Formationen des Politischen VON FRIEDERIKE LANDAU

I. Intro: Politik_er

Wer soll „die Politik“ denn eigentlich sein?
come oooon, wäre sie wirklich weiblich?
Politik pluralisieren
Politiken politisieren polemisieren polarisieren
wie viele Plurale können wir sie, es, er tragen?
Wer trägt Plurale wohin? Und wann wird aus Plural wieder Singular?
Wie formen sich Politiken aus „der Politik“? Und warum ist sie jetzt männlich?
Wenn Politik ein EinPlurihörn wär, fiel das mit dem Gendern flach
zerfließend in der eigenen Grundlosigkeit, zugespitzt auf plural-glitzrige Hörner
Angriffs_L_Fr_ust 1.0
crybaby cryboy boys cry too

Abb. 1: Boys cry, Foto: Friederike Landau, 22.03.2021, Berlin/Neukölln

II. Erinnerungspolitik zwischen An- und Abwesenheiten

Kunst schreibt, drückt, schmiert, hämmert sich in den Stadtraum ein – durch Graffiti, Häkelwerk, Sticker, Mini-Installationen, mit Papier, Kleber, permanenter oder abwaschbarer Farbe.[1] Aber Kunst im öffentlichen Raum nimmt auch scheinbar unverrückbare Formen an – als Denkmäler aus soliden Materialien wie Stein, Marmor, Bronze – zur Erinnerung großer Ereignisse oder Persönlichkeiten, die „die“ Geschichte geprägt haben. Im komplexen Zusammenspiel von globaler COVID19-Pandemie, Bemühungen zur Dekolonialisierung von Denken und städtischen Räumen sowie internationalen Black Lives Matter (BLM)-Protesten erstarkten jüngst Diskussionen über die umstrittene Präsenz von Denkmälern in öffentlichen Räumen. Konflikte im, um und über öffentlichen Raum werfen Fragen auf: Gehört öffentlicher Raum wirklich „allen“, wer verwaltet ihn nach welchem zugrundeliegenden Zeit- und Geschichtsverständnis? Was tut „die Politik“, an deren Grundfesten ich oben schon ein wenig gesägt habe, für Denkmäler mit problematischem Erbe von Kolonialismus, Ausbeutung, Rassismus, Sklavenhandel, Nationalismus, Sexismus? Welche und wessen Geschichte(n) markieren Denkmäler durch ihre materielle An- und Abwesenheit?

Denkmäler problematischer historischer Figuren oder Ereignisse haben eine längere Geschichte von – mehr oder weniger geplantem – Abbau, wie beispielsweise der Sturz einer Statue des Kolonialherren Rhodes in Capetown („Rhodes must Fall“; 2015), einer Saddam-Hussein-Statue in Bagdad (2016), oder der Statue des britischen Händlers Edward Colston in Bristol (2020), die einige Tage nach der Ermordung des Schwarzen George Floyd durch einen weißen Polizisten in Minneapolis von lokalen Aktivist*innen in den örtlichen Hafen gestürzt wurde. Als Kontrapunkt zum totalen Abriss von Denkmälern, die Kolonialgeschichte(n) somit gegebenenfalls gar nicht mehr sicht-, les- und erfahrbar machen, und damit auch traumainformierte Erinnerungsarbeiten erschweren können, setzen Initiativen wie das Black Monuments Project[2] auf die Schaffung neuer Sichtbarkeiten. Die geplante Neuerrichtung von Denkmälern von schwarzen Persönlichkeiten aus Kultur und Politik in allen US-Bundesstaaten oder Kartografierungsprojekte sollen neue, andere Erinnerungskulturen und -formen schaffen. In Mittel- und Osteuropa prägen viele helden[sic]verehrende Denkmäler Soldaten, Politiker und andere Nationalhelden, sind aber oft auf bröckligen Fundamenten gesellschaftlicher Akzeptanz und Informationspolitik über die geschichtlichen und politischen Entstehungskontexte gebaut. Das Projekt NONUMENT![3], initiiert vom Museum of Transitory Art (MoTA) in Ljubljana, Slowenien, bestehend aus Forscher*innen, Künstler*innen und Kurator*innen, erstellt seit 2011 eine wachsende Online-Datenbank, die bedrohte, verloren gegangene und erhaltene Monumente in Bulgarien, Griechenland, Österreich, den Vereinigten Staaten, Serbien, Slowenien, Tschechien und Zypern katalogisiert. Zudem führt die Gruppe künstlerische Interventionen an, neben, unter, um und über Denkmäler(n) durch, um deren Entstehungskontexte zu problematisieren, transparent und sinnlich zugänglich zu machen. Diese Praktiken unterstreichen die Performativität von Denkmälern und Erinnern.[4]

