Für eine Politik von unten … INTERVIEW MIT ANDREAS BABLER

Es freut die Redaktion der ZUKUNFT diese Ausgabe mit einem Interview eröffnen zu können, dass ANDREAS BABLER, der Bundesparteivorsitzende und Klubchef der SPÖ, mit ALESSANDRO BARBERI, REINHARD LEITNER und RAPHAEL SAMPT geführt hat. Wir gehen gemeinsam mit unseren Leser*innen aufrecht in die Zukunft der Sozialdemokratie …

ZUKUNFT: Lieber Genosse Babler, lieber Andreas, was hat sich aus Deiner Sicht im politischen System Österreichs und in der Partei getan, seit Du den Parteivorsitz der SPÖ übernommen hast?

Andreas Babler: Wir machen Politik mit einer klaren Programmatik und treten als selbstbewusste SPÖ auf, die voller Kraft und Stolz ist und sich vor nichts und niemandem fürchtet. Wir stellen wieder rote Themen in den Vordergrund wie die Verkürzung der Arbeitszeit bei vollem Lohn, die gerechte Verteilung des Wohlstands und die Abschaffung der Kinderarmut. Dass sich konservative und neoliberale Kräfte an uns abarbeiten, ist ein gutes Zeichen. Weil es zeigt, wofür es uns braucht: Wir stehen nicht auf der Seite der Superreichen, die sich Politik kaufen, sondern machen Politik für die Vielen. Dieser Einsatz zahlt sich aus, die SPÖ befindet sich im Aufschwung: Seit März 2023 sind über 15.000 Menschen der SPÖ beigetreten. Unsere Bewegung wird jeden Tag stärker. Das macht den politischen Mitbewerber nervös.

ZUKUNFT: Wie kann, wie soll, wie wird sich die SPÖ unter Deinem Vorsitz programmatisch und politisch positionieren? Hältst Du einen ernsthaften progressiven Schritt nach links in der österreichischen Bevölkerung für realistisch?

A. B.: Mein Credo ist, Politik von unten zu denken, das heißt, von unseren Leuten aus zu denken und ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen zu verbessern. Wir machen deutlich, dass unsere Leute keine Bittsteller*innen sind, sondern Rechte haben: ein Recht auf ein leistbares Leben, ein Dach über dem Kopf und einen raschen Termin bei der Ärztin. Als SPÖ stehen wir für eine Politik, die gestaltet und eingreift, wenn die Reichen immer reicher werden, während für die Mehrheit der Bevölkerung vom erwirtschafteten Wohlstand immer weniger übrigbleibt. Wenn diese Politik von unten die Zuschreibung „links“ bekommt, dann bin ich sehr gerne links – ein progressiver Schritt dorthin ist jedenfalls realistisch.

ZUKUNFT: Angenommen Du wirst Bundeskanzler einer von der SPÖ geführten Regierung – wo siehst Du dann Österreich nach Deiner ersten Legislaturperiode? Was wären dahingehend Deine wichtigsten Ziele?

A. B.: Als Erstes werde ich dafür sorgen, dass das Leben in Österreich wieder leistbar wird und Übergewinne von Konzernen abgeschöpft werden. Die profitgetriebene Inflation muss gestoppt werden, die Preise für Wohnen, Energie und Lebensmittel müssen runter. Niemand soll schlaflose Nächte haben, weil er oder sie die Stromrechnung oder den Wochenendeinkauf nicht bezahlen kann. Genauso wichtig ist es, die Kinderarmut zu beenden. Kein Kind soll in schimmligen Wohnungen leben und sich nur von Nudeln und Toastbrot ernähren müssen. Darum brauchen wir eine Kindergrundsicherung. Und auch die Verteilungsfrage werde ich rasch angehen. Eine SPÖ-geführte Regierung würde ganz konkrete Verbesserungen für 95 % der Menschen bedeuten und Österreich gerechter machen.

ZUKUNFT: Die letzten Jahre haben in Österreich politisch einen deutlichen Rechtsruck herbeigeführt. Mit welchen konkreten Strategien planst Du, verlorene Wähler*innenstimmen zurückzugewinnen und inwiefern wärst du kompromissbereit, um auch auf diejenigen Wähler*innen einzugehen, die sich von der SPÖ distanziert haben?

