Wie Irma Sitter während der Pandemie zurück zur Malerei und so zu einem wahrlichen Glücksgefühl in ihrem Atelier gefunden hat, darüber spricht die bildende Künstlerin im Interview mit ZUKUNFT-Redakteurin Hemma Prainsack. Dabei gibt sie außergewöhnliche Einblicke in ihre Arbeitsweise, beschreibt ihre Leidenschaft für Farben, Philosophie und Geografie und teilt erstaunliche Beobachtungen, die sie in ihrer neuen Heimat Kapstadt gemacht hat.
Hemma Prainsack: Von der leeren, weißen Leinwand zum farbprächtigen Werk, das einlädt, glücklich zu sein. Deine aktuelle Ausstellung im Bank Austria Kunstforum ist mit High betitelt. Nachdem man das erste Bild gesehen hat, eröffnet sich eine Bandbreite an Interpretationsmöglichkeiten, vor allem aber entsteht beim Betrachten ein wahres Glücksgefühl, angeregt durch das Zusammenspiel von Farben, Formen und Bewegungen in den raffiniertesten Nuancen. Wie würdest Du Deinen Arbeitsprozess beschreiben?
Irma Sitter: Ein Bild entsteht aus einer sehr starken Emotion heraus, aus einem sehr starken Drang, mit bestimmten Farben eine Komposition auf dem Bild zu machen. Wenn ich beginne, existiert in meinem Kopf ein Idealbild. Sobald ich auf der Leinwand anfange, lasse ich mich von den Farben leiten und es entstehen dann mitunter Bilder, die so nicht im Kopf waren. Manchmal ist die erste Schicht des Bildes so wie in meiner Vorstellung, aber die meisten Bilder bestehen aus zwei oder drei, manchmal auch aus mehreren Schichten. Das heißt, die Möglichkeiten werden weniger, das Auge ist sehr gefordert. Es geht wirklich darum, das, was ich ausdrücken möchte, auf den Punkt zu bringen. Nach dem Malen der zweiten, der dritten Schicht heißt es für mich irgendwann Stopp, noch eine Schicht und das Bild würde kippen, nicht mehr in Balance sein.
Farben sind immer der Auslöser, bestimmte Farbkombinationen. Ich weiß genau, was ich will, dass ich zum Beispiel mit Rot, diesem Orange und Blau eine Bildkomposition machen möchte. Und es gibt dann diese Stimmung, die auch mit Landschaftseindrücken zusammenhängt. Landschaften sind für mich sehr wichtig, ich nehme die Farben in meiner Umwelt sehr intensiv wahr. Auch wenn meine Bilder abstrakt sind, in manchen Bildern sieht man diese Landschaften wieder, wenn man genau hinschaut.
H.P.: In Deinem Atelier habe ich gesehen, dass Du für Deine Bilder spezielle wasserlösliche Ölfarben und Wasser verwendest. Das bedeutet, dass Du mitunter sehr lange warten musst, ehe Du an einem Bild weiterarbeiten kannst.
I.S.: Darum male ich meistens drei oder vier Bilder, die ich parallel beginne, damit ich immer zu tun habe. Und wenn ich nicht aktiv male, dann schaue ich. Oft ist ein Vormittag nur Schauen, ich schaue und versuche im Kopf Wege zu finden, wie ich diese Bilder fortsetzen kann. Im Atelier bin ich ungestört und ich gehe in meinem Kopf die Visionen durch, was wäre, wenn ich die eine oder andere Farbe dazugäbe – es ist wie Kopfkino. Bevor ich das Bild male, spiele ich in meinem Kopf also ganz viele Variationsmöglichkeiten durch.
H.P.: Dein bildnerischer Ausdruck ist abstrakt, eine absichtliche Wiedergabe von Gegenständen findet sich nur selten. Welche Rolle spielt hierbei das Zufällige, das Ineinanderfließenlassen der gewässerten Farben? Bei Dir liegen die Bilder bei der Arbeit oft in der Horizontale …
I.S.: Ich male deswegen in der Horizontale, weil ich mit sehr viel Wasser arbeite und ich nicht will, dass die Farben verrinnen, nur hin und wieder ist das bezweckt. Wenn die Bilder trocken sind, stelle ich die Bilder sehr wohl auf, um sie zu betrachten und den nächsten Schritt zu planen. Warum ich abstrakt male, ist ganz einfach: es liegt mir einfach mehr. Das gegenständliche, realistische Malen passt nicht zu mir. Ich liebe es wirklich, mich auf die Farbklänge zu beschränken. Die Farbe an sich ist für mich schon eine Hauptsache. Da transportiere ich natürlich Stimmungen, Motive, Gerüche, Sehnsüchte, aber alles abstrahiert. Für jede*n Betrachter*in ist etwas dabei, aus den Bildern kann man seine eigenen Geschichten herausholen. Vielleicht ist es für mich so, Die Wirkung kann dabei ganz unterschiedlich ausfallen, für manche ganz anders als ich es empfinde, für andere wiederum ganz ähnlich wie bei mir. Dadurch ist auch eine Freiheit da.
H.P.: Freiheit wird oft mit der Farbe Weiß assoziiert. Dieser Farbe kommt in Deinem Werk eine besondere Bedeutung zu. Du milderst mit Weiß grelle Farben und korrigierst Formen. Und eigentlich beginnst Du immer auf Weiß, der weißen Leinwand. Warum ist Weiß für Deine Bilder so wichtig?
I.S.: Ich beginne meist mit sehr kräftigen, leuchtenden Farben. Es ist wie ein Spiel, oft sind die Bilder sehr turbulent, da passiert viel. Mit der Farbe Weiß nehme ich aber immer wieder etwas von dem Turbulenten weg und versuche dadurch, das Wesentliche herauszuholen. Weiß ist nicht da, um etwas zuzumalen, sondern man erahnt noch, was davor da war. Aber es ist nur mehr ein Erahnen, beinahe ein Verschleiern, aber es wird etwas weggenommen. Und die weiße Leinwand, die grundierte Leinwand, die so sauber ist – es ist immer schön, wenn ich darauf die ersten Pinselstriche mache, und es ist mir eine große Freude, mit den ersten Strichen die Richtung anzugeben und zu bestimmen, das ist sozusagen der Auftakt. Weiß an sich ist natürlich keine Farbe, es ist sauber, rein, aber das kommt in meinen Bildern nicht vor. Weiß ist tatsächlich ein Hilfsmittel oder eine Möglichkeit, die Farben zu verschleiern, das Chaos zu reduzieren und das Wesentliche hervorzuheben.
H.P.: Besonders auffallend ist, dass die Farbe Schwarz in Deiner Arbeit derzeit gar nicht vorkommt. Weshalb?
I.S.: Schwarz ist eben auch eine Nichtfarbe, Schwarz ist sehr hart. Sie kann wunderschön sein, auch bei Kleidung finde ich sie sehr elegant. Im Moment macht die Farbe Schwarz in meinen Bildern aber keinen Sinn. Vielleicht kommt in Zukunft die Farbe Schwarz dazu, auch die Farbe Braun. Aber Schwarz passt nicht zu den luftigen Bildern, die ich gerade mache, das passt einfach nicht.
H.P.: Das Malen mit Farben und das Abstrakte löst ein unglaubliches Glücksgefühl, ein Hochgefühl in Dir aus, eine Euphorie in der absoluten Konzentration des Malens selbst. Wie gelingt es Dir, in einer Welt, die teilweise sehr traurige Nachrichten für uns bereithält, diese Euphorie zu erhalten?
I.S.: Als die Pandemie ausgebrochen ist, habe ich wieder zum Malen begonnen. Weil es so beklemmend wurde und auch anstrengend für uns, vor allem für die Familie mit Kindern, war für mich dann das Malen, das Gehen ins Atelier Freiheit. Das war für mich ein Ort, an dem ich meine Sehnsüchte visualisieren konnte. Das war kein Wiedergeben von etwas, das mich umgeben hat, sondern es war immer dieser Wunsch, diese Sehnsucht nach etwas, das ich nicht habe, das nicht da ist. Aber im Atelier hatte ich tatsächlich diesen Ort, an dem ich die Ruhe und die Musse hatte, dieses Gefühl auch wirklich zu bekommen.
Mittlerweile kann ich das auch steuern, dass ich mich schnell in die Welt hineinbegebe, wo ich mit den Farben spielen und gleichzeitig starke Emotionen transportieren kann. Ich weiß mittlerweile, was ich brauche, damit ich schnell in diesen Zustand komme – ohne Hilfsmittel von irgendwelchen anderen Substanzen. Die letzte Serie, diese Bubbles und Clouds, damit drücke ich mich jetzt gerade aus. Um diesen Moment des Glücks zu visualisieren, den momentanen, sehr schönen Zustand, dazu braucht man einfach Mut. Mut, mit den Farben auf die Leinwand zu gehen und nicht sofort zu beurteilen und zu sagen, das geht nicht. Auch davon wegzugehen, dass etwas so oder so auszuschauen hat. Dadurch, dass ich abstrakt male, gibt es keine Vorgabe, dass etwas zum Beispiel aussehen muss wie ein Apfel. Es ist dann ein Farbklang und der reagiert mit einem anderen, dann gibt es diese unterschiedlichsten Farbnuancen und die haben eine Beziehung zueinander. So entstehen die Bilder. Also im Aufhören, zu werten, dass etwas nicht gut oder nicht wie etwas aus der materiellen Welt ausschaut.
H.P.: Das ist auch etwas, das wir als Gesellschaft und im Miteinander beherzigen sollten, also nicht leichtfertig zu werten und zu bewerten.
I.S.: Genau, denn es ist keine Kunst, die Leute zu kritisieren. Das Kritisieren ist die größte Unkunst, die es gibt, die aber viele Leute perfekt beherrschen.
H.P.: Bevor Dich die Pandemie wieder zur Malerei gebracht hat, warst Du als Creative Director im In- und Ausland tätig.
I.S.: Ja, ich habe als Kreativdirektorin bei Swarovski gearbeitet. Es ging ums Branding und immer auch um die Bilderwelten, damit die Marke gut funktioniert, damit man der Zielgruppe die richtigen Gefühle vermittelt. Diese Tätigkeit war nicht uninteressant für mich, wobei ich nie Künstlerin sein durfte. Der kreative Input war wichtig, aber das künstlerische Austoben hat sich in Grenzen gehalten. Obwohl ich doch immer wieder die Möglichkeit hatte, bei Filmen mitzuwirken, die Storyboards zu schreiben und damit sehr wohl die Richtung angeben konnte.
H.P.: An der Akademie der bildenden Künste hast Du in der Meisterklasse Markus Prachensky studiert und Dich dabei mit Kunstgeschichte, der Technik, dem wissenschaftlichen Hintergrund und der praktischen Erfahrung auseinandergesetzt. Was war für Dich besonders wichtig an dieser Zeit des Studiums? Und gibt es etwas, das Du angehenden Künstler*innen raten würdest, wenn sie die Studienzeit für sich und ihre Entwicklung bestmöglich nutzen wollen?
I.S.: Es ist immer schön, wenn man diese paar Jahre hat, wo man nicht voll in der Arbeit steht. Jahre zu haben, wo man wirklich viel lesen und anschauen, auch in andere Wissenschaftsbereiche eindringen kann und dadurch einfach neugierig ist, viel für sich aufsaugt. Für mich war es auch für die Kunst ganz wichtig, mich mit unterschiedlichsten Bereichen und Wissenschaften auseinanderzusetzen. Natürlich war die Kunstgeschichte immer sehr wichtig, das Betrachten und Studieren der Originale, viel in Museen gehen, die Geschichte zu verstehen, das war sehr prägend. Aber auch die Beschäftigung mit anderen Wissenschaften wie Geografie, Philosophie und Wirtschaft war für mich sehr bedeutend. In dieser Zeit habe ich sehr gerne philosophische Werke gelesen. Philosophie ist in meine Frühwerke und die damaligen Bilder, die entstanden sind, miteingeflossen. Diese Mischung aus allem, was an den Universitäten angeboten wird, das habe ich aufgesaugt und mich für die unterschiedlichsten Sachen interessiert. Es war für mich notwendig, nicht einseitig, also nur in dieser Kunstblase zu sein. Deshalb habe ich auch Geografie studiert. Das war für mich sehr wichtig, um auszubrechen. Ich habe oft bei Mitstudent*innen gesehen, dass sie nur auf Kunst fokussiert und sehr traumtänzerisch waren … dieses Abgehobene, das war nie meines. Es war mir wichtig, sich mit dem Leben auseinanderzusetzen und Interesse an allen möglichen Wissenschaftsdisziplinen zu haben.
H.P.: Was hat Dich veranlasst, neben der Malerei ein Geografiestudium an der Universität Wien zu absolvieren und wie hilft es Dir in Deiner Arbeit als bildende Künstlerin?
I.S.: Geografie und Geologie hat viel mit Landschaften zu tun, natürlich hat es sehr viele andere Aspekte, aber es geht auch um Geomorphologie, die Entstehungsgeschichte von Gebirgen und Landschaften. Da ich immer schon sehr gerne gereist bin, in der Kindheit mit meinen Eltern und dann als Studentin, wo ich in ferne Länder gekommen bin und wo ich unglaublich tolle Landschaften sehen durfte, ist aus dieser Reiselust eine Faszination für Geografie entstanden. Und auch das Interesse an Geologie, die nicht unbedingt zur Geografie gehört, aber für mich schon sehr damit zusammenhängt. Das war für mich in keiner Weise ein Gegenpol, es war für meine Arbeit befruchtend und inspirierend.
H.P.: Auf Steinen ist der erste Ausdruck menschlicher Vorstellungskraft zu finden, die Höhlenmalerei. Zu einer Leinwand der Einbildung wird die steinerne Wand auch bei Platon und seinem Höhlengleichnis, in dem es um eine Umwendung, ein Umlenken von Sehgewohnheiten geht sowie um die Vernunfterkenntnis und die Idee des Guten. Auf Steinen wurden Szenen und Motive malerisch festgehalten, daraus hat sich eine wunderschöne Kunst entwickelt. Welchen Bezug siehst Du hier und wie hat Dich das Höhlengleichnis inspiriert?
I.S.: Das Gestein an sich und die Geschichte dahinter sind das Spannende. Das Medium Stein ist eigentlich viel spannender als eine weiße Leinwand. Wenn es möglich wäre, würde ich lieber auf einem Stein mit einer uralten Geschichte malen, aber die Leinwand ist natürlich handlicher. Gesteine sind für mich etwas unglaublich Großartiges, wenn man sich vorstellt, wie sie ursprünglich im Meer entstanden sind, Schicht für Schicht dann durch die Faltungen aufgeschoben wurden, Gebirge gebildet haben und dann wieder aufgeschmolzen wurden, wieder neue Formationen gebildet haben und daraus die Kontinente entstanden und wieder aufgerissen sind. Das ist, was mich sehr fasziniert, interessiert und begeistert. In meinem ersten Studienjahr oder noch davor, als ich sehr viel gelesen habe, ist mein erstes Ölbild entstanden. Man sieht darin die philosophischen Einflüsse, u. a. Platon, wobei ich nicht mehr weiß, ob ich es direkt auf das Höhlengleichnis bezogen habe. In diesem Bild ist nur ein Mensch, alle anderen sind nur Schatten, Hüllen. Das ist auf diesem Bild visualisiert und ich habe dieses Bild aufgehoben.
H.P.: Einige Bilder von Dir zeigen Körper, wie die drei Musen, über welche sich ein Schleier legt, wobei Du nur durch einen Schlitz im Schleier einen Einblick auf die Körper freilegst und gewährst. Welchen Reiz hat es für Dich, Figuren verschleiert darzustellen und in der Fantasie der Betrachter*innen lebendig werden zu lassen?
I.S.:Hierbei ergibt sich eine Spannung, man möchte wissen, was ist dahinter. Es ist nicht so offensichtlich, es erstrahlt nicht in seiner Pracht, man sieht eben nur einen kleinen Teil davon. Der Rest ist wieder Fantasie und in der Vorstellung. Als ich noch figurativ gemalt habe, gab es immer wieder diese Schleier, diese transparenten Schichten, die einen Teil des Körpers verdeckt haben. Die Betrachter*innen werden angeregt, das Bild in ihrem Kopf fertigzustellen oder auch nicht. Eigentlich sind diese Schichten, diese Schleier und Vorhänge ein Gestaltungsmittel. Das kommt auch von der Mode, Mode inspiriert mich, Kleider, Farben, Stoffe, wie sie am Körper aussehen – das ist etwas sehr Inspirierendes, darum kommen sie auch in meinen Bildern vor. Schichten, die sich dann über Figuren legen und eine Dynamik entsteht.
H.P.: In Deiner früheren Arbeit finden sich immer wieder Zitate aus der Kunstgeschichte. Dabei fällt besonders auf, dass Du das Bildnis der Infantin Margarita von Velázquez in mehreren Variationen wiederholt gemalt hast. Warum genau dieses Motiv?
I.S.: Es kommt von der Liebe zu diesen großen Museen der Welt und der Betrachtung der Klassiker. Ich bin sehr oft im Museo del Prado gewesen und dieses mysteriöse Bild der Infantin von Velázquez, bei dem man noch immer nicht genau weiß, was spiegelt sich in diesem Bild im Spiegel, seine Geschichte und das spanische Hofzeremoniell, das war so eine große Inspirationsquelle für mich, dass ich mit dieser Serie der Infantin begonnen habe: Infantin Margarita, die Liegende, Infantin Margarita, die auf den Boden gefallene, die Rose, die in der Luft schwebt, die Infantin, die sich versteckt, die aus dem Bild hinaushuscht, davon habe ich mehrere Variationen gemacht. Es sind sehr figurative Bilder, bei denen mich einfach der Inhalt dieses Bildes sehr interessiert hat, wobei nie das, was sich im Spiegel spiegelt, zum Motiv geworden ist. Ich habe mich visuell mit den Figuren auseinandergesetzt, mit dem Barocken.
H.P.: Und schon damals hast Du Dich entschieden, dass Du mit Öl malen möchtest, und Du verzichtest weitgehend auf Spachteln oder dünne Pinsel.
I.S.: Ja, ich bin da sehr reduziert, ich habe eigentlich nur meine Pinsel, die von der Breite her alle gleich sind. Ich habe weder Spachtel noch sonstige Hilfsmittel, einfach die Farben, manchmal die Farbpalette, breite Pinsel und viel Wasser. Damals habe ich noch mit Terpentin gemalt, es gab die wasserlöslichen Ölfarben noch nicht. Also hatte ich sehr wohl noch Terpentingerüche im Atelier und musste die auch einatmen, aber ich bin froh, dass es jetzt wasserlösliche Ölfarben gibt.
H.P.: Heute umgeben wir uns immer mehr mit (digitalen) Bildern, die vielleicht Momente überlagern, in denen eigene Bilder in der Fantasie entstehen könnten. Als Pädagogin hast Du bildende Kunst unterrichtet. Worauf glaubst Du, sollte man in der bildenden Kunst bei Heranwachsenden besonders achten?
I.S.: Jedenfalls die Zeit mit dem Smartphone begrenzen. Wichtig ist, dass man sich auch mit Dingen, die nicht digital sind, beschäftigt. Dass man Dinge betrachten kann, sich nicht permanent ablenken lässt und sich intensiv mit einer Sache befassen und sich bewusst darauf einlassen kann. Nicht dieses schnelle Blättern, die vielen Bilderwelten vorbeihuschen und sich berieseln zu lassen, sondern einfach auch zu verweilen, den Dingen wirklich Aufmerksamkeit schenken. Beobachten, Schauen, sich Zeit nehmen.
H.P.: Bei der Zusammenarbeit mit jungen Künstler*innen habe ich festgestellt, wie schwer es besonders für bildende Künstler*innen hierzulande ist, Wertschätzung, Augenmerk und die notwendige Aufmerksamkeit zu bekommen. Welche Anregungen hast Du, damit Österreich eine junge, lebendige, vielfältige und international mithaltende bildende Kunstlandschaft wird, die bildenden Künstler*innen eine kulturelle Heimat sein kann?
I.S.: Das ist eine sehr schwierige Frage für mich, weil ich natürlich nur von mir ausgehen kann. Als ich mit dem Studium fertig wurde, war es extrem schwierig, wahrgenommen zu werden. Ich hatte schon die eine oder andere Ausstellung mit Galerien, aber es war sehr zäh. Und ich wollte einfach aus dem engen Umfeld rauskommen und hinaus in die Welt … viel sehen, erleben, auch im Arbeitsleben. Ich hätte mir nicht vorstellen können, gleich nach dem Studium hier in Wien zu bleiben, hier als Künstlerin zu arbeiten und zu versuchen, Ausstellungen zu machen. Hier bin ich vielleicht auch atypisch, weil es für mich nicht so wichtig war, hierzubleiben und fix mit einer Galerie zu arbeiten. Es war für mich bedeutender, hinauszukommen, zu lernen und in der Welt viele Dinge zu sehen. Ich denke, dass die Kunstakademien heute anders funktionieren und die Studierenden auf das Leben schon viel besser vorbereiten. Sie versuchen auch, Kooperationen mit Unternehmen zu ermöglichen. Ich bin mir sicher, dass mittlerweile vonseiten der Professor*innen viel mehr gemacht wird. Das war bei mir noch nicht so. Es ist sehr wichtig, als Kreative*r zu schauen, wo und wie ich mein kreatives Können einfließen lassen kann und hierbei muss man auch selbst kreativ werden.
H.P.: Eine Öffnung und Kooperation zwischen Unternehmen und Künstler*innen könnte zu einer wechselseitigen Befruchtung und somit mehr Wertschätzung und Aufmerksamkeit der bildenden Kunst führen. Was könnten die politisch Verantwortlichen sowie (Kultur-)Einrichtungen hierzu beitragen?
I.S.: Diese Krisen, die wir alle bewältigen müssen, sind eine große Herausforderung. Trotzdem ist es wichtig, dass dieses Verständnis auch in der Politik vorhanden ist, dass wenn dieser Austausch mit der Kultur noch weniger wird oder verschwindet, die Bevölkerung dabei abstumpft und es in der Folge einen Nachteil für das ganze Land und die nachkommenden Generationen hat. Daher ist es wichtig, dass wir Politiker*innen haben, die auch in Krisenzeiten die Kultur nicht vergessen. Und dass sie Möglichkeiten schaffen für Leute, die sehr introvertiert und noch unbekannt sind und leisen Künstler*innen Plattformen und Einrichtungen geboten werden, wo sie gehört und gesehen werden können, auf sie aufmerksam gemacht wird, ohne dass sie Fürsprecher*innen oder besondere Netzwerke mitbringen.
