Zufriedenheit, Empathie und Lebensfreude. Interview mit Kathrin Gaál – VON KATHRIN GAÀL UND ELISABETH KAISER

Für die Tatsache, dass Wien auch im Bereich Wohnen eine beeindruckende Lebensqualität aufweist, ist KATHRIN GAÀL als Stadträtin für Wohnen, Wohnbau, Stadterneuerung und Frauen zuständig. Es freut die Redaktion der ZUKUNFT, dass sie bereit war, ELISABETH KAISER ein Interview für die Leser*innen der ZUKUNFT zu geben.

Elisabeth Kaiser (ZUKUNFT): Liebe Kathrin, was bedeutet kommunaler Wohnbau für Wien? Welchen Stellenwert hat der kommunale Wohnbau neben dem sozialen Wohnbau als Erbe des Roten Wien für die heutige Stadt und was gibt es im Bereich Wohnen noch?

Kathrin Gaál: Der soziale Wiener Wohnbau ist uns in Wien so unglaublich wichtig, weil er für Gerechtigkeit steht. Er gibt Abertausenden Menschen die Möglichkeit, in einer leistbaren und hochwertigen Wohnung zu leben. Genaugenommen ist er die größte Mittelstandsförderung überhaupt. Und das alles mitten in der Stadt. Dieser Aspekt ist wesentlich. Es kann nämlich nicht sein, dass eine Verkäuferin, Krankenpflegerin oder Kindergartenpädagogin zwei Stunden in die Arbeit fahren muss, weil sie sich in Jobnähe keine Wohnung mehr leisten kann. Das ist auch keine Schreckensvision, es ist in manchen europäischen Großstädten – ich denke z. B. an London – längst Realität! Wir in Wien sehen Wohnen jedenfalls seit jeher als Grundrecht. Wir haben eine städtische Sozialgeschichte auf die wir sehr stolz sein können und die wir in die Zukunft überführen werden. Anderswo wollte man im Laufe der Zeit das schnelle Geld machen und hat soziale Wohnungen verscherbelt. Wir tun das Gegenteil: Wir bauen mehr!

E. K.: Wie viele Menschen nutzen die Möglichkeit im sozialen und kommunalen Wohnbau zu leben? Wie siehst Du hierbei auch das Verhältnis zum privaten Wohnungsmarkt, bei dem gerade die Mieten in die Höhe gehen und immer teurer werden?

K. G.: Wir haben in Wien rund 200.000 geförderte Wohnungen und rund 220.000 im Gemeindebau. Die Zahlen ändern sich natürlich mit jedem neuen Projekt. Nicht zu vergessen: Wir sanieren Tausende Gemeindewohnungen und dabei entstehen dort, wo es möglich ist, auch Dachgeschosswohnungen. Zu Topkonditionen! Der hohe Anteil an sozialem Wohnbau hat auch Effekte auf das allgemeine Mietpreisniveau in der Stadt. Generell ist es sicher niedriger als in ähnlich großen europäischen Städten. Trotzdem geht die Entwicklung im privaten Mietbereich in Richtung Teuerung, ich denke vor allem auch an die diversen undurchsichtigen Zuschläge. Da braucht es dringend Transparenz, zuständig ist hier allerdings der Bund und dieser lässt auf diesem Gebiet leider schon seit Jahren aus.

Stadträtin Kathrin Gaál © David Bohmann

Als Stadt lassen wir aber auch die Menschen im privaten Wohnbau nicht im Stich und haben für sie die „Wohnbeihilfe Neu“ umgesetzt. Rund 151 Mio. € und damit gleich 60 Mio. € mehr stehen mit 01. März 2024 zur Verfügung. Durch eine Anpassung der Höchsteinkommensgrenze können mehr Menschen Wohnbeihilfe beziehen. Gleichzeitig ermöglicht ein neues Berechnungsmodell eine höhere Unterstützung.

E. K.: Was braucht es politisch gesehen, um in Wien weiterhin leistbar wohnen zu können?

K. G.: Es braucht ein ganz klares Bekenntnis zum sozialen Wohnbau. Das geben wir als Stadtregierung ab. Eine Privatisierung des Gemeindebaus käme für uns niemals in Frage. Gleichzeitig geht es darum, die Partnerschaft mit den gemeinnützigen Bauträgern laufend zu stärken. Das heißt, auf sich ändernde Rahmenbedingungen im Sinne beider Player zu reagieren. Das haben wir zum Beispiel mit der Flächenwidmungskategorie „Geförderter Wohnbau“ getan. Seit einigen Jahren muss bei Neuwidmungen auf Wohnen ganze zwei Drittel leistbarer Wohnraum zur Verfügung gestellt werden. Das ist schon ein sehr wirksames Werkzeug gegen Spekulation wie übrigens auch unsere Neuregelungen in der Bauordnung zum Altbauschutz und zur Kurzzeitvermietung.

Und vor Kurzem haben wir auch noch eine Novelle der Neubauverordnung auf den Weg gebracht. Die multiplen Krisen haben leider Spuren hinterlassen. Wir greifen damit den gemeinnützigen Bauträgern z. B. mit höheren Fördersätzen und unverzinsten Darlehen unter die Arme. Sie können damit neuen leistbaren Wohnraum errichten. 115 Mio. € investieren wir dafür zusätzlich. Diese Mittel haben positive stabilisierende Effekte auf den gesamten Wiener Wohnungsmarkt.

E. K.: Wien ist zum wiederholten Male die lebenswerteste Stadt der Welt und wächst an Einwohner*innen, aber wie stark kann Wien an neugebauter Wohnfläche wachsen, um trotzdem noch genügend Grünflächen als Erholungsgebiete zu haben?

K. G.: Keine Frage, hier geht es um eine gar nicht so leichte Gratwanderung. Heute sind mehr als 50 % der Stadt Grünraum. Das soll unbedingt so bleiben. Dort, wo wir Wohnbau errichten, planen wir immer Parkanlagen mit ein. Ein schönes aktuelles Beispiel ist das Neue Landgut in Innerfavoriten. Was wir auf alle Fälle forcieren, sind Dach- und Fassadenbegrünungen sowie Entsiegelungen in betonierten Höfen. Wir haben in der neuen Wiener Bauordnung entsprechende Regelungen verankert. Und wenn es um neue Gemeindebau-Projekte geht, schauen wir uns an, ob sich auf bereits versiegelten Parkplätzen oder Ähnlichem Möglichkeiten ergeben. Da gibt es schon einige Beispiele. Auch aus dem geförderten Wohnbau, denken wir nur an die ehemaligen Bahnhofsareale wie den Nordbahnhof.

E. K.: Wie wird sich Deiner Ansicht nach das Wohnen im zukünftigen Wien entwickeln? Welche Konzepte gibt es dazu bzw. werden hier verfolgt? Welche Herausforderungen liegen Deiner Ansicht nach in diesem wichtigen Bereich und wie wird die Zukunft hierbei aussehen?

K. G.: Wie sich die Gesellschaft ändert, so werden sich wohl auch Anforderungen an den sozialen Wohnbau ändern. Ein schönes Beispiel sind hier aktuell die Wohnmodelle für Alleinerziehende, mit denen wir auf eine Entwicklung der letzten Jahre rasch reagiert haben. Auch das Generationenwohnen wird immer wichtiger werden. Beides hat baulich gesehen Einfluss auf Gemeinschaftsräume bzw. -flächen. Sicherlich wird man auch das Thema Arbeiten und Wohnen am selben Ort weiter beobachten müssen. Generell werden die Wohnangebote in Zukunft noch ausdifferenzierter werden.

