VON CLARA GALLISTL
I. Lodernde Feuer
„Football has no Gender“, „Volle Solidarität mit Jenny Hermoso und ihrem Team – Für einen sicheren Fußball für alle“, „Wir glauben dir, Schwester. Solidarität mit Jenny Hermoso!“, „Machtverhältnisse wieder 1A ausgespielt – Frauen gewinnen WM, toxische Männlichkeit in aller Munde“ – „Faust statt Kuss für Rubiales und Rummenigge. Sorry, mit Verlaub absolut ok.“
Nachdem weite Teile der aktiven Fanszenen des Männerfußballs zum Aufruf der Männer-Fußball-WM in Quatar aufgrund der horrenden Menschenrechtsverstöße insbesondere an Arbeiter*innen aufgerufen hatten, finden sich in einigen Kurven Deutschlands bisher ungesehene Bilder. Es sind nicht feministische Nischen-Social-Media-Accounts, die Unterstützung für den Frauenfußball zeigen. Die hier einleitend verwendeten Zitate stammen von Transparenten der Fankurven von St. Pauli, Werder Bremen, BVB und Bayern München. Nachdem die spanische Teamkapitänin Jenny Hermoso während der weltweit live übertragenen WM-Pokalverleihung vor laufenden Kameras vom Präsidenten des spanischen Fußballverbands auf den Mund geküsst wurde, gingen die Wogen hoch. Männliche Sport-Funktionäre wie Karl-Heinz Rummenigge sagten zu derartigen sexualisierten Übergriffen: „Mit Verlaub absolut ok“. Der spanische Verband versuchte, den sexualisierten Übergriff mit der hohen Emotionalität ihres Präsidenten zu entschuldigen während in einer ersten Reaktion lautstark Rechtsmittel gegen den feministischen Aufstand gesucht wurden.
Doch die machistische Argumentationslinien schienen nicht mehr so ganz zu greifen. Auch andere Themen der sozialen Ungleichheit wurden in jüngerer Vergangenheit in Fankurven durch handbemalte Transparente sichtbar gemacht: Mit „Equal Pay“, „Pay the Canadian Women“ und „Enough is enough“ fordern Fans die gleiche Bezahlung weiblicher und männlicher Fußballprofis. Neben Spanien und Kanada gab es auch in Frankreich und Peru Proteste zur Gleichstellung der Fußballerinnen. Im Iran sind auch die Fans von Restriktionen betroffen. Hier wird mit „#NoBan4Women – Support Iranian Women to Attend the Stadium“ gefordert, dass Frauen nach ihrem gesetzlichen Ausschluss wieder als Fans ins Stadion dürfen und auch der nach dem gewaltsamen Tod der 22-jährigen Studentin Masha Amiri hör- und sichtbar gewordene Slogan „Women. Life. Freedom“ wurde von Fans in die Stadien getragen. Das Nationalteam der USA hat kürzlich Equal Pay erfolgreich eingeklagt. Der Krimi um die Arbeitsbedingungen der weiblichen Profis in Spanien geht nach einigen Runden weiter. Der Präsident, dessen Namen hier nicht genannt werden soll, ist kürzlich für 3 Jahre gesperrt worden. Ein kleiner Erfolg. Und schon wurde wieder Kritik laut: Die Preisverleihung des Ballon d’Or für die besten Fußballer*innen wurde in einer Spielpause der Männer vergeben, während einige Nominierte am Abend der Preisverleihung Spiele bestritten. Der Termin fiel nämlich mitten in die Nations League der Frauen. Es brennt im Fußball – und es geht nicht um Männer vs. Frauen.
II. Support für das spanische Nationalteam nicht nur in den Fankurven
Wer sich für Fußball als gesellschaftspolitisches Feld interessiert, muss in dieser Zeit auf den Frauenfußball schauen. Nach großen Erfolgen zu Beginn des Sports (etwa Dick-Kerr-Ladies) wurde 1921 im Fußballland England Personen weiblichen Geschlechts untersagt, Fußball zu spielen. Auch während der NS-Zeit war es Frauen verboten, den besonders unter Arbeiter*innen beliebten Sport auszuüben. Noch 1955 war es dem DFB ein Anliegen, seinen Vereinen zu verbieten, Frauenabteilungen zu gründen. Warum? Weil die weibliche Anmut leider während des Spielens verloren geht. Da hat jemand die Siegerinnenpose von Megan Rapinoe noch nicht gesehen oder Tore von Sam Kerr und Lucy Bronze. Alles, was wir heute im Frauenfußball sehen, wurde hart von denen erkämpft, die ihn spielen, trainieren und pfeifen. (Ja, auch Schiedsrichterinnen mussten streiken, um bessere Arbeitsbedingungen zu erlangen.) Am Beispiel des spanischen Nationalteams erhalten die Fußballerinnen endlich die Sichtbarkeit, die ihnen zusteht. Doch nicht nur Fans politisieren den Fußball, der von Frauen gespielt wird.
