Weil das Leben mehr kann. Zum Verständnis Sozialdemokratischer Frauenpolitik in Wien – VON SARA DO A. T. DA COSTA

SARA DO A. T. DA COSTA betont, dass Österreich in Sachen Gleichberechtigung noch ziemlich hinterherhinkt. Erst kürzlich hat der AK-Städtebund-Gleichstellungsindex[1] sehr deutlich gezeigt, wie es um die politische Repräsentation von Frauen in der Politik steht. Der Anteil von Frauen in den Gemeindevertretungen bewegt sich sehr, sehr langsam in eine positive Richtung und man glaubt es kaum, aber es findet sich in 21 österreichischen Gemeinden keine einzige Frau im Gemeinderat. Keine einzige!

1. Eine politische Vertretung ohne Frauen. In unserem fortschrittlichen Österreich?

Die Sozialdemokratie konnte für Frauen vieles erkämpfen. Immer im Austausch mit weiteren Akteurinnen der Frauenbewegungen waren es die Frauen der Sozialdemokratie, die oftmals trotz Widerstand einiger Genossen diesen Fortschritt erkämpften. Man muss die traurige Wahrheit leider dennoch festhalten: Österreich hört nicht auf in vielen Fragen ein konservatives, katholisches Land zu sein und daher gilt es in Fragen progressiver Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik (zu denen Frauenpolitik als Querschnittsmaterie immer zählt!) einen ganz besonders ambitionierten Dialog mit allen Akteur*innen zu pflegen. Ein Dialog, der aber in erster Linie mit den Frauen in unserem Land geführt werden muss – so wie es bereits Johanna Dohnal vorgelebt hat. Denn auch sie hat in Kleinstarbeit tausende Gespräche über das ganze Land verteilt geführt. Damit keine Frau zurückgelassen wird. Weil sozialdemokratische Frauenpolitik bedeutet, dass wir nicht aufgeben, bis jede Frau unabhängig und frei leben kann. Wieso gerade mit den Frauen in den Dialog treten? Die Antwort ist einfach:

2. Frauen erhalten unser System

Als sozialdemokratische Frauen kämpfen wir für die vielen Frauen, die unser System erhalten. Viele davon sind Migrantinnen, die täglich die gesellschaftlich notwendigsten Arbeiten verrichten. Sie pflegen die Menschen, die uns lieb sind, sie reinigen in aller Früh die Büros, in denen wir unserer Arbeit nachgehen, sind Pädagoginnen und vieles mehr.

Gedankt wird ihnen mit zutiefst unsicheren und prekären Arbeits- und Lebensbedingungen. Wir kennen die Zahlen: Mehr als die Hälfte aller Frauen am Arbeitsmarkt arbeiten in Teilzeit. Die Löhne in den frauengeprägten systemerhaltenden Berufen sind, gelinde gesagt, oft lächerlich und decken nicht einmal die grundlegendsten Lebenserhaltungskosten. Das Jobumfeld ist von Unsicherheit geprägt. Und gerade die Lage von Menschen, die nicht mit Deutsch als Erstsprache aufgewachsen sind, wird am Arbeitsmarkt ausgenützt. Diese Situation schadet am Ende allen, denn Lohn- und Sozialdumping sind eine europäische Realität, die nicht wegzureden ist.

Ein Zustand der untragbar ist: Während die Teuerung nach wie vor das Leben der Menschen zu einem täglichen Kampf verwandelt, schaut die Regierung zu. Vergeblich sucht man nach arbeitsmarktpolitischen Eingriffen oder sozialpolitischen Maßnahmen, die vor allem den vielen Frauen unter die Arme greifen. Ganz im Gegenteil erleben wir eine Regierung, die ihr Klientel bestmöglich bedient und Politik im Interesse der Vermögenden betreibt. Besonders dramatisch dabei ist die Aushöhlung des Sozialstaates, der gerade Frauen eine enorme Stütze ist.

