KATHARINA RANZ rekapituliert in ihrem Beitrag das verlorene Jahr 2020 und analysiert dabei auch angesichts der Lockdowns die Auswirkungen auf das österreichische Bildungssystem. Der Artikel erschien zuerst in der „Die Zukunft 11-12/2020“. Weitere Artikel aus der Zeitschrift sind hier in unserem Blog zu finden.
I. Einleitung
Mitnichten – Herr Kogler. Der Neoliberalismus hat weite Teile unserer Gesellschaft erreicht. Wie sehr diese Bewegung in Vorstoß begriffen ist, zeigen auch einzelne Beispiele, die während des langen anstrengenden Jahres 2020, bekannt wurden. Denn schon im Jänner 2020 haben sich die Türkisen, mithin auch die ehemalige Volkspartei, und die Grünen auf ein Koalitionsprogramm geeinigt, dass einigen liberal Denkenden die Hoffnung ins Gesicht schrieb, man könne mit Argumenten den harten Kurs des Bundeskanzlers Kurz verändern.
II. Après-Ski und Lockdowns
Die Regierungsarbeit wurde sehr schnell von der sich rasch ausbreitenden COVID-19-Pandemie überschattet. Bereits Ende Februar, also mitten in der Schi- und übrigens auch Karnevalsaison, gab es Diskussionen, ob die Schilifte geschlossen und die Saison vorzeitig beendet werden sollte. Während man in Österreich noch dem Wintersport und dem beliebten Après-Ski nachgehen konnte, wurden dementgegen in Italien die Karnevalsumzüge am Rosenmontag und Faschingsdienstag abgesagt. Die ersten Informationen über Abstandhalten, später als Social Distancing bezeichnet, und Todeszahlen in Absoluten wurden veröffentlicht. Auf Vergleichswerte zu anderen statistischen Daten wurde in der Berichterstattung indes verzichtet. Da die gesetzten Maßnahmen keinerlei Wirkungen gezeigt haben, wurde mit wenigen Tagen Vorlaufzeit der erste von mittlerweile drei Lockdowns verhängt.
Geschäfte, Kaffeehäuser, Herbergsbetriebe, Bildungsinstitutionen, Sport- und Kulturstätten, kurz alles, was nicht zur kritischen Infrastruktur gehört, musste für 50 Tage die Pforten schließen. Die in aller Eile verfassten Gesetzestexte und Verordnungen mussten Schritt für Schritt überarbeitet werden. Die Maßnahmen wurden scheinbar im Gleichschritt verschärft. So wurde die Aussage getätigt „Koste es, was es wolle“, ohne das eigene Budget im Griff oder die weiteren Auswirkungen im Blick zu haben. Bereits eine Woche später wurden wir mit Gesichtsmasken vertraut gemacht, die uns bis heute nicht nur in Innenräumen, sondern auch im Freigelände und teilweise sogar im Sport begleiten.
III. Medienkompetenz?
Die Regierung hatte zu diesem Zeitpunkt weder eine Vorstellung, wie hoch die Belastung für das Spitalwesen ist, noch hatte sie sich mit Vorkehrungen für den Schutz jener Personen beschäftigt, die trotz aller Vorsicht mit anderen Personen in Kontakt kommen. Wir haben Begriffe wie Home Office und Distance Learning kennengelernt. Leider haben sich die Volksvertreter*innen der Regierungsparteien auch in diesen Bereichen nicht überlegt, wie damit umgegangen werden kann. Für das Distance Learning fehlten bis vor kurzem noch Endgeräte, welche die Wiedergabe des Unterrichtsmaterials ermöglichen sollten. Auch die dafür notwendige Medienkompetenz schien nicht vorhanden zu sein. Familien, die mehrere Kinder, in vielleicht noch unterschiedlichen Schultypen haben, stießen dabei rasch an ihre Grenzen. Sie waren besonders vom Digital Divide betroffen.
Die Aussetzer, welche die Konzentration im Unterricht oft unverschuldet unterbrechen, sind oftmals der schlechten Übertragungsqualität geschuldet. Viele Schüler*innen haben rasch bemerkt, welches Lehrpersonal in der Lage ist, den Unterricht an die digitale Übertragung anzupassen, in welchem Fach das nicht oder kaum möglich ist und welche Lehrer*in kein Interesse hat, „sich das anzutun“. Für einen Bildungsminister, der die Digitalisierung der Schule als wichtigsten Punkt seiner Arbeit setzt, muss die Rückschau auf 2020 also negativ ausfallen. Nur sehr schleppend konnte die anfängliche Überforderung ob der Kurzfristigkeit einer Professionalität weichen. Viele Unterrichtseinheiten wirken nach wie vor provisorisch, was einerseits der Hoffnung auf die Rückkehr zur „Normalität“ geschuldet ist, andererseits aber auf fehlendes Handwerkszeug hinweist.
