Der Beitrag von ORNA SHANI beleuchtet die dramatischen Ereignisse des Siebten Oktober 2023, als die Hamas den schwersten Angriff auf Israel seit 1948 durchführte. Shani beschreibt die persönlichen Erlebnisse während des Angriffs, der die israelische Bevölkerung in Angst und Schrecken versetzte. Shani kritisiert dabei die internationalen Reaktionen auf den Konflikt, insbesondere in den USA und Europa, wo Demonstrationen zur Unterstützung der palästinensischen Sache stattfanden. Sie stellt in diesem Zusammenhang fest, dass die westlichen Demokratien moralische Doppelzüngigkeit zeigen, indem sie Antisemitismus und Hass tolerieren.
I. Mein Siebter Oktober: Schock und Ehrfurcht
Am Samstagmorgen gegen sechs Uhr durchbrach der durch Mark und Bein gehende Alarm der Sirenen die Stille. Er hallte durch die Straßen Israels und riss uns aus dem Schlaf. Wir wussten, dass wir nur zwei Minuten Zeit hatten, um vom Moment des Sirenensignals bis zum Einschlag der Bomben den Schutzraum zu erreichen.[1] Wir befanden uns im sechsten Stock. Die Benutzung des Aufzugs ist während eines Sirenenalarms verboten. Ich nahm unseren Hund an die Leine und wir rannten los. Unsere Nachbar*innen rannten ebenfalls in den Schutzraum, wie der Besitzer des Taschenladens und seine Frau, der Techniker mit einem schlafenden Baby auf dem Arm und die beiden Mädchen in geblümten Pyjamas, die neben ihrer Mutter, der Kulturmanagerin, liefen. Das ältere Ehepaar aus dem fünften Stock suchte ebenfalls Schutz mit seinem kleinen Pinscher. Schritte hämmern auf der Treppe und Worte der Dringlichkeit werden in die Luft geworfen, als würden sie mit uns rennen und versuchen, mit uns Schritt zu halten. Dieses Mal haben wir es nicht ganz geschafft. Im letzten Moment hören wir die Raketen – ein „Boom“, das die Wände zum Wackeln brachte, und ein weiteres „Boom“, das sehr nahe klang. Wir warteten fünf Minuten, immer noch benommen und ängstlich, und schalteten sofort das Radio ein. Hunderte Raketen wurden auf Zentralisrael abgefeuert. Wir blieben wachsam und lauschten auf neue Entwicklungen. Wir beschlossen, mit dem Hund spazieren zu gehen. Es war Samstag und auf den Straßen herrschte die typische Ruhe. Ein einzelnes Auto fuhr auf der Straße, der Fahrer hielt an und brach in hysterische Tränen aus. Ich machte mir Sorgen um ihn: Was war passiert? Als wir nach Hause kamen und den Fernseher einschalteten, wurde uns klar, dass sich das Leben verändert hatte. Die Nachrichtensprecher*innen erhielten Anrufe von Menschen, die sich in ihren sicheren Räumen zu Hause befanden – Terroristen waren in ihre Häuser eingedrungen. Tausende Terroristen. Der Nachrichtensprecher bat das Militär um Hilfe. Israel befand sich mit den Hamas-Terroristen im Krieg.
II. Die Wurzeln der Hamas
Um diesen Angriff und seine weitreichenden Folgen zu verstehen, müssen wir zunächst zu den Wurzeln der Hamas und der Ideologie, die ihre Handlungen antreibt, zurückkehren. Die Hamas ist keine Terrororganisation, die in einem Vakuum operiert, sie wird von der tiefgreifenden Vision einer radikalen islamischen Ideologie angetrieben, die in der Ideologie der „Muslimbruderschaft“ verwurzelt ist. Diese Bewegung strebt danach, den Islam auf viele Nationen auszuweiten, und bildet die Grundlage für die Handlungen der Hamas. Die Untersuchung der ideologischen Motive der Organisation ist für die Bewertung der von ihr ausgehenden Bedrohung von entscheidender Bedeutung.
Ihr erklärtes Ziel ist die Zerstörung des Staates Israel und die Errichtung eines islamischen Staates auf dem Territorium des gesamten historischen Palästinas (das nie eine nationale Identität, sondern eher eine geografische Region war). Ihr Einfluss hat in den vergangenen zehn Jahren massiv an Stärke gewonnen. Der anhaltende Konflikt um die sogenannte Befreiung Palästinas, wie er in der Palästinensischen Nationalcharta beschrieben ist, bildet den Kern der Strategie der Hamas und anderer palästinensischer Terrororganisationen. Artikel 8 der Hamas-Charta besagt:
„Allah ist ihr Ziel, der Prophet ist ihr Vorbild, der Koran ist ihre Verfassung, der Dschihad ist ihr Weg und der Tod für Allah ist ihr höchster Wunsch.“
Artikel 10 der Charta erklärt ausdrücklich, dass „Guerillaoperationen der Kern des palästinensischen Volksbefreiungskrieges sind“, und betont die Notwendigkeit einer Eskalation und Ausweitung des bewaffneten Kampfes, um nationale Ziele zu erreichen. Artikel 15 der Charta legt fest, dass der Dschihad für die Befreiung Palästinas eine „persönliche Pflicht“ für jeden Muslim ist.[2] Dem Krieg gegen Meinungsvielfalt wird eine eminente Bedeutung beigemessen, indem die Organisation angewiesen wird, Bildung und Indoktrination als zentrale Instrumente im Kampf gegen Israel einzusetzen. Dies erfordert die Säuberung des palästinensischen Bildungssystems von allen äußeren Einflüssen und die Verwendung des Korans als Eckpfeiler der Bildung.
