Waffenstarrende Grenzen mit Stacheldraht? Angesichts der EU-Wahl 2024 analysiert IRMTRAUT KARLSSON die bedenkliche Entwicklung Europas im Bereich der Sicherheitspolitik und fragt nach einer angemessenen (feministischen und pazifistischen) Rolle der Landesverteidigung in einem vereinten Europa.
I. Einleitung
Weil wir zwar alle unsere Nachbarländer in die EU aufgenommen haben, aber ihnen dennoch nicht trauen können oder wollen? Weil das Schlepperwesen ein lukrativer Wirtschaftszweig geworden ist? Auch wenn Ursula von der Leyen und Annalena Baerbock noch so lustig aus den Kampfjets herauslachen, auch wenn Frau Tanner es ihnen nachmacht und eine fröhliche Partie im frisch gekauften Panzer mitmacht, da gibt es nichts zu lachen, das sind tödliche Waffen, die ungeheures Leid über Menschenbringen können.
„Kriegstauglich“ sollen also auch Heer und Österreichs Gesellschaft werden. In Gernot Bauers Profil-Leitartikel Land der Luschen vom 09. März 2024 wird genau das gefordert. Sind wir schon wieder im verhängnisvollen Zustand, den die Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner 1896 beschrieb:
„Nicht den Frieden zu erhalten, sondern ihn erst zu schaffen gilt es, denn wir haben keinen, wir leben im Rüstungskrieg, in einem auf Dauer unhaltbaren Waffenstillstand.“
Haben uns zwei Weltkriege mit den deutschen „Nicht-Luschen“ nichts gelehrt? Sollten wir uns als kleines neutrales Land nicht eher an der Schweiz orientieren, statt mit der NATO mitspielen zu wollen?
II. Friedensbewegt?
Die Hoffnung der Friedensbewegung, dass durch das Auflösen der Blöcke des Ost-West-Konfliktes, die Chance für eine friedlichere Welt gegeben sein würde, hat sich nicht erfüllt. Nationalistische Konflikte und lokale Auseinandersetzungen prägten die Situation des sich auflösenden Sowjetimperiums. Im Dezember 1991 riefen die SPÖ-Frauen zu einer Kundgebung für den Frieden im ehemaligen Jugoslawien auf. Die SPÖ-Frauen hatten immer das Leid der Zivilbevölkerung im Blick wie bei der Hilfsaktion des Frauenministeriums: Kriegsopfer – vergewaltigte Frauen. Im Frühjahr und Sommer 1994 wurde versucht, mit der Aktion „Wo sind sie geblieben“ auf die verschwundenen Familienangehörigen in allen Teilen des ehemaligen Jugoslawiens aufmerksam zu machen. Als 1995 die französische Regierung trotz internationalem Protest an den Atomtests im Pazifik festhielt, reihten sich die SPÖ-Frauen in die Protestaktionen ein und veranstalteten einen eigenen Frauenfriedensmarsch gegen Atomtests. Danach nahmen die Aktivitäten merklich ab. Bei der Durchsetzung des Verbots von Antipersonenminen, das von einer breiten Basis von Organisationen getragen war, zeigten die SPÖ-Frauen wohlwollende Zustimmung, aber organisatorische Absenz.
Auch der entschiedene Widerstand gegen Frauen im Bundesheer, bei der Bundesfrauenkonferenz 1995 noch vehement und eindeutig vertreten, war dahin. Dabei wäre gerade in der Auseinandersetzung um Neutralität und NATO, um Aufrüstung des Bundesheeres und um die Sicherheitsarchitektur Europas, eine starke pazifistische Stimme der SPÖ äußerst wichtig gewesen.
III. Krieg und Frieden
Bei jedem auftretenden Konflikt dominiert gegenwärtig die Kriegslogik, das heißt die Forderung nach militärischer Intervention und Waffenlieferungen setzt sich durch, obwohl bewiesen ist, dass dies langfristig zu nichts führt, Tod und Zerstörung bringt, und nur ein von allen Streitparteien akzeptierter Verhandlungsfrieden Erfolg haben kann. In Österreich haben wir die Chance, statt Militarisierung und Aufrüstung, den Schutz der Infrastruktur und der Zivilbevölkerung in den Vordergrund der Landesverteidigung zu stellen, wie Starkstromleitungen unter die Erde, Trinkwassersicherung usw.
Hier gäbe es auch für Frauen im Heer ein sinnvolles Betätigungsfeld in Planung und Logistik, statt Liegestütze, Hochsprünge und schnell laufen. Geworben wir jedoch mit dem Bild der stahlhelmbewehrten, bis zu den Zähnen bewaffneten Infanteriesoldatin. Sollen wirklich mehr Frauen auf Stil und Ausrichtung des derzeitigen Heeres besser zugerichtet werden – Schlagwort „Fit fürs Heer“ – oder sollte Struktur und Kultur des Heeres den Fähigkeiten, die die Frauen mitbringen, entgegenkommen. Um die vielzitierten „Cyberangriffe“ abzuwehren, braucht es halt etwas anderes als die gänzlich fitte Infanteristin.