Im Zuge des medialen Kampfes um die Vorherrschaft der Narrative stellten sich unter anderem das englische, finnische und schwedische Nationalteam offiziell mit klaren Statements auf die Seite von Jenny Hermoso und damit aller Frauen im Fußball, besonderes derer, die den Mut aufbringen, Unrecht zu benennen und dagegen vorzugehen. Der ÖFB veröffentlichte ein Statement, das zu gegenseitigem Respekt und Wertschätzung aufrief, ohne sich konkret hinter Jenny Hermoso und das spanische Nationalteam zu stellen. Auch der ORF, dem man dazu gratulieren muss, sich 2023 endlich dazu durchgerungen zu haben, Frauen als Fußballexpertinnen auch im Studio zuzulassen, hielt sich weitgehend mit klaren Ansagen zurück. Mindestens eine Diskussionsrunde zu diesem alles dominierenden Thema wäre in der Sendung Sport am Sonntag drinnen gewesen. Aber – so ehrlich müssen wir sein – es interessiert dort niemanden. Sport, als Entertainment bitte ja, aber gesellschaftspolitisch? Rainer Pariaseks Schweigen spricht Bände. Und gleichzeitig: Was für eine revolutionäre Kraft geht von dieser neuen Art des Fußballs aus? Ja, das Spiel ist dasselbe, aber die Geschichte ist voller harter Kämpfe. Bis heute riskieren Spielerinnen ihre eigenen Karrieren im Ausblick auf eine bessere Zukunft für alle. Es sind Heldinnen, die sich neben ihrer eigentlichen, sportlichen Aufgabe den eigenen Berufsverbänden in den Weg stellen müssen, die sie, die sie eigentlich vertreten sollten, mit Mediengewalt und rechtlichen Konsequenzen versuchen mundtot zu machen. Diese Frauen verdienen es, gefeiert zu werden! Mit Pyrotechnik, Transparenten und allem was sonst noch erlaubt und nicht erlaubt ist. Wir müssen für sie brennen wie der Block West zur Feier von 35 Jahre Ultras Rapid.
III. Die Banalität des Sexismus
Als weiblich sozialisierte Menschen und Personen mit halbwegs durchschnittlicher Reflexionsbegabung wissen wir wie der Ausschluss von Frauen geschieht. Wir definieren, was „weiblich“ ist und was nicht. Wir machen uns über das von uns definierte „Weibliche“ lustig und nehmen es nicht ernst. Wir empfinden das „Weibliche“ als komisch und störend. Und freuen uns über Räume, in denen wir „unter uns“ über die „eigentlichen“ Sachen reden können. Im ORF heißt das, den mehr als hundert Jahre andauernden Kampf gegen die Benachteiligung von Frauen im Sport zu ignorieren oder mit dem einen oder anderen Scherz abzukanzeln (siehe Schritt 2). Im Fußballstadion heißt das, vor oder hinter der Hand „Keine Weiber in den ersten drei Reihen“ zu fordern oder Pickerl mit weiblichen Gesichtern auch im Heimsektor zu übermalen. In den Verbänden und Vereinen heißt das, zufällig keine Frauen für Entscheidungsgremien zu finden, den Alltag nach den Bedürfnissen der Männerteams zu planen und schulterzuckend, aber gnädig den Frauen zu überlassen, was man nicht braucht oder zu geben, was durch jahrelangen Druck wirklich nicht mehr zurückhaltbar ist. Sexismus ist im Sport so banal, dass er meist ohne Worte auskommt. Die massive Dominanz der Männer – ein Schulterzucken.
