VOJIN SAŠA VUKADINOVIĆ ist Historiker, gehörte zu den ersten Studierenden der Geschlechterforschung in Deutschland und promovierte zu Antifeminismus und politischer Gewalt. 2017 kritisierte er scharf die misogynen Tendenzen und Produkte der Queer-Szene und der Gender Studies, die er – gegenläufig zu deren Selbstbild, eine Weiterentwicklung des Feminismus zu sein – als „akademischen Sargnagel der Frauenemanzipation“ bezeichnete. Es freut die Redaktion der ZUKUNFT, dass wir diesen pointierten Artikel in Kooperation mit Alice Schwarzers EMMA, in der dieser Beitrag erstmals erschienen ist, wieder abdrucken können, um den derzeitigen Stand der Dinge auf den Punkt zu bringen.
0. Anmerkung des Autors zum Nachdruck
Anfang 2017 erschien im Berliner Querverlag der von Patsy l’Amour laLove herausgegebene Sammelband Beißreflexe. Darin nahmen 27 Autorinnen und Autoren eine Bestandsaufnahme des desolaten, autoritären Zustands des Queer-Aktivismus und angrenzender Areale vor. Die Publikation sorgte umgehend für eine lebhafte Debatte. Nach zahlreichen subkulturellen und innerakademischen Querelen in den Vorjahren, die häufig nur unmittelbar Beteiligten bekannt gewesen waren, wurden die zugehörigen Konflikte nun als zusammenhängende, überregionale Probleme kenntlich. Zwei entscheidende Details sollten in der nachfolgenden Kontroverse jedoch unter den Teppich gekehrt werden: Erstens, dass alle an dieser Publikation Beteiligten eine linke Biographie vorweisen konnten, und zweitens, dass einige von diesen Gender Studies studiert bzw. in diesen gearbeitet hatten oder aber gerade in diesem Fach promovierten. Während die Protagonistinnen und Protagonisten des kritisierten Milieus befremdlich schrill
reagierten und auch vor Gewaltandrohungen nicht zurückschreckten, wurden die zahlreichen Buchvorstellungen im ganzen deutschsprachigen Raum überaus wohlwollend aufgenommen. Nachdem im Frühling 2017 bereits die dritte Auflage von Beißreflexe vorlag, bot die Redaktion von EMMA, die dieselben Tendenzen seit langem ebenfalls beobachtet hatte, eine Zusammenarbeit an. Im Sommer des Jahres druckte die feministische Zeitschrift drei Beiträge des Sammelbands (von Jakob Hayner, Koschka Linkerhand und Tjark Kunstreich) erneut ab, während sich der Autor des vorliegenden Artikels angesichts des Publikationsortes dazu entschied, seine Kritik am misogynen Charakter der akademisch-aktivistischen Queer-Szene allgemeinverständlich und auf die Leserinnen von EMMA zugeschnitten zuzuspitzen.
Darauf folgte eine erregte Mediendebatte, in der sich manche der in diesem Beitrag erwähnten Genderforscherinnen zu völlig unbeholfenen, wutschäumenden Reaktionen aufschwangen, ohne das wesentliche Argument zu revidieren. Trostlose Tiefpunkte dieser Repliken waren ein von Paula-Irene Villa ins Internet gestelltes und alsbald vom Missy-Magazine aufgegriffenes PDF mit einer bemühten Absatz-für-Absatz-Erwiderung, die in der Lüge kulminierte, der nachfolgende Artikel würde dem Rechtsextremisten Björn Höcke (AfD) „aus der Seele“ sprechen. In der ZEIT erschien eine Erwiderung von Sabine Hark, die diese wohl deshalb von Judith Butler co-signieren ließ, um der eigenen Einfallslosigkeit Nachdruck zu verleihen: So hieß esdarin, hier würde „[m]it unvergleichlichem Furor und beißender Häme“ der Zustand der Gender Studies skandalisiert, während die beiden Autorinnen zur Abwehr jedweder Einsicht darüber sinnierten, ob „sich inzwischen eine Form von ‚Trumpism‘ im Feld des Feminismus eingerichtet“ habe.