Mit diesen vielfältigen Ansätzen können Denkmäler auch nicht nur als „versteinerte Konflikte“[5] verstanden werden, sondern auch als konkret erfahrbare Räume, an denen man Geschichte(n) in der Gegenwart verarbeiten kann. Beispielsweise wurde wenige Tage nach dem Mord an George Floyd in Minneapolis, Minnesota, ein öffentlich zugängliches Monument als Ort der Trauer, Begegnung und gegenseitigen Fürsorge von Aktivist*innen bereitgestellt.[6]

Auch in Österreich werden Debatten über brisante Statuen im öffentlichen Raum lauter, beispielsweise über das Denkmal des Wiener Bürgermeisters Karl Lueger (1844–1910), welches seit über einem Jahrzehnt umstritten wegen seiner Repräsentation eines bekennenden Antisemiten ist. Bereits 2009 sollte das Denkmal durch einen Ideenwettbewerb der Universität für angewandte Kunst (Wien) umgewertet werden; jüngst wurde die nach wie vor (be)stehende Statue von anonymen Aktivist*innen/Künstler*innen durch Graffiti um- oder aufgewertet (Abb. 2).

Abb. 2: Lueger-Denkmal, Foto: Stefanie Fridrik, 24.04.2021, Wien

Interessanterweise schwankt die Einschreibung hier zwischen ephemeren, leichtfüßig daherkommenden Graffiti-Tags des Worts „Schande“ und dem behäbigeren, einbetonierten Schriftzug desselben Ausdrucks auf der einen Seite und der anschließenden, nicht autorisierten Aktion der rechtsextremen Identitären Bewegung auf der anderen, den einbetonierten Schriftzug wieder abzutragen. Das ständige Hin- und Herschwanken von An- und Abwesenheiten verweist auf die umstrittene Räumlichkeit von Erinnerungskultur. Die konkurrierenden Aktionen werfen Fragen auf: Könnte der Sockel leer sein? Sollte der Sockel gar endgültig abgebaut werden, ganz im Sinne von „ist das ein Denkmal oder kann das weg?“ Im weiterreichenden Diskurs über Erzählungen, Auf- und Abbau, An- und Abwesenheit des Politischen drängt sich die Frage auf, wie städtische Gesellschaften und „die Politik“ mit Denkmälern umgehen, wenn sowohl ihre andauernde Präsenz als auch ihre konstruierte Leere problematisch sind. In Summe unterstreichen die sich gegenseitig verstärkenden Aushandlungen um An- und Abwesenheit die Bandbreite von Bedeutungskämpfen und -konflikten in öffentlichen Räumen. Obwohl auch im Falle Lueger vielleicht erklärende Tafeln die historisch spezifischen Ansichten oder Persönlichkeiten kontextualisieren könnten, sind neben formalen Unzulänglichkeiten solcher Formen der Erinnerungsarbeit (zu abstrakt, steril, oder ausschließlich auf Fähigkeit, lesen zu können ausgerichtet,) auch die politischen Implikationen des Fortbestandes zu bedenken. Bleibt Lueger stehen, nehmen menschenverachtende oder diskriminierende Positionen und Persönlichkeiten weiterhin Platz im öffentlichen Raum ein, der auch für Praktiken des Gedenkens genutzt werden könnte, die diesen Unterdrückungen explizit im Sinne von Dekolonialisierung und Wiederherstellung entgegenwirken wollen. Im Hinblick auf neue Formationen des Politischen sprach Historiker Jonas Anderson kürzlich von neuen Erinnerungskulturen und der Möglichkeit, Denkmäler durch „Kontextualisierung und auch künstlerische Entfremdung oder Ergänzung…in ein neues Licht“ zu rücken, um „entgegen der Intention ihrer Erbauer [sic] – der historischen Aufarbeitung [zu] dienen.“[7] Durch Rekontextualisierung könnten sich in diesem Szenario neue Erinnerungsformen, -räume und -kulturen entwickeln, die für und von vielfältigen, postmigrantischen Gesellschaften mitproduziert werden.

