I. Einleitung
Die Menschheit hat ihre Weiterentwicklung durch Wissenschaft erzielt, sie verdankt alles, was als Fortschritt bezeichnet werden kann, faktenbasiertem Wissen: Gesundheit, längeres Leben, gesellschaftliche Ordnung, Gerechtigkeit, technische Entwicklung, Bildung. Dieser Fortschritt war allerdings nie ein linearer und kontinuierlicher, er war historisch stets von Brüchen, Rückschritten und Pausen begleitet. Weil Fortschritt nicht von allein entsteht, weil es dafür Voraussetzungen braucht: Eine davon ist die Freiheit, eine andere die Offenheit, eine dritte die Teilhabe.
- Freiheit, denken, schreiben und sagen zu können, was man will.
- Offenheit, sich darüber auszutauschen.
- Und schließlich die Möglichkeit, die Ergebnisse zu teilen und zu kritisieren.
II. Vom Fortschritt der Aufklärung
Mit dem Aufkommen der Aufklärung durch die Etablierung dieser Voraussetzungen hat der Fortschritt in den letzten drei Jahrhunderten Schwung aufgenommen, wenn auch nicht überall und gleichzeitig und oft auf Kosten vieler Menschen und Ressourcen. Dennoch ließ sich bis in die Nullerjahre des neuen Jahrhunderts belegbar behaupten, dass es noch nie zuvor so vielen Menschen weltweit so gut gegangen ist, wenn Gesundheit, Lebenserwartung, Bildung, gesellschaftliche Mitwirkung, Gleichberechtigung, Abwesenheit kriegerischer Handlungen und Aufstiegschancen als Parameter genommen werden. Armut, Chaos und Unordnung entstehen von selbst, an Fortschritt muss gearbeitet werden, in gesellschaftlichem Zusammenhang bedarf es dafür politischen Handelns, für Weiterentwicklung (auch ihr Gegenteil) ist Politik nötig.
III. Entwicklungen und Komplexität im 21. Jahrhundert
Die erste Hälfte des 21. Jahrhunderts ist ganz in diesem Sinne durch folgende Entwicklungen geprägt:
- Digitalisierung und Gentechnik als wesentliche wissenschaftlich-technologische Revolutionen.
- Deregulierung und Akkumulation des Kapitals.
- Erstarken fundamentalistischer und wissenschaftsfeindlicher Strömungen.
- Zusammenprall größtmöglicher Offenheit mit Versuchen, diese zu behindern.
- Entwicklung des Bewusstseins über die Endlichkeit natürlicher Ressourcen.
- Auflösung einer Weltordnung, die sich nach den beiden globalen Kriegen des 20. Jahrhunderts ausgebildet hat.
Diese Entwicklungen zeigen ein komplexes Bild, das nicht einfach zu interpretieren ist. Und eben deshalb so viel Raum gibt für vereinfachende Interpretationen. Die Wahrheit sei den Menschen zumutbar, lautet ein vielzitiertes Dichterinnen-Wort, komplexe Zusammenhänge sind aber im Zeitalter rascher und immer kürzerer Kommunikation immer schwerer zu vermitteln.
Politik bedarf des Verstandes, der Emotion, der Macht und der Vermittlung, und wenn auch nur eine dieser Voraussetzungen fehlt, bleibt sie akzeptanz- und damit erfolglos. Rechte oder reaktionäre Politik, also Politik, die nur das Wohlergehen einiger weniger auf Kosten vieler zum Ziel hat, ist dabei, die gegenwärtige Komplexität zugunsten von Eliten auszunutzen. Unter anderem, in dem sie diese Komplexität und die Notwendigkeit von Wissenschaftlichkeit leugnet.
Linke oder fortschrittliche Politik, also Politik, die das Wohlergehen aller auf Kosten vieler zum Ziel hat, muss mit dieser Komplexität umgehen, sie erklären, Lösungen suchen, die nicht einige wenige bevorzugen und die Erschöpfbarkeit von Ressourcen einschließen. Rechte Politik vermeidet das. Sie ist konsequent wissenschaftsfeindlich, anti-aufklärerisch, fundamentalistisch, elitenfreundlich und interessengeleitet. Sie wird vertreten durch autoritäre Regime in den bevölkerungsreichsten Ländern der Welt, durch Regierungen in den USA, einigen in Europa und durch alle rechtsorientierten und fundamentalistischen Richtungen.

