Der Beitrag von GREGOR O. NOVAK geht der Rolle und Funktion der Künstlichen Intelligenz (KI) in unserer Wissens- und Informationsgesellschaft nach, um vor allem mögliche Veränderungen im Bildungssystem und dessen Beitrag zur Chancengleichheit zu diskutieren. Dabei betont er, dass es vor allem auf internationale europäische Zusammenarbeit ankommen wird.
I. Einleitung: KI und Lernen
Künstliche Intelligenz wird das Lernen grundlegend revolutionieren und einen Quantensprung bei der Wissensvermittlung darstellen. Sie könnte aber darüber hinaus die Chance sein, das gerade in Österreich festgefahrene Schulsystem frei von ideologischer Verbohrtheit aufzubrechen. Anstelle der in den letzten Jahrzehnten immer wieder diskutierten oder umgesetzten rein kosmetischen Korrekturen eines völlig veralteten Systems, ermöglicht es Künstliche Intelligenz nunmehr den Fokus auf eine optimale und motivierende Art der Wissensvermittlung und Persönlichkeitsbildung zu legen.
II. Die Schwächen des klassischen Bildungssystems
Menschen lernen durch Zuhören und Zusehen, Greifen und Begreifen, Interagieren und Gebrauchen, Spielen und Spaß sowie durch Tun und Fehlermachen. Aber Menschen sind unterschiedlich, beim einen ist das eine, beim anderen das andere stärker ausgeprägt. Der eine lernt schneller, der andere langsamer. Der eine mag Competition mehr als der andere und trotzdem wollen alle besser werden. Frust und Unlust entstehen dann, wenn der Unterschied in der Gruppe zu groß ist, sowohl bei Unter- als auch Überforderung. Erschwerend kommt hinzu, dass vielen Kindern und Jugendlichen das Sprachverständnis fehlt, Kinder nicht mehr gelernt haben, sinnerfassend zu lesen, sofern sie der deutschen Sprache überhaupt mächtig sind, und die Aufnahmespanne durch Social Media immer kürzer wird. Themen und Herausforderungen für die das klassische und Jahrhunderte alte Bildungssystem selbst mit digitaler Kosmetik ungeeignet ist.
III. Digitalisierung in der Bildung
Mit der Verfügbarkeit kostengünstiger Personal Computer in den 1990er-Jahren und schlussendlich von Smartphones und dem leichten Zugang zum Internet mit dem Ende der 2000er-Jahre hat die Digitalisierung in sämtliche Bereiche des Lebens Einzug gehalten, so auch in unserem Bildungssystem. Während jedoch Digitalisierung – richtig eingesetzt – in vielen Bereichen der Wirtschaft eine Effizienzsteigerung ermöglichte und zur Hebung der Lebensqualität und des Lebensstandards beigetragen hat, kann davon im Bereich der Bildung nicht gesprochen werden. Die Coronazeit hat dahingehend gezeigt, dass es unweigerlich zu Qualitätsverlusten kommt, sofern die Art der Wissensvermittlung von Präsenz nicht auf Online angepasst wird. Gleiches gilt für das Ersetzen von handschriftlichen Arbeiten durch Textverarbeitungsprogramme. Dies führt nicht nur zu einem geringeren Lernerfolg, sondern verleitet vielmehr dazu, die Arbeit gleich von Tools wie etwa ChatGPT erledigen zu lassen.
Während die Sinnhaftigkeit der Digitalisierung des Unterrichts durchaus in Frage gestellt werden kann, wird der Einsatz von KI in der Bildung diese grundlegend revolutionieren. Wer denkt, dass es ausreichend ist, im Unterricht vor den Gefahren von KI zu warnen, aber die Art und Weise der Wissensvermittlung nicht ändert, der wird ebenso wie bei der Digitalisierung scheitern. Wir müssen daher Bildung im Zeitalter der Digitalisierung neu denken.
