorschriften und Regeln für die Änderung des Geschlechtseintrags. Nach diesem Vorbild wurden im Jahr 2017 alle Yogyakarta-Prinzipien ausgerichtet. Eine beispiellose Eskalation der Forderungen stellt das Prinzip 31 dar. Darin wird als staatliche Verpflichtung ausgegeben, dass jedes Land umgehend den Geschlechtseintrag aus allen Urkunden entfernen muss, und zwar als unabdingbare Anforderung der internationalen Menschenrechte. Beispiellos ist diese Forderung insofern, als das bisher in keinem Staat der Welt Menschenrechtsstandard ist. Das war bisher für die Aufnahme jedes der anderen Prinzipien in den Katalog begründend. Das Streichen des Geschlechtseintrags im Personenstandsregister hätte zur Folge, dass keine geschlechtsbezogenen Zahlen, Daten und Fakten in wesentlichen Bereichen wie Bildung, Gesundheit, Sicherheit, Einkommen und Erwerbstätigkeit mehr zugänglich sind. Sarkastisch gesagt wäre damit jedes einschlägige Problem gelöst.

Im Prinzip 30 hingegen werden gender identity, gender expression und sex characteristics – im Deutschen übersetzt als „Geschlechtsidentität“, „Geschlechtsausdruck“ und „Geschlechtsmerkmale“ – als zusätzliche Schutzklassen des Gleichheitsgrundsatzes eingefordert. Es handelt sich allerdings um nichts Geringeres als um unseren „Equality Act“, der nicht beliebig und durch Phantasiebezeichnungen erweiterbar ist, ohne ihn dadurch zu durchlöchern. Aus der Übersetzung entsteht eine gewisse Irritation, zumal der gesamte englische Text auf gender identity aufbaut und nicht auf sex. Das lässt einen Unterschied vermuten zwischen Geschlecht und Gender. Diese Sprachverwirrung zieht sich übrigens konsequent durch die gesamte Thematik. Dass plötzlich sex characteristics, also „Geschlechtsmerkmale“ auftauchen, wirkt selbst innerhalb dieser Logik widersprüchlich und sinnstörend. Das scheint Bedingung zu sein in der dekonstruierten Sprach- und Gedankenwelt der Postmoderne: The bug is the feature.

V. Sportliches … und die Queer Theory

In den zusätzlichen Empfehlungen der Yogyakarta-Prinzipien wird besonders auf Sportorganisationen und Sport eingegangen. Es soll sichergestellt werden, dass alle Menschen, die sich sportlich betätigen, entsprechend dem von ihnen selbst erklärten Geschlecht am Sport teilnehmen können. Eine besondere Vertiefung gilt dem Frauensport:

„Regelungen streichen oder nicht einführen, die Sportlerinnen zwingen oder in anderer Weise unter Druck setzen, sich unnötigen, irreversiblen und schädlichen medizinischen Untersuchungen, Tests bzw. Verfahren auszusetzen, damit sie als Frauen am Sport teilnehmen können“.

Mit „Sportlerinnen“ sind hier Männer gemeint. Mit der eklatanten Asymmetrie im Sport nähern wir uns allmählich der Beantwortung der Eingangsfrage. Die Yogyakarta-Prinzipien sind vollkommen unverbindliche Vorschläge. Sie wurden auch von den Vereinten Nationen nicht beschlossen. Und dennoch wird so getan, als hätten sie weltweit Rechtsverbindlichkeit. Sie manifestieren sich eins zu eins inhaltlich und sprachlich in Selbstbestimmungsgesetzen und anderen nationalen und internationalen Rechtsvorschriften und Richtlinien.

Ihre theoretische Grundlage ist die „Queer Theory“, die als Queerfeminismus im Mainstream gelandet ist. Zentrale These: Geschlecht ist ein soziales Konstrukt und lediglich „Performance“. Alle Menschen, nicht nur „Transmenschen“, sollen ihre gender identity, ihr „gefühltes Geschlecht“, ihren Geschlechtseintrag selbst und immer wieder neu per Sprechakt bestimmen können. Dem Staat kommt höchstens die Aufgabe zu, das möglichst gratis zu dokumentieren. Die Fantasie der Lösung der Geschlechterfrage durch die Auslöschung des Geschlechts und der religiöse Glaube an selbstbestimmte „Geschlechtsidentitäten“ als Menschenrecht sind nun die notwendigen Ausweise von Fortschrittlichkeit. Magisches Denken schlägt Realität.

„Queer Theory“ wurde ohne Debatte zur Grundlage „progressiver“ Gesellschaftspolitik. Sie ist, von den meisten unbemerkt, über die Jahre in die Gesellschaft, den Staat und seine Institutionen eingesickert. So auch in die SPÖ mit dem Self-ID-Gesetz als Parteitags-Beschlusslage. Auch sie bewirbt damit „Gender“ als revolutionäre Menschenrechtsbewegung, die uns befreien wird. Einer aufgeklärten Linken wäre eine bessere Analysefähigkeit zuzutrauen, anstatt die Fiktion von Menschen mit mysteriöser Anderweltlichkeit zu nähren, die versuchen, sich ihrer Leiblichkeit durch medizinische Maßnahmen oder durch bloßen Sprechakt zu entziehen.

VI. Realität und Self-ID

Viele Menschen erlangen von den geänderten gesellschaftlichen Konventionen mitunter erst Kenntnis, wenn ihnen ihr pubertierendes Kind erzählt, es sei im falschen Körper geboren, die vollkommene Affirmation fordert, die Behandlung mit Pubertätsblockern, gegengeschlechtlichen Hormonen und die chirurgische Entfernung von Körperteilen. Schließlich sei geschlechtliche Selbstbestimmung ein Menschenrecht. Das erfahren schon ganz junge Kinder auf TikTok. Widerborstige Erziehungsberechtigte werden als „transphobe“ gefährliche Menschenfeinde eingestuft – übrigens auch an vielen Schulen, bei Behörden und Gerichten, mit entsprechenden Konsequenzen (Obsorge-Entzug und Fremdunterbringung Minderjähriger). Die Gesundheitskassen bezahlen die Pubertätsblocker, die Hormone und die Operationen, nicht jedoch Beratung und Psychotherapie für agonisierte Familien. Das ist bereits jetzt so – ganz ohne Self-ID-Gesetz.

Wenn sich Frauen in Räumen, in denen sie unbekleidet sind, unfreiwillig einem voll entwickelten Mann gegenübersehen und sich das nicht gefallen lassen wollen, kann der Rausschmiss zur klagswürdigen Diskriminierungshandlung werden, wenn sich der Mann als Frau selbst deklariert. Noch ist es nicht so weit in Österreich, jedenfalls abseits von Wien, das „Geschlechtsidentität“ schon seit 2004 als Diskriminierungsgrund in der Landesverfassung führt.[7] Man darf gespannt sein, wie sich das Deutsche Selbstbestimmungsgesetz in der Alltagspraxis auf Österreich auswirken wird.

VII. Die EGGö

Wir von der Europäischen Gesellschaft für Geschlechtergerechtigkeit Österreich (EGGö) sind der Meinung, dass Geschlecht real ist und unveränderlich. Es zählt in Regeln, Gesetzen, Richtlinien, Sprache und Kultur. Gravierende Änderungen des gesellschaftlichen Gewebes müssen offen angesprochen und ausgesprochen werden. Es kann nicht angehen, dass Einwände und Kritik, besonders wenn sie von Frauen kommen, als „menschenfeindlich“, biologistisch, essenzialistisch und politisch „rechts“ gebrandmarkt werden, nur um gesellschaftlichem Aushandeln auszuweichen. Schließlich lebt Demokratie von Vielstimmigkeit.

VIII. Conclusio

Ganz am Schluss steht mithin die Beantwortung der Eingangsfrage: Ist es Menschenrecht, eine Frau zu sein? Es ist noch immer kein Menschenrecht, eine Frau zu sein. Aber jede Frau hat Menschenrechte!

ELFI ROMETSCH
ist Vorstandsvorsitzende der Europäischen Gesellschaft für Geschlechtergerechtigkeit Österreich (EGGö ). Weitere Informationen online unter: www.eggoe.at.


[1] Vgl. Bettina Reiters Keynote in dieser Ausgabe der ZUKUNFT bzw. die Online-Version unter: https://www.eggoe.at/wp-content/uploads/2023/03/Keynote_07032023.pdf (letzter Zugriff: 01.03.2024).

[2] LGBTI ist die Abkürzung für die englischen Wörter Lesbian, Gay, Bisexual, Transexuell/Transgender und Intersexual (deutsch: Lesbisch, Schwul, Bisexuell, Transsexuell/Transgender und Intersexuell)

[3] Vgl. online unter: https://www.hirschfeld-eddy-stiftung.de/fileadmin/user_upload/schriftenreihe/Yogyakarta_Prinzipien._HES_Schriftenreihe_Bd_1.pdf (letzter Zugriff: 01.03.2024).

[4] Vgl. online unter: https://www.hirschfeld-eddy-stiftung.de/fileadmin/user_upload/Bilder/Infozentrum/YK_10_Broschuere_2020.pdf (letzter Zugriff: 01.03.2024).

[5] Vgl. online unter: https://www.trust.org/contentAsset/raw-data/8cf56139-c7bb-447c-babf-dd5ae56cd177/file (letzter Zugriff: 01.03.2024).

[6] Wintemute im Podcast „Feminist Current“, online unter: https://www.feministcurrent.com/2023/01/22/are-trans-rights-human-rights-robert-wintemute-on-the-trans-rights-debate-and-how-we-got-here/ (letzter Zugriff: 01.03.2024).

[7] Vgl. online unter: https://www.wien.gv.at/menschen/queer/schwerpunkte/transgender.html (letzter Zugriff: 01.03.2024).