Niemals vergessen! – VON GERALD NETZL

VON GERALD NETZL

Gemeinhin gilt der Fußball-Fan als politisch rechtsstehend. Das wird von Vielen so gesehen, speziell was einen Teil des Rapid-Anhangs betrifft. Doch nicht jedes Vor-Urteil trifft auch zu, wie Genosse Gerald Netzl, seines Zeichens Vorsitzender des Bundes Sozialdemokratischer FreiheitskämpferInnen, Opfer des Faschismus und aktiver AntifaschistInnen und Erz-Rapidler den Leser*innen der ZUKUNFT zu berichten weiß.

I. Einleitung

Dass die Fußball-Community und näher hin der SK Rapid an einer Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit interessiert ist, belegen zwei Steine der Erinnerung für die beiden Shoah-Opfer, die der SK Rapid zu beklagen hat. Mit diesen beiden Gedächtnissteinen wird diesen Menschen nachhaltig und eindrucksvoll ein Andenken bewahrt. Steine der Erinnerung sind dezentrale Orte der Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus. 1996 verlegte der Deutsche Gunter Demnig den ersten Stolperstein. Stolpersteine, oder die daran angelehnten Steine der Erinnerung, gibt es mittlerweile in vielen Ländern in Europa und sie sehen überall gleich oder sehr ähnlich aus. Dazu werden kleine Messingplatten in den Boden eingelassen, darauf sind der Name des Menschen, seine Lebensdaten und weitere Informationen eingraviert. In Wien gibt es bereits mehr als 1.200 Steine der Erinnerung.

II. Eine Initiative „von unten“

Die Grün-Weißen AkademikerInnen sind einer von 220 offiziellen Fanklubs des SK Rapid, die Gründung erfolgte 1996. Die Zeit unserer größeren Aktivitäten liegt gut 20 Jahre zurück. Damals sogar als eingetragener Verein, das sind wir schon nicht mehr. Die Mitglieder sind mittels Abos im Block West und auf anderen Tribünen vertreten und einige fahren regelmäßig zu den Auswärtsspielen. Mitgliedsbeitrag gibt es keinen, und es sind auch Nichtakademiker*innen bei uns.

Als mir Laurin Rosenberg, Rapideum-Leiter und Mitglied der sozialdemokratischen FreiheitskämpferInnen, vom Vorhaben erzählte, einen Stein der Erinnerung für Wilhelm Goldschmidt verlegen zu wollen, drängte es sich auf, ihn bzw. „meine“ Rapid hier zu unterstützen. Sowohl finanziell – was bei einem Verein wie dem SK Rapid zwar nicht unbedingt nötig ist – als auch mit Know-how. Eine gute Gelegenheit, als Fanklubvorsitzender aktiv zu werden. In meinem Heimatbezirk Liesing habe ich 2013 als Vorsitzender der FreiheitskämpferInnen die ersten Steine der Erinnerung verlegen lassen. Ich entschied mich, ein Crowdfunding auszuprobieren und lud die Fanklub-Mitglieder ein, einen Beitrag von € 20 oder € 30 zu leisten. Mehr als zwanzig Rapidler*innen spendeten und haben damit auch einen persönlichen Bezug zu diesem Erinnerungszeichen, der benötigte Betrag wurde aufgebracht. Eine schöne Initiative „von unten“.

Logo des Bundes der sozialdemokratischen FreiheitskämpferInnen

III. Der SK Rapid

Im Juli 1897 wurde der Erste Wiener Arbeiter-Fußball-Club gegründet. Seit dem 08. Jänner 1899 trägt der beliebteste Fußballverein des Landes den Namen „Sportklub Rapid“. Diesen Umstand haben wir einer ganz bestimmten Person zu verdanken, nämlich Wilhelm Goldschmidt. Ihm hat die Vereinsführung am 120. Geburtstag des SK Rapid, dem 08. Jänner 2019, eine besondere Ehre erwiesen: In Gedenken an den Vereinsfunktionär enthüllte der damalige Präsident Michael Krammer gemeinsam mit den Geschäftsführern Christoph Peschek und Fredy Bickel sowie Klubservice-Leiter Andy Marek, Laurin Rosenberg und BVin-Stv. Adolf Hasch einen Stein der Erinnerung vor jenem Haus, in dem er bis 1939 lebte, bevor er als Jude deportiert wurde. Die Adresse ist Große Schiffgasse 22 in der Leopoldstadt. Es war eine große Ehre für mich, ebenfalls eingeladen zu sein und reden zu dürfen. Nicht in meiner FreiheitskämpferInnen-Funktion, sondern eben als Vorsitzender der „Grün-Weißen AkademikerInnen“. Die Enthüllung war der Startschuss für das Jubiläumsjahr des Österreichischen Rekordmeisters.

IV. Niemals vergessen: Wilhelm Goldschmidt

Wer war Wilhelm Goldschmidt? Geboren am 22. Juli 1880 war der Buchhalter als Klubsekretär für den Ersten Wiener Arbeiter-Fußball-Club tätig. Seine Funktion muss eine bedeutende gewesen sein, war er doch auch 1898 auf dem ersten Mannschaftsfoto zu sehen. Sogar die offizielle Anschrift des Klubs war damals seine private Wohnadresse im zweiten Wiener Gemeindebezirk. Und er machte bei der Generalversammlung am 08. Jänner 1899 den Vorschlag, den Klubnamen zu – in damaliger Schreibweise – „Sportclub ‚Rapid‘“ zu ändern, mit dem die Geburtsstunde der Grün-Weißen besiegelt wurde.

