„Ich verliere bei jedem Film ein paar Tropfen Herzblut“ Interview mit Veit Heiduschka geführt von HEMMA PRAINSACK und ALESSANDRO BARBERI

VEIT HEIDUSCHKA, Doyen der österreichischen Filmproduktion und Chef der Wega Film, diskutiert mit HEMMA PRAINSACK und ALESSANDRO BARBERI soziale Kontexte der Kunstform Film im Rahmen der österreichischen Zeitgeschichte. Dabei geht es auch um die Möglichkeiten des österreichischen Films im internationalen Rahmen. Ein Interview, das unseren Schwerpunkt Bildpolitik auf mehreren Ebenen bereichert.

Hemma Prainsack: Lieber Veit, wir freuen uns außerordentlich, mit Dir für die ZUKUNFT über Deine Arbeit am und für den österreichischen Film zu sprechen. Warum ist Österreich aus Deiner Sicht so ein schwieriges Land für Filmproduktionen?

Veit Heiduschka: Der Film ist in Österreich nie richtig angekommen. Es ging vor allem immer um Musik, Theater und Oper. Es wurden in den 1970er-Jahren kaum österreichische Spielfilme produziert. Die Filme, die Franz Antel zu dieser Zeit produziert hat, waren eigentlich der Tod des österreichischen Films. Antel hat zuletzt unter dem Namen François Legrand Softpornos gedreht. Ich kann mich an ein Gespräch wegen einer Koproduktion in Rom erinnern und man kannte den Herrn Antel aus Österreich gar nicht. Er ist aus diesen „Schmarrnfilmen“ nicht rausgekommen. Und da musste ein Bruch passieren …

H. P.: Gerade für Autor*innenfilme hast Du hierzulande viel geleistet. Sie mussten erst möglich werden …

V. H.: Wir mussten zuerst klar machen, dass Filmförderung nötig ist. Der Spiritus Rector war in diesem Zusammenhang Gerhard Schedl, der damals Chef des Verbands Kamera war. Außer Albanien gab es in Europa damals nur noch ein Land ohne Filmförderung, nämlich Österreich. Wir haben uns also zusammengetan, die ersten Besuche bei öffentlichen Ämtern und Politiker*innen gemacht und sind, weil wir nicht wahrgenommen wurden, in die Gewerkschaft eingetreten, um einen Background zu haben. Selbst die Schauspieler*innen waren dabei, auch Filmemacher wie Axel Corti oder Peter Patzak. Dann bereiteten wir uns also auf die Wahl des Vorstandes der Gewerkschaft Kunst, Medien und Freie Berufe vor. Normalerweise fand die Wahl mit nur elf oder zwölf Leuten in einem kleinen Zimmer im Gewerkschaftshaus statt.

Plötzlich standen 300 Leute vor der Tür und es dauerte eine Stunde, den großen Saal zu öffnen. Dann haben wir bis auf den Präsidenten alle abgewählt. Und ich war plötzlich im Vorstand der Gewerkschaft.Wir sind dann für unsere Anliegen viel gelaufen und wurden tatsächlich als Gesprächspartner akzeptiert. Es ging aber trotzdem nichts weiter. Eines Tages gingen wir zum Vorsitzenden der Gewerkschaft für Holz- und Bauarbeiter: „Kollege, wir sind die kleine Gewerkschaft Kunst, Medien und Freie Berufe, wir brauchen Unterstützung, vor allem Filmförderung zur Arbeitsplatzsicherung.“ Und er sagte: „Okay, wer will reden?“ „Kollege Schedl.“ Der Vorsitzende sagte: „Kollegen, die kleine Gewerkschaft Kunst, Medien und Freie Berufe braucht unsere Unterstützung. Darf der Kollege Schedl reden?“ Ein paar hundert Fäuste gingen hoch. „Liebe Kollegen, wir sind die kleine Gewerkschaft Kunst, Medien und Freie Berufe …“ Wie einen Psalm haben wir das immer vorgebracht. Und der Vorsitzende wieder: „Kollegen, sind wir dafür?“ Und die Fäuste gingen hoch. Wir sind daraufhin ins Taxi gestiegen und zum Parlament gefahren, wo uns jemand von der SPÖ entgegenkam: „Habt ihr gehört, die Holz- und Bauarbeiter sind auch dafür!“ Und dann wurde endlich das Filmförderungsgesetz beschlossen.