Wesentlich ist auf alle Fälle mit jedem Projekt die Umgebung mitzudenken. Wir wollen keine Schlafstädte, sondern lebendige Quartiere. Das heißt idealerweise leben, arbeiten, lernen, Freizeit verbringen, Gesundheitsversorgung, Kultur und vieles mehr in nächster Nähe. Eine Frage bleibt auf alle Fälle der private Bereich. Hier braucht es dringendst ein neues universelles Mietrecht, eines, das sowohl die Mietanpassung als auch das Problem der Befristungen, die Ausweitung des Geltungsbereichs auf alle Mietverhältnisse unabhängig vom Jahr der Errichtung und die überbordenden Lagezuschläge regelt.

E. K.: Welche Rolle spielt Klimapolitik im Bereich Wohnen in Wien?

K. G.: Eine große. Neue Quartiere bekommen großzügige Freiflächen, die Gebäude grüne Fassaden und – wenn möglich – auch Gartelmöglichkeiten am Dach. Die Maßnahmen werden auch laufend erweitert. Indem z. B. der für die Qualitätssicherung zuständige wohnfonds_wien Schwerpunkte setzt. Im Rahmen von Bauträgerwettbewerben kann die Stadt nämlich ökologische Maßnahmen einfordern, wie ein Grünraum-Management oder Konzepte zur Verbesserung des Mikroklimas bzw. gegen sommerliche Überwärmung.

Gleichzeitig fördern wir seit Jahrzehnten aus Überzeugung Gebäude-Sanierungen. In diesem Bereich setzen wir für die Zukunft jetzt einen Schwerpunkt auf die Dekarbonisierung, also raus aus Gas. Wer z. B. eine Sanierung mit einer Dekarbonisierung kombiniert, bekommt mehr Geld. Auch die Laufzeit der Darlehen wird länger – 20 statt bisher 15 Jahre. Die mindestens 20 Jahre alte Baubewilligung als Voraussetzung haben wir ganz abgeschafft. Für die Bewohner*innen interessant ist die Dekarbonisierungsprämie, z. B. für einen E-Herd oder für Mini-Wärmepumpen.

Elisabeth Kaiser © Gregor Neupert (SPÖ)

Wer sich über all das informieren möchte, erhält seit einigen Jahren schon kostenlose Beratung bei der „Servicestelle Hauskunft“ (https://www.hauskunft-wien.at/). 2023 fanden dort durchschnittlich über 200 Gespräche pro Monat statt. Eine beeindruckende Zahl, die zeigt, dass die Menschen in der Stadt zum Klimaschutz auch beitragen möchten.

E. K.: Als Stadträtin für Wohnen, Wohnbau, Stadterneuerung und Frauen, welchen Wunsch hast Du für unsere Stadt? Welchen Wunsch hast Du für Wien und was ist Dein persönliches Herzensanliegen im Bereich Wohnen sowie Stadterneuerung?

K. G.: Ich liebe Wien und daran wird sich mit Sicherheit nie etwas ändern. Was das Wohnen anbelangt, wollen wir jedenfalls als Stadtregierung alles dazu beitragen, dass es für ganz viele nachfolgende Generationen leistbar und die Qualität auf hohem Niveau bleibt. Den Menschen in der Stadt wünsche ich Zufriedenheit, für die wir als Verantwortliche mit sinnvollen Projekten und viel Empathie sorgen können, gleichzeitig Optimismus, auch Mut – das betrifft übrigens ganz besonders auch die Mädchen und Frauen – und generell ganz viel Lebensfreude.

KATHRIN GAÀL
ist Vizebrügermeisterin der Stadt Wien und Stadträtin für Wohnen, Wohnbau, Stadterneuerung und Frauen. Von 2005 bis 2018 war sie Abgeordnete zum Wiener Landtag und Mitglied des Wiener Gemeinderats.

ELISABETH KAISER
hat das Diplomstudium Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Wien sowie den Masterlehrgang „Führung, Politik und Management“ am FH Campus Wien abgeschlossen. Aktuell absolviert sie das Psychotherapeutische Propädeutikum an der Universität Wien. Von 2008 bis 2016 hat sie in der Funktion der Geschäftsführerin den Verein ega:frauen im zentrum geleitet. Seit Mitte 2016 ist sie als stellvertretende Direktorin der Wiener Bildungsakademie (wba) tätig.