An der Unfähigkeit dieser und einiger anderer Genderforscherinnen, die Kritik an den antifeministischen Prämissen und Resultaten ihres Wirkens überhaupt zu begreifen, bewahrheitet sich ein Karl Kraus zugeschriebenes Diktum: „Was trifft, das trifft auch zu.“ Der misogyn-rassistische Gehalt zahlreicher genderparadigmatischer Schriften, der in diesem Beitrag umrissen wurde, ist ein Jahr nach Beißreflexe im Sammelband Freiheit ist keine Metapher ausführlich analysiert worden.
Fünf Jahre später hat sich nichts verbessert, im Gegenteil. Die Gender Studies führen nach wie vor ein Selbstgespräch, das nichts zu den dringlichsten geschlechterpolitischen Problemen der Gegenwart beizutragen hat: So widmete die Fachgesellschaft Geschlechterstudien – der Zusammenschluss der deutschsprachigen Gender-Studies-Institute und -Einrichtungen – ihre Jahrestagung 2022 dem Thema „Decolonizing Gender Studies“. Den brutalen neuerlichen Triumph der Taliban über die Frauen in Afghanistan können die Fachvertreterinnen und Fachvertreter genauso wenig erklären wie den Mut der Freiheitskämpferinnen in der „Islamischen Republik“, die sich unter Lebensgefahr einer Kleiderordnung widersetzen, die ihnen nicht wenige westliche Gender-„Theoretikerinnen“ seit den 1990er-Jahren orientalistisch an den Leib gedichtet haben. Und auch zu neuen Phänomenen wie etwa dem globalen Leihmutterschafts-Markt, dem misogynen Transaktivismus oder den Gruppenvergewaltigungen durch minoritäre Täter, denen in den letzten Jahren zahlreiche Mädchen und junge Frauen zum Opfer fielen, findet sich in diesen Reihen nichts Analytisches; Gleiches gilt für den nach wie vor pressierenden Rechtsextremismus in Deutschland.
Die Gründe hierfür sind offensichtlich: Wer vom politischen, religiösen und ökonomischen Machtanspruch auf das biologische Geschlecht nichts wissen will, sondern die Rede von dessen „Konstruiertheit“ für Kritik hält oder mittlerweile gar stockkonservativ von „Geschlechtsidentitäten“ spricht, die angeboren sein sollen, wird sich nur schwerlich in einer Welt zurechtfinden, in der Frauen nach wie vor ungeheuerlichen Ungerechtigkeiten ausgesetzt sind – und muss sich zudem den Vorwurf gefallen lassen, zur Aufrechterhaltung dieser Ungeheuerlichkeiten beizutragen.
I. Einleitung
Wer Ende der 1990er-, Anfang der 2000er-Jahre an Universitäten in Berlin oder Freiburg das Studium der damals neu eingerichteten Gender Studies aufnahm, befasste sich überwiegend mit Sujets, die der Literaturwissenschaft und der Psychoanalyse entlehnt waren: Wissen über die Wirkung geschlechtlicher Repräsentationsformen sollte, so die mit der Gründung des Fachs verbundene Hoffnung, das Bewusstsein für die Historizität der Geschlechterrollen und damit auch für deren Veränderbarkeit schärfen.
Zwei Jahrzehnte später sind die meisten Lehrveranstaltungen der Geschlechterforschung an solchen Fragestellungen desinteressiert – und an der Frauenemanzipation als solcher. Gender-Studies-Kurse tragen nunmehr Titel wie Muslim Queer Subjectivities and Islamic Ethics oder Einführung in die interdependente VerRücktheitsforschung/MadStudies. Viel diskutierte Postulate heißen „Critical Whiteness“, „Intersektionalität“ oder „Femonationalismus“.