III. Indoktrination in Schulen und in der Öffentlichkeit
In den Schulen des Gazastreifens, die seit mehr als zwei Jahrzehnten unter der Kontrolle der Hamas stehen, ist eine Generation mit antisemitischer Sozialisation aufgewachsen, die in der Ideologie der Organisation verwurzelt ist und von Hitlers nationalsozialistischer Doktrin beeinflusst wurde. Die Indoktrination beginnt im Kindergarten und setzt sich in Jugendbewegungen und Schulbüchern fort, die als Schlüsselinstrumente für die Verbreitung extremistischer Botschaften und die Verherrlichung antisemitischer Rhetorik dienen.[3] Vor Kurzem erst konnte aufgedeckt werden, dass in den von der UNRWA unterstützten Schulbüchern Juden als Feinde des Islam dargestellt, der Terrorismus verherrlicht und der Dschihad als edles religiöses Opfer gerechtfertigt wurde, während die Legitimität des Staates Israel geleugnet wird.[4]
Für die entsprechende Sozialisation dienen der Hamas auch die von ihr geführten Sommerlager. Laut des israelischen Senders Channel 12,[5] erhalten Kinder dort eine umfassende militärische Ausbildung, die als frühe Einführung für den militärischen Flügel der Organisation anzusehen ist. Geheimdienstschätzungen zufolge rekrutiert man bereits Kinder für die Hamas.[6] Es ist demnach nicht überraschend, dass eine Umfrage des Palestinian Center for Policy and Survey Research (PSR)[7] ergab, dass 67 % der Palästinenser*innen den Angriff vom Siebten Oktober immer noch unterstützen, wobei die Unterstützung unter den Bewohner*innen des Gazastreifens bei 57 % liegt, verglichen mit 71 % im März letzten Jahres. Diese Zahlen verdeutlichen das Ausmaß der Indoktrination und die anhaltenden Bemühungen, in der palästinensischen Öffentlichkeit, Hass gegen Israel zu schüren.
IV. Israel und seine unbeschreibliche Realität
Das Buch Trouble in Utopia. The Overburdened Polity of Israel,[8] das vor etwa 35 Jahren von Dan Horowitz und Moshe Lissak geschrieben wurde, beschreibt das überforderte Gemeinwesen von Israel immer noch treffend. Es führt die großen Herausforderungen, mit denen die junge Nation, die mit einer frustrierenden geopolitischen Realität zu kämpfen hat, konfrontiert war und ist, deutlich vor Augen. Der Staat Israel, in dem die Entfernung von Norden nach Süden etwa 500 Kilometer beträgt – was einer sechsstündigen Autofahrt entspricht – ist viel kleiner als die geschätzte Länge der in Gaza gegrabenen Tunnel. Verglichen mit der Gesamtfläche der arabisch-muslimischen Länder im Nahen Osten macht Israel mit seiner Fläche weniger als 0,2 % der Gesamtfläche aus.
Bis zum Ausbruch des aktuellen Krieges lag die Zahl der Palästinenser*innen aus der Westbank, die in Israel arbeiteten, zwischen 130.000 und 150.000.[9] In den Gemeinden rund um Gaza, die nur wenige hundert Meter von der Grenze entfernt liegen und wo während des Krieges Tausende Terroristen eindrangen, herrschten gute Beziehungen zwischen Israelis und Palästinenser*innen.[10] Palästinenser*innen wurden von Kibbuz-Bewohner*innen angestellt, arbeiteten gemeinsam auf den Feldern und tranken ihren Morgenkaffee zusammen. Bei medizinischen Notfällen transportierten Israelis Palästinenser*innen in Krankenhäuser in Israel. Diese Menschen repräsentieren im Wesentlichen die israelische Linke, die die Koexistenz unterstützt, sich gegen alle Formen des Hasses ausspricht und die den Slogan „Juden und Araber weigern sich, Feinde zu sein“ vertritt. Trotz der scheinbar ausgezeichneten Beziehungen zwischen den Kibbuz-Mitgliedern, den Bewohner*innen Südisraels und jenen des Gazastreifens waren diejenigen, welche die Israelis letztlich verbrannten, abschlachteten und vergewaltigten, dieselben Menschen, die nur eine Woche zuvor ihre Häuser besucht hatten.[11]
Der Siebte Oktober brachte eine tiefe Krise mit sich, welche die Hoffnung auf Frieden zunichtemachte. Die Grausamkeit der Hamas und die Solidarität derer, von denen wir dachten, dass sie friedlich mit uns zusammenleben möchten, lösten eine Welle politischer Veränderungen aus und führten zu der Erkenntnis, dass die Sprache der Demokratie nicht mit den Worten des Hasses konkurrieren kann.
V. Realität gegen Inszenierung
Auf palästinensischer Seite wird versucht, durch Filmmaterial auf sozialen Medien eine der Hamas genehme Realität zu inszenieren. Der Begriff „Pallywood“[12] wurde geprägt, um offensichtliche Fakes zu beschreiben, die in den Videos und Posts auf TikTok, Instagram und anderen Plattformen in gänzlich faktenbefreiten Darstellungen verbreitet werden.
Wie Lori A. Allen[13] feststellte, geht man davon aus, dass ein menschliches Problem politischen Fragen vorausgeht, und Humanität im Dienste eines antikolonialen Kampfes missbraucht werden kann, in dem dann von „Menschenrechtsverletzungen“ die Rede ist. Fotos und Bilder sind auch dann von Bedeutung, wenn sie inszeniert sind. Das Ziel besteht darin, das Leid mit einem politischen Anspruch zu verbinden. Indem die vermeintliche Unmoral Israels verurteilt wird, legitimiert die Hamas samt ihrer zahlreichen Unterstützer*innen den Anspruch auf nationale Unabhängigkeit. Visuelle Medien wurden als das wirksamste Instrument ