Editorial ZUKUNFT 01-02/2024: Politik und Sport: Vom Fußball – VON BERND HERGER UND ALESSANDRO BARBERI

Oft hören wir auf unseren Sportplätzen und in der sportbegeisterten Community: „Politik raus aus der Kurve!“. Ganz so, als könnte der Sport, insbesondere der Fußball, von politischen Einflüssen abgekoppelt und als vollkommen eigenständiger Bereich wahrgenommen werden. Dabei ist gerade der Fußball ein hervorragendes Beispiel für die inneren Logiken unserer Gesellschaft, wenn wir etwa daran denken, dass ein Fußballstadion mit Ehrentribünen, Fankurven und der kollektiven Blickrichtung auf das Spielfeld auch als Symbol unserer liberalen und sozialen Demokratie gedeutet werden kann. Ist eine Trennung von Politik und Sport also möglich? Kann ein so zentraler Bestandteil unserer Gesellschaft überhaupt „unpolitisch“ sein?

Diesen Fragen wollen wir mit unserer Schwerpunktausgabe der ZUKUNFT zu Politik und Sport: Vom Fußball nachgehen und vertreten dabei von Beginn an die These, dass es keinen Lebensbereich gibt, der nicht auch politisch geprägt ist oder sogar sein muss. Denn selbst das Private ist in diesem Sinne politisch. Insofern begreifen wir den Sport, das Vereinsleben und insbesondere den Fußball als integralen Bestandteil unserer Gesellschaft. Denn von den historischen Verbindungen zur Arbeiter*innenschaft in der Gründungsphase bis zur aktuellen Fördersituation der Vereine überkreuzen sich die Felder der Politik und des Sports auf verschiedenen Ebenen.

Dieser Umstand führt mit unserer Ausgabe auch zu einem breit aufgestellten Diskurs, mit dem wir den Sport aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten wollen. Dabei kommen auch Autor*innen, die nicht regelmäßig über dieses Thema schreiben, zu Wort, weil wir auch „kleinen Stimmen“ eine Bühne bieten wollen. In diesem Zusammenhang setzen wir mit der Frage ein, ob Frauen im Stadion als Zuschauerinnen willkommen oder nur schmückendes Beiwerk sind.

Denn die nächste Männer-Fußball-Weltmeisterschaft wird nach Katar nun in Saudi-Arabien stattfinden. Ein durchaus bedenklicher „Höhepunkt“ in einem Sport, der sich von der Arbeiter*innen-Freizeit erfolgreich in die Höhen des kommerzialisierten Entertainments geschraubt hat. Der Frauenfußball hingegen ist politisch anders geprägt und folgt deshalb auch einer anderen Logik, wie Clara Gallistl mit ihrem unsere Ausgabe eröffnenden  Beitrag eingehend in Erinnerung ruft. Es geht uns hier vor allem darum, alle Frauen zu feiern, die Fußball spielen und für die Sichtbarkeit des Frauenfußballs – oftmals sehr hart – kämpfen müssen.

Dass Fußballfans oft generalisierend als politisch rechts verortet werden, behandelt dann unser dezidiert antifaschistischer Autor Gerald Netzl, Vorsitzender des Bundes Sozialdemokratischer FreiheitskämpferInnen, der diesem Vorurteil einige Argumente und Aktionen entgegensetzen kann. So steht mit seinem Artikel u. a. vor Augen, dass die Fußballcommunity und näher hin der SK Rapid an einer Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit interessiert ist, wie etwa zwei „Steine der Erinnerung“ unter Beweis stellen, die für die beiden Shoah-Opfer, die der SK Rapid zu beklagen hat, errichtet wurden. In diesem so schmerzlichen Zusammenhang erinnern wir mit Wilhelm Goldschmidt und Alfred Dünmann auch an alle Menschen, die dem Dritten Reich zum Opfer gefallen sind.

Wie wichtig das Heimspiel für fußballspielende Kinder ist, hebt dann Elisabeth Mayr, Innsbrucker Stadträdtin der SPÖ, hervor, indem sie mit ihrem Beitrag von einem bemerkenswerten Fußballprojekt berichtet: In Kooperation mit dem SOS-Kinderdorf geht es dem Projekt „Heimspiel“ an verschiedenen Standorten in Österreich darum, Kindern Raum zum (Ball-)Spielen zu geben und sie damit auch schon früh spielerisch zu sozialisieren. Dabei ist wohl das Wichtigste, dass jeder und jede an diesem Projekt teilnehmen kann, um Freude am gemeinsamen Kicken zu empfinden. Auch das Publikum erlebt dabei ein positives und solidarisches Miteinander.

Auch der sehr persönliche Beitrag von Robert Laimer erzählt von der Entstehung seiner Fußballbegeisterung und der Geschichte des SK Rapid, dem er sich sein Leben lang verbunden fühlt. Dabei wird auch hier bei aller Begeisterung an die dunkelsten Seiten der österreichischen Geschichte erinnert, wenn Laimer nachdrücklich zur Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit des SK Rapid aufruft. Darüber hinaus geht es unserem Autor durchaus um eine progressive Kapitalismuskritik an der Kommerzialisierung des Sports, die mit den privaten TV-Sendern und den Imperien in England (Murdoch) und Italien (Berlusconi) aus dem Fußballgeschäft ein Milliardenbusiness werden ließ.

Wolfgang Markytan unterstützt diese kritische Perspektive dann mit zahlreichen Argumenten und Fakten, indem er das Verhältnis der Sozialdemokratie zum Sport beleuchtet und dabei auf dem Gegensatz von Leistungsdenken und allgemeinem Wohlbefinden besteht. So betont auch Markytan die Überlappung von Sport und Politik, wenn ihm etwa an der näheren Bestimmung der Wiener Budgetverteilung für Sport gelegen ist. Insgesamt fasst sein Beitrag die Ergebnisse seiner Masterarbeit für unsere Leser*innen zusammen und liefert so eine bündige Einführung in die sozialdemokratische Sportauffassung.

Martin Heigl beschreibt dann die Faninitiative Löwenfans gegen Rechts, die sich bereits in den 1990er-Jahren gegründet hat und bis heute im Umfeld des TSV 1860 München aktiv ist. Auch dieser Artikel betont im Grenzbereich von Sport und Politik, dass die vernetzende Organisation von antifaschistischen Fußballfans eine unabdingbare Notwendigkeit darstellt, um der oft wiederholten und durchaus existenten Verbindung von Sport und Faschismus entgegenzuwirken. So sind auch die Reaktionen auf diese Initiative vonseiten der Fans, der Vereine und Verbände höchst unterschiedlich und machen deutlich, dass gerade hier noch viel zu tun bleibt.

Auch freut es die Redaktion der ZUKUNFT zwei hoch informative und mehr als passende Interviews in diese Ausgabe zu Sport und Politik aufnehmen zu können: So spricht Sebastian Obrecht mit Milan Josanovic und Bernd Herger über die Herausforderungen kleiner Fußballvereine in Wien. Auch in diesem Kontext werden sehr interessante wirtschaftliche und politische Aspekte des Sports diskutiert. Ganz so wie in dem Interview, das Gerhard Schmid mit Dennis Büchner, dem zweiten Präsidenten des Berliner Landtags, über Sport, Fußball, den SK Rapid Wien und den 1. FC Köln geführt hat, um uns allen Freude am Sport zu vermitteln.

Darüber hinaus wollen wir unseren Leser*innen auch unter Beweis stellen, dass die ZUKUNFT tatsächlich eine Diskussionszeitschrift ist: Denn nach unserer vorletzten Ausgabe zum Bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) erreichten uns noch ein weiterer Beitrag und Leserbriefe, die wir nun auch in diese Ausgabe aufgenommen haben, um den diesbezüglichen Dialog zu befördern:

So betont Margit Appel in luzider Weise und auf dichten vier Seiten, dass (Erwerbs-)Arbeit immer wieder als Herrschaftsinstrument eingesetzt und der Sozialstaat von sozialinvestiven Logiken nachdrücklich geschwächt wird. Entgegen dem absichtsvollen Trennen miteinander verbundener Sphären – Geld oder Leben, Freiheit oder Sicherheit – plädiert unsere Autorin nachdrücklich dafür, alle sozialen und demokratischen Kräfte zu bündeln, die an einer Veränderung des Bestehenden interessiert sind. Die Diskussionen zum Bedingungslosen Grundeinkommen sind für sie ein Brennpunkt, in dem diese Kräfte verbunden werden können.

Ganz in diesem Sinne ergab sich auch ein Dialog zwischen Michael Ertl und Paul J. Ettl, der auf Ertls Beitrag Bedingungslos für eine gerechtere Gesellschaft (ZUKUNFT 09/2023 40–41) beruht und in komprimierter Weise die gesamte Diskussion zum BGE auf den Punkt bringt. Auch diese beiden Diskutanten machen dabei deutlich, dass gerade im Sinne einer sozialen und demokratischen Politik nicht an einer intensiven Diskussion des BGE vorbeigegangen werden sollte, weil sie auf jeden Fall unsere Sensibilität für die Funktionsweisen unseres Rechts- und Sozialstaates befördern kann.