Damit stand aber auch die Frage im Raum: Was ist eigentlich der österreichische Film? Wir hatten keine Vorbilder: Es gab keinen Hans Moser und keine Hörbigers mehr, weshalb sich das erst entwickeln musste. Aber für uns gab es ein Credo: Es darf keine Kulturzensur geben. Alles ist zu akzeptieren, der kleine schmutzige Film genauso wie der staatstragende Film, die Komödie genauso wie die Tragödie. Ausgenommen waren nur Gewaltverherrlichung und Pornografie.

Der österreichische Film hat dann den internationalen Ruf bekommen, sehr viel „Seelenforschung“ zu betreiben. Wir hatten also langsam einen internationalen Touch. Aber der erste erfolgreiche Film war Müllers Büro (1986) von Niki List, der in der DDR auch über 2 Millionen Zuschauer*innen hatte. Ich habe im vergangenen Jahr in Berlin einen Journalisten getroffen, der meinte: „Ja, das war unser Film! Damals in der grauen DDR kam so etwas Freches, Buntes, Unverschämtes daher …“.

Marlene Ropac, Veit Heiduschka und Murathan Muslu
bei der Verleihung des österreichischen Filmpreises 2015
© Wikimedia Commons


H. P.: Das ist ein schönes Zeugnis für den österreichischen Film, dass er sehr modern und zukunftsgewandt sein kann und auch dazu beiträgt, die österreichische Seele zu beschreiben. Setzen wir noch einmal nach: Weshalb ist es in Österreich nach wie vor schwer, Filmförderung zu bekommen?

V. H.: Es wird zu viel gefördert! Das heißt, kulturell und wirtschaftlich können wir nicht 35, 40 Filme im Jahr machen. Da müsste man stärker aussieben und Bücher nur fördern, wenn sie ausgereift sind. Dazu brauchst Du aber echte Spezialist*innen, die das beurteilen können. Leider sitzen in den österreichischen Jurys inzwischen aber immer mehr Menschen, die Österreich nicht kennen. Ein Deutscher weiß aber meiner Meinung nach nicht, was der Wiener Schmäh ist. Ich kann das beurteilen, ich komme aus Deutschland. Ich würde nie in Finnland oder in Portugal in die Jury gehen, wo ich die Kultur nicht kenne. Ich würde danebengreifen! Ich bin viel auf Festivals herumgekommen und werde immer wieder gefragt: „Was sollen wir denn für Filme machen?“ Und ich sage stets: „Bitte solche, die Eure Kultur betreffen!“ In Estland, in Tallinn, haben sie mich kurz nach der Wende gefragt, was sie für Filme machen sollen: „Bitte keine amerikanischen Filme. Nehmt Themen aus Eurer Kultur, weil alles andere nicht interessant ist.“ Gleichzeitig muss ich, wenn ich international erfolgreich sein will, auch ein internationales Thema bearbeiten. Es gibt also „nationale“ und „internationale“ Themen. In Frankreich gelingt das sehr gut. Die haben ein bisschen mehr Geld für internationale Koproduktionen als wir, die haben ein besseres System, da funktioniert das Kino auch noch besser als bei uns.

H. P.: Es spielt auch mit, dass die französischen Zuseher*innen gewohnt sind, Eigenproduktionen zu sehen. Wenn aber zu wenig gezeigt wird, werden sie sich auch daran gewöhnen und es weniger einfordern. Ich denke, dass das Publikum eine essenzielle Rolle spielt …

V. H.: Ja, Frankreich hat eine starke filmische Vergangenheit. In den 1950er-Jahren war der französische Film Weltfilm, selbst die Amerikaner*innen haben abgekupfert. Das gab es bei uns nicht. Wir haben das Pech gehabt, dass wir vor und nach 1938 immer einen deutschen Einfluss hatten. Denn schon vor 1938 hat Deutschland bestimmt, welche Schauspieler*innen hier in Österreich in Filmen spielen durften. Vor dem Anschluss! Das heißt, sie haben jüdische Schauspieler*innen nicht zugelassen. Der Trick war einfach, weil Deutschland der große Markt war. Es hieß: „Wenn Du bei uns auf den Markt willst, dann musst Du uns die Bücher zeigen … welche Schauspieler, welche Sachen, welche Themen“.

Nach 1945 durften dann unter den Alliierten in Österreich nicht mehr als 10 Filme pro Jahr produziert werden. Sie wollten ihre eigenen Filme hier am Markt haben und Geld kassieren. Es sind damals auch viele russische Filme gezeigt worden, zum Teil auch sehr gute. Der österreichische Film hat es in gewisser Weise schwer gehabt. Und man hat auch nicht den Mut gehabt, radikale Filme zu machen. Dann gab es den Erfolg mit den Heimatfilmen. Interessanterweise sind sie dramaturgisch oft sehr gut gemacht. Unsere Nobelpreisträgerin, Elfriede Jelinek, hat mir einmal gesagt: „Ich schau mir diese Heimatfilme an, weil sie dramaturgisch gut gebaut sind!“.

H. P.: Du meintest in einem Interview mit RAY, dass ein Drehbuchautor Grundkenntnisse der Philosophie mitbringen sollte.

V. H.: Philosophie ist vielleicht zu hoch gegriffen, aber es geht um Lebenserfahrung. Denn es ist gut, wenn der Autor Gesellschaftsprobleme anders sieht, als sie in den Zeitungen dargestellt werden. Bei mir war einmal ein Amerikaner, der gesagt hat: „Wissen Sie, Herr Dr. Heiduschka, an der Filmschule in Los Angeles werden am Schneidetisch die Filme von Haneke seziert, um zu sehen, wie er schneidet.“ Interessant, nicht? Wir haben den österreichischen Film international schon populär gemacht. Ich hatte das Glück, in den 1980er-Jahren viel in Hollywood zu sein und kannte da einen großen amerikanischen Produzenten, der Blake-Edwards-Filme finanziert hat, die Rosaroten Panther-Streifen, und er hat mir damals gesagt: „Weißt Du, wenn Du Actionfilme machst, kündige ich Dir die Freundschaft. Das könnt ihr nicht, weil ihr weder die Leute noch das Geld dazu habt! Die sogenannten psychologisierenden Filme könnt ihr Europäer*innen besser als wir. Das ist dein Feld. Da setz dich drauf!“

Alessandro Barberi: Du hast ganz in diesem Sinne mit der Wega Film sehr viele Filme mit Michael Haneke gemacht. Was macht denn Haneke zum Teil der österreichischen Filmgeschichte und wie kam es zur Zusammenarbeit?

V. H.: Mich rief eines Tages der Chef der Filmförderung an und sagte: „Herr Heiduschka, wir haben hier ein Drehbuch, ich glaube, das würde Ihnen gefallen. Alle anderen österreichischen Produzent*innen haben abgelehnt.“ Ich habe das Drehbuch an einem Abend in einem Zug gelesen und kurz nach Mitternacht war mir klar, das ist toll, das ist finanzierbar, das mache ich. Es ging um Hanekes Der siebente Kontinent (1989). Eine kleine, starke Geschichte. Ich musste dafür kämpfen, weil der ORF nicht gleich fördern wollte und weil darüber hinaus viel Eigenkapital erforderlich war. Ich habe die ersten Filme mit Haneke gemacht habe, ohne einen Cent dabei zu verdienen.

H. P.: Wie schafft man das dann?

V. H.: Die Wega Film hat damals viel Werbung produziert und die Gewinne der Werbung verwendet, um Haneke aufzubauen. Namen werden nicht geboren, sie werden gemacht. Haneke war relativ unbekannt und wir hatten das Glück, dass der erste Film bei der Quinzaine des Réalisateurs in Cannes war. Bei der Pressekonferenz waren außer den österreichischen Journalisten und dem ORF niemand zugegen. Dem Leiter Pierre-Henri Deleau hat der Film gefallen, er hat Haneke gemocht und ihn dann mitgenommen. Michael Haneke ist ein Jahr lang mit dem Film um die Welt gereist. Tokio, Thessaloniki, Toronto etc. Das waren seine Zeit und mein Geld. Ein Jahr später haben wir den nächsten Film in Cannes gehabt. Wir kamen zur Pressekonferenz und der Raum war nicht groß genug, um die internationale Presse aufzunehmen, weil Haneke schon so bekannt war.

H. P.: Du hast auch viel für die Nachwuchsförderung gemacht. Film kann etwas, was die Zeitung nicht kann: Vielleicht ist das auch eine ganz wichtige Aufgabe, die Film leisten muss, nämlich durch das Filmische auf Dinge aufmerksam zu machen, die sonst nicht gesehen werden …

V. H.: Absolut. Wir haben damals schon Anfang der 1980er-Jahre gesagt, okay, es gibt den kleinen Film, den Experimentalfilm. Daneben muss es eine Spielwiese geben, wo Leute sich entwickeln können, aber nicht im Kino laufen müssen. Jetzt will man eine neue Förderungsschiene für Nachwuchsfilm. Wir haben das, wir müssten es nur ausbauen, es geht eigentlich nur um Geld. Und hier werfen wir auch dem ORF vor, dass er lange nichts getan hat. Die Deutschen haben das Kleine Fernsehspiel, das ist eine Spielwiese, wo man Leute heranziehen und mal handwerklich arbeiten lassen kann.