Darüber hinaus ist bedauerlicherweise wenig von Wilhelm Goldschmidt und seine Zeit beim SK Rapid bekannt. Im Rahmen der wissenschaftlichen Aufarbeitung der eigenen Rolle im Nationalsozialismus (siehe die Studie Grün-Weiß unterm Hakenkreuz, Wien 2011) fand jedoch eine neuerliche Auseinandersetzung mit dem für den Verein wichtigen Funktionär statt. Seine Frau Elsa, geboren 1880, und Tochter Juliane durften im Februar 1939 in England einreisen, Wilhelm Goldschmidt wurde von den britischen Behörden als zu alt befunden … Am 05. Juni 1942 wurde Wilhelm Goldschmidt aus Wien nach Izbica im Südosten Polens deportiert. Wann und wo genau er ermordet wurde ist nicht bekannt.

Gerald Netzl mit dem Stein der Erinnerung für Wilhelm Goldschmidt vor der Verlegung in den Gehsteig © Gerald Netzl

V. Niemals vergessen: Alfred Dünmann

Zwei Jahre später, am 27. Jänner 2021, dem Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer der Shoah, hat der SK Rapid in Hietzing im Gedenken an Alfred Dünmann einen Stein der Erinnerung eingeweiht. Alfred „Fritz“ Dünmann, geboren am 05. Dezember 1884 in Wien, war in der Frühphase des SK Rapid als Spieler im Einsatz und hat zudem für das österreichische Nationalteam als Stürmer gespielt. In einer Festschrift anlässlich des 20. Geburtstags des SK Rapid 1919 hieß es über ihn:

„Dünmann, der schlanke, sehnige Bursche mit dem markanten scharfen Profil, war einer der schneidigsten und geistesgegenwärtigsten Stürmer, die wir je in unserer Mitte hatten.“

Die Enthüllung in der Feldkellergasse 38 nahmen Präsident Martin Bruckner, die beiden Geschäftsführer Christoph Peschek und Zoran Barisic, sowie wiederum Laurin Rosenberg und ich vor. Damit verlegte der SK Rapid den zweiten Stein der Erinnerung. Alfred Dünmann wurde im November 1938 zunächst nach Dachau gebracht. Im Zuge der „Judenaktion“ der Gestapo während des und unmittelbar nach dem Novemberpogrom wurden in ganz Österreich etwa 7.800 Juden, davon rund 6.550 in Wien, verhaftet und hiervon 3.700 bis 4.600 in das Konzentrationslager Dachau gebracht. 49 Synagogen und Bethäuser – ausgenommen die Synagoge in der Wiener Seitenstettengasse – wurden zerstört und in vielen Fällen eingeäschert. Dünmann wurde aus dem KZ Dachau unter der Bedingung das Deutsche Reich sofort zu verlassen Anfang 1939 entlassen und floh nach Frankreich ins Exil. Ende 1941 wurde er, der sich in der unbesetzten Zone im Süden des Landes aufhielt, abermals inhaftiert, über verschiedene Zwischenstationen nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Das Letzte, was man von ihm weiß, ist, dass er am 04. November 1942 von Drancy bei Paris deportiert wurde. Mit fünf furchtbaren Zeilen fasste das Amtsblatt der Wiener Zeitung die letzten Jahre von Alfred Dünmann zusammen. Der Wiener sei 1939 als 55-Jähriger nach Italien geflohen und habe sich später nach Frankreich abgesetzt. Dort wurde er zwei Jahre später verhaftet. „Seither fehlt jede Nachricht“, steht in der Ausgabe vom 01. Mai 1949. Wenn Dünmann noch am Leben sei, solle er vor dem Gericht erscheinen oder sich auf anderem Weg melden. Andernfalls werde er für tot erklärt …

Gruppe beim Stein der Erinnerung für Alfred Dünmann. V. l. n. r. Gerald Netzl, Laurin Rosenberg, Christoph Peschek, Martin Bruckner, Zoran Barisic © Hans Janda

VI. Das Gedenken geht weiter

Am 09. November 2021 wurde im Ostarrichipark in Wien die Gedenkstätte für die in der Shoah ermordeten jüdischen Kinder, Frauen und Männer aus Österreich, kurz Shoah-Namensmauer(n), eingeweiht. Am 27. Jänner 2022, 2023 und 2024 legten Mitglieder des Präsidiums des SK Rapid dort Kränze für Wilhelm Goldschmidt und Alfred Dünmann nieder, auch der aktuelle Rapid-Präsident Alexander Wrabetz steht dahinter. Jedes Jahr wird in den Medien des SK Rapid darüber berichtet. Dieses Gedenken und die Steine der Erinnerung werden in der Rapid-Familie erfreulicherweise gut angenommen. Man wünscht sich, dass auch andere Fußballvereine in Wien bzw. in Österreich diesem Beispiel folgten und an Opfer des Nationalsozialismus aus ihren Reihen erinnern.

GERALD NETZL

ist Wiener Landesvorsitzender und Bundesvorsitzender der Sozialdemokratischen FreiheitskämpferInnen (4.000 Mitglieder). Studium der Politikwissenschaft. Zahlreiche lokalhistorische Publikationen, Gedenk- und Erinnerungsinitiativen. U. v. a. redaktionelle Mitarbeit und Chefredaktion Der sozialdemokratische Kämpfer. Kontakt: gerald.netzl@gmail.com www.freiheitskaempfer.at.