WARUM BDS ANTISEMITISCH IST – DIE ISRAEL-BOYKOTTBEWEGUNG UND IHR ANGRIFF AUF DAS JUDENTUM VON ALEX FEUERHERDT UND FLORIAN MARKL

Die BDS-Bewegung behauptet, nichts gegen Jüdinnen und Juden zu haben, sondern lediglich gegen den Staat Israel und den Zionismus zu sein. Doch das stimmt nicht. ALEX FEUERHERDT und FLORIAN MARKL zeigen, warum die Israel-Boykottbewegung antisemitisch ist und dass ihr Agieren einen Frontalangriff auf das Judentum darstellt.

I. Einleitung

„Die Argumentationsmuster und Methoden der BDS-Bewegung sind antisemitisch.“ So lautet die zentrale Feststellung eines gemeinsamen Antrags von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen, der vom Deutschen Bundestag am 19. Mai 2019 angenommen wurde. Da das Parlament auch Äußerungen und Übergriffe ablehne, die als vermeintliche Kritik an der Politik des Staates Israel formuliert würden, tatsächlich aber Ausdruck des Hasses auf Jüdinnen und Juden seien, beschloss es, die BDS-Bewegung zu verurteilen. Der Bundestag forderte die Bundesregierung auf, keine BDS-Veranstaltungen zu unterstützen und ihnen keine Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen, keine Organisationen zu fördern, die das Existenzrecht Israels ablehnen und keinen Projekten finanziell unter die Arme zu greifen, „die zum Boykott Israels aufrufen oder die BDS-Bewegung aktiv unterstützen“.

Einige Monate später verabschiedete der österreichische Nationalrat einstimmig einen Entschließungsantrag, in dem „jede Form von Antisemitismus, einschließlich israelbezogenem Antisemitismus“ sowie Boykottaufrufe scharf verurteilt wurden. Die Bundesregierung solle „Organisationen und Vereinen, die sich antisemitisch äußern oder das Existenzrecht Israels in Frage stellen“, keine Räumlichkeiten zur Verfügung stellen und „Veranstaltungen der BDS-Bewegung oder von Gruppen, die deren Ziele verfolgen, weder finanziell noch in anderer Form […] fördern“.

Neben dem deutschen und dem österreichischen Parlament haben bereits zahlreiche andere Körperschaften und Einrichtungen Beschlüsse gefasst, in denen die Israel-Boykottbewegung als antisemitisch eingestuft und jeglicher Kooperation mit ihr eine Absage erteilt wird, darunter die Länderparlamente von Berlin, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Thüringen und der Steiermark, die Stadtregierungen von Wien, Graz, Frankfurt und München, die Studierendenvertretungen zahlreicher Universitäten, gewerkschaftliche Organisationen und viele andere mehr.

Die BDS-Bewegung bestreitet demgegenüber vehement, mit Antisemitismus etwas zu tun zu haben. Dass ihr entsprechende Vorwürfe gemacht werden, führt sie auf eine bösartige Kampagne zurück, die dem Zweck dienen soll, sie mundtot zu machen und das, was sie als „palästinensischen Widerstand“ bezeichnet, zu diskreditieren. Der Streit über die Einschätzung von BDS führt direkt zu einem Thema, das seit gut 20 Jahren unter dem Schlagwort eines „neuen Antisemitismus“ diskutiert wird – nämlich zur Frage, wo legitime Kritik an israelischer Politik aufhört und eine antisemitisch motivierte Ablehnung der Existenz Israels beginnt.

II. Versuche, den Antisemitismus zu definieren

Um eine Unterscheidung zwischen legitimer Kritik an israelischer Politik und Ausdrucksformen von israelbezogenem Antisemitismus treffen zu können, wurden in den vergangenen Jahren mehrere Definitionsversuche unternommen. Die zwei gängigsten sind die sogenannte „Arbeitsdefinition Antisemitismus“ der Europäischen Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit (EUMC), die in weiterer Folge von der International Holocaust Remembrance Alliance übernommen wurde, und der sogenannte 3D-Test des ehemaligen sowjetischen Dissidenten und späteren Leiters der Jewish Agency, Natan Sharansky.


NEUER ANTISEMITISMUS?
HG. VON CHRISTIAN HEILBRONN, DORON RABINOVICI
UND ANTAN SZNAIDER
Berlin: Suhrkamp
494 Seiten | € 20,00
ISBN: 978-3-518-12740-7
Erscheinungstermin: März 2019

An Versuchen, Antisemitismus zu definieren, gibt es seit der Erfindung des Begriffs in den späten 1870er-Jahren zwar keinen Mangel. Aber der EUMC-Vorschlag, der am 28. Januar 2005 angenommen wurde, unterschied sich in zumindest dreierlei Hinsicht vom Großteil der vorherigen Definitionen.