Heute haben wir ein Problem, wenn die jungen Leute mit der Filmakademie fertig sind – was dann? Wir können 80, 90 oder 100 Regisseur*innen keine Arbeit zum Leben verschaffen. Ich habe mit der Deutschen Filmförderung ein Gespräch gehabt, sie haben jedes Jahr 70 bis 80 neue Regisseur*innen aus den Akademien, die die Branche nicht benötigt und von denen nur wenige von diesem Beruf leben können. Das ist eine unfaire Sache den jungen Leuten gegenüber. Wir bilden sie aus und können sie nicht beschäftigen. Wir produzieren auch in Europa zu viele Filme. Die letzte Zahl, die ich im Kopf habe, ist, dass in Europa zwischen 1.500 und 1.800 Filme im Jahr herauskommen und das durch 365. Das ist auch der Grund, warum oft 80 Prozent der nationalen Filme die Grenze nicht verlassen.

H. P.: Das Filmgeschäft ist eben auch eine Industrie und Film schafft viele Arbeitsplätze …

V. H.: Ja, in Wien sind beim Film ca. 10.000 Menschen beschäftigt, direkt und indirekt, das ist mehr als in allen Supermärkten Österreichs. Wir sind nicht nur Kultur, wir sind auch ein Wirtschaftsfaktor. Aber die Politik drängt uns immer in die Ecke Kultur. Da wird vergessen, dass wir auch Umsätze machen. Die Schauspieler*innen und die Filmschaffenden und alle ringsum zahlen Steuern und in die Krankenkasse ein. Und wenn wir zum Beispiel ausländische Schauspieler*innen hier haben, bleiben die abends nicht in den Hotels, die geben viel Geld aus. Bei dem Film Die Drei Musketiere (1993) von Stephen Herek sollten hier ursprünglich 100 Millionen Schilling ausgegeben werden. Die Filmproduktion hat von der Filmförderung Wien damals 18 Millionen Schilling bekommen, der Finanzstadtrat Hans Mayr, Chef der SPÖ Wien, hat uns das Geld gegeben. Und am Schluss wurden ganze 220 Millionen in Wien ausgegeben. Mayr hat gesagt: „Ich küsse euch die Hände. Was ihr allein über die Werbung mit dem Film weltweit erreicht habt, da müsste ich meiner Fremdenverkehrswerbung das Doppelte und Dreifache an Geld geben“.

Das war auch eine andere Generation, die wusste, was man mit diesem Geld machen kann. Auch hat sich in Österreich die Sozialistische Partei immer mehr für Film engagiert als die Volkspartei. Und ohne Franz Vranitzky hätten wir die Filmförderung sicher nicht bekommen. Auch der damalige Kulturminister Fred Sinowatz hat uns sehr geholfen. Er wollte ein Film-Fernseh-Abkommen, d. h., dass sich der ORF am Kinospielfilm finanziell beteiligen sollte. Der ORF lehnte dieses ab. Der ORF sendete damals rund 2.000 Spielfilme im Jahr und wir haben Sinowatz dann geraten, er möge dafür sorgen, dass der ORF für jeden Film 15.000 Schilling in einen Topf einzahlt. Dann hat der ORF einem Abkommen zugestimmt. Leider hat der ORF damals erreicht, dass er die Lizenzrechte der geförderten Filme für immer und ewig bekommt, was für die Produzent*innen sehr ungünstig ist, zumal auch viele Filme gar nicht vom ORF ausgestrahlt werden, sondern nur einfach herumliegen.

Früher wurden durch den ORF bis zu 28 Fernsehspiele im Jahr hergestellt, teilweise sehr gute wie Eine Blassblaue Frauenhandschrift (1984) von Axel Corti. Es wurde sehr viel österreichische Literatur verfilmt, was heute nicht mehr passiert. Damit könnte man international durchaus wieder reüssieren. Aber das ist wahrscheinlich zu teuer, denn in der Regel bekommen die Produzent*innen für einen Fernsehfilm nicht mehr als 1,5 oder 1,8 Millionen pro Film. Das weiße Band (2009) von Haneke hat 12 Millionen Euro gekostet. Während einer Pressekonferenz zu Caché (2005) kam jemand vom ORF zu mir und sagte: „Du, wir haben dem Haneke mal ein Drehbuch in Auftrag gegeben, Das weiße Band, aber wir können das nicht finanzieren. Kannst Du Dich der Sache annehmen?“ Der ORF ist nicht in der Lage, ein Projekt mit 12 oder 15 Millionen zu finanzieren. Selbst wenn er 8 Millionen pro Projekt dazugibt, bekommt er keine Partner*innen, die mit 4 oder 5 Millionen mitgehen wollen, bei einem österreichischen Thema. Und wenn wir bedenken, dass der Fernsehfonds Austria seit der Gründung noch immer dieselbe Summe zur Verfügung hat, und wenn ich jetzt an die Geldentwertung denke, jedes Jahr allein ein neuer Kollektivvertrag mit 1,5 oder 2,5 % Erhöhung … da ist das Geld nicht mehr so viel wert. Die Fördermittel müssten kontinuierlich miterhöht werden. Aber es kümmert sich in der Politik kaum jemand darum. Damit kann man keinen Blumentopf gewinnen (lacht).

H. P.: Es zeigt sich an Deiner Arbeit, dass Du immer regen Austausch gesucht und gefunden und immer alle an einen Tisch gebracht hast. Wie sieht dieser Austausch mit Politik und Filmförderung heute aus?

V. H.: Tatsache ist, dass die Förderungen die internationalen Erfolge des österreichischen Films nicht mit Erhöhungen würdigt. Nach wie vor ist der österreichische Film im eigenen Land nicht so anerkannt, wie er dies im Ausland ist. Für die Politik ist Film kein wichtiges Thema. Ich produziere keinen Film und sage, ich will den Oscar damit bekommen, aber ich produziere einen Film und will, dass er so gut als möglich wird. Wenn ich Glück habe, hat der Film eine Tendenz und trifft einen Trend. Und bei großen Filmpreisen wie dem Oscar gehört auch Glück dazu. Nachdem wir den Oscar gewonnen hatten, wurden selbstverständlich Haneke und sein Team von den Politiker*innen eingeladen und gefeiert. Aber dadurch hat sich die Filmförderung für mich nicht verbessert.

H. P.: Auf Deinem Ausweis der Academy of Motion Picture Arts and Science steht: „Movies help bridge cultures. Thank you for being part of our global community.“ Und es ist auch wirklich wahr, dass Filme Brücken zwischen den Kulturen bauen und auch viel zum gegenseitigen Verständnis beitragen. Welche Rolle hat in Deinem Leben die Tatsache gespielt, dass Du als Deutscher nach Österreich gekommen bist?

V. H.: Ich habe Österreich viel zu verdanken. Ich komme aus der DDR. Mein Vater war politischer Gefangener. Seine Verhaftung hat damals auch mir nicht gutgetan, denn ich durfte kein Abitur machen, weil die Eltern aus politischen Gründen angeblich nicht tragbar waren. Für mich war vorgesehen, dass ich Schlosser oder Maurer werde. Mein Großvater war als Sozialdemokrat im KZ gewesen und hatte den Konsum mitgegründet. Er hat sich für mich eingesetzt und erreicht, dass ich ausnahmsweise im Konsum die Lehre zum Einzelhandelskaufmann absolvieren durfte.

1956 verließ ich die DDR und flüchtete nach Westdeutschland. Dort habe ich neben meiner Arbeit eine Abendschule besucht und abschließend die Prüfung als Industriekaufmann absolviert. Im Herbst 1959 kam ich dann nach Wien. In Wien habe ich dann die Externist*innen-Matura gemacht, was insofern schwierig war, weil ich meinen Lebensunterhalt in diesen Jahren selbst verdienen musste.

H. P.: Wie hilft man sich in diesen Situationen?

V. H.: Ich wollte wirklich studieren. Ich habe mir gesagt, ich lasse mir all das von den Kommunist*innen nicht aufzwingen. Und wenn Dir das klar ist, tut es auch nicht weh, mal acht Tage nichts zu essen. Damals habe ich im 5. Bezirk, in Margareten, gewohnt und bin oft zu Fuß zur Universität Wien und wieder zurück, weil ich mir die Straßenbahn nicht leisten konnte. Es gab noch Kondukteure, Schaffner. Schwarzfahren ging also nicht. Das ist vielleicht auch ein Grund, warum ich heute noch so einigermaßen gesund bin, ich hatte viel Bewegung und habe sehr bescheiden gelebt. Aber ich habe es durchgestanden. Und ich möchte mein Studium nicht missen, weil es mir in meinem späteren Beruf sehr geholfen hat, man bekommt einen anderen Blickwinkel.