Sara do A. T. da Costa © Markus Sibrawa

Die Situation in Österreich ist eingebettet in eine internationale Gemengelage aus multiplen Krisen und einen Vormarsch rechter Parteien. In einem Wirtschaftssystem, dass (global, aber auch national) darauf aufbaut, dass ein enormes Ausmaß an Arbeit nicht nur unbezahlt, sondern auch unsichtbar im Privaten erledigt wird und wie selbstverständlich – sie nennen es „Liebe“ – erwartet wird, dass Frauen diese Arbeit übernehmen, braucht es klare sozialdemokratische Stimmen, die auch über die österreichischen Grenzen hinausblicken. Denn dieser Blick nach Außen erlaubt auch einen Blick darauf, wie die Bündnispartnerinnen manch anderer Parteien in Österreich Politik auf dem Rücken der Frauen betreiben. Ein internationales Handeln ist auch zwingend notwendig für mehr Gerechtigkeit für alle Frauen und um den Backlash, der auf uns zurollt, aufzuhalten. Sei es das Recht auf einen sicheren Schwangerschaftsabbruch, wenn wir gute Arbeitsbedingungen für Pflegerinnen organisieren wollen, wenn es um die Rechte von Frauen auf ein unabhängiges und selbstbestimmtes Leben geht oder dass wir nicht mehr zulassen wollen, dass Menschen unter widrigsten Bedingungen die Produkte herstellen, die wir in unseren Einkaufsregalen finden.[2]

3. Frauen sind keine Bittstellerinnen

Nicht nur für Frauen sprechen, sondern mit ihnen Politik und Leben zu gestalten. Auch das ist eine der Prämissen unseres sozialdemokratischen Feminismus. Frauen dazu ermutigen, für ihre Rechte einzustehen und sich zu organisieren. Wenn wir davon sprechen, dass wir mehr Lohn fordern, so wollen wir den Gewerkschaften eine laute Unterstützung sein. Die lauteste Unterstützung der Gewerkschaft sind aber viele Frauen, die innerhalb der Gewerkschaft für ihre Rechte einstehen. Wenn wir davon sprechen, dass wir mehr Zeit fordern, dann kämpfen wir dafür, dass uns Menschen ihre Stimme geben, damit wir auf allen Ebenen (und bestenfalls ab Herbst 2024) auch jene politischen Mehrheiten vorfinden, um endlich moderne und gesunde Arbeitszeiten einführen zu können. Wenn wir davon sprechen, dass wir mehr Respekt einfordern, so geht es uns darum, dass wir allen Frauen, allen Menschen in unserem Land auf Augenhöhe begegnen wollen. Wir sehen, was sie jeden Tag leisten und mit welchen Herausforderungen sie konfrontiert werden und wollen das gemeinsam, im besten Fall innerhalb der Sozialdemokratie, aber immer auch darüber hinaus, erreichen. Wir wollen erreichen, dass das Leben kein Kampf mehr sein muss. Dass der Lohn am Ende des Tages passt, die Zeit für die Liebsten ausreicht, die Freizeit so gestaltet werden kann, wie man sich das wünscht und dass wir solidarische Städte und Gemeinden bauen und leben.

4. Ein starker Sozialstaat für die Frauen

Solidarische Städte und Gemeinden sind unumgänglich, um Frauen ein gutes Leben zu ermöglichen. Denn das Vermögen ist mehrheitlich in den Händen von Männern. Jene, die Millionen am Konto haben, brauchen kein öffentliches Krankenhaus oder das beste öffentliche Bildungssystem. Jedenfalls nicht im Alltag. Die haben ihre „Gated Communities“ mit Privatkrankenhaus, Privatschule und Luxuseigentum. Sie wollen es dann, wenn sie gesunde und ausgebildete Mitarbeiter*innen „brauchen“ – dafür zahlen wollen sie aber nicht. Wir fordern einen guten Sozialstaat, weil es um Respekt geht: Jeder Mensch ist einzigartig. Wenn Kinder auf die Welt kommen, neigen Konservative gerne dazu dieses Wunder anzuerkennen. Aber wenn wir dann einfordern, dass kein Kind in Armut leben soll, finden sie das Geld dafür nicht, um diesem „Wunder“ die notwendige Wertschätzung zu bieten.

Wir fordern vehement, dass kein Kind in Armut leben darf. Und das fordern wir nicht nur, weil uns jedes einzelne Kind wichtig ist, sondern auch deren Eltern: Niemand soll sich abstrudeln müssen, um dem eigenen Kind das beste Leben bieten zu können. Gerade Alleinerziehende, mehrheitlich Frauen, sind von Armut überproportional betroffen. In Wien versuchen wir überall, wo wir zuständig sind, die Leben jener die besonders unter den Rahmenbedingungen, die sie in unserem Land vorfinden leiden, zu unterstützen. Unsere Politik ist von einem starken Gerechtigkeitsgedanken getragen und drückt sich in leistbarem Wohnraum aus, in warmen Mittagessen an den Schulen und dem Ausbau der kostenlosen Ganztagesschule, leistbare und gut ausgebaute Mobilität oder auch in einer Naherholungsinfrastruktur um die uns viele beneiden.

5. Ein Ende der Gewalt

In Zeiten wie diesen ist es unmöglich über Frauenpolitik zu schreiben, ohne über die Gewalt zu sprechen, die Frauen täglich begegnet. Eine Gewalt, die nur deshalb so möglich ist, weil Frauen nach wie vor Verantwortung für andere tragen müssen und das am besten unbezahlt, weil sie nach wie vor, auch wenn sie Vollzeit arbeiten, nicht gleich verdienen. Eine Gewalt, die auch darin wurzelt, dass viele Männer nach wie vor davon ausgehen, dass ihre Frauen ihnen gehören. Und auch in Sachen Gewaltschutz waren es in der Geschichte unseres Landes die Sozialdemokratinnen, die sich für den Gewaltschutz und deren Ausbau an vorderster Front eingesetzt haben. Wien ist das einzige Bundesland, dass die Istanbul Konvention[3] erfüllt. Demnach muss pro 10.000 Einwohner*innen ein Platz im Frauenhaus zur Verfügung stehen. Auch die Männerarbeit wird stärker unterstützt & die Frauenberatungsstellen erhalten nicht nur ihre Förderungen, sondern es gibt seit Jahrzehnten einen regelmäßigen Austausch zwischen den Einrichtungen und der Stadtregierung. Denn wir wissen, dass es ein komplexes System ist, dass zu dieser Gewalt führt. Und Gewaltschutzmaßnahmen allein werden hier nicht reichen.

6. Conclusio: Freiheit, Gerechtigkeit, Gleichheit, Solidarität und Demokratie

Keiner dieser Werte steht für sich allein. Nur gemeinsam gedacht werden wir unsere Demokratie auch solidarisch weiterdenken können. Aber all diese Werte, ja, die Sozialdemokratie an sich, sind mit unserem Verständnis von Feminismus untrennbar verbunden. Denn wir wissen, dass unsere Gleichstellung damit zusammenhängt, dass niemand mehr ausgebeutet wird. Dass wahre Freiheit dann vorhanden ist, wenn wirklich jeder Mensch in Freiheit lebt. Dass es die Solidarität aller erfordert, damit unsere Demokratie funktioniert. Dass die kapitalistische Wirtschaftsweise darauf aufbaut, dass ein großer Teil der Arbeit unbezahlt funktioniert, und genau das aufgelöst werden muss. Aber allem voran wissen wir, dass wir uns die echte Gerechtigkeit erst erkämpfen müssen. Niemand gibt gerne Privilegien ab, das zeigt die Geschichte. Wir merken es in der Debatte um Verteilungsgerechtigkeit, bei der Frage des Umganges von Konzernen mit der Klimakrise oder wenn wir eine simple Frauenquote fordern. Wir Frauen werden weiter darum kämpfen, dass wir eine „menschliche Zukunft“ erreichen. Dafür, dass es irgendwann egal ist, mit welchem Geschlecht man geboren wurde. Weil eben jeder Mensch einzigartig ist, sich entfalten soll und Respekt und Würde verdient hat. Von der Wiege bis zur Bahre. Wir laden alle ein, diesen Weg mit uns zu gehen. Denn wir wissen: Das Leben kann mehr!

SARA DO A. T. DA COSTA
ist Bezirksrätin und Vorsitzende des Umweltausschusses der Bezirksvertretung Landstraße, stellvertretende Vorsitzende der SPÖ Landstraße und seit April 2023 Wiener SPÖ-Frauensekretärin.


[1] Vgl. https://www.staedtebund.gv.at/services/aktuelles/aktuelles-details/?tx_ttnews%5Btt_news%5D=123640&cHash=42d5f845939e008bb6cbc4fab26ea9e1 (letzter Zugriff: 13.03.2024).

[2] Vgl. https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20240305_OTS0097/schiederregner-produkte-aus-zwangsarbeit-haben-am-eu-binnenmarkt-nichts-verloren (letzter Zugriff: 13.03.2024).

[3] Vgl. https://www.coe.int/de/web/impact-convention-human-rights/council-of-europe-convention-on-preventing-and-combating-violence-against-women-and-domestic-violence#/ (letzter Zugriff: 13.03.2024).