IV. Übermalte Pickerl
Wir sehen, dass das österreichische Nationalteam der Zinsberger, Billa und Henshaw endlich in richtigen Stadien spielt, die Stimmung machen und sich nicht mehr wie Trainingsplätze anfühlen. Wir sehen die Werbung, die das ÖFB-Marketing für die Frauen macht. Wir sehen den Aufwand, den der österreichische Rekordmeister im Männerfußball, SK Rapid, betreibt, um die anlaufende Frauen-Abteilung gebührend willkommen zu heißen. Was wir nicht sehen, sind die vielen Frauen und Mädchen, die in Männer-Sport-Shirts trainieren müssen, weil es keine für weibliche Körper geschnittene Alternative gibt. Die Mädchen-Trainings nach Einbruch der Dunkelheit auf schlecht beleuchteten Plätzen, weil die Buben-Ligen immer die besseren Anstoßzeiten bekommen. Die Funktionärinnen, die tagtäglich sexistische Parolen hören und wegstecken müssen, weil die Abwertung von allem „weiblichen“ normal ist, und sie trotzdem weiter machen, Tag für Tag, Zentimeter um Zentimeter. Die vielen Ehrenamtlichen, die sich für Gleichstellung von LGBTIQA+-Personen im Sport einsetzen. Und, wir sehen nicht die Sisyphus-Arbeit, die Feminist*innen auf allen Ebenen unaufhörlich leisten.
V. Conclusio: Gleichstellung oder Systemwechsel
Mit dem lang herbeigesehnten Erstarken des weiblichen Fußballs stellt sich die Frage nach dem Ziel. Wollen wir tatsächlich einen Sitz am Tisch der FIFA, die Sportler*innen das Tragen von Regenbogen-Schleifen während der WM in Quatar verbietet? Wollen wir horrende Ticketpreise, damit im Namen der Gleichstellung auch der Fußball der Frauen zum Elite-Ereignis wird? Wollen wir mehr als 50% unserer Herzensvereine an kapitalistisch orientierte Investor*innen verkaufen, damit wir uns eine Frauen-Abeitlung leisten können? Natürlich ist es geil, Sam Kerr als Gesicht der WM 2023 auf fetten Billboards überlebensgroß in stolzer Siegerinnen-Pose zu sehen. Mehr Freude macht mir aber das Foto der LASK-Frauen, die während der Männer-WM 2022 aus Protest gegen Quatar als Austragungsort von der Fanszene der LASK-Männer supportet wurden. Das Bild der Spielerinnen, die klatschend auf die ihren Support in leuchtender Pyrotechnik ausdrückenden Fan-Szene zulaufen. Das ist alles, was ich will. Ja, das mag eine kontroversielle Meinung sein, aber mir ist ein Fußball mit wenig Geld lieber als einer, der keine Haltung mehr hat, der seine Geschichte nicht kennt und dem es um das Konto statt der Gemeinschaft geht.
Unsere Fackeln waren schon immer ein Widerspruch, ein Zeichen der Selbstständigkeit. Das Erleben des eigenen Körpers, der Selbstwirksamkeit, der Eigenständigkeit – auf dem Feld und in der Kurve – das ist, worum es im Fußball geht. Für Fans und Spieler*innen ist Fußball ein Spiel, in dem wir den Sinn des Lebens spüren: Gemeinsam für eine Sache einzustehen, füreinander da zu sein. Unabhängig von biologischem Geschlecht, sozialer Identität, Erstsprache, Glaube oder Herkunft. Fußball kann die Welt verändern. Wir müssen nur die Zündschnur zünden und im Schein des Feuers gemeinsam feiern. Was? Uns!
CLARA GALLISTL
ist leidenschaftlicher Fan des österreichischen Rekordmeisters im Männer-Fußball SK Rapid. Nach einigen Stationen im Kunst- und Kulturbereich (Burgtheater, Volkstheater, freie Szene) wurde Gallistl mit der Geschäftsführung von vera* – Vertrauensstelle gegen Machtmissbrauch, Belästigung und Gewalt (Bereich Kunst und Kultur) betraut. Davor war dey im Staatssekretariat des BMKÖS für den Fairness-Prozess im österreichischen Kunst- und Kulturbereich zuständig. 2023 erhielt dey den Wiener Frauenpreis für deren Engagement für das SK Rapid Frauenteam.
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