Nach dem Studium wollte ich eigentlich zum ORF und fragte einen Studienkollegen, wie ich beim ORF reinkomme, und er fragte: „Hast Du jemanden, der politisch anschiebt? Sonst hast Du keine Chance. Aber geh zu jenen Filmproduzenten, mit denen ich gearbeitet habe und sag ihnen einen schönen Gruß von mir, vielleicht kommst Du wo unter.“

Also habe ich am 1. März bei einer Filmfirma begonnen und in der zweiten Maiwoche begannen wir die Dreharbeiten einer internationalen Koproduktion mit Italien. Mein Produzent ging mit seiner Frau auf Urlaub und ließ mich mit den ausgekochten Profis allein zurück. Ich habe allerdings die ganzen Verträge gemacht und die Finanzierung mit dem deutschen Verleih. Als er zurück und alles so gut gegangen war, machte er mich zum Geschäftsführer und Teilhaber. Nach einer gewissen Zeit bemerkte ich jedoch, dass es doppelte Buchhaltung gab – und ich habe in einer halben Stunde meinen Schreibtisch zusammengepackt, bin gegangen und Freelancer geworden.

H. P.: Musstest Du in der Folge für die Filmförderung auch öffentlichen Druck ausüben?

V. H.: Mir fällt dazu eine Geschichte ein: Es gab die kleine Filmförderung der Stadt Wien und die haben den Fehler gemacht, mich dort hineinzuberufen. Ich kam zur ersten Sitzung und fand etwa zehn Leute vor. Herr Dr. Steppan, die rechte Hand von Helmut Zilk, war auch dabei und ich frage so naiv: „Wie viel Geld haben wir denn im Jahr?“ – „Fünf Millionen Schilling.“ – „Herr Dr. Steppan, das können Sie freihändig vergeben, da brauchen Sie keine Expert*innenkommission. Ich sag Ihnen was, wenn sich das nicht ändert, muss ich was unternehmen, dann mach ich eine Pressekonferenz.“ Und dann spielte man mir die Bilanz der MA7 zu, der Kulturabteilung der Stadt Wien, und da gab es über 300 Millionen für Rundfunk und Fernsehen. Die Stadt Wien hat damals wohl den ORF indirekt gefördert. Zur nächsten Sitzung kam Stadträtin Ursula Pasterk und ich habe gesagt, dass ich eine Pressekonferenz machen will, wenn es für die Filmförderung der Stadt nicht mehr Geld gibt. Wir hatten daraufhin einen Termin bei Finanzstadtrat Mayr. Er war toll, sein Gehirn funktionierte wie ein Computer. Ich habe ihm gesagt, welche Projekte wir haben und er wollte wissen, wie viel wir haben wollen und ausgeben werden. Er hat alles durchgerechnet und am Ende des Tages hatten wir 75 statt nur 5 Millionen!

A. B.: Und welche Rolle spielte die SPÖ im Rahmen der Filmförderung insgesamt?

V. H.: Franz Vranitzky war oft hier in meinem Büro, weil ich Belangsendungen für die Partei gemacht habe. Ich bin auch deshalb als Roter verschrien, aber nie Parteimitglied gewesen, weil ich aus der DDR kam und mir sagte, wenn ich einer Partei angehöre, muss ich auch parteiisch sein, das will ich nicht, ich will auch Kritik üben können. Wie ich schon erzählt habe, ist mein Großvater als Sozialdemokrat im KZ gewesen, deshalb brauche ich auch nicht breit erzählen, dass da eine innere Bindung existiert. Ich konnte Dr. Vranitzky also sagen, dass die Filmförderung zu wenig Geld hat. So bekam ich einen Termin bei Finanzminister Ferdinand Lacina, um eine Erhöhung zu erreichen. Auf das Gespräch habe ich mich sehr gut vorbereitet, um deutlich zu machen, wie wichtig der österreichische Film ist und dass er die beste Visitenkarte des Landes sein kann.