Erstens war er nicht das Werk eines einzelnen Forschers, wie viele der früheren Bestimmungsversuche, sondern das Ergebnis einer Zusammenarbeit mehrerer Institutionen und zahlreicher Expert*innen. Zweitens war die „Arbeitsdefinition Antisemitismus“ genau das, was der Name sagte: Sie sollte keine umfassende theoretische Erörterung des Phänomens Antisemitismus bieten, sondern in erster Linie als praktisch orientierte Hilfestellung zur Erkennung, Identifizierung, Dokumentation, Bekämpfung und strafrechtlichen Verfolgung von Antisemitismus dienen. Lehrer*innen, Polizist*innen und Richter*innen brauchen für ihren beruflichen Alltag keine gelehrten Ausführungen über die Vorstellungen, die Antisemit*innen mit Jüdinnen und Juden verbinden, sondern handhabbare Kriterien für die Erkennung und Bewertung antisemitischer Äußerungen und Aktivitäten.

Um das zu leisten, musste sich die Arbeitsdefinition, drittens, zwangsläufig auch mit der Variante des Judenhasses beschäftigen, die in den vergangenen rund 20 Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen hat und zunehmend in den Fokus öffentlicher Debatten gerückt ist: dem israelbezogenen Antisemitismus. Dass der jüdische Staat den Hass von Antisemit*innen auf sich ziehen kann, hat schon früher Eingang in Begriffsdefinitionen gefunden – bereits vor dem Sechstagekrieg von 1967, also noch bevor Israel in den Augen vieler zur „Besatzungsmacht“ geworden ist, gingen die Hebräische Enzyklopädie (1958) und Webster’s Third New International Dictionary (1961) auf den gegen Israel gerichteten Antisemitismus ein.

Aber nach dem Scheitern der Verhandlungen von Camp David im Sommer 2000, dem Beginn des oft als „zweite Intifada“ verharmlosten palästinensischen Terrorkrieges gegen Israel im Herbst desselben Jahres und als Folge der Anschläge vom 11. September 2001 gewann der israelbezogene Antisemitismus eine neue und beängstigende Virulenz. Sollte der Anspruch der Praxisorientierung nicht völlig verfehlt werden, konnte die Arbeitsdefinition nicht anders, als sich auch dieser Ausdrucksform des Judenhasses zu widmen, die Monika Schwarz-Friesel und Jehuda Reinharz als die heutzutage (zumindest verbal) dominante Form bezeichnen. Sie sprechen treffend von einer „Israelisierung des Antisemitismus“: Zeitgenössische Antisemit*innen hätten „das ‚jüdische Problem‘ in das ‚Israel-Problem‘ verwandelt“.

Die EUMC definierte Antisemitismus als „eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann“. Der Antisemitismus richte sich „in Wort oder Tat gegen jüdische oder nicht-jüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen“. Nach dieser allgemeinen und eher vagen Bestimmung kommt sie auf Israel zu sprechen: Antisemitismus könne sich auch „gegen den Staat Israel richten, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird“. Insgesamt werden in der Arbeitsdefinition sieben Beispiele für diesen israelbezogenen Antisemitismus angeführt. So z. B. das Abstreiten des Rechts des jüdischen Volkes auf Selbstbestimmung, die Anwendung doppelter Standards, indem man von Israel ein Verhalten fordert, das von keinem anderen demokratischen Staat erwartet und verlangt wird, Vergleiche der aktuellen israelischen Politik mit der Politik der Nationalsozialisten oder das Bestreben, alle Jüdinnen und Juden kollektiv für Handlungen des Staates Israel verantwortlich zu machen.

Die EUMC wies übrigens ausdrücklich darauf hin, dass Kritik an Israel nicht antisemitisch ist, wenn sie derjenigen entspricht, die auch an anderen Staaten geübt wird – ein Passus, der von all jenen geflissentlich ignoriert wurde, die durch die Arbeitsdefinition die Meinungsfreiheit eingeschränkt sehen, weil darin angeblich jegliche Kritik an Israel unter Antisemitismusverdacht gestellt werde. Im Mai 2016 wurde die Arbeitsdefinition auf einem Treffen in Rumänien von der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) angenommen. Der IHRA gehörten zum damaligen Zeitpunkt 31 Staaten an, darunter Österreich, Deutschland sowie 22 weitere EU-Länder. Die Arbeitsdefinition wurde mittlerweile von zahlreichen Ländern offiziell angenommen, darunter die USA, Großbritannien, Israel, Kanada sowie 15 EU-Staaten, darunter auch Deutschland und Österreich.

Die inhaltlichen Bestimmungen dieses Vorschlags zur Identifizierung von israelbezogenem Antisemitismus lassen sich als Ausformulierung eines noch knapperen Definitionsversuchs verstehen, den der bereits erwähnte Natan Sharansky, ursprünglich 2004 vorgebracht und später noch ein wenig erweitert hat. Der Ausgangspunkt seiner Überlegungen war der „neue Antisemitismus“, der sich vordergründig nicht gegen Jüdinnen und Juden oder die jüdische Religion, sondern gegen den jüdischen Staat richtet und im Mantel vermeintlich legitimer Kritik an Israel daherkommt, oft auch unter Berufung auf hehre moralische Werte wie Menschenrechte oder Antirassismus.