Versteht man die Stadt als Wunde[8] bräuchte es vielleicht genau an solchen bereits verwundeten Orten Raum für Dialog. An solchen Orten entsteht gegebenenfalls statt teils anonym ausgetragenen Konflikten und halblegalen Aktionen von Einschreibung und Ausmeißelung ein offenes Ausverhandeln von verschiedenen politischen Positionen und Öffentlichkeiten. Im spannungsgeladenen Kontinuum zwischen Ab- und Anwesenheit könnten künstlerische Einsätze Le_h_erstellen schaffen, um vergangenes Leid zu markieren. Künstlerische Umwertungsprozesse könnten unter Einbeziehung lokaler Stakeholder (z. B. Nachbar*innen, Parkbesucher*innen, soziale und kulturelle Einrichtungen aus der Gegend) Räume zum gemeinsamen Nachdenken über die prekäre Materialität, historische Unvollkommenheit und Spezifität von Denkmälern sowie deren potenzielle Widersprüchlichkeit schaffen. Diese Denkmäler könnten gegen hegemoniale Positionen artikulieren, materialisieren, sinnlich erfahrbar machen und somit Regime von (Un)Sichtbarkeit bzw. Ab- und Anwesenheit verunsichern. Durch multimediale und sinnesbezogene (Neu)Verhandlung von Bedeutungskonflikten zwischen Gegenwart und Vergangenheit, Herrschaft und Unterdrückung könnte auch das vorherrschende Primat des Visuellen von Denkmälern überwunden werden – würdet ihr nicht auch gern wissen, wie Geschichte und Erinnerung schmecken, riechen oder klingen könnte? Wenn Bedeutungskonflikten multidimensionaler und multisensorieller Raum gegeben wird, und dieser Raum bewusst offen- und ausgehalten wird, anstatt eine allseits anerkannte und somit pseudo-abgeschlossene Version von Geschichte zu erzählen, können in verwundeten Städten vielleicht Heilungsprozesse beginnen. Auch plurihörnige Politik_en könnten hier grasen.

III. Outro: Konflikt(ver)lagerungen

Konflikt lagern
Konfliktlager
im Lager riecht es nicht nur modrig
ein Depot als Bäckerei
Konflikte abtragen, mit feinsten Pinseln, Schicht für Schicht
neue S_ch_ichtbarkeiten
Keiner kaut länger auf Stein
Konflikt verlag(er)
Storage-Unit, Unity, Diversity
Flüssiglager

FRIEDERIKE LANDAU ist politische Theoretikerin und Stadtsoziologin. Seit Oktober 2020 arbeitet sie als Assistenzprofessorin für Kulturgeografie an der Radboud Universiteit, Nijmegen, in den Niederlanden. Sie studierte Verwaltungswissenschaften und politische Theorie in Deutschland, Frankreich, den Niederlanden und Kanada. Ihre Forschungsinteressen bewegen sich an Schnittstellen zwischen politischer und räumlicher Theorie, beispielsweise städtische Kulturpolitik, künstlerischer Aktivismus, umstrittenen öffentlichen Räumen wie Museen und Denkmälern.


Anmerkungen

[1] Der vorliegende Text ist eine abgeänderte Version des Originals „Denk_mal: Bühnen für Bedeutungskämpfe in öffentlichen Räumen“, erschienen in den Kulturpolitischen Mitteilungen der Kulturpolitischen Gesellschaft (KuPoGe), Heft 171 – IV/2020: Streitfall Erinnerungskultur, online unter: https://kupoge.de/kumi/pdf/171/kumi171_50-51.pdf (letzter Zugriff: 08.06.2021).

[2] Black Monuments – America is covered in Confederate statues. We can do better — and here’s how, online unter: https://black-monuments.mic.com (letzter Zugriff: 08.06.2021).

[3] Nonument – Mapping & Archiving Public Spaces, online unter: https://nonument.org (letzter Zugriff: 08.06.2021).

[4] Manchester University Press – Performative monuments, online unter: https://manchesteruniversitypress.co.uk/9780719095917/ (letzter Zugriff: 08.06.2021).

[5] Das radikaldemokratische Museum, online unter: https://www.degruyter.com/document/isbn/9783110610840/html (letzter Zugriff: 08.06.2021).

[6] George Floyd and A Community of Care (placesjournal.org), online unter: https://placesjournal.org/article/george-floyd-and-a-community/ (letzter Zugriff: 08.06.2021).

[7] Online unter: https://www.kulturrat.de/themen/erinnerungskultur/denkmalkultur/die-erinnerung-wachhalten/ (letzter Zugriff: 08.06.2021).

[8] Online unter: https://citeseerx.ist.psu.edu/viewdoc/download?doi=10.1.1.823.443&rep=rep1&type=pdf (letzter Zugriff: 08.06.2021).

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