Der queerfeministische Nachwuchs pöbelt auf dem Campus, in den Straßen und im Internet gegen „weiße Cis-Männer“, gegen „TERFS“ (trans exclusionary radical feminists, also radikale Feministinnen, die Transmenschen ausschließen) oder „SWERFS“ (sex worker exclusionary radical feminist, also radikale Feministinnen, die „Sexarbeiterinnen“ ausschließen), prangert unentwegt „Privilegien“ anderer an, fordert geschlechtsneutrale Pronomen ein und sinniert mit weinerlicher Verve über „Verletzbarkeit“. Das persönliche Leiden an der Welt wird zum wissenschaftlichen Thema verklärt, Schuld für das eigene Befinden als Dritte personifiziert.
II. Die meisten Seminare sind uninteressiert an der Frauen-Emanzipation
Diese Entwicklung ist den Prämissen des Gender-Paradigmas geschuldet, das seinen akademischen Siegeszug in den 1990er-Jahren angetreten hat und mittlerweile als Nonplusultra eines nicht-essenzialistischen, also nicht-biologistischen Geschlechterverständnisses gilt. Demzufolge seien das soziale wie das biologische Geschlecht „konstruiert“, das heißt stets durch Vorannahmen geprägt und nur durch Kultur vermittelbar – bündig: es gäbe keine Natur bzw. keine Realität hinter ihnen. Diese Annahme wird von der Queer Theory gestützt, welche den gleichen Gedanken auf das Sexuelle ausweitet.
Und sie wird von den Postcolonial Studies flankiert, die das Nachleben des Kolonialismus untersuchen. Dieser Aufmerksamkeitswechsel gilt in der Geschlechterforschung als bedeutsame Weiterentwicklung, weil damit Fragen des „minoritären“ Begehrens und des Rassismus auf die wissenschaftliche Agenda gesetzt worden seien, welche die historische Frauenforschung einst ignoriert habe. Was daraus folgt, ist vorrangig ein (Ver-)Urteilen um der Rüge, nicht um der Erkenntnis wegen. Mit dem Rotstift werden akademische Texte, gesellschaftliche Phänomene oder politische Probleme darauf abgeklopft, ob sie „sexistisch“, „rassistisch“, „homophob“ oder „transphob“ sind. Von dort ist der Weg zu Sprechverboten nicht weit.
An den beiden verstrichenen Jahrzehnten ist noch etwas anderes auffällig: Nicht eine Arbeit aus den Gender Studies hat eine gesellschaftspolitische Debatte geprägt oder zumindest vorangetrieben. Ein Umstand, der unzweifelhaft der Unverständlichkeit der verwendeten Begrifflichkeiten sowie dem „methodischen“ Vorgehen geschuldet ist und im merklichen Kontrast zu Arbeiten aus der Geschichtswissenschaft, der Soziologie oder der Politikwissenschaft steht. Nicht eine deutsche Professorin für Geschlechterforschung hat eine bahnbrechende These formuliert, die breite Anerkennung in der internationalen Wissenschaftslandschaft erfahren hätte. Es ist zudem keine Absolventin der jungen Disziplin bekannt geworden, die eine beachtliche Nachwuchskarriere hingelegt hätte.
III. Im Gender-Clan herrscht einzig ein Judith-Butler-Monolog
Hiervon unbeirrt regiert in den Gender Studies weiterhin das Selbstbild, unverzichtbare universitäre wie gesellschaftspolitische Arbeit zu leisten. Die Fachgesellschaft Geschlechterstudien – der akademische Zusammenschluss aller, die an deutschen Hochschulen in den Gender Studies arbeiten – versteht das eigene Tun beispielsweise als wissenschaftlichen Ausdruck einer dem „Nichtanerkannten und Prekären verpflichteten Gesellschaft“. Die geistige Offenheit und kritische Distanz, die mit dieser Formel suggeriert werden, sind eine Farce: im Gender-Clan herrscht kein Dialog zwischen widerstreitenden Standpunkten, sondern einzig ein Judith-Butler-Monolog. Und der verhält sich – wie die Vordenkerin – bemerkenswert still, wenn es um die Entwürdigung, Misshandlung und Entrechtung von Frauen weltweit geht.
In den Graduiertenkollegs der Geschlechterforschung werden Promovierende angehalten, Doktorarbeiten über ihre Lieblingsserien abzufassen, statt sich mit den realen Hinterzimmern der deutschen Gesellschaft zu beschäftigen – Frauenhäusern und Gefängnissen beispielsweise. Eklatante Forschungslücken sind augenscheinlich. Eine umfängliche Kritik der Gender Studies am Deutschrap, dessen frauen- und schwulenverachtenden, vor Gewalt nur so strotzenden Erzeugnisse sich millionenfach verkaufen und zu Untersuchungen geradezu einladen: Fehlanzeige. Systematische Erhebungen zum Geschlechterbild von Moscheepredigern in Europa: ebenso. Analysen zu den zehntausenden jungen Männern und Frauen aus Deutschland, Großbritannien, Frankreich und anderen Staaten, die sich dem Jihad in Syrien angeschlossen haben: inexistent.
Das Fach bildet nicht zur Problemlösung aus, sondern vorrangig zum Beanstanden des Sprechens Dritter über etwas. Unmittelbares Resultat sind überproportional viele Dissertationen, die lediglich damit befasst sind, wie etwas medial dargestellt oder wissenschaftlich verhandelt wird.
IV. Warum untersuchen die Gender-Studies nicht das Frauenbild von Moscheepredigern?
In diesem Geiste geschulte Arbeiten zeigen deshalb, wie es in der Geschlechterforschung wirklich um das „Nichtanerkannte und Prekäre“ bestellt ist. Daniela Hrzán, Gender-Expertin für das Reden über Genitalverstümmelung, hat in einer Reihe von Texten gemahnt, statt von „Female Genital Mutilation“ lieber von „Female Genital Cutting“ zu sprechen: Nicht etwa der barbarische Akt sei menschenverachtend, sondern der Begriff „Verstümmelung“, da dieser nahelege, dass die Betroffenen unter dem gewaltsam Erlebten leiden. Die Kulturwissenschaftlerin weiß es besser: „Zusammenfassend lässt sich also feststellen, dass erfüllte Sexualität nicht zwingend mit Orgasmusfähigkeit in Zusammenhang gebracht wird“, schreibt sie in beiläufiger, doppelter Niedertracht gegenüber den Opfern von Rasierklingen und Messern und dem Recht auf körperliche Unversehrtheit.
In gleichem Tonfall moniert Anna-Katharina Meßmer, Gender-Expertin für das Reden über Intimchirurgie, dass Schriften zur Genitalverstümmelung „die afrikanische Frau“ als „sich nach westlichen Standards zu emanzipierende“ adressieren würden. Westliche Standards wie Menschenrechte, Frauenemanzipation und Religionsfreiheit, die Meßmer ganz selbstverständlich für sich selbst in Anspruch nimmt – darauf sollen Tausende Mädchen, die tagtäglich dem inhumanen Ritual unterworfen werden, keinen Anspruch haben: vielmehr sollen sie vor „Verwestlichung“ geschützt werden.
V. Das Wort Terrorismus „generalisiert Massenmord als illegitim“
Claudia Brunner schließlich, Gender-Expertin für das Reden über Selbstmordattentate, leitet einen Artikel mit der rhetorischen Frage ein, ob es nicht besser wäre, statt von „Female Suicide Terrorism“ von „Female Suicide Bombing“ zu sprechen, da erstere Bezeichnung Massenmord „als illegitim generalisieren“ würde. Schlimmer noch: „Geläufige Darstellungen von Suizidbomberinnen tendieren dazu, historische westliche kolonialistische Auffassungen von Frauen aus der Dritten Welt widerzuspiegeln, gelenkt von imperialistischen Ansichten und deren spezifischen okzidentalistischen Genderismen“, so die Autorin, die in einem Interview noch beklagte:
„Terroristen werden durch ihre mediale Darstellung ausschließlich als brutal und irrational gezeigt, um dadurch ihre politischen Ziele unsichtbar zu machen […] Die Terroristinnen werden als Monster dargestellt.“
Dutzende, bisweilen Hunderte von Menschen, die durch ein einziges Selbstmordattentat zerfetzt oder auf Lebenszeit entstellt werden, sind der gendersensiblen „Analyse“ einer Claudia Brunner nicht eine Zeile wert.
Abermals ist es die Vordenkerin des Gender-Paradigmas, die inspiriert. Judith Butler schwärmte vor einigen Jahren von den Terrororganisationen Hamas und Hisbollah als „progressiv“ und nannte sie einen „Teil der globalen Linken“. Auch ihre Faszination für die Burka hält die Philosophin nicht zurück. Das mobile Stoffgefängnis sei eine „Übung in Bescheidenheit und Stolz“, das nicht etwa Frauen zum Verschwinden bringt, sondern einen „Schutz vor Scham symbolisiert“ und deshalb zu konservieren sei:
„Der Verlust der Burka kann eine Erfahrung von Entfremdung und Zwangsverwestlichung mit sich bringen, die Spuren hinterlassen wird. Wir sollten keineswegs davon ausgehen, dass Verwestlichung immer eine gute Sache ist. Sehr oft setzt sie wichtige kulturelle Praktiken außer Kraft, die kennen zu lernen es uns an Geduld fehlt.“
Frauen kennenzulernen, die von den Taliban unter Androhung des Todes kollektiv in menschliche Säcke verwandelt worden sind, oder denen für missfälliges Verhalten bei lebendigem Leib Nasen und Ohren abgeschnitten wurden: die hierfür notwendige Geduld fehlt vor allem einer Judith Butler. Die angebliche Entzauberin geschlechtlicher Identitäten als Gralshüterin islamistischer Kleiderordnung – eine geistige Allianz des Grauens.
Auch die deutschen Fans der Burka-Apologetin haben sich längst auf deren antiimperialistisches Weltbild eingeschworen. Dem gilt alles „Westliche“ a priori als verdächtig, alles „Nicht-Westliche“ hingegen a priori als zu bewundern, zu erhalten und vor Kritik zu schonen.
VI. Judith Butler: „Die Burka ist eine Übung in Bescheidenheit und Stolz“
Bettina Mathes ist, gemeinsam mit Christina von Braun, Co-Autorin der 2007 erschienenen Islam-Eloge Verschleierte Wirklichkeit, in der sich u. a. eine überaus devote Aufforderung zur Selbstzensur findet. Kritik an jener Religion solle unterlassen werden, stattdessen sei die „Gewalt auslösende Wirkungsmacht symbolischer und unbewusster Ordnungen im Umgang mit dem Fremden ernst zu nehmen“. Weniger verschroben: Wer Meinungsfreiheit anhängt, dürfe sich nicht wundern, wenn Gläubige mit Mord und Mordversuchen auf Filme und Karikaturen reagierten – so etwa 2004 bei dem niederländischen Regisseur Theo van Gogh oder 2010 bei dem dänischen Karikaturisten Kurt Westergaard. Schon während ihrer Zeit als Gender-Studies-Dozentin an der HU Berlin verfolgte Mathes einen antiimperialistischen Kurs. Zwei kritische Studenten verleumdete sie einmal für das „Verbreiten islamfeindlicher Parolen“; einen davon hatte sie sogar vor die Tür des Seminarraums gesetzt. Studierende hingegen, deren Familien in die Bundesrepublik eingewandert waren, pries sie dafür, sich „für ‚das‘ Fremde und ‚den‘ Islam zuständig zu fühlen“ – kein didaktisches Lob, sondern ein Aufruf zum Pflegen kultureller Identität, völkischen Vorstellungen nicht unähnlich. Mathes betrieb eine Weile lang einen privaten Blog, auf dem sie einst ein „Argument for the Burqa“ veröffentliche, die sie als Schutz vor einem ominösen männlichen Blickregime anempfahl.