Um zwischen legitimer Kritik und israelbezogenem Antisemitismus zu unterscheiden, schlug Sharansky den sogenannten 3D-Test vor. Antisemitismus liegt demnach vor, wenn eines von drei „D“ erfüllt wird: Das erste D steht für Dämonisierung, dazu zählen beispielsweise Vergleiche zwischen Israelis und Nazis oder zwischen palästinensischen Flüchtlingslagern und Auschwitz. Das zweite D steht für „double standards“, also das Messen mit zweierlei Maß, das gegeben ist, wenn an Israel andere Maßstäbe angelegt werden als an andere Länder. Das dritte D steht schließlich für Delegitimierung. Früher hätten Antisemiten die Legitimität der jüdischen Religion oder des jüdischen Volkes abgestritten, heute versuchten sie dasselbe mit dem jüdischen Staat, so Sharansky. Selbstredend müsse nicht jede Kritik an israelischer Politik antisemitisch sein, aber das Bestreiten des Existenzrechts Israels an sich, sei als Ausdruck von Antisemitismus zu bewerten.

Sharanskys 3D-Test hat sich als wohl einflussreichstes Mittel zur Identifizierung von israelbezogenem Antisemitismus erwiesen, was sowohl an seinem griffigen Namen als auch an seiner unkomplizierten Anwendbarkeit liegt. Substanziell unterscheiden sich seine Kriterien kaum von denen der EUMC- bzw. IHRA-Definition, sie ergänzen einander vielmehr.

III. Anwendung der Definitionen auf die BDS-Bewegung

Wie sieht es nun vor dem Hintergrund dieser Definitionen mit der BDS-Kampagne aus? Handelt es sich bei ihrer Agitation, wie sie selbst stets behauptet, um legitime Kritik an Israel oder haben wir es mit israelbezogenem Antisemitismus zu tun? Die Antwort könnte klarer nicht ausfallen: Egal, ob man Sharanskys 3D-Test oder die EUMC- bzw. IHRA-Definition heranzieht, die Propaganda der Israel-Boykotteur*innen weist fast alle der angeführten Identifizierungsmerkmale für israelbezogenen Antisemitismus auf.

Nehmen wir den 3D-Test. Nicht der geringste Zweifel besteht daran, dass die BDS-Kampagne Israel dämonisiert. Ihre verbal in höchstem Maße aggressive Propaganda besteht in der Tat zum größten Teil darin, den jüdischen Staat systematischer Menschenrechtsverletzungen und schlimmster Verbrechen anzuklagen. Rassistische Diskriminierung, Apartheid, ethnische Säuberung, Genozid, Kriegsverbrechen, Kolonialismus, Imperialismus, Ausbeutung und Islamophobie sind nur einige der Invektiven, die Israel unablässig und in so hoher Frequenz entgegengeschleudert werden, dass BDS-Stellungnahmen sich weniger wie Bestandteile einer politischen Kampagne lesen, denn vielmehr als Manifestationen eines geopolitischen Tourette-Syndroms.

Nicht unüblich ist es auch, Israel mit dem Nationalsozialismus auf eine Stufe zu stellen oder den langjährigen israelischen Premierminister Netanjahu mit Hitler gleichzusetzen – vor dem Hintergrund des Holocaust die höchstmögliche Form der Dämonisierung des jüdischen Staats, die folgerichtig in den EUMC- bzw. IHRA-Arbeitsdefinitionen explizit als ein Beispiel für israelbezogenen Antisemitismus angeführt wird. NS-Israel-Vergleiche verkehren die Realität und betreiben eine Täter-Opfer-Umkehr, indem sie Israel als die neuen Nazis und die Palästinenser*innen als die neuen „Juden“ präsentieren. Der Holocaust wird instrumentalisiert und zu einer Waffe im Propagandakampf gegen Israel gemacht.

Vor allem in sozialen Medien bedienen sich BDS-Aktivist*innen dieser Form der Dämonisierung Israels. BDS Frankreich etwa postete eine bildliche Gleichsetzung einer israelischen Soldatin mit einem BDM-Mädchen und versah das mit dem Kommentar: „Die Nazis und die Zionisten sind zwei Seiten derselben Medaille.“ Die Palestine Solidarity Campaign, eine der führenden britischen BDS-Organisationen, veröffentlichte auf Facebook zwei Zeichnungen, die den Nationalsozialismus und den Zionismus auf eine Stufe stellten, indem sie einen Nazi-Soldaten mit einem israelischen Soldaten und einen jüdischen Jungen, der einen Davidstern trägt, mit einem jungen Palästinenser gleichsetzte.

