Zoya Cherkassky und der Siebte Oktober. Zu unserer Bildstrecke – VON BARBARA SERLOTH

BARBARA SERLOTH führt mit ihrem Beitrag in die berührende Bildstrecke dieser Ausgabe zum Siebten Oktober ein, die Zoya CHERKASSKY der ZUKUNFT zur Verfügung gestellt hat. Dabei wird angesichts des Grauens auch deutlich, wie die künstlerische und visuelle Auf- und Verarbeitung des Massakers aussehen kann.

Die ukrainisch-israelische Künstlerin ZOYA CHERKASSKY, eine der renommiertesten zeitgenössischen israelischen Malerinnen, hielt ihren ganz persönlichen sowie den gesamt-israelischen Siebten Oktober direkt nach dem Massaker auf ihren Bildern fest. Sie ist bekannt für die kreative Zusammenführung verschiedener Techniken und Stile, sowie ihre Zitate von anderen Künstlern, wie Picasso oder Munch. Mit derselben Selbstverständlichkeit und Freiheit entwickelt sie ihre künstlerische Ausdrucksweise.1 Ihre Werke sind Zeugnisse der Realität, die sie wahrnimmt, der Stereotype, der Gerüchte über Juden und über Leid, wobei sie fragt: Wie stellt man Leid dar? Kurz nach dem Siebten Oktober flog sie zeitnah mit ihrer Tochter, einer Verwandten und mit deren Tochter nach Berlin und begann dort in Bildern die Ereignisse aufzuarbeiten.

The Terrorist Attack at Nova Music Festival (2023) 9.75 × 33 Zoll 25 x 84 cm
Watercolor, marker, colored pencil, and wax crayon on paper
© ZOYA CHERKASSKY / COURTESY OF FORT GANSEVOORT, NEW YORK.
COLLECTION OF THE JEWISH MUSEUM, NEW YORK

Cherkassky betont, dass der daraus entstandene Zyklus sich ausschließlich auf den Siebten Oktober fokussiert.

„Alle Bilder sind auf den Siebten Oktober datiert. Es geht nicht um eine Analyse, es geht auch nicht darum, was seitdem alles in Gaza passiert ist, sondern es geht um diese bestimmte Tragödie am Siebten Oktober.“2

Ebendarum malte sie auch nicht spezifische Opfer, denn es hätte jeden treffen können.3

Crying Female Soldiers (2023) 14.75 × 9 Zoll 37 x 23 cm Watercolor, marker, colored pencil, and wax crayon on paper
© ZOYA CHERKASSKY / COURTESY OF FORT GANSEVOORT, NEW YORK.
COLLECTION OF THE JEWISH MUSEUM, NEW YORK

Sie malte das Bild von den drei weinenden Soldatinnen, das die Ambivalenz ihrer Situation einzufangen versucht und als Cover unserer Ausgabe zu sehen ist. Cherkassky:

„Es hat zwei Gesichter, dieses Bild. Das Sanfte von Mädchen, die Gefühle haben. Das andere: Sie sind Soldaten und sie sind Teil eines Unterdrückungssystems.“4

Mit dem ersten Bild der Serie bezieht sie sich auf Guernica, dem verstörenden, genialen, kaum zu ertragenden und gleichzeitig faszinierenden Anti-Kriegsgemälde von Picasso, das er im Jahre 1937 erschuf, nachdem er von der Bombardierung der baskischen Kleinstadt gleichen Namens durch die deutsche Legion Condor erfahren hatte.

7 Oct. 2023 (2023) 11.75 × 11 Zoll 29.5 x 29 cm Watercolor, marker, colored pencil, and wax crayon on paper
© ZOYA CHERKASSKY / COURTESY OF FORT GANSEVOORT, NEW YORK. COLLECTION OF THE JEWISH MUSEUM,
NEW YORK
Guernica (Murale Reproduktion in Gernika)
© Wikimedia Commons Author Jules Verne Times Two

Edvard Munchs Der Schrei zitierte sie in ihrem Bild über die verbrannte Familie und Giotto mit dem Massaker der Unschuldigen.

