Der Beitrag von PETRA MISSOMELIUS führt in die Grundlagen des Hackings ein und zeigt wie in einer polarisierten Gegenwart verschiedene Formen des Medienaktivismus dabei dienen können, Widerstand zu leisten …
I. Black Boxes und Technofaschismus
Neben der derzeit allseits gepriesenen kreativ-innovativen Anwendung von Medien und -technologien, ist eine essenzielle Bildungsaufgabe, die das Themenfeld digitale (Medien-)Technologien betrifft, die Entzauberung dessen, was in der Theoriebildung oftmals die „Black Box“ (Winkler 2014) genannt wurde. Denn schon das Problem bei den Massenmedien war es, dass das innewohnende Technische unsichtbar wird und die Nutzung ohne jegliche Kenntnisse möglich ist. Vilém Flusser formulierte sogar die Befürchtung, dass ein „Technofaschismus“ (Flusser 1987: 149) drohe, wenn die Technologien zugrunde liegenden technischen und gesellschaftlichen Strukturen, Organisationsprinzipien und Logiken nicht hinterfragt und reflektiert werden, d. h. mediale Wirklichkeiten hingenommen werden. Die brennenden Fragen des Datenschutzes, die mit der Nutzung so populärer Anwendungen wie WhatsApp und Facebook verbunden sind, haben uns dies deutlich vor Augen geführt. So geläufig auch die Formulierung „kritisch-reflexiver Umgang mit Medien“ im aktuellen Diskurs um „Digitale Bildung“ ist, ebenso formelhaft wie zahnlos erscheint ihre Umsetzung in der Praxis und wird von verschiedenen Akteur*innen ganz unterschiedlich verstanden. Die Bedeutungsbreite erstreckt sich von persönlicher Mediendiätetik über Manipulationsimmunisierung, Selbstbeobachtung und Achtsamkeit, ästhetischer Analyse, Kommunikationsregeln bis hin zu ökonomischen und datenschutzrechtlichen Fragen.
II. Cultural Hacking als Selbstsorge
Im Verständnis der Selbstsorge (Wunden 2006) ist Kritik als Tugend mit der Infragestellung von Regeln des Gehorsams verbunden, denen sich das Subjekt zu unterwerfen habe. Das „Wahr-Sagen“ der Parrhesia kann seinen Ausdruck in der Narretei oder dem Kabarett finden. Diesen Gedanken kann man durch die spielerische Verwendung medialer Logiken im „cultural hacking“ (Düllo & Liebl 2005) fortführen. Die hackende Person ist eine, die in der Lage ist, einen Code zu knacken, welcher Art dieser Code auch ist: sprachlich, sozial, psychisch oder technisch. Insofern handelt es sich um eine spielende Figur, die durch Interventionen Diskurse in Bewegung bringt. Hacking in der Medienkultur richtet sich auf Strukturen, Netze, Protokolle und Praktiken, d. h. an Medien als soziotechnische Infrastrukturen, die in weitere gesellschaftliche Strukturen eingebettet sind. Ihre politische Reichweite gilt somit der Möglichkeiten zur latenten Beeinflussung von Diskursen (Pias 2011).
III. Bekannte Beispiele des Cultural Hacking
Beispiele für diese Art des Cultural Hacking sind etwa Orson Welles Radiohörspiel einer imaginären Invasion durch Marsianer (1938), Jan Böhmermanns Check des Varoufakis Mittelfinger-Videos (2015), Aktivitäten der Yes Men (vgl. http://theyesmen.org/) oder des Zentrums für Politische Schönheit (vgl. https://www.politicalbeauty.de/index.html). Gerade das letztgenannte Künstlerkollektiv hat in den letzten Jahren die Wirkmächtigkeit dieser Form von Medienaktivismus deutlich gemacht. Die zuletzt wohl bekannteste Aktion dürfte die Errichtung einer Miniatur des Holocaust-Denkmals in Björn Höckes unmittelbarer Nachbarschaft und dem damit ausgelösten Diskurs sein – jenes AfD-Politikers, der dieses als ein „Denkmal der Schande“ bezeichnete. Das Hacking bewegt sich hier – und das ist den vorgenannten Beispielen jeweils gemeinsam – auf unterschiedlichen Ebenen: einerseits auf der inhaltlichen Ebene, indem Argumentationsmuster aufgenommen und antizipiert werden, andererseits nutzen sie mediale Formen und imitieren diese zu ihren jeweiligen Zwecken, womit sie eine sehr hohe Aufmerksamkeit generieren. Sobald deutlich wird, dass es sich um eine spielerische Nutzung medienkultureller Muster handelt, werden diese Selbstverständlichkeiten für einen Moment erschüttert und die jeweilige Botschaft erhält weitaus mehr Aufmerksamkeit als dies auf klassischem Wege möglich gewesen wäre.
IV. Cultural Hacking als widerständige Praktik
Dabei geht es keineswegs um illegale Vorgänge und schädigenden Medieneinsatz, sondern um eine Form des Medienaktivismus als ein Beherrschen medialer Codes und Logiken. Hacking bewegt sich entlang von Grenzen, die nicht unbedingt transparent sein müssen, am Grat zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, Benutzen und Programmieren, Sinn und Sinnlosigkeit. In den Mainstream-Medien wird gerne eine Diskreditierung von hacking durch negative Konnotationen mit cracking (dem Rauben und Zerstören von Daten und digitalen Netzen), Gesetzesbruch und der Fixierung auf den destruktiven Umgang mit Daten verwendet, welche die Geschichte und Hintergründe der Hacking-Bewegungen außer Acht lassen, welche aus den Bastler*innen der 1950er-Jahre hervorging, die die Grenzen der neuen Technologie ausloteten. Derartige Verunglimpfungen des Hacking als gewaltvoll-zerstörerisch geschehen nicht selten, um Voraussetzungen für fortschreitende Kontrolle zu schaffen und Sicherheitsmaßnahmen zu rechtfertigen.
Gegenstrategien zur Überwachung und Kontrolle wie counterveillance oder sousveillance würden in dieser Perspektive Ermächtigungsprozesse im Sinne informationeller Selbstbestimmung bedeuten. Schließlich waren es die Hacker, die schon früh über Themen wie Datenethik nachdachten. Cultural Hacking ist in der digitalen Medienkultur Ausdruck für mediale Bedingungen und ermöglicht widerständige Praktiken. Die Form politischen Protests macht sich die Logik der Netzwerkmedien zu eigen, greift Konventionen kommerzieller Medienkulturen auf und stellt diesen eigene Entwürfe gegenüber. Dies geschieht innerhalb der Mediennutzung, nicht aus einer kulturpessimistischen Abwehrhaltung. Zentral hierfür sind das Verstehen von Funktionslogiken, von kulturellen Skripten und des Umgangs mit medienkulturellen Codes. Damit bewegt sich das Hacken der Codes digitaler Medienkulturen auch im Bereich der politischen Bildung.
V. Widerständigkeit und Bildung
Nun geht es nicht darum, cultural hacker auszubilden, sondern das Prinzip des Cultural Hacking als eine kritische Perspektive in Bildungskontexten zu nutzen. Hartmut Winkler (Winkler 2014: 16) legt im Zusammenhang mit der Black Box im Rahmen der Automatismenforschung drei Dimensionen dar, die mir hier ebenfalls relevant erscheinen:
- Verborgenes zugänglich zu machen (d. h. auch Verarbeitungsroutinen, technische Abläufe und damit auch inhaltliche Strukturierungen und Priorisierungen zu verstehen),
- Fragen der Beobachtung und der Beobachtbarkeit: wem ist es wo und wie möglich die Black Boxes zu öffnen?
- die Beschäftigung mit vermeintlich unbewusster Mediennutzung und unreflektierten Medienpraktiken.
Kritik als Dissens (vgl. Butler 2011) drückt sich in widerständigen Praktiken aus. Dieser Dissens wiederum muss durch bildungsinstitutionelle Unterstützung ermöglicht werden. Könnte Medienbildung als „Operationsmesser, Molotow-Cocktail(s) oder unterirdische Stollen“ innerhalb des Bildungssystems zur Veränderbarkeit erstarrter und bürokratisierter Organisationsstrukturen formeller Bildungsinstitutionen fungieren, so wie Foucault dies für seine Bücher wünschte (Foucault 1976: 129)? Die dringliche Frage angesichts der Transformationsdynamiken der „Wissensgesellschaft“, in welcher Wissen als berufsqualifizierendes Ansammeln von Informationen (miss-)verstanden wird, ist sicherlich, welche Art von Wissensformen und -praktiken subversiven Wissens aufgeboten werden können, um dem Anspruch einer zukunftsfähigen Bildung zu genügen.
PETRA MISSOMELIUS ist Medienwissenschaftlerin und arbeitet seit 2012 an der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck, die seit 2017 den Lehramt-Studiengang „Spezialisierung: Medienpädagogik“ und seit 2020 die Wahlpakete „Medienpraxis“ sowie „Medien und Kommunikation“ anbietet.
Dieser Beitrag erschien erstmalig in MEDIENIMPULSE 2/2018 und kann in dieser älteren Version hier heruntergeladen werden: https://tinyurl.com/3g5l3dqr.
Literatur
Butler, Judith (2011): Kritik – Dissens – Disziplinarität, Zürich: Diaphanes.
Düllo, Thomas/Liebl, Franz (2005) (Hg.): Cultural Hacking: Kunst des Strategischen Handelns, Wien/New York: Springer.
Flusser, Vilém (1987): Die Schrift. Hat Schreiben Zukunft? 5. Aufl.,
European Photography: Göttingen (2002).
Foucault, Michel (1976): Mikrophysik der Macht, Berlin: Merve.
Pias, Claus (2002): Der Hacker, in: Horn, Eva/Bröckling, Ulrich (Hg.): Grenzverletzer. Figuren politischer Subversion, Berlin: Kadmos, 248–270, online unter: https://www.uni-due.de/~bj0063/texte/hacker.pdf (letzter Zugriff: 16.02.2021).
Winkler, Hartmut (2014): Black Box und Blackboxing – Zur Einführung (Vortragsmanuskript), online unter: http://homepages.uni-paderborn.de/winkler/gk-black.pdf (letzter Zugriff: 16.02.2021).
Wunden, Wolfgang (2006): Selbstsorge als Quelle kritischer Kompetenz, in: Niesyto, Horst (Hg.): Medienkritik heute. Grundlagen, Beispiele und Praxisfelder, München: kopaed (Medienpädagogik interdisziplinär, 5), 87–99.
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