Für eine Wohnungspolitik 4.0 – VON ALESSANDRO BARBERI

Ausgehend von den schriftlich dokumentierten Diskussionen zu einem neuen Parteiprogramm der SPÖ, die zwischen Jänner 2015 und Februar 2016 unter Beteiligung hunderter Genoss*innen stattfanden, fasst ALESSANDRO BARBERI, der diese Diskussionen redigierte, den nach wie vor aktuellen Status Quo hinsichtlich der Wohnungspolitik zusammen.

I. Einleitung

Im Sinne des Sozial- und Wohlfahrtsstaates ist auch die Wohnungs- und Wohnbaupolitik für die zukünftige Politik der Sozialdemokratie von entscheidender Bedeutung. Dabei geht es immer um das Grundrecht auf leistbares Wohnen bzw. als utopisches Fernziel auch kostenfreies Wohnen, da es sich beim Wohnen um ein menschliches Grundbedürfnis handelt, dessen Deckung anzustreben ist. Als Grundbedürfnis steht Wohnen dabei in einem direkten Verhältnis zur Arbeits-, Sozial-, Bildungs- und Frauenpolitik. Dabei gilt es vor allem zu berücksichtigen, dass etwa in Wien fast zwei Drittel des Wohnraums in öffentlicher Hand sind (Gemeinde- und Genossenschaftswohnungen). Die dadurch (im Vergleich zu anderen europäischen Großstädten) nach wie vor im Durchschnitt relativ niedrigen Mietpreise garantieren die immer wieder bestätigte hohe Lebensqualität der Stadt Wien, wie auch viele Beiträge dieser Ausgabe der ZUKUNFT betonen.

II. Vom Roten Wien und dem kommunalen Wohnbau

Das Grundrecht auf leistbares Wohnen war immer ein wichtiger Ausgangspunkt sozialdemokratischer Wohnungspolitik, wie sie mit dem Roten Wien (nicht nur architektonisch) vor Augen steht. Insofern kann gerade im Blick auf die Geschichte des sozialen Wohnens auch in Zukunft der kommunale Wohnbau nachdrücklich gehalten und ausgebaut werden. Jeglicher neoliberalen Spekulation („Betongold“) muss eine deutlich sozialdemokratische Wohnpolitik sich entgegensetzen. Sozialdemokratie bedeutet in diesem Kontext, dass alles getan werden muss, um die Privatisierung des Wohnraums einzudämmen. Denn nur dadurch können die Lebenswelten der Menschen im beschleunigten (digitalen) Finanzmarktkapitalismus stabilisiert, beruhigt und entschleunigt werden. Dahingehend sind soziale und demokratische Raumordnungs- und Raumplanungsmodelle im Blick auf eine nachhaltige Stadtentwicklung zu befördern, die nach den Idealen des Roten Wien eine progressive, öffentliche Wohnpolitik garantieren können und müssen. So ist auch die Schaffung von (konsumfreien) Gemeinschaftsräumen innerhalb der Wohngebiete eine Notwendigkeit im Rahmen sozialdemokratischer Wohn(bau)politik. In diesem Sinne sollte auch für eine soziale, kulturelle, demografische und ethnische Durchmischung von gefördertem Wohnbau gesorgt werden.

III. Wohnen für alle Menschen

Die Politik einer sozialen Demokratie richtet sich daher auch in der Wohnungs- und Wohnbaupolitik daran aus, den Sozial- und Wohlfahrtsstaat zu halten und weiter bzw. wieder auszubauen. Das heißt auch, dass im Blick auf den Wohnungsmarkt eine dezidiert kantige Politik gegen die Deregulierung und Privatisierung des Wohnungsraums geführt werden muss. Wie im Bereich der Bildungs- oder Gesundheitspolitik ist ein Zwei- bzw. Mehr-Klassen-System des Wohnens, das tagtäglich die sozialen Unterschiede in der Republik Österreich reproduziert, mit allem Nachdruck abzulehnen. Auch den sozial Schwächsten und Betreuungsbedürftigen muss menschenwürdiges Wohnen im Sinne der Deckung von Grundbedürfnissen ermöglicht werden. Wohnen sollte also deutlich in öffentlicher Hand bleiben und mehr noch als bisher in öffentliche Hand gelangen. Auch im Bereich der Wohnpolitik gilt mithin: Mehr öffentliche Hand, also mehr Staat und weniger privat!

IV. Wohnen und das integrative Ideal der Gleichheit

DAS ELEND DER WELT
VON PIERRE BOURDIEU
München/Tübingen: UVK Verlag
452 Seiten | € 32,00
ISBN: 978-3825283155
Erscheinungstermin: 2009

Es ist mithin nötig, im Sinne der Gleichheit wirklich allen Mitbürger*innen erschwinglichen Wohnraum zu garantieren. Dabei sind klare, die Rechte der Mieter*innen schützende Regeln für alle Wohnformen zu gewährleisten. Öffentliche Wohnformen sollten dabei den Bedürfnissen verschiedener Klassen, Alters- und Geschlechtergruppen entsprechen. Im Blick auf die Wissens- und Informationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts geht es mithin um einen Gemeindebau 4.0, der den Bedürfnissen aller Bürger*innen im Sinne einer Deckung des Grundbedürfnisses auf Wohnen gerecht wird.