Edvard Munch (etwa 1910) Der Schrei © Wikimedia Commons / Burned Family (2023) 11.5 × 10.5 Zoll 29 x 27 cm Watercolor, marker, colored pencil, and wax crayon on paper
© ZOYA CHERKASSKY / COURTESY OF FORT GANSEVOORT,
NEW YORK. COLLECTION OF THE JEWISH MUSEUM, NEW YORK
Massacre of the Innocents (2023) 10.5 × 15 Zoll 27 x 38 cm
Watercolor, marker, colored pencil, and wax crayon on paper
© ZOYA CHERKASSKY / COURTESY OF FORT GANSEVOORT,
NEW YORK. COLLECTION OF THE JEWISH MUSEUM, NEW YORK
Giotto di Bondone (1304–1306) Das Massaker der Unschuldigen (Cappella degli Scrovegni in Padua)
© Wikimedia Commons Author Suzanne

Sie zitiert die Reaktion des vergangenen Leids, das sich in einem so erschreckenden Ausmaß mit dem heutigen vergleichen lässt. Mit dem Siebten Oktober kam die blanke Bestialität zurück in die westliche Realität. Sie selbst beschreibt sich als politisch linke Künstlerin. Cherkassky, ist eine beherzte Kritikerin der Netanjahu-Regierung und Befürworterin einer 2-Staatenlösung.5 Die Angriffe radikaler Siedler auf Muslime hat sie dementsprechend auch in ihren Arbeiten thematisiert. Gleichwohl wurde ihr Gespräch mit James Snyder (Direktor des Jüdischen Museums New York) von pro-palästinensischen Aktivisten gestört. Dem Museum wurde sinngemäß vorgeworfen, „die Zustimmung für Völkermord herbeizuführen“6

Grandma and Grandpa (2023) 9.75 × 14.5 Zoll 25 x 37 cm Watercolor marker, colored pencil, and wax crayon on paper
© ZOYA CHERKASSKY / COURTESY OF FORT GANSEVOORT, NEW YORK.
COLLECTION OF THE JEWISH MUSEUM, NEW YORK

Für Juden und Jüdinnen bedeutete der Pogrom eine doppelte grundsätzliche Traumatisierung, die sowohl durch den bestialischen Überfall der Terrororganisation Hamas als auch durch die Reaktion in der westlichen Welt erfolgte. Die Enttäuschung sitzt nicht nur bei Cherkassky tief, sondern bei nicht wenigen der Linken. Cherkassky bringt es bedrückend auf den Punkt:

„Die überwältigende Mehrheit der Künstlerinnen und Künstler in Israel ist links. Und viele von ihnen fühlen sich betrogen von der Linken in der westlichen Welt, die sich reflexartig auf die Seite der Unterdrückten stellt, und das sind in diesem Fall die Palästinenser. Ich und auch andere Künstlerinnen und Künstler kritisieren die israelische Siedlungspolitik und die aktuelle Regierung scharf. Aber die Angriffe der Hamas können durch nichts gerechtfertigt werden. Das sind Terroristen, keine Befreiungskämpfer. Die Leute, die jetzt rufen, dass Palästina vom Fluss bis zum Meer frei sein soll, wissen wahrscheinlich gar nicht, welcher Fluss gemeint ist. Es ist der Jordan, und der Spruch bedeutet, dass Israel auf der Landkarte nicht existiert. Warum verdient eine junge Israelin, die vergewaltigt wurde, kein Mitgefühl? Wir haben immer gesagt, dass es nicht antisemitisch ist, den Staat Israel zu kritisieren. Man möchte ja auch nicht glauben, dass Leute in der Kunstwelt antisemitisch denken. Aber dann waren wir doch sehr schockiert.“

Zoya Cherkassky (2023) Photo by Eli Pozner © Eli Pozner
  1. Ausführlich dazu Gershenson, Olga (2024), Zoya Cherkasky, in: Jewish Online Archive, 02.06.2024, online unter: https://jwa.org/encyclopedia/article/cherkassky-zoya (letzter Zugriff: 15.09.2024). ↩︎
  2. Ebd. ↩︎
  3. Vgl. Sommer, Allison Kaplan (2024): Können diese privilegierten weißen Menschen Mitgefühl für Israelis, die von der Hamas ermordet wurden, nicht?, in: haaretz.com, 22.02.2024, online unter: https:// www.haaretz.com/life/2024-02-22/ty-article-magazine/.premium/cant-these-privileged-white-people-feel-compassion-for-israelis-murdered-by-hamas/0000018d-cb45-ddae-a18f-ffffd5060000
    (letzter Zugriff: 15.09.2024). ↩︎
  4. Vgl. das Interview von Tess Thackara mit Zoya Cherkassky (2023): „Es ist mir wichtig zu zeigen, was passiert ist“: die israelische Künstlerin, die die traumatischen Ereignisse vom Siebten Oktober zeichnet, in: thatartnewspaper, 27.11.2023, online unter: https://www.theartnewspaper.com/2023/11/27/zoya-cherkassky-nnadi-interview-hamas-attack-israel (letzter Zugriff: 15.09.2024). ↩︎
  5. Ebd. ↩︎
  6. Vgl. Tracy, Marc (2024): The artist whose Oct. 7 Series ‘attracts Fire’, in: nytimes.com, 18.02.2024, online unter: https://www.nytimes.com/2024/02/18/arts/design/zora-cherassky-jewish-museum-artist.html (letzter Zugriff: 15.09.2024). ↩︎