Auf anti-israelischen Demonstrationen, die während der kriegerischen Auseinandersetzung zwischen Israel und der Hamas im Sommer 2014 von der Palestine Solidarity Campaign in London organisiert wurden, waren auf Plakaten und Transparenten Slogans zu lesen wie „Stoppt den palästinensischen Holocaust sofort – das faschistische Israel wird der Gerechtigkeit nicht entgehen“, „Völkermord, Holocaust, Apartheid 2014“ und „Bush und Blair sind unsere Hitler, Gaza ist unser Auschwitz“. Großer Beliebtheit erfreut sich auch die Wortschöpfung „ZioNazi“, so etwa bei Sarah Wilkinson von der Palestine Solidarity Campaign. Auf Twitter bezeichnete sie Israel als „brutale ZioNazi-Okkupation“, die „langsam Völkermord umsetzt“. All das dient ausschließlich dem Zweck, Israel als durch und durch verdammungswürdigen Verbrecherstaat darzustellen.

Genauso wenig wie bestritten werden kann, dass die BDS-Kampagne Israel systematisch dämonisiert, können Zweifel daran aufkommen, dass dabei an den jüdischen Staat ständig völlig andere Maßstäbe angelegt werden als an andere Akteur*innen. Das zeigt sich schon an der Frage, warum ausgerechnet Israel zum Gegenstand einer weltweiten Kampagne geworden ist, anders als zahlreiche andere Staaten, die sich wirklich unbestreitbarer Verbrechen schuldig gemacht haben. Die Antwort von BDS lautet, dass die Boykottbewegung von Palästinenser*innen angeführt werde und es „nur logisch“ wäre, dass sich ihr Kampf gegen Israel richte, „und nicht gegen Nordkorea“.

Das ist allerdings eine Antwort, die keine ist. Denn die Frage lautet nicht, warum Palästinenser*innen gegen Israel kämpfen, sondern warum Menschen in zahlreichen Ländern, die mit dem palästinensisch-israelischen Konflikt nichts zu tun haben, sich auf gerade diese Auseinandersetzung konzentrieren und sie zum Gegenstand ihrer politischen Agitation machen. Was begründet ihre moralische und politische Entrüstung ausgerechnet über Israel? Objektive Faktoren können es schwerlich sein. Israel ist, wie jeder andere Staat der Welt auch, nicht perfekt, begeht Irrtümer, macht Fehler und verstößt manchmal gegen die Werte, die es selbst hochhält. Aber wenn man einmal von frei erfundenen Vorwürfen absieht, tut Israel nichts, was nicht von anderen Staaten in weit größerem Ausmaß getan wird – ohne den Furor der Boykotteur*innen auf sich zu ziehen.

Wenn BDS-Aktivist*innen wirklich die Menschenrechte von Palästinenser*innen am Herz liegen, warum hört man von ihnen dann nichts über die Lage der Palästinenser*innen in arabischen Staaten wie dem Libanon, in denen ihnen – anders als in Israel – grundlegende Rechte vorenthalten werden? Wo blieb der Aufschrei von BDS, als in den vergangenen Jahren in Syrien palästinensische Wohnviertel vom Regime in Schutt und Asche gebombt, einer jahrelangen Hungerblockade ausgesetzt und Tausende Palästinenser*innen ermordet wurden? Warum zählt das Leid von Palästinenser*innen für BDS nur, wenn es Israel in die Schuhe geschoben werden kann, bleibt aber unbeachtet, wenn es von anderen verursacht wird? Gibt es eine andere Erklärung dafür, als dass hier mit zweierlei Maß gemessen wird, um gegen Israel zu agitieren?

Angesichts der zahlreichen Regierungen, die höchst reale Verbrechen begehen, mutet es umso bizarrer an, dass BDS ausgerechnet den jüdischen Staat herausgreift und ständig mit grotesk überzogenen Vorwürfen und Anklagen wegen angeblicher Verbrechen diffamiert. Was bringt etwa BDS-Aktivist*innen dazu, sich als israelische Soldaten zu verkleiden und in einer Wiener Fußgängerzone kaltblütige „Hinrichtungen“ von Palästinenser*innen „nachzustellen“, die es so in der Wirklichkeit nicht gibt? Wir können in die Köpfe dieser Aktivist*innen nicht hineinschauen und deshalb über ihre Motivation nur spekulieren. Aber unabhängig von ihren subjektiven Gründen ist klar, was sie objektiv tun: mit zweierlei Maß messen, um mit ihren maßlosen Anklagen Israel zu verdammen.

Nach alledem kann nicht mehr überraschen, dass die BDS-Bewegung auch Sharanskys drittes Kriterium für israelbezogenen Antisemitismus erfüllt: die Delegitimierung des jüdischen Staates. Zwar bekennt sie sich in ihren Veröffentlichungen nicht offen zum Ziel der Zerstörung Israels, aber genau das ist die Folge der Dämonisierung des jüdischen Staates – und zahlreiche BDS-Aktivist*innen sprechen das auch offen aus. Der BDS-Unterstützer Abbas Hamideh etwa schrieb auf Twitter: „Israel hat kein Existenzrecht. Die terroristische Entität ist illegal und hat keine Existenzgrundlage außer ihrer IS-ähnlichen Ideologie.“ Hatem Bazian, der Gründer der American Muslims for Palestine und der Students for Justice in Palestine – beides in der BDS-Bewegung äußerst aktive Organisationen –, schrieb ebenfalls auf Twitter: „Die ‚jüdische Nation‘ ist der zentrale Mythos des Zionismus. Er muss niedergerissen werden.“ Der BDS-Befürworter Ahmed Moor bezeichnet BDS als ein „Langzeitprojekt mit radikal transformativem Potenzial“ und spricht offen aus: „Gut, BDS bedeutet also wirklich das Ende des jüdischen Staates.“

