Nur Ja heißt Ja! Frauen in Gewerkschaften – Interview mit Evelyn Regner VON EVELYN REGNER UND VIKTORIA KRIEHEBAUER

Im Interview mit EVELYN REGNER diskutieren VIKTORIA KRIEHEBAUER und MARLIES ETTL von Terre des Femmes Österreich das grundlegende Verhältnis aktueller Frauenpolitik zur sozialdemokratischen Gewerkschaftsbewegung. Dabei steht nach wie vor die Notwendigkeit vor Augen, feministische Politik umzusetzen.

Terre des Femmes: Wie verlief Dein Karriereweg und was kann die Fraktion Sozialdemokratischer Gewerkschafter:innen (FSG) tun, um mehr Frauen in führende Gewerkschaftspositionen zu bringen?

Evelyn Regner: Ich bin Juristin und habe meine ersten beruflichen Erfahrungen bei Amnesty International gemacht. Als Österreich erst kurz EU-Mitglied war, habe ich meine Abschlussarbeit Flüchtlingsrecht in der EU geschrieben. Das war mein persönlicher Einstieg in die komplexen EU-Themen. Etwas später leitete ich das ÖGB-Büro in Brüssel und seit 2009 bin ich Abgeordnete im Europäischen Parlament. Mein Appell an die Politik im Allgemeinen, aber auch innerhalb der Gewerkschaft, ist: Wer über Führungspositionen entscheidet, soll einfach direkt Frauen fragen! Und sie fragen, was sie brauchen, um dorthin zu gelangen. Es kann nicht sein, dass Frauen weiterhin gegen gläserne Decken kämpfen müssen, während Männer durch Netzwerke automatisch nach oben kommen.

T. d. F.: Sind politische Karrieren eine Voraussetzung für Führungspositionen in Gewerkschaften?

E. R.: Kompetenz und Verantwortungsbewusstsein sind entscheidend. Oft ist es aber so, dass Männer, die bereits bekannt sind, hervorgehoben werden. Das muss sich ändern. Viele erfolgreiche Gewerkschafterinnen haben vorher politische Erfahrung gesammelt – das ist ein Vorteil, aber keinesfalls eine Voraussetzung. Entscheidend ist, dass Frauen gezielt gefördert werden, damit sie überhaupt die Chance bekommen, in diese Positionen aufzusteigen.

TDFÖ.: Wie bewertest Du die internationale Zusammenarbeit mit dem Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB)?

E. R.: Als Feministin und Gewerkschafterin im Europaparlament ist der EGB ein naheliegender Partner. Ich habe mir in den letzten Jahren ein großes Netzwerk in den Institutionen der EU, der Sozialpartner:innen und Mitgliedsstaaten aufgebaut, das auf Vertrauen und engem Austausch basiert. Dieser essenzielle Austausch funktioniert unter anderem über unsere parlamentarische Intergroup für Gewerkschafter:innen, in der wir uns regelmäßig partei- und ausschussübergreifend zu wichtigen Gewerkschaftsthemen austauschen und zu der wir auch Partner:innen aus dem EGB einladen. Ein Beispiel für diese Zusammenarbeit ist die Lohntransparenz-Richtlinie: durch den regelmäßigen Austausch mit Esther Lynch, der Generalsekretärin des Europäischen Gewerkschaftsbundes, vielen Expert:innen und Berichten aus den Betrieben konnten wir das Gesetz überhaupt erst zustande bringen. Nur so konnten wir die Arbeitswelt wirklich abbilden. Ohne die enge Zusammenarbeit zwischen den Institutionen und Gewerkschaften wäre es kaum möglich gewesen, dieses Gesetz zu entwerfen.

Evelyn Regner © EP _CCR

TDFÖ: Die Lohntransparenz-Richtlinie: Wie umsetzbar ist sie wirklich? 

E. R.: Alle Länder, die Lohnunterschiede verkleinern oder sogar beseitigen konnten, wie z. B. Luxemburg, haben Transparenzregeln gesetzlich eingeführt – verbindliche Maßnahmen wirken also. Transparenz verringert Lohnunterschiede. Arbeitgeber:innen sprechen von „bürokratischer Belastung“ – das ist eine Ausrede! Transparenz bedeutet: Ich weiß mehr als vorher und lasse mich nicht für dumm verkaufen. In der Praxis muss sichergestellt werden, dass Unternehmen tatsächlich ihre Löhne offenlegen. Die Umsetzung in Österreich wird zeigen, ob der politische Wille da ist. Das Ziel muss die finanzielle Unabhängigkeit für Frauen sein.

TDFÖ.: Wie läuft die Zusammenarbeit zwischen Österreich und der EU in der Sozialpartnerschaft?

E. R.: Österreich hat eine starke Tradition, doch es gibt nach den letzten Jahren und dank Schwarz-Blau viel aufzuholen. In den ersten Jahren nach dem EU-Beitritt hat Österreich viel zur europäischen Sozialpartnerschaft beigetragen. Auch in der Sozialpolitik gilt: von anderen Mitgliedsstaaten lernen. Österreich ist eines der Länder, die die höchste Kollektivvertragsdichte hat. Wir wollen andere Mitgliedsstaaten davon überzeugen, dass von Kollektivverträgen alle profitieren. Diese regeln in erster Linie die Rechte und Pflichten für Arbeitgeber:innen und Arbeitnehmer:innen. In verschiedenen Gesetzen – nennenswert ist hier die Richtlinie zu den europäischen Mindestlöhnen – schaffen wir Anreize für andere Staaten, Löhne kollektivvertraglich zu regeln. Die österreichische Sozialpartnerschaft könnte hier wieder eine Vorbildfunktion einnehmen. Leider wurde die Sozialpartnerschaft in den letzten Jahren erheblich geschwächt, insbesondere seit 2017 und unter Schwarz-Blau 2: Entscheidungen wurden zunehmend ohne Einbindung der Sozialpartner:innen getroffen, was die Verhandlungsposition der Arbeitnehmer:innen verschlechtert hat.

TDFÖ: Warum setzt Österreich viele EU-Gesetze so schleppend um?

E. R.: 100 % der Gesetze werden in der EU mit den Mitgliedstaaten beschlossen. Oft werden sie dann schlecht umgesetzt. Wenn etwas nicht gut läuft, heißt es dann, die EU sei schuld. In Wahrheit scheitert es oft an ideologischen Gründen. Besonders im Bereich Gleichstellungspolitik blockieren konservative Kräfte immer wieder notwendige Reformen. Und wenn ein EU-Gesetz dann doch umgesetzt wurde, hat es sich die vorherige Regierung selbst auf den Hut geschrieben, anstatt zu erklären, dass es sich um ein EU-Gesetz handelte. Die Lohntransparenzrichtlinie beispielsweise trat im Mai 2023 in Kraft. Sie könnte eigentlich schon fertig umgesetzt sein. Aber ich muss sagen, in diesem speziellen Fall freue ich mich, dass die Arbeit nun der aktuellen Regierung zufällt.

TDFÖ: Welche Fortschritte gibt es in der europäischen Frauenpolitik?

E. R.: Es ist in den letzten Jahren viel passiert: Lohntransparenz, europäische Mindestlöhne, Frauenquote, Ratifizierung der Istanbul-Konvention. Noch nie wurden so viele Gesetze in einer Legislaturperiode verabschiedet, die Frauen zugutekommen, wie in der letzten. Jetzt müssen die Mitgliedsstaaten diese Gesetze konsequent und klug umsetzen. Nur dann verbessert sich das Leben von Frauen nachhaltig. Extrem wichtig ist auch, dass diese Errungenschaften nicht durch politische Rückschritte gefährdet werden. In einigen Ländern und weltweit sehen wir, dass Gleichstellungsrechte unter Druck geraten. Durch Desinformation und den Versuch, Demokratien zu unterwandern, insbesondere durch rechte Parteien, werden als erstes die Frauenrechte in Frage gestellt, als zweites unsere liberalen Demokratien. Das dürfen wir nicht zulassen.

TDFÖ: Frauen in Aufsichtsräten: Welche Bedeutung hat die Richtlinie für Dich?

E. R.: Die informelle Männerquote hat viel zu lang existiert. Jetzt gibt es objektive Kriterien. Mehr als zehn Jahre war ich Berichterstatterin für dieses Gesetz – es ist mir persönlich sehr wichtig. Man könnte sogar sagen, ohne mich gäbe es die Richtlinie nicht. Sie ist essenziell für die Sichtbarkeit von Frauen in Führungspositionen. Die Zahlen und Erfahrungsberichte von Frauen zeigen, dass freiwillige Maßnahmen nicht ausreichen. In Ländern mit verbindlichen Quoten sind Frauen in Aufsichtsräten stärker vertreten. Ich will Frauen an der Spitze sehen und sie müssen in jedem Bereich sichtbar sein – das ist das Ziel.

TDFÖ: Wie bewertest Du die International Labour Organization (ILO)-Konvention gegen Gewalt am Arbeitsplatz und Österreichs Verweigerung der Ratifizierung?