In den letzten Jahren hat sich Sabine Hark, an der TU Berlin Professorin für Soziologie (WDR: „Deutschlands wichtigste Genderforscherin“), als unermüdliche Streiterin für einen „antiimperialistischen Egalitarismus“ zu profilieren versucht – eine Formulierung, die sie einer Schrift ihrer philosophischen Ikone entnommen hat. Dass sich jeder Neonazi, jeder Dschungel-Guerillero und jeder Islamist auf seine Weise als Kämpfer für einen „antiimperialistischen Egalitarismus“ verstehen dürfte, ist der politisch ahnungslosen Akademikerin herzlich egal: Was Judith Butler denkt, wird schon stimmen. Entsprechend werden Prioritäten gesetzt. Nach der Silvesternacht in Köln initiierte Hark nicht etwa empirische Erhebungen, um Informationen über die Zusammensetzung der patriarchalen Meute am Hauptbahnhof zu gewinnen, sondern sinnierte darüber, wie der „Feminismus von der Borniertheit der Ersten Welt zu lösen“ sei.
VII. Das Studium der Gender Studies macht die Studierenden nicht schlauer
Ein 2017 gehaltener Vortrag von Gabriele Dietze an der Universität Basel bekrittelte „sexualpolitisch aufgeladene okzidentale Überlegenheitsnarrative“, um „paradoxe Rückkopplungsaspekte von Fremd- und Eigenwahrnehmung zu erfassen“. „Sind noch Fragen, oder droht schon Migräne?“, wunderte sich NZZ-Journalistin Birgit Schmid angesichts dieser Zeilen. Der angestrengte Jargon schaukelt gewichtige Denkleistungen vor, der junge Erwachsene weder zum kritischen Befragen der Gegenwart animiert, noch zu unabhängigen Denkerinnen ausbildet – sie werden vielmehr eingeschüchtert. Weil sie unweigerlich annehmen, dass das, was sie in einem universitären Rahmen zu hören bekommen, intellektuell gewichtig sein muss, wird ihr Verstand nicht geschärft, sondern vernebelt.
Konkreter: Das Studium der Gender Studies macht Studierende oftmals nicht schlauer, sondern in vielen Fragen dümmer. Sie lernen nicht, globale Probleme objektiv zu erfassen, sondern sie durch eine hochgradig antiimperialistische Agenda zu filtern. Ein Workshop, den Dietze zu „Ethnosexismus und Migration“ anbot, befasste sich etwa mit „abendländischen Überlegenheitsnarrativen, zum Beispiel der Demokratie als der besten aller Regierungsformen, der Säkularität als der besten aller Rationalitäten“. Womit „der Überzeugung“ widersprochen werden sollte, dass die westliche Welt über „ein maximal fortgeschrittenes sexuelles Regime“ verfügen. Die Verächtlichkeit gegenüber Rechtsstaatlichkeit und Religionsfreiheit, die sich durch diese Botschaft aus dem akademischen Paralleluniversum zieht, ist ebenso offenkundig wie die subkutane Faszination für religiös legitimierte Diktaturen, in denen es weder das eine noch das andere gibt.
Auch auf den ersten Blick unpolitisch daherkommende Variationen des Sündenbock-Prinzips finden sich in den Gender Studies zuhauf. Prominent vertreten wird das antimännliche, antiheterosexuelle Ressentiment etwa von Lann Hornscheidt, bis 2016 „Profx“ für Linguistik an der HU Berlin. Die sich selbst als „geschlechtslos“ fühlende Person fordert auf der Website xart splitta wortwörtlich zu „Interventionen“ gegen das cis-männliche Patriarchat auf. Als solches hat sie weder Regime wie Saudi-Arabien oder das Afghanistan der Taliban identifiziert, die sich durch maximal repressive Geschlechterordnungen auszeichnen, sondern die letzten Reste der bürgerlichen Gesellschaft: „sätze in romanen unlesbar machen, seiten in büchern rausreißen“, lautet ein Handlungsvorschlag zur Bekämpfung von Prosa oder Analysen, die dem gendergeschulten Bewusstsein nicht behagen.
Über ein universitäres Milieu, in dem Gabriele Dietze, Sabine Hark, Lann Hornscheidt oder Bettina Mathes als herausragende Denkerinnen gelten, ist schon viel gesagt. Diese Akademikerinnen stehen exemplarisch dafür, dass Gender Studies heute über weite Strecken eine Mischung aus Ressentiment, Gruppentherapie und antiimperialistischer Ideologie sind. Phrasen, Vorbehalte und Schuldbewusstsein tummeln sich dort, wo es um Erkenntnis gehen sollte. Auf einem Postkolonialismus-Symposium an der HU verkündete eine gleichgestimmte Dozentin 2011 folgerichtig Sinn und Zweck ihrer Lehrveranstaltungen: „Ich will, dass sich meine Studierenden einmal richtig schlecht fühlen“ – gemeint war, dass in Deutschland geborene und aufgewachsene Individuen Scham dafür empfinden sollten, westlicher Herkunft zu sein.
Die sich mittlerweile häufenden Einsprüche gegen die Geschlechterforschung werden derweil zu einem Popanz namens „Anti-Genderismus“ aufgebauscht, um sich selbst als bloße Opfer einer gesellschaftspolitischen Regression zu stilisieren. Dass ein Gutteil der Zweifel an den Gender Studies nicht von Hass, Menschenverachtung oder Vorbehalten motiviert ist, sondern schlichtweg durch Skepsis, wird dabei verschwiegen.
VIII. Conclusio: Zwischen Feminismus und Gender-Studies klafft ein tiefer Graben
Einen Einblick in das Ausmaß der gegenwärtigen Verblödung gewährten kürzlich der Philosoph Peter Boghossian und der Mathematiker James Lindsay. Sie verfassten einen von vorne bis hinten fiktiven Artikel, der einen Kausalzusammenhang zwischen dem männlichen Genital und dem globalen Klimawandel behauptete. Den schwer mit Gender-Jargon beladenen Text schickten sie an das akademische pay-to-publish Journal Cogent Social Sciences, wo der Beitrag kollegial begutachtet wurde (peer-review). Niemandem fiel auf, dass der Aufsatz bar eines nachvollziehbaren Arguments war, seitenweise Nonsens aneinanderreihte und manche Titel in der Literaturliste frei erfunden waren: Der Schwindel wurde anstandslos veröffentlicht.
Solchen Desastern zum Trotz, die auf schwerwiegende, systematische wissenschaftliche Mängel hinweisen, die vom Vokabular bis zur Veröffentlichungspraxis reichen, sehen Sabine Hark und Paula-Irene Villa, Herausgeberinnen des ersten Sammelbands zum Thema „Anti-Genderismus“, in der Zurückweisung der Geschlechterforschung vor allem den Ausdruck „einer staatskritischen Haltung“. Den beiden Soziologinnen ist offenbar unbekannt, dass die Neue Frauenbewegung in den 1970er-Jahren eine besonders vehemente Distanz zum Staat wahrte, was damals u. a. die Selbstbezeichnung autonome Frauenbewegung ausdrückte. Diese Amnesie versinnbildlicht den tiefen historisch-politischen Graben, der zwischen Feminismus und Geschlechterforschung liegt. Der Zustand letzterer gibt Anlass zu der Annahme, dass die Gender Studies nicht die kritische Weiterentwicklung feministischen Gedankenguts sind, sondern der akademische Sargnagel der Frauenemanzipation.
VOJIN SAŠA VUKADINOVIĆ
ist Historiker. Er ist Herausgeber der Sammelbände Freiheit ist keine Metapher. Antisemitismus, Migration, Rassismus, Religionskritik (2018), Zugzwänge. Flucht und Verlangen (2020), Randgänge der Neuen Rechten. Philosophie, Minderheiten, Transnationalität (2022), Rassismus. Von der frühen Bundesrepublik bis zur Gegenwart (2023) sowie zweier Anthologien zur radikalsten Zeitschrift der Neuen Frauenbewegung: Die Schwarze Botin. Ästhetik, Kritik, Polemik, Satire, 1976-1980 (2020) und Die Schwarze Botin. Berlin, Paris, Wien, 1983-1987 (2023). Seine Dissertationsschrift erscheint 2023 in zwei Bänden bei De Gruyter Oldenbourg. Darüber hinaus hat er zahlreiche Aufsätze und Essays zur Geschichte der Emanzipationsbewegungen, insbesondere zum Feminismus, verfasst.
One comment
Comments are closed.