Für den weltweit wohl prominentesten BDS-Aktivisten Omar Barghouti ist das Ende Israels die einzig logische Folge des Apartheidvorwurfs. Ein jüdischer Staat kann aus seiner Sicht „gar nicht anders, als den grundlegenden Rechten der eingeborenen palästinensischen Bevölkerung zu widersprechen und ein System der rassistischen Diskriminierung aufrechtzuerhalten“, weshalb keine Palästinenser*innen „jemals einen jüdischen Staat in Palästina akzeptieren“ werden. Wer denselben Gedanken lieber ein wenig intellektueller ausgedrückt haben will, kann sich an die Philosophin Judith Butler halten, die zwar keine offizielle Vertreterin von BDS ist, aber trotzdem als akademisches Aushängeschild der Israel-Boykotteur*innen fungiert. Auch ihr geht es nicht um „eine bloße Bereinigung oder um Reformen“, sondern um die „Überwindung der Struktur jüdischer Souveränität und demografischer Überlegenheit“. Die Verpackung mag anders aussehen, das Ziel ist das gleiche: die Beseitigung Israels als Konsequenz der „Einsicht“ in die Illegitimität des jüdischen Staates.

Kurzum: Die Dämonisierung Israels ist das tägliche Brot der BDS-Bewegung, sie misst offenkundig mit zweierlei Maß und legt an Israel völlig andere Maßstäbe an als an das Handeln anderer Staaten, und die Delegitimierung des jüdischen Staates ist Kern und Absicht der gesamten Kampagne.

In der Rezeption von Sharanskys 3D-Test wurde darüber debattiert, ob schon das Vorhandensein von nur einem der drei D israelbezogenen Antisemitismus belegt . Im Hinblick auf die Israel-Boykottbewegung erübrigt sich diese Diskussion: Sie erfüllt mühelos genauso alle drei Kriterien Sharanskys, wie sich aus ihren Reihen unzählige Beispiele für fast alle der sieben Kriterien für israelbezogenen Antisemitismus der EUMC- bzw. IHRA-Arbeitsdefinitionen anführen ließen – die Fülle an entsprechendem Material ist überwältigend. Misst man diesen Definitionen auch nur den geringsten Wert bei, so besteht am antisemitischen Charakter der BDS-Bewegung nicht der leiseste Zweifel.

IV. Israel als wichtigstes Symbol des zeitgenössischen Judentums

Zum selben Urteil muss man kommen, wenn man sich unabhängig von diesen Definitionsversuchen mit der BDS-Kampagne auseinandersetzt und der Frage nachgeht, was deren Angriffe auf Israel für das heutige Judentum bedeuten.

DIE ISRAEL-BOYKOTTBEWEGUNG
ALTER HASS IN NEUEM GEWAND
Berlin: Hentrich und Hentrich
196 Seiten | € 20,46
ISBN: 978-3955653965
Erscheinungstermin: November 2020

BDS wehrt sich gegen den Vorwurf des Antisemitismus mit der Behauptung, nicht gegen Jüdinnen und Juden, sondern gegen den Staat Israel und die „Vermischung von Zionismus und Judentum“ zu agitieren. Die Gleichsetzung der Ablehnung Israels mit Antisemitismus vermische „die Interessen des israelischen Staates mit [denen] der heterogenen jüdischen Bevölkerung in und außerhalb Israels“, heißt es etwa in einer Erklärung von BDS Austria. Nun stimmt es selbstverständlich, dass Israel nicht für alle Jüdinnen und Juden weltweit sprechen kann, und ebenso wahr ist es, dass Jüdinnen und Juden außerhalb Israels nicht einfach mit dem jüdischen Staat identifiziert werden können.

Aber umgekehrt sollte ebenso klar sein, dass die strenge Unterscheidung von Judentum und Israel, die von der BDS-Bewegung angeblich vorgenommen wird – die Praxis diesbezüglich sieht oft anders aus –, unhaltbar ist: Es handelt sich um eine ahistorische und in beachtlichem Ausmaß ignorante Illusion, die die Bedeutung und den Stellenwert Israels für das heutige Judentum beiseite wischt. Und so tut, als ob man Israel und das Judentum so fein säuberlich trennen könnte, dass man das eine angreifen kann, ohne auch das andere zu treffen.

Um die Bedeutung des modernen Staates Israel für das zeitgenössische Judentum zu verstehen, hilft ein Blick auf die demografischen Veränderungen der jüdischen Bevölkerung weltweit. Fast zweitausend Jahre lang trug sich jüdisches Leben in zwei Kernregionen zu: im Nahen Osten (inklusive Nordafrika) und in Europa. Andere Gegenden spielten die längste Zeit so gut wie keine Rolle. Zwischen 1933 und 1967, also im Laufe von nicht einmal 35 Jahren, änderte sich das fundamental.