Denn der Sozial- und Wohlfahrtsstaat im Sinne einer Sozialdemokratie 4.0. benötigt zufriedenstellende Wohnverhältnisse für zufriedene Bürger*innen. Öffentlich garantiertes und nachhaltiges Wohnen entschleunigt dabei die neoliberal kapitalisierten Lebenswelten der Menschen und steigert ganz im Sinne der Tradition der Arbeiter*innenbewegung die Lebensqualität der Menschen im Sinne der (sozioökonomischen) Gleichheit. Wohnen ist auch ein entscheidender Schlüssel zur Integrationspolitik. Dies schließt insbesondere unsere ausländischen Mitbürger*innen ein, für deren Integration auf dem Wohnungsmarkt die Sozialdemokratie eintreten sollte.

V. Förderungsstrukturen

Insgesamt sind dahingehend auch die Förderungsstrukturen zu überdenken. Nachdrücklich sollte mithin die Schaffung eines sozialen Mietrechts gefordert werden, da sich die Deckung der Bedürfnisse der Menschen (etwa Sicherheit oder Ruhe) an der Höhe der Mieten ablesen lässt. Teil eines solchen sozialen Mietrechts ist die Definition von Mindeststandards für die Wohnqualität von Wohnräumen, da nach wie vor Wohnräume existieren, die nicht einmal den sozialen und ökonomischen Mindeststandrads entsprechen. Von großer Bedeutung ist dabei auch die Notwendigkeit, im Rahmen der Wohnpolitik sozialen Zusammenhalt im Sinne der Solidarität mit allen Gesellschaftsmitgliedern zu schaffen und zu fördern. Es müssen offene und öffentliche Räume für das Zusammenleben geschaffen werden, in denen sich die Generationen, Geschlechter und Kulturen treffen und austauschen können. Insofern reicht sozialdemokratische Wohnungspolitik direkt in die Stadtentwicklung hinein, die als eine der Stärken der österreichischen Sozialdemokratie ausgebaut werden muss. Auch für das Wohnen gilt: Freiheit, Gleichheit, Solidarität!

VI. Conclusio

Forderungen, die im Februar 2016 von zahlreichen Genoss*innen in einem offenen Diskussionsprozess an die SPÖ und für die SPÖ gestellt wurden:

  • Kommunaler Wohnbau (in öffentlicher Hand) ist ein Garant für soziales und demokratisches Wohnen.
  • Das Grundrecht auf Wohnen bzw. Wohnraum darf keiner neoliberalen Spekulation ausgesetzt sein. Wohnen ist keine Handelsware!
  • In diesem Sinne sollten Leerstandsabgaben diskutiert werden, um Spekulationen unattraktiv zu machen.
  • Daher fordern wir im Sinne eines Roten Wien 4.0 klare Mietzinsobergrenzen auch für die privaten Märkte.
  • Wir wenden uns gegen die neoliberale Beschleunigung der Lebenswelten, indem wir im Sinne einer kantigen Sozialdemokratie die (sanfte) Regulierung und Stabilisierung des Wohnungsmarktes halten und ausbauen wollen.
  • Wohnförderungen sind nach dem Grundsatz der sozialen Gerechtigkeit einzusetzen.
  • Das Mietrecht muss hinsichtlich sozialer und demokratischer Grundwerte erneuert und an die Bedingungen der Wissens- und Informationsgesellschaft im 21. Jahrhundert angepasst werden. Mieter*innenfreundlichkeit muss dabei deutlich im Vordergrund stehen.
  • Der (öffentliche) Wohnbau soll auch die multikulturelle Durchmischung verschiedener ethnischer Gruppen von Mitbürger*innen ermöglichen und befördern. Dabei ist insbesondere auf die Integration unserer ausländischen Mitbürger*innen zu achten.
  • Verschiedene Wohnformen müssen in kommenden Parteiprogrammen berücksichtigt werden (frei finanziertes Eigentum, Genossenschaften oder Gemeindebau).
  • Wohnpolitik muss auch Grünräume, Gemeinschaftsräume u. a. berücksichtigen.
  • Auch der Wohnraum für Pendler*innen, die aus den Peripherien in die Zentren fahren, ist zu garantieren.

Ich danke allen Genoss*innen, die sich mehr als engagiert an der Parteiprogrammdiskussion 2015–2016 beteiligt haben. Ihre durchwegs sozialen und demokratischen Ideen, Vorschläge und Anregungen zu den verschiedensten Bereichen (von der Frauen- über die Bildungs- zur internationalen Politik) stellen auch heute noch eine wichtige Basis für die ZUKUNFT der Sozialdemokratie dar.

Alessandro Barberi (c) Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg

ALESSANDRO BARBERI

ist Chefredakteur der Fachzeitschriften ZUKUNFT (www.diezukunft.at) und MEDIENIMPULSE (www.medienimpulse.at). Er ist Historiker, Bildungswissenschaftler, Medienpädagoge und Privatdozent. Er lebt und arbeitet in Magdeburg und Wien. Politisch ist er im Umfeld der SPÖ Bildung und der Sektion 32 (Wildganshof/Landstraße) aktiv. Weitere Infos und Texte online unter: https://orcid.org/0000-0003-4228-8172.