A. B.: Schwarz-Blau war immer ganz vorne mit dabei, wenn es darum gegangen ist, Rechte von Arbeitnehmer*innen abzubauen. Der 12-Stunden-Tag, die Zerschlagung der Krankenkasse und die Abschaffung der „Hacklerpension“ sind nur einige von vielen Beispielen, die zeigen, auf welcher Seite FPÖ und ÖVP stehen. Sie machen Politik für die Superreichen, für die Benkos und Wolfs. Das konnten wir in den Chats zur Genüge nachlesen. ÖVP und FPÖ sehen unsere Leute als Menschen zweiter Klasse. Dem tritt meine SPÖ entschieden entgegen. Wir stehen bedingungslos auf der Seite unserer Leute – auf der Seite der Arbeitnehmer*innen, der der Pensionist*innen und der Familien. Viele Jahrzehnte war es selbstverständlich, dass Politik die Lebensbedingungen breiter Teile der Bevölkerung verbessert – in den letzten zwanzig, dreißig Jahren ist diese Selbstverständlichkeit verloren gegangen. Ich möchte zu dieser Selbstverständlichkeit – zur Gerechtigkeit – zurückkehren. Und mache allen Menschen ein Angebot, ein Stück dieses Weges gemeinsam mit uns zu gehen.

ZUKUNFT: Welche Koalition(en) würdest Du Dir für Österreich wünschen? Hältst Du eine Allianz aller progressiven Kräfte, von den Gewerkschaften über die Partei bis hin zu Akademiker*innen, Intellektuellen und Künstler*innen für möglich? Und wie könnten wir die Schlagkraft aller progressiven Kräfte erhöhen?

A. B.: Die Sozialdemokratie soll als Nummer eins in die Regierung. Das ist unser und mein Anspruch. Und dann kann man sich anschauen, welche Koalitionsmöglichkeiten es gibt. Eine Koalition mit der FPÖ schließe ich aus und die ÖVP muss erst wieder koalitionsfähig werden. Sie hat sich stark aus dem Spiel genommen, wenn es um das soziale Gefüge und darum geht, wichtige soziale Rechte zu sichern. Ich will in dieser Republik etwas weiterbringen – gemeinsam mit den progressiven Kräften im Land. Ich stehe in engem Austausch mit Intellektuellen und Künstler*innen und kämpfe Hand in Hand mit der Gewerkschaft für mehr Gerechtigkeit. Es wird Zeit für eine neue Ära.

ZUKUNFT: Zum Thema Außenpolitik: Wie definierst Du Internationalismus im 21. Jahrhundert und wie könnte eine klare sozialdemokratische Handschrift auch im Bereich auswärtiger Angelegenheiten aussehen?

A. B.: „Internationale Solidarität“ darf kein leeres Schlagwort sein, wir müssen sie hochleben lassen. Als Teil einer internationalen Bewegung, deren Ziel Friede, Freiheit und ein menschenwürdiges Leben für alle ist, kooperieren wir Sozialdemokrat*innen eng mit unseren Partner*innen auf der ganzen Welt. Denn für uns ist klar, dass wir nur gemeinsam die Rechte der Arbeitnehmer*innen stärken, die globalen Finanzmärkte regulieren, Steuergerechtigkeit erreichen und die Erderhitzung bekämpfen können. Wir dürfen nicht wegschauen, wenn Unrecht geschieht, wenn Menschen unterdrückt oder ausgebeutet werden, sondern müssen demokratische Bewegungen, Gewerkschaften und Zivilgesellschaft auf der ganzen Welt stärken und ganz besonders dort unterstützen, wo Menschenrechte, Frauenrechte und das Recht auf eine intakte Umwelt erkämpft oder verteidigt werden. Österreich hat als neutrales Land und Sitz der Vereinten Nationen eine besondere Verantwortung, aktive Außen- und Friedenspolitik zu betreiben. Hier braucht es wieder eine starke sozialdemokratische Handschrift.

ZUKUNFT: Was sind aus Deiner Sicht die Grundzüge sozialdemokratischer Politik im Bereich der Migration? Und welche Schwierigkeiten ergeben sich im Blick auf Deine konkrete Politik in Traiskirchen bei der Umsetzung auf die Ebene der Bundespolitik?

A. B.: Respekt und die Einhaltung von Menschenrechten sind für mich Leitlinien sozialdemokratischer Politik. Jeder Mensch verdient Respekt – egal, woher man kommt, ob man am Bau arbeitet oder im Büro. Ich stehe gegen eine Politik, die Menschen gegeneinander aufhetzt und abwertet. Flucht und Migration – das ist meine Erfahrung aus Traiskirchen – sind kein Polizeithema, sondern eine soziale Frage. Ich fordere deshalb seit vielen Jahren, dass die Asylagenden aus dem Innenministerium gelöst werden. Ich will, dass alle Menschen, die hier leben, ordentlich behandelt werden und ihnen die gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglicht wird – nur so kann Integration gelingen.

ZUKUNFT: Wie kann die Demokratisierung der SPÖ – gegen verschiedene Widerstände – gelingen? Wie weit gehen Deine basisdemokratischen Vorstellungen im Bereich der Partizipation, der Mitsprache und der direkten Demokratie? Worin siehst Du dabei u. a. die Rolle und Funktion von Volksbefragungen?

A. B.: Politische Mitbestimmung ist die Basis der Durchschlagskraft unserer Bewegung. Unsere Mitglieder tragen die Partei. Sie sollen mitbestimmen, in welche Richtung es politisch geht. Ich will die SPÖ zu einer modernen Mitmachpartei machen. Dazu haben wir im Parteivorstand einen breiten Prozess gestartet, in den alle Länder und Organisationen eingebunden sind. Mein Ziel ist, dass in Zukunft die Mitglieder direkt über den Parteivorsitz entscheiden können. Das will ich am Parteitag im November in trockene Tücher bringen.

ZUKUNFT: Das wohl größte politische Anliegen, das Du bis dato als SPÖ-Chef vorgebracht hast, war die Reichen-/Erbschaftsteuer. Wie wichtig ist Dir diese grundlegende Forderung, wenn der Weg an die Spitze des Nationalrats doch nur über eine Koalition möglich wäre?

A. B.: Die Forderung nach einer Steuer auf Millionenerbschaften und Millionenvermögen ist enorm wichtig, weil es eine Frage der Gerechtigkeit ist. In Österreich zahlen Arbeitnehmer*innen und Konsument*innen über 80 % der Steuern, die 50 Milliardäre im Land tragen aber so gut wie gar nichts bei. Das muss sich dringend ändern. Die große Mehrheit der Bevölkerung befürwortet gerechte Vermögenssteuern. Wir brauchen das Geld für unsere Krankenhäuser, für die Pflegekräfte, für die Kindergärten und Schulen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man in anderen Parteien wirklich der Meinung ist, dass man auf bessere Kindergärten verzichtet, weil man Milliardär*innen nicht zumuten will, ein paar Prozent ihres Vermögens beizutragen.

ZUKUNFT: Braucht es zum nachdrücklichen Erhalt des Sozialstaats einen „New Deal“, um auch die Herausforderungen der Energiewende und der digitalen Transformation zu bewältigen? Und wie könnte ein solcher aus Deiner Sicht aussehen?

A. B.: Ein „New Deal“ ist dringend notwendig, um die Klimakrise abzuwenden und auch um die Herausforderungen der digitalen Transformation zu bewältigen. Die SPÖ begreift diese Fragen auch als Verteilungsfragen, bei denen wir niemanden zurücklassen dürfen. Gerade der Kampf gegen die profitgetriebene Erderhitzung hat höchste Priorität, denn es geht um die Lebensgrundlage und das Recht unserer Kinder auf einen intakten Planeten. Dafür brauchen wir eine aktive Wirtschaftspolitik wie in den Kreisky-Jahren. Damit Alternativen aufgebaut werden können, muss der Staat Rahmenbedingungen – einen „Green New Deal“ mit massiven Investitionen in grüne Technologien und öffentlichen Verkehr – schaffen, in denen der Privatsektor die Energiewende vollziehen kann.

ZUKUNFT: Vieles an Deiner Politik erinnert an die klassischen Erfolge der Sozialistischen Partei, die zutiefst mit dem Austromarxismus verbunden sind. Kurz: Was bedeutet Dir auch heute noch der Begriff und die Idee des Sozialismus und wie willst Du die Wurzeln der Arbeiter*innenbewegung in die ZUKUNFT tragen?

A. B.: Die Sozialdemokratie ist seit ihrer Gründung die Partei der arbeitenden Menschen und ganz besonders jener, die es schwer haben, über die Runden zu kommen. Gute Arbeitsbedingungen, ein starker Sozialstaat, die Gleichstellung von Männern und Frauen und gerechte Löhne sind seit jeher die ureigensten Aufgaben der Sozialdemokratie: So wie sich Victor Adler für die Ziegelarbeiter*innen am Wienerberg eingesetzt hat, mache ich mich für die Callcenter- und Tankstellen-Mitarbeiter*innen, die Paketzusteller*innen und Essenslieferant*innen stark, die hart arbeiten und oft nur ein paar Euro pro Stunde verdienen. Die Ziegelarbeiter*innen von heute sind überall und sie brauchen eine starke, geeinte SPÖ.

ZUKUNFT: Beim diesjährigen Geschlechtergleichstellungsindex das Weltwirtschaftsforums (WEF) ist Österreich um 26 Plätze abgerutscht und belegt nur noch den 47. Platz. Welche Maßnahmen einer progressiven Frauenpolitik sind für Dich wichtig, damit Gleichstellung nicht weiter diskutiert, sondern als selbstverständlich gelebt wird?

A. B.: Der Absturz im Geschlechtergleichstellungsindex ist fatal und zeigt, dass die Regierung auf ganzer Linie gescheitert ist. Denn der Index verdeutlicht auch, wie weit uns Länder wie Island, Norwegen und Finnland voraus sind, wo die Regierungen aktive Gleichstellungspolitik betreiben. Bei uns erhalten Frauen noch immer 20 % weniger Lohn als Männer und die Pensionen von Frauen sind sogar um 40 % niedriger. Das ist eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, gegen die ich gemeinsam mit Eva-Maria Holzleitner und unserer Frauenorganisation mit ganzer Kraft ankämpfe. Es ist ein Skandal, dass Parolen wie „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ noch immer notwendig sind, weil es bei uns – im Gegensatz etwa zu Island – noch immer kein Lohntransparenzgesetz gibt, das ungleiche Bezahlung verbietet und Verstöße hart sanktioniert. Und auch der Rechtsanspruch auf kostenlose Kinderbetreuung ist noch immer nicht umgesetzt, weil die ÖVP seit Jahren den Ausbau der Kinderbetreuung blockiert. Damit Gleichstellung selbstverständlich gelebt wird, gibt es viel zu tun. Nicht nur auf gesetzlicher Ebene, sondern auch im Mindset – etwa, indem wir mehr Männer dazu bewegen, in Karenz zu gehen.

ZUKUNFT: Lieber Andreas, wir danken Dir herzlich für dieses Gespräch.

ANDREAS BABLER
ist seit Bundesparteivorsitzender der SPÖ und Klubvorsitzender der Sozialdemokratischen Parlamentsfraktion, dem Klub der sozialdemokratischen Abgeordneten zum Nationalrat, Bundesrat und Europäischen Parlament.

ALESSANDRO BARBERI
ist Chefredakteur der Fachzeitschriften ZUKUNFT (www.diezukunft.at) und MEDIENIMPULSE (www.medienimpulse.at). Er ist Historiker, Bildungswissenschaftler, Medienpädagoge und Privatdozent. Er lebt und arbeitet in Magdeburg und Wien. Politisch ist er im Umfeld der SPÖ Bildung und der Sektion 32 (Wildganshof/Landstraße) aktiv. Weitere Infos und Texte online unter: https://medienbildung.univie.ac.at/

REINHARD LEITNER
ist Sozialist und Zigarettenhersteller. Er ist seit Jahrzehnten im Umfeld und in der SPÖ politisch engagiert und setzt sich seit langem – auch mit dieser Ausgabe der ZUKUNFT – für eine progressive und linke Ausrichtung der Partei ein.

RAPHAEL SAMPT
ist Student für Publizistik und Kommunikationswissenschaft an der Universität Wien und aktuell als freier Journalist tätig. Seine journalistischen Interessens- und Tätigkeitsbereiche liegen vorrangig in den Themenfeldern Politik, Sport und Gesellschaft.

Abbildung 1: Andreas Babler © David Višnjić