Am Vorabend des Holocaust lebten in Europa rund 9,5 Millionen Jüdinnen und Juden. Nachdem die Nazis und deren Handlanger*innen auch außerhalb Deutschlands und Österreichs ihr tödliches Werk vollrichtet hatten, waren es nur mehr rund 3,5 Millionen. Nach Kriegsende verließen viele Überlebende die Länder, die zu riesigen Friedhöfen ihrer Verwandten geworden waren, in Richtung Israel und Amerika. Vor dem Zweiten Weltkrieg hatten in Europa rund 60 % aller Jüdinnen und Juden weltweit gelebt, im Jahr 2016 waren es nur mehr rund 10 %. Das europäische Judentum, das Epizentrum der jüdischen Welt, war ausradiert worden.

In den Jahren nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs hörte allerdings auch das zweite bisherige Epizentrum jüdischen Lebens zu existieren auf. Immer öfter wurden jüdische Gemeinden im Nahen Osten und in Nordafrika zum Ziel blutiger Angriffe. Auf die Verabschiedung der Resolution am 29. November 1947, in der die Generalversammlung der Vereinten Nationen die Teilung Palästinas in einen jüdischen und einen arabischen Staat vorschlug, folgten antijüdische Pogrome im Jemen und in Syrien, überall wuchs die Repression gegen Jüdinnen und Juden, gesteigert noch einmal anlässlich der Gründung Israels. Die Folge war ein Exodus Hunderttausender Jüdinnen und Juden aus den arabischen Ländern, von denen knapp 600.000 in Israel Zuflucht fanden. Jüdische Gemeinden, die es schon seit Hunderten von Jahren gegeben hatte, verschwanden von der Landkarte. Mehrere Staaten wurden praktisch „judenrein“, nicht durch systematischen Massenmord wie in Europa, aber durch erzwungene Flucht und Vertreibung. 1945 lebten noch rund 900.000 Jüdinnen und Juden im arabischen Raum, heute sind es nur noch wenige Tausend. Mehr als 99,5 %der jüdischen Bevölkerung der arabischen Staaten wurden ins Exil gezwungen.

Der Holocaust und die Flucht und Vertreibung der orientalischen Juden hatten zur Folge, dass sich die Zentren jüdischen Lebens von Europa und der arabischen Welt an zwei andere Orte verschoben: in die USA, wo die Zahl der Jüdinnen und Juden mit der jüdischen Masseneinwanderung aus Osteuropa ab 1880 sprunghaft anstieg, und, nach fast zweitausendjähriger Unterbrechung, zurück nach Israel. Heute leben 85 %der Jüdinnen und Juden weltweit in den Vereinigten Staaten und in Israel. Anders gesagt, fast das gesamte jüdische Leben findet heute in zwei Gemeinschaften statt, die vor 135 Jahren praktisch noch nicht existiert haben.

Die Verteilung zwischen Amerika und Israel ist im Moment recht ausgewogen: Eine Studie aus dem Jahr 2018 kommt zum Ergebnis, dass in den USA aktuell rund 6,9 Millionen Jüdinnen und Juden leben, ungefähr genauso viele wie in Israel. Die annähernde quantitative Ausgewogenheit sollte aber nicht über den enormen qualitativen Unterschied hinwegtäuschen, der zwischen den beiden Ländern existiert. Die Geschichte der Jüdinnen und Juden in den USA ist ohne Zweifel eine Erfolgsstory, die in der westlichen Welt ihresgleichen sucht. Aber Jüdinnen und Juden waren dort stets eine kleine Minderheit unter vielen anderen Gruppen, die die amerikanische Gesellschaft ausmachen. Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung ist in den vergangenen 50 Jahren von drei auf zwei Prozent gesunken, und ihre Zahl wird demografischen Prognosen zufolge in den kommenden Jahrzehnten stark schrumpfen.

Der Publizist Charles Krauthammer warnte bereits vor mehr als 20 Jahren vor einem „katastrophalen Rückgang“ der Zahl amerikanischer Jüdinnen und Juden und sprach von einer „sterbenden Diaspora“. Als umso größer schätzte Krauthammer daher die Bedeutung Israels für das Judentum insgesamt ein – des Landes, in dem Jüdinnen und Juden nicht als Minderheit leben, sondern das als jüdischer Staat zum „Herzen des jüdischen Volkes geworden ist – seinem kulturellen, spirituellen und psychologischen Zentrum, und das bald auch sein demografisches Zentrum sein wird“.