Darüber hinaus wollen wir auch auf die gefährlichen Polarisierungen unserer Gesellschaft reagieren, indem wir mit dem Beitrag von Josef Redl eine Diskussion zum Problemfeld des politischen „Extremismus“ eröffnen, dem wir 2024 auch eine eigene Schwerpunktausgabe widmen werden. Redl geht es darum, dass die vielfältigen politischen Verwerfungen der letzten Jahre dem Populismus enormen Vorschub geleistet und die politische Mitte praktisch gespalten haben. Mitten im de facto schon begonnenen Nationalratswahlkampf soll deshalb aufgezeigt werden, wie der Extremismus und ein weiterer Rechtsruck in Österreich gestoppt werden können und auf wen es dabei besonders ankommt.

Des Weiteren ist es uns im Rahmen unserer Ausgabe zu Politik und Sport eine große Freude, ein ZEITGESPRÄCH vorstellen zu dürfen, das Gerhard Schmid mit Roman Gregory, dem Gründer von Alkbottle, geführt hat. Dabei nimmt sich das Urgestein der Szene und Wiener Original kein Blatt vor den Mund, wenn es darum geht, Fremdenfeindlichkeit, Doppelmoral und Pseudo-Expert*innenwissen aufzuzeigen. Die ZUKUNFT eröffnet mit diesem Beitrag auch eine Serie der ZEITGESPRÄCHE, die in den kommenden Ausgaben fortgesetzt wird. Und diesmal ist auch dieses Gespräch zutiefst mit Sport, Politik und Fußball verbunden.

Dass jeder Fußballverein auch mit seinem sozialen Umfeld zutiefst verbunden ist, bringt dann zum Abschluss unserer Schwerpunktausgabe Bernhard Müller konzise auf den Punkt, der mit seinem Beitrag Meine Stadt, mein Verein. Was Urbanität und Fußball verbindet weitere Argumente zum Verhältnis von Sport und Kultur einbringt. So kommen wir schlussendlich auch auf die karitativen und sozialen Projekte von Sportklubs zu sprechen, die sich um Menschen in Notlagen oder um Kinder mit Handicaps kümmern. Dabei geht es dem langjährigen Fußballfan – genauso wie der Redaktion – auch darum, seine Sportbegeisterung mit den Leser*innen der ZUKUNFT zu teilen.

Und so wie in jeder Ausgabe konnten wir auch diesmal einen herausragenden Künstler für unsere Bildstrecke gewinnen. So war es uns möglich, den „Kurvenfotografen“ Christian Bruckner davon zu überzeugen, diese ZUKUNFT in allen Wortbedeutungen mit seinem Werk zu „bespielen“. Bruckner ist eine wichtige Persönlichkeit im Bereich der Fußballberichterstattung, arbeitet auch für das Fachjournal Ballesterer und ist online sehr präsent. Deshalb stellen wir ihn am Ende unserer Ausgabe eigens vor, um ihm nachdrücklich unseren Dank auszusprechen.

Insgesamt soll die vorliegende Ausgabe der ZUKUNFT also einen breiten Dialog über die politische Dimension des Sports anregen. Denn ob wir es wahrhaben wollen oder nicht, Politik und Sport sind miteinander sehr eng verwoben und es liegt an uns, diese Verbindung bewusst zu gestalten und zu reflektieren. Genau darin liegt auch der Auftrag der Sozialdemokratie, die ihre Aufgabe in der Durchflutung aller Lebensbereiche mit Demokratie sehen muss. In diesem Sinne wünschen wir unseren Leser*innen angenehme sozialdemokratische Stunden der Lektüre und senden

herzliche und freundschaftliche Grüße

Bernd Herger und Alessandro Barberi

BERND HERGER

studierte Wirtschaftsinformatik an der WU Wien und ist aktuell Mitarbeiter der Wiener Bildungsakademie und Mitglied der SPÖ Seestadt. Neben seiner beruflichen Tätigkeit ist er aktiv in den internationalen Netzwerken River // Cities und Scotland in Europe. Er ist seit 2006 Obmann des Fußballvereins Dynamo Donau und lebenslanger Fan des SK Rapid Wien. Er ist ehrenamtlich als Onlineredakteur der ZUKUNFT engagiert.

ALESSANDRO BARBERI

ist Chefredakteur der Fachzeitschriften ZUKUNFT (www.diezukunft.at) und MEDIENIMPULSE (www.medienimpulse.at). Er ist Historiker, Bildungswissenschaftler, Medienpädagoge und Hochschuldozent. Er lebt und arbeitet in Magdeburg und Wien. Politisch ist er im Umfeld der SPÖ Bildung und der Sektion 32 (Wildganshof/Landstraße) aktiv. Weitere Infos und Texte online unter: https://medienbildung.univie.ac.at/.