IV. Von offenen Schulen
Home Office und Distance Learning sind so unvereinbar, wie sie einander bedingen. Für konzentriertes Lernen und Arbeiten benötigen die Familien viel mehr Platz, der ihnen ob der hohen Mietpreise oft einfach nicht zur Verfügung steht. Selbst im kommunalen Wohnbau haben die Familien nicht ausreichend Raum, weil Familien mit zwei Kindern lange nur drei Wohnräume zur Verfügung gestellt wurden. Können betreuungspflichte Kinder keinen physischen Unterricht besuchen, muss zumindest ein Elternteil eine Lösung mit dem Arbeitgeber finden. Wie sehr die Betroffenen hier allein gelassen werden, zeigten im Rahmen des zweiten Lockdowns die Aussagen von Bildungsminister Heinz Faßmann und anderen Regierungsmitgliedern, die Schulen seien geöffnet, man könne arbeiten gehen. Die Bedenken, die Kinder und Jugendliche in die Schulen zu schicken, wurden bestenfalls ignoriert.
Das Ende des Distance Learnings ist im dritten Lockdown nicht einmal in der letzten Ferienwoche bekannt. So widersprechen sich Faßmann und Klubobmann August Wöginger, wann genau die Schulen für den Unterricht wieder geöffnet werden sollen. Während die Regierung die Infektionszahlen genau beobachtet, will der Bildungsminister die Schulen so früh wie möglich öffnen. Eine eigene Testreihe für Schulen wäre möglich, allerdings überwiegt nun die Arbeit an der Durchimpfung der Bevölkerung, welche die Regierung erst nach großem Protest forciert.
V. Ein fragiles System
Ähnlich interessante Wege geht bereits der zuständige Wiener Stadtrat für Bildung, Jugend, Integration und Transparenz, Christoph Wiederkehr. Im Oktober 2020 wurde die Politik der SPÖ bestätigt, jedoch war schon vor der Wahl erkennbar, dass eine Koalition mit dem bisherigen Partner nicht möglich ist. Aus persönlichen Differenzen und politischer „Vernunft“ wurde die Fortschrittskoalition mit den Neos vereinbart. In der Zusammenarbeit mit einem wissenschaftlich ausgewogenen Bundesminister und einem sozialdemokratischen Bildungsdirektor wird ein pinker Bildungsstadtrat wohl auch eine kluge Politik betreiben. Als Antwort auf ein sicheres Unterrichtskonzept wurden bisher Kaffeehäuser als fliegende Lernräume im Zentrum Wiens angeboten. Für Schüler*innen in den dicht besiedelten Bezirken gibt es bisher aber kein Angebot. Wenig Zustimmung finden die fliegenden Klassenzimmer in nicht benutzten Hotels, da das Lehrpersonal nicht angemessen aufgestockt wurde.
Zum Jahreswechsel haben viele 2020 mit dem mittlerweile geflügelten Wort „Schleich di, Du Oaschloch“ verabschiedet und hoffen, geleitet durch die Nachrichten zur Impfung gegen das Virus, das uns letztes Jahr gefangen genommen hat, auf eine bessere Zukunft. Selbst wenn die Streitigkeiten um die Impfstrategie beseitigt werden können, werden wir aber noch lange an den Folgen dieser Krise zu arbeiten haben. Die Erfahrungen aus dem letzten Jahr haben uns aber gezeigt, wie fragil unser politisches System ist.
VI. Conclusio
Der Freiheit, selbst wählen zu können, und so die Schmied*in des eigenen Glücks zu sein, laufen sowohl die Einschränkungen im Lockdown, aber auch alle vermeintlichen Wahlmöglichkeiten, die wegen anderweitigen Abhängigkeiten nicht möglich sind, zuwider. Erst wenn wir das erkennen, werden wir begreifen, dass die Neoliberalen gerade unter diesen schwierigen Bedingungen wahrlich keine Sendepause haben!
KATHARINA RANZ ist Logistikerin, Bezirksrätin und seit Jänner 2020 Vorsitzende der Margaretner Bildung der SPÖ.