Franz Vranitzky und Veit Heiduschka © Aus dem Privatarchiv von Veit Heiduschka

Ich kam also zu Minister Lacina, hatte den Chef der Filmförderung dabei und Franz Novotny als Vertretung der Filmschaffenden, der Regisseure, und versuchte zu erklären, wie wichtig … Ferdinand Lacina hat mich gleich unterbrochen und gefragt: „Herr Dr. Heiduschka, die Frage ist: Wollen wir oder wollen wir nicht? – Ich bin der Meinung: Wir müssen! Wie viel Geld habt ihr?“ Meine Antwort: „50 Millionen Schillinge!“ – „Wie viel braucht ihr?“ – Meine Antwort: „100.“ – „Okay, was gibt es für Folgekosten?“ – „Es gibt die kleine innovative Förderung.“ – „Was haben die?“ – „Die haben 8 Millionen.“ – „Und was brauchen die?“ – „24 Millionen.“ Und damit war die Sache abgemacht und wir konnten Kaffee trinken.

Franz Vranitzky hat uns bereits sehr geholfen, als wir die Filmförderung durchbringen wollten. Er stellte uns Rudolf Scholten an die Seite, der uns beraten hat, wenn es darum ging, wie wir dahingehend politisch vorgehen sollten. Die Unterstützung der österreichischen Filmförderung kam hauptsächlich von der SPÖ, vor allem von Dr. Vranitzky und Minister Sinowatz. An dieser Geschichte sieht man, dass im Filmgeschäft gekämpft werden muss. Für jeden einzelnen Film muss man wieder kämpfen. Man muss mit dem Herzen dabei sein und ich verliere bei jedem Film ein paar Tropfen Herzblut.

H. P.: Können die Jungen, also die nächste Generation, heute noch kämpfen?

V. H.: Das Problem ist, sie kämpfen schon, aber meistens nur für sich. Es gibt im Grunde keine Gemeinschaft der Filmschaffenden mehr. Oft habe ich den Eindruck, dass sie über Leichen gehen. Die Produzent*innen haben in den 1980er-Jahren noch stärker zusammengehalten … Ich bin mit Michael Wolkenstein, mit dem ich im Fachverband tätig war, immer für die Branche gerannt und wir haben gemeinsam für die Sache der Branche gekämpft. Wir haben gesagt: Wenn es der Branche gut geht, geht es uns auch gut. Heute arbeiten leider viele nur für sich – aber selbstverständlich gibt es Ausnahmen.

A. B.: Und wie würdest Du in der ZUKUNFT über die Zukunft des österreichischen Films urteilen? Wie schätzt Du sie ein?

V. H.: Ich glaube, dass die Verwertbarkeit von Filmen auch angesichts der Streaming-Dienste davon abhängt, dass ein Film auf internationaler Ebene nur finanziert werden kann, wenn er in Japan genauso funktioniert wie in Argentinien oder Schweden. Das heißt, man braucht ein universelles Thema, wie bei der österreichischen Fernsehserie Freud (2020) von Marvin Kren. Freud ist als Thema international. Normalerweise braucht man entweder einen international bekannten Regisseur oder ein oder zwei internationale Stars. Da können wir in Österreich nicht gut mithalten. Wir werden uns auf die Größe des Landes reduzieren und unsere eigenen Filme produzieren müssen, die dann eben auch nur in Österreich funktionieren. Dabei sollten wir nicht davon ausgehen, dass wir mit unseren Filmen die Welt niederreißen. Da wird zwischendurch sicher auch ein Film dabei sein, der etwas Universelles berührt. Ich denke an Hanekes Amour (2012), der davon handelt, wie wir mit Demenzkranken umgehen. Ein Problem, dass annähernd alle berührt, weil es in fast jeder Familie schwierige Krankheitsfälle gibt. Das Thema war international und hatte mit Michael Haneke auch einen Regisseur, der einen international bekannten Namen hat. Das heißt aber, dass wir Filmbudgets nicht einspielen werden. Ohne eine staatliche Förderung würde es keine österreichische Filmindustrie und Filmkultur geben. Wir müssen also zufrieden sein, wenn wir in Österreich Zuschauer*innen bekommen. Das betrifft aber nicht nur Kinospielfilme, sondern auch das Fernsehen.