Israel hat in gewissem Sinne auch den Platz des untergegangenen osteuropäischen Judentums eingenommen. Wie der Historiker Jacob Talmon 1976 in seinem in The Atlantic erschienenen Text über den „neuen Antisemitismus“ hervorhob, in dem er auch die Formulierung von Israel als dem „kollektiven Juden der Nationen“ prägte, bedeutete die Shoah nicht bloß den Tod von rund sechs Millionen Jüdinnen und Juden, sondern auch das „unwiederbringliche und unumkehrbare Ende einer lebendigen und reichhaltigen jüdischen Zivilisation, die sich über fast 15 Jahrhunderte in den Ländern Zentral- und Osteuropas entwickelt hatte“. Die heute bestehenden jüdischen Gemeinden in Europa und Amerika stellten für Talmon keinen Ersatz dar, zeigten sie doch „ein Bild der Atomisierung, des Zerfalls, des Mangels an authentischen jüdischen Merkmalen und wachsender Assimilation“. Ganz im Gegensatz zum jüdischen Staat: „Der einzige Erbe und Aufbewahrungsort der zerstörten jüdischen Zivilisation ist Israel.“

Mehr noch: Seit seiner Gründung findet in Israel nicht weniger als eine kulturelle Revolution statt – die Entstehung eines israelischen Judentums, das sich vom Judentum außerhalb Israels unterscheidet, weil es im Rahmen eines jüdischen Staates gedeihen kann. Wie sich das spezifisch Jüdische in diesem Staat niederschlagen soll, das müssen die Israelis untereinander aushandeln – und genau das tun sie seit der Gründung des „jüdischen Start-ups“, wie Shmuel Rosner und Camil Fuchs in „#IsraeliJudaism“ schreiben:

„Ein israelisches Judentum erwächst aus der Freiheit der israelischen Juden, ihren öffentlichen Raum so zu gestalten, dass er ihre jüdische Kultur zum Ausdruck bringt und erhält. Wie dieses Judentum aussehen soll, darüber gibt es keinen Konsens, sondern nur Streit. Aber sogar dieser Streit macht das israelische Judentum einzigartig, denn für Tausende von Jahren – bis vor sieben Jahrzehnten – wäre ein solcher Streit unmöglich gewesen.“

Es besteht kein Zweifel daran, dass Israel auch für die große Mehrheit der Jüdinnen und Juden außerhalb des Landes ein wichtiges, wenn nicht gar das wichtigste Symbol des zeitgenössischen Judentums ist. Das trifft nicht zuletzt auf Jüdinnen und Juden zu, die sich als nicht religiös verstehen, aber sehr wohl zum Judentum bekennen: Für sie ist die Unterstützung des jüdischen Staates vielfach der entscheidende Bestandteil ihres jüdischen Selbstverständnisses. Das bedeutet nicht, dass sie automatisch die Politik der jeweiligen israelischen Regierung unterstützen; ob sie eine bestimmte Politik befürworten, ist Ausdruck ihrer persönlichen politischen Präferenzen. Aber es bedeutet sehr wohl, dass sie sich dem jüdischen Staat verbunden fühlen, weil das Bekenntnis zu Israel als der Verkörperung des Rechts der Jüdinnen und Juden auf Selbstbestimmung in ihrem historischen Heimatland selbstverständlich zu ihrem Judentum dazugehört.

Dieser Unterschied kommt in Meinungsumfragen deutlich zum Vorschein. Eine dieser Untersuchungen, über die in der Jerusalem Post Anfang Februar 2020 berichtet wurde, kam zu dem Ergebnis, dass sich 80 Prozent der amerikanischen Jüdinnen und Juden als „pro-israelisch“ bezeichnen, wobei sich 67 % Israel „verbunden“ oder „sehr verbunden“ fühlen. Gleichzeitig meinten 57 % der Befragten, sie seien „pro-israelisch, aber auch kritisch gegenüber israelischer Politik“, nur 23 % sagten, sie seien pro-israelisch und unterstützten die gegenwärtige israelische Regierung.

Umfragen zum Verhältnis europäischer Juden zu Israel kommen auf ähnliche Ergebnisse. Laut einer Studie der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte von 2019 ist Israel für das Leben junger jüdischer Europäer*innen von großer Bedeutung: 76 % der Befragten haben Verwandte dort, für 73 % ist die Unterstützung Israels „wichtig für ihr Gefühl jüdischer Identität“.

V. BDS: Ein Frontalangriff auf das Judentum

Kehren wir vor diesem Hintergrund zum Thema BDS zurück: Was bedeuten die ständigen und in höchstem Maße diffamierenden Angriffe auf den jüdischen Staat durch die Israel-Boykotteur*innen für Jüdinnen und Juden weltweit?

Die unfairen und diffamierenden Vorwürfe der Israel-Boykotteur*innen, die nur den jüdischen Staat herausgreifen und das erklärte Ziel verfolgen, ihn zum internationalen Pariastaat zu machen, werden von vielen Jüdinnen und Juden weltweit als beleidigend empfunden und als Ausdruck von Antisemitismus verstanden. Und dabei ist es unerheblich, dass die BDS-Bewegung ständig betont, doch „nur“ gegen Israel, nicht aber gegen Jüdinnen und Juden an sich zu agitieren. Unabhängig von der Intention kann die Schmähung Israels als hochgradig beleidigend empfunden werden, weil eine enge Beziehung zwischen der jüdischen Identität einer Person und ihrer Bindung an Israel besteht.