Andreas Mailath-Pokorny © Foto: Gregor Neupert
IV. Von der Gefahr des Wissens und der Sozialen Medien
Rechte Politik braucht keine Freiheit, keine Offenheit und keine Teilhabe, auch wenn sie sich darauf berufen mag. Sie steht im Gegensatz dazu und wird daher alles tun, sie zu verhindern. Warum versuchen Rechte, Hegemonie zu schaffen? Warum versuchen sie unabhängiges, diverses, kritisches, unangepasstes Denken zu kontrollieren, zu beeinflussen, zu stoppen? Warum legt sich Trump mit den Universitäten an, verbietet bestimmte Forschungen, in dem er Gelder streicht, warum beeinflusst er Medien, warum tun das alle autoritären Regime in einer Zeit, in der sich globales Wissen immer rascher verdoppelt? Die Antwort ist: Wissen ist Macht, Wissen ist gefährlich, Wissen ist eine der wenigen Ressourcen, die sich durch Teilen vermehrt.
Wer die Welt verändern will, muss also Wissen verändern, weiterentwickeln, forschen. Wer das Wissen kontrolliert, kontrolliert die Welt, wer zulässt, dass sich Wissen frei entwickelt, kann nicht vorhersagen, was dabei herauskommt. Wissen ist das Gegenteil von Glauben, es unterscheidet sich von jenem durch Transparenz, Nachvollziehbarkeit und Wiederholbarkeit. Es ist keine Meinung, sondern überprüfbar. Und damit auch mühsam. Glaube und Meinung müssen diese Kriterien nicht erfüllen, daher sind sie einfach und kommen den Verwertungsregeln der Neuen Medien entgegen, ja jegliche Beweisführung ist geradezu unpassend für die Formate der sogenannten sozialen Medien. Hoffnungen, dass die digitale und Informations-Revolution das Wissen der Menschheit demokratischer und gerechter zugänglich macht, zerbrechen an der Verwertungslogik der großen Tech-Konzerne, denen es nicht um gerechte Vermehrung und Verteilung von Wissen, sondern um Profitmaximierung geht. Zunehmend steht das Internet nicht mehr für rasche Information, Aufklärung, bestmögliche Verbreitung der Ressource Wissen, sondern im Gegenteil immer mehr für Desinformation, Vernebelung und Fake News. Junge Menschen wachsen mit der permanenten Möglichkeit auf, das ganz viel, was sie täglich über ihre Smartphones zu sehen bekommen, gefälscht ist.
V. Gegen-Aufklärung
All das summiert sich zu einem veritablen Programm einer Gegen-Aufklärung: nicht mehr der Mensch, der den Mut hat, sich seines Verstandes zu bedienen, nicht mehr die Gesellschaft, die ein möglichst kritisches Potenzial gegenüber den Herrschenden aufbauen soll, ist gemeinsames politisches Ziel, sondern ein möglichst entrücktes, von keinen gesellschaftlichen Kontrollen reglementiertes post-etatistisches Etwas, das ausschließlich nach den Kriterien des individualistischen Fortkommens gestaltet wird, scheint ein attraktives Modell.
Diesen Feinden des Wissens, diesen Demonteuren der Aufklärung, diesen Verneblern der Wahrheit muss pragmatische Politik mit Haltung klare Grenzen setzen. Regeln, die, wie im sonstigen Wirtschaftsleben auch, der zügellosen Profitmaximierung, der Konzentration, der Monopolisierung einen Riegel vorschieben, die sich an den Interessen der Konsument*innen und Nutzer*innen orientieren, die die Nachhaltigkeit im Auge behalten und auch exekutiert werden.
VI. Conclusio
An alldem muss sich Politik messen lassen und das kann wohl nur im europäischen Rahmen geschehen. So sehr die österreichische Gesellschaft froh sein kann, eine FPÖ-regierte Regierung verhindert zu haben, wird die gegenwärtige Regierung wohl vermehrt Anstrengungen zu unternehmen haben, diesen Angriff auf eine wissensbasierte Gesellschaft nicht nur abzuwehren, sondern dem ihrerseits ein verständliches und akzeptiertes Modell einer modernen, zukunftsfähigen Gesellschaft auf Grundlage von Wissenschaft und Gerechtigkeit gegenüberzustellen, es zu vertreten und zu entwickeln.
ANDREAS MAILATH-POKORNY
ist Präsident des Bundes Sozialdemokratischer Akademiker*innen (BSA) und Rektor der Musik und Kunst Privatuniversität Wien