Wir sollten auch daran denken, dass es keinen europäischen Streaming-Dienst geben wird. Netflix hat – so viel ich weiß – 20 oder 24 Milliarden im Jahr zur Verfügung – selbst, wenn wir alle großen europäischen Fernsehstationen zusammennehmen, kommen wir nicht auf diese Summe. Und selbst die Amerikaner*innen sagen, dass Netflix sich möglicherweise gar nicht halten wird. Es wird wohl Amazon bleiben, weil da genügend Geld im Spiel ist, oder auch Walt Disney und vielleicht noch ein dritter Streaming-Dienst, aber keiner aus Europa. Die Europäer*innen verschlafen das und haben auch nicht die ökonomischen Möglichkeiten. Es fehlen also die finanziellen Mittel, um unsere Kultur international zu vermarkten. In Zukunft wird der österreichische Film sich überwiegend österreichischen Themen widmen müssen, die durchaus auf internationalem Parkett dafür sorgen können, dass gesagt wird: „Oh, das haben wir noch nicht gesehen!“. Wir werden sicher ab und zu mit ein oder zwei Filmen wahrgenommen werden, aber ansonsten müssen wir uns auf unser Land, auf unsere Kultur und Geschichte besinnen…

A. B.: Zum Ende hin noch eine Frage: Welchen Stoff würde Veit Heiduschka gerne in der Zukunft verfilmt sehen? Welches Projekt liegt ihm am Herzen?

V. H.: Es gibt eine große, starke Geschichte, die ich nur zu gerne machen würde: nämlich die Entstehung Österreichs über die ersten Habsburger, die Schlacht am Marchfeld und König Ottokar II. Dazu bräuchte ich aber viele Millionen, die ich in Österreich nicht zusammen bekomme. Ich habe mit jemandem gesprochen, der das Drehbuch schreiben könnte. Das wäre fast schon ein Actionfilm mit Schlachten und Intrigen, ein Shakespeare’sches Thema, weshalb es mich so fasziniert. Nachdem Österreich mir so viel gegeben hat, würde ich mit diesem Film gerne etwas zurückgeben wollen. Ich würde es auch ein bisschen anders machen als Grillparzer, der bei den Habsburgern angestellt war und nicht schreiben konnte, wie er wollte. Er hat sich freiwillig zensuriert. Ich würde den Habsburger als Schlitzohr sondergleichen zeigen!

Es gibt diese berühmte Geschichte: Es war zum Beispiel nicht ehrenhaft, einen Hinterhalt zu stellen. Rudolf I. hatte eine Abteilung mit einem adeligen Anführer im Hinterhalt, der jedoch unbedingt mit offenem Visier kämpfen wollte, sich aber schließlich dem Befehl Rudolf I. widerwillig beugte. Rudolf I. hat aber deshalb gewonnen, weil Ottokar nicht mit diesem Hinterhalt gerechnet hatte. Als Reserve hat der Habsburger 60 Reiter bei sich behalten, damit er, wie ich glaube, im Fall der Niederlage mit einer Eskorte fliehen konnte. Gewieft, nicht wahr? Und ich würde die beiden Gestalten Ottokar II. und Rudolf I. gerne gegenüberstellen. Für mich ist eigentlich der Verlierer Ottokar der Held … Und wenn alles gut geht, dann schaffe ich es auch noch, diesen Film zu realisieren.

H. P.: Ein schöner Abschluss, dieser Blick in die ZUKUNFT als Blick in die Vergangenheit der österreichischen Geschichte …

H. P. & A. B.: Lieber Veit Heiduschka, wir danken herzlich für das Gespräch.

VEIT HEIDUSCHKA

ist vielfach preisgekrönter Filmproduzent sowie Gründer und Leiter der Wega Film. Er realisierte eine große Zahl von Filmproduktionen und ist u. a. Produzent der meisten Filme des Regisseurs Michael Haneke. Ihr Film Amour (2011/2012) wurde mit dem Oscar für den besten ausländischen Spielfilm, dem Golden Globe Award, der Goldenen Palme, dem Europäischen Filmpreis u. v. m. ausgezeichnet. Das weiße Band (2008/2009) wurde u. a. mit der Goldenen Palme und dem Golden Globe ausgezeichnet.

HEMMA PRAINSACK

ist Film- und Theaterwissenschaftlerin. Im Rahmen ihrer Dissertation forscht sie derzeit zum Sensationsfilm im Umbruch zwischen Weimarer Republik und Nationalsozialismus. Zuvor arbeitete sie in der Generaldirektion des Österreichischen Rundfunks und war bei zahlreichen Produktionen am Burgtheater Wien im Bereich Regie und Video tätig.

ALESSANDRO BARBERI

ist Chefredakteur der ZUKUNFT, Bildungswissenschaftler, Medienpädagoge und Privatdozent. Er lebt und arbeitet in Magdeburg und Wien. Politisch ist er in der SPÖ Landstraße aktiv. Weitere Infos und Texte online unter: https://lpm.medienbildung.ovgu.de/team/barberi/