In Österreich fehlt darüber hinaus die Einmischung der Frauenperspektive in der Neu- und Umorientierung des Heeres insgesamt. Ist das Bundesheer überhaupt schon in der Demokratie angekommen? Brauchen wir das Soldatenballett der Garde? Der Artikel Land der Luschen im Profil wendet sich natürlich nur an die Männer. Welchen „Mehrwert“ Soldatinnen für das Bundesheer bringen könnten, wird überhaupt nicht erwogen. Das Heer bleibt das Gewaltmonopol der Männer.
Mit dem Auseinanderbrechen des Warschauer Paktes begann auch innerhalb der SPÖ wieder eine Diskussion über Sinn und Zweck des Bundesheeres. Johanna Dohnal schaltete sich massiv in diese Diskussion ein. Sie hielt es vor allem für verfehlt, dem Militär Aufgaben wie Umweltschutz und Katastrophenhilfe zu übertragen. In diesem Zusammenhang lehnten die SPÖ-Frauen auch den im August 1990 beschlossenen Grenzeinsatz des Bundesheeres zur Sicherung des östlichen Grenzraums, realiter zur Bewältigung des Flüchtlingsstroms aus Osteuropa, ab. Hier wurden Grundwehrdiener missbraucht, um frierende, durchnässte Grenzgänger*innen, auch mit Kindern, aufzugreifen und der Polizei zu übergeben.
Realistischerweise schätzten die SPÖ-Frauen die Forderung nach einer unmittelbaren Abschaffung des Heeres innerparteilich als unmöglich ein, wiewohl es dazu eine von den Jugendorganisationen unterstützte Petition gab. Die SPÖ-Frauen forderten vielmehr ein Auslaufen und Umpolen des Heeres. Deshalb sollten Konfliktforschungs- und Friedenserziehungsprojekte verstärkt gefördert und die Gesellschaft entmilitarisiert werden. 1991 organisierte Johanna Dohnal ein Round-Table-Gespräch über die Zukunft der Landesverteidigung mit den Wehrsprechern der im Parlament vertretenen Parteien.
Die Bevölkerung hatte die humanitären und zivilgesellschaftlichen Aufgaben des Heeres akzeptiert: Eine Umfrage aus dem Profil vom 12. März 2012 zeigte, dass 78 % der Befragten als Hauptaufgabe des Bundesheeres den Katastrophenschutz sehen, nur 12 % die militärische Verteidigung und 6 % die Auslandseinsätze. Das Volk ist im Gegensatz zu den Militärs viel realistischer, es weiß, dass Österreich nicht von Feinden umgeben ist. Leider wird nun unter dem Titel „Sicherheit“ nur mehr militärische Aufrüstung propagiert.
IV. Conclusio: So viele Tote – sowenig Frieden
Ab 1996 gingen die Aktivitäten der SPÖ-Frauen in Bezug auf Frieden und Abrüstung zurück, nicht jedoch der Frauen insgesamt. Gerade bei der Kampagne gegen die Antipersonenminen waren sehr viele Frauen dabei. Doch zeigte sich das Bild der alten Friedensbewegung: viele Frauen in den Reihen und männliche Führung. Wenn auch die Friedens- und Abrüstungsorganisationen weiterbestehen, eine Massenbewegung sind sie nicht mehr.
Die Kriegslogik hat gegen die Friedenslogik gesiegt. Bei jedem auftretenden Konflikt dominiert heute die Forderung nach militärischer Intervention und Waffenlieferungen, obwohl bewiesen ist, dass dies zu nichts führt und nur ein von allen Streitparteien akzeptierter Verhandlungsfrieden Erfolg haben kann. Die Toten im Irak, in Afghanistan, in den Krisengebieten in Afrika werden nur mehr dann in internationalen Medien erwähnt, wenn sie die Zehner- und Hunderterstellen erreichen. Dasselbe gilt für Terroranschläge und Attentate. Starke funktionierende Demokratien mit Systemen sozialer Sicherheit beginnen keine Kriege. Die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union sollten solche staatlichen Strukturen haben. Leider sind die autokratischen Parteien wieder einmal im Vormarsch.
Gerade Feministinnen müssten sich jetzt offensiv dem wichtigsten Gewaltmonopol der Männer, dem Militär, zuwenden, sonst werden sie aufwachen und wieder wird ihnen nur mehr die Verwaltung des Elends überbleiben.
IRMTRAUT KARLSSON
ist Psychologin, Schriftstellerin und ehemalige Politikerin (SPÖ). Karlsson war zwischen 1987 und 1993 Mitglied des Bundesrates und von 1993 bis 1999 Abgeordnete zum Österreichischen Nationalrat. Sie war Generalsekretärin der Sozialdemokratischen Frauen und ist Vorsitzende „Steine der Erinnerung an die Opfer des NS-Regimes in der Josefstadt“.
Literatur
Bauer, Gernot (2024): Land der Luschen: Warum unser Pazifismus zum Problem wird, online unter: https://www.profil.at/meinung/land-der-luschen-warum-unser-pazifismus-zum-problem-wird/402811294 (letzter Zugriff: 04.04.2024).