H.P.: Mittlerweile lebst Du mit Deiner Familie in Kapstadt, Südafrika. Welche Unterschiede kannst Du im Umgang mit zeitgenössischer und bildender Kunst zwischen den Kontinenten feststellen?
I.S.: In Kapstadt gibt es sehr spannende zeitgenössische Museen, eines davon ist das Zeitz MOCCA Museum, da ist der gesamte afrikanische Kontinent vertreten, Künstler*innen aus dem Kongo, aus Mosambik, Malawi – aus den unterschiedlichsten Ländern. Natürlich auch aus Südafrika, das heißt, ich bekomme hier einen Blick auf den gesamten Kontinent. Es ist für mich sehr inspirierend, diese Kunst anzuschauen und die Probleme der Künstler*innen zu sehen. Afrika ist ein so gewaltiger Kontinent und die Probleme sind auch so gewaltig und schwierig zu bewältigen. Trotzdem, das erlebe ich in Kapstadt, sind die Leute sehr gelassen und haben immer diese Fröhlichkeit im Gesicht. Meine Familie und ich fühlen uns dort wirklich zuhause, obwohl wir noch gar nicht so lange da sind.
H.P.: Wie glaubst Du wird sich Deine neue Umgebung auf Deine nächsten Bilder auswirken und Deine Arbeit verändern?
I.S.: Im Atelier in Wien waren es die Sehnsüchte, die in meine Bilder eingeflossen sind. In Kapstadt sind die Sehnsüchte wirklich präsent. Das Meer, die tolle Landschaft etc. Das, was ich mir erträumt habe, das erlebe ich in Kapstadt tatsächlich: ich habe diese wunderbaren Farben vor meinen Augen, dieses einzigartige Tafelberg-Massiv, diesen gewaltigen, eiskalten Atlantik, hier habe ich so viel, dass ich aus dem Vollen schöpfen kann, es sind keine Sehnsüchte mehr, sondern es ist die Realität, die ich dort erlebe, die fließt in meine Bilder ein.
H.P.: Welche Wünsche und Erwartungen hast Du an Deine Zukunft?
I.S.: Für die Zukunft wünsche ich mir, als Künstlerin wahrgenommen zu werden und die Möglichkeiten zu bekommen, immer wieder Ausstellungen zu machen.
H.P.: Wir drücken Dir die Daumen und im Namen der ZUKUNFT bedanke ich mich ganz herzlich für dieses so inspirierende und anregende Gespräch!
Das Interview mit Irma Sitter wurde am 21.09.2022 im Rahmen ihrer Ausstellung High im Bank Austria Kunstforum geführt.
IRMA SITTER
studierte Malerei und Geografie in Salzburg und wechselte dann nach Wien an die Akademie der Bildenden Künste in die Meisterklasse von Markus Prachensky. Sie absolvierte ihr Studium im Jahr 1998 und begann ein Doktoratsstudium am Institut für Kunstgeschichte. Danach arbeitete sie in der Werbebranche als Kreativdirektor bei Swarovski. Zurzeit lebt und arbeitet Irma Sitter in Wien und Kapstadt.
Weitere Informationen online unter:
www.irma-sitter.com
https://instagram.com/irma_sitter?igshid=YmMyMTA2M2Y=
HEMMA MARLENE PRAINSACK
ist Film- und Theaterwissenschaftlerin. In ihrer Dissertation widmet sie sich dem Filmstar Harry Piel, dem Sensationsfilm und dem Motiv der Panik zwischen Kaiserzeit und Nationalsozialismus. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Verein Institut für Kulturstudien. Davor arbeitete sie in der Generaldirektion des Österreichischen Rundfunks und bei zahlreichen Produktionen am Burgtheater Wien im Bereich Regie und Video.
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