Weil rund 4/5 aller Jüdinnen und Juden in Amerika und in Europa sich Israel eng oder sehr eng verbunden fühlen, empfinden viele von ihnen es als einen Angriff auf das Judentum, wenn die Israel-Boykotteur*innen in ihrer Propaganda den einzigen jüdischen Staat der Welt ständig in den Dreck ziehen. Wenn die BDS-Bewegung behauptet, sie richte sich nicht gegen Jüdinnen und Juden, dann geht sie dabei über die große Mehrheit der Jüdinnen und Juden hinweg, in deren Selbstverständnis Israel sehr wohl eine große Bedeutung zukommt. Weil die Israel-Boykotteure Zionismus grundsätzlich für verbrecherisch halten, richtet sich ihr Hass zwangsläufig auch gegen den überwältigenden Großteil der Jüdinnen und Juden außerhalb Israels, sofern diese nicht bereit sind, sich von ihrem Verständnis des Judentums zu verabschieden. Für einen derartigen Angriff auf ein wichtiges Symbol des Judentums und auf eine wesentliche Komponente jüdischer Identität gibt es einen Begriff: So etwas nennt man Antisemitismus.

Antisemitisch in diesem Sinne ist aber nicht nur die Propaganda der BDS-Kampagne, sondern auch das Ziel, das sich aus den zentralen Forderungen der Israel-Boykotteur*innen ergibt: die Beseitigung Israels als jüdischer Staat. Denn diese würde, wie Jacob Talmon schon 1976 schrieb, „ein Messer direkt ins Herz des Judentums stoßen“ – nicht nur, weil sie wahrscheinlich erneut die Auslöschung von Millionen Juden bedeuten würde, sondern auch, weil damit „der letzte Überrest der integralen historischen jüdischen Zivilisation“ vernichtet würde. „Dieser Schlag würde sich für das Judentum weltweit – für sein Selbstgefühl, seinen Glauben an sich selbst und an seine Zukunft – als so schwer erweisen, dass es ihn nicht überstehen würde.“

In diesem Sinne hängen, wie Charles Krauthammer betonte, „die Existenz und das Überleben des jüdischen Volkes“ von der Existenz des jüdischen Staates ab – und das umso mehr, je größer der relative Stellenwert Israels für das Judentum geworden ist und in den kommenden Jahrzehnten noch zunehmend wird. Das „Ende Israels bedeutet das Ende des jüdischen Volkes. […]. Es kann nicht noch einmal Zerstörung und Exil überleben.“ Am Bestehen Israels hänge „die einzige Hoffnung für das Fortbestehen und Überleben des Judentums“.

Wie gezeigt, gibt es nach der weitgehenden Ermordung der europäischen Jüdinnen und Juden und der fast vollständigen Flucht und Vertreibung der orientalischen Juden heute zwei Zentren des Judentums: die USA und Israel. Die Beseitigung des jüdischen Staates, also die Zerstörung eines dieser beiden Zentren und des dort entstandenen israelischen Judentums, wäre in der Tat ein für das Judentum kaum oder gar nicht verkraftbarer Schlag: Übrig blieben dann – neben den verhältnismäßig kleinen Gemeinden in Europa und anderswo – nur noch die USA mit ihren schrumpfenden jüdischen Gemeinden. Darin ein Untergangsszenario für das Judentum insgesamt zu sehen, ist, wenn überhaupt, nur eine kleine Übertreibung.

Wenn es so ist, dass die Umsetzung der Forderungen der Israel-Boykotteur*innen das Ende des jüdischen Staates bedeuten würden, dann zielt die BDS-Bewegung auf nichts Geringeres ab, als dem Judentum insgesamt so schweren Schaden zuzufügen, dass dessen weitere Existenz gefährdet wäre. Aus diesem Blickwinkel kann der Befund daher ebenfalls nur lauten: Unabhängig von den Niederungen ihrer alltäglichen, dämonisierenden Propaganda handelt es sich bei BDS um eine fundamental antisemitische Kampagne.

ALEX FEUERHERDT

ist freier Publizist. Er veröffentlicht regelmäßig Texte zu den Schwerpunktthemen Israel/Nahost, Antisemitismus und Fußball, u. a. in der Jüdischen Allgemeinen, bei n-tv.de, in der Jungle World und konkret. Zudem ist er Betreiber des Blogs Lizas Welt.

FLORIAN MARKL

ist Politikwissenschaftler und wissenschaftlicher Leiter des unabhängigen Nahost-Thinktanks Mena-Watch in Wien. Zuvor war er Archivar und Historiker beim Allgemeinen Entschädigungsfonds für Opfer des Nationalsozialismus und Lehrbeauftragter an der Universität Wien. Im Herbst 2020 hat er gemeinsam mit Alex Feuerherdt das Buch Die Israel-Boykottbewegung – Alter Hass in neuem Gewand vorgelegt.