IV. Die Revolution zu einem menschengerechteren Bildungssystem
Den Schlüssel zu einem Bildungssystem, dass den Menschen auf allen Ebenen gerecht wird, stellt das Verstehen der natürlichen Sprache durch Computersysteme dar. Dies wird seit Kurzem durch Large Language Models möglich. Mit diesen kann nunmehr, in menschlicher Sprache mit Computersystemen kommuniziert werden. Dies betrifft sowohl die Ein- als auch Ausgabe sowie das „Verständnis“ für den Inhalt und dessen Übersetzung. Stellt man diesen Systemen nun lehrstoffspezifische Wissensdatenbanken zur Verfügung, können nunmehr fach- und schulstufenspezifische Lehrinhalte vermittelt werden. Ebenso hat sich die Spracherkennung in den letzten Jahren durch KI so weit verbessert, dass deren Zuverlässigkeit ausreichend gut ist. Kombiniert man dies nun mit Computerspieltechnologien wird das Lernen zum Erlebnis in einer virtuellen Welt. Wissensvermittlung wird zum Spiel und in eine natürliche Form gebracht. Wissen wird Teil der Umgebung und Lernende werden Teil dieser Virtual Reality. Durch Interaktion mit Sprache und Bild wird Wissen auf natürliche Weise vermittelt. Die Anpassung und Optimierung der Form der Wissensvermittlung auf unterschiedliche Lerntypen und Lerngeschwindigkeiten wird also durch mitlernende Systeme ermöglicht.
In Zukunft werden handschriftliche Texte automatisiert korrigiert werden können. Sprachlernsysteme werden das Erlernen und Verbessern einer Sprache (gesprochen und geschrieben) beschleunigen und verbessern. Damit wird die Integration gefördert. Lerninhalte werden verbildlicht und damit leichter erlernbar und können nicht nur in der Unterrichtssprache vermittelt werden. Neben der Vermittlung unterschiedlicher Wissensgebiete wird damit auch Nachhilfe obsolet.
V. Freiheit, Gleichheit, Solidarität
Bildung ist der Schlüssel zu Freiheit, Demokratie und einem selbstbestimmten Leben. Zugang zu Wissen und Ausbildung muss barrierefrei und jedem zugänglich sein und ist nicht mehr rein auf Schule oder weiterführende Ausbildungsinstitute beschränkt. Damit wird lebenslanges Lernen ebenso ermöglicht werden wie die Schließung des Digital Divide. Denn gerade in der Schule wird Künstliche Intelligenz Lehrenden den Spagat zwischen Unterforderung und Überforderung bei der Vermittlung von Lerninhalten abnehmen können, sodass sich die Lehrkräfte vermehrt betreuenden Tätigkeiten widmen können. Damit könnte auch eine Demokratisierung unseres Bildungssystems im Sinne „flacher Hierarchien“ möglich werden.
Freiheit durch Bildung ist – auch im Sinne des Gleichheitsgrundsatzes – eine der Missionen der Sozialdemokratie. Bildung muss frei verfügbar und im solidarischen Sinne der Gleichheit für alle Bürger*innen zugänglich sein. Sie darf nicht nur Menschen zur Verfügung stehen, die sich diese leisten können. Ebenso muss Bildung frei von Manipulation sein (Fake News, Propaganda, Werbung etc.). Damit zukünftiges Lernen nicht in die Hand internationaler Großkonzerne fällt, müssen freie staatliche Europäische Technologien im Sinne des Open-Source-Prinzips entwickelt werden. Auch muss dahingehend das öffentliche Bildungssystem gestärkt und ausgebaut werden.
VI. Ein Aktionsplan für digitale Bildung
Auch wenn sich die Technologie rasant entwickelt, wird es noch ein weiter Weg bis zur Verfügbatkeit optimaler Lernsysteme verfügbar werden. Ein Schritt in diese Richtung stellt der am 30. September 2020 veröffentlichte Aktionsplan für digitale Bildung (2021–2027) der Europäischen Union dar (vgl. https://education.ec.europa.eu/de/focus-topics/digital-education/action-plan). Dieser hat das Ziel der Unterstützung der EU-Länder bei der Anpassung ihrer Bildungs- und Berufsbildungssysteme an das digitale Zeitalter. Dies ist jedoch nicht genug und hat die eingangs erwähnten Nachteile. Bildung muss nicht nur bestehende Technologien einsetzen und internationalen Trends folgen, sondern Wissensvermittlung im Sinne der Medienpädagogik grundlegend radikal sowie innovativ neu denken und Innovationstreiber werden. Dies erfordert Investitionen in universitäre Forschung und Entwicklung, eine internationale europäische Zusammenarbeit und den Aufbau staatlicher Lern- und Wissenstransferplattformen.
VII. Conclusio
Der Einsatz Künstlicher Intelligenz bietet erstmals seit dem 6. Dezember 1774 (Einführung der Theresianische Schulordnung) die Möglichkeit, nach 250 Jahren Schule und Bildung grundlegend zu reformieren und sowohl menschen- als auch zeitgerecht zu gestalten. Die Sozialdemokratie sollte sich auf allen Ebenen dieser Herausforderung stellen.
GREGOR O. NOVAK
ist Visionär, Entrepreneur und seiner Zeit voraus.