E. R.: Viele Regierungen wollen schlicht nichts ändern. Aber Gewalt in der Arbeitswelt ist ein reales Problem, das endlich angegangen werden muss. Nach jahrelangem Druck, insbesondere seitens der Gewerkschaft, hat Österreich im September 2024 endlich die ILO 190 unterzeichnet. Ich habe mich sehr über diesen längst überfälligen Schritt gefreut. Es ist ein starkes Signal, dass dem Staat das Wohlbefinden jedes und jeder einzelnen in der Arbeitswelt ein Anliegen ist.

TDFÖ.: Macht es Sinn, dass Prostituierte sich gewerkschaftlich organisieren?

E. R.: Ja, es macht immer Sinn sich zu organisieren! Es ist essenziell, dass man sich zusammenschließt und für ein besseres Leben kämpft. Und für Wahlmöglichkeiten kämpft. Oft finden sich Frauen in der Prostitution wieder, die keine andere Wahl haben. Wenn man keine andere Wahl hat, dann ist es keine freie Wahl.

TDFÖ: Was ist seit der Annahme des Berichts zur EU-weiten Prostitutionspolitik in 2023 passiert?

E. R.: Viel zu wenig! Eine breite gesellschaftliche Diskussion zum Thema wäre notwendig, aber es fehlt der politische Wille. Meine Kolleginnen und ich nehmen das Thema sehr ernst und arbeiten daran, dass es nicht in der Versenkung verschwindet. Gerade Länder wie Frankreich und Spanien haben bereits Schritte unternommen und Gesetze zum besseren geändert. Österreich hinkt weiter hinterher.

TDFÖ: „Nur Ja heißt Ja“ wurde nicht ins Gewaltschutzpaket aufgenommen. Wie stehst Du dazu?

E. R.: Im Europaparlament setzen wir uns quer durch die Ausschüsse hinweg massiv dafür ein, dass dieses Thema wieder auf den Tisch kommt. Ein Nein reicht nicht aus – es braucht ein ausdrückliches Ja für Konsens. Die aktuellen Gesetzeslücken lassen zu viele Graubereiche zu, die dazu führen, dass Täter geschützt und Opfer in eine schwierige Beweislage gebracht werden. Wir wollen diese Beweislast umkehren!

TDFÖ: Abschließend: Welche Gefahren siehst Du für Frauenrechte aktuell? 

Es gibt die erschreckende Entwicklung der sogenannten „Trad Wives“ (Traditional Wives, engl. für traditionelle Hausfrauen), also die Vorstellung, dass der Platz der Frauen am besten zu Hause sei. Konservative und rechte Kräfte beschwören dabei eine romantische Vorstellung der „alten Zeit“ herauf. Das ist schlicht eine erfundene Vergangenheit – in Wahrheit waren Frauen früher wirtschaftlich von ihrem Partner abhängig. Diese Ideologie schüchtert Frauen ein, dabei haben wir über Jahrzehnte für unsere Rechte gekämpft. Besonders Desinformation und populistische Strömungen versuchen, Gleichstellungsfortschritte zurückzudrehen und Demokratien zu unterwandern. Wir dürfen da nicht nachlassen, sondern müssen weiterhin für eine moderne, gerechte und gleichberechtigte Gesellschaft kämpfen!

EVELYN REGNER

ist seit 2009 SPÖ-Europaabgeordnete. Die studierte Juristin, arbeitet als Gewerkschafterin insbesondere für die Beschäftigten in ganz Europa und damit Österreich. Sie hat in den letzten Jahren einen Schwerpunkt auf Verteilungsgerechtigkeit, inklusive Steuerpolitik, und Frauenrechte gelegt. In diesen Bereichen konnte sie mit ihrem Team einige Europäische Gesetze erwirken, verhandeln und ausschlaggebend gestalten (Bsp. Lohntransparenz, Konzernsteuerbemessungsgrundlage, etc.).

VIKTORIA KRIEHEBAUER

hat 1982 die Hertha Firnberg Schulen für Wirtschaft und Tourismus (HFS) gegründet. Sie engagiert sich derzeit als Vorstandsmitglied der Frauen-NGO Terre des Femmes Österreich (www.terredesfemmes.at), um alle Formen der Gewalt an Frauen zu bekämpfen. Sie ist Trägerin des Käthe-Leichter-Preises und der Otto-Glöckel-Medaille.

MARLIES ETTL

war langjährige Schulleiterin der Hertha Firnberg Schulen (HFS). Seit vielen Jahren engagiert sie sich auf verschiedenen Ebenen der Frauenpolitik und ist eine profiliert auftretende Feministin. Sie ist Mitgründerin sowie stellvertretende Vorsitzende der NGO Terre des Femmes Österreich. Sie wurde mit dem Wiener Frauenpreis, dem Grete-Rehor- und dem Anton-Benya-Preis ausgezeichnet. Weitere Informationen finden Sie unter: www.terredesfemmes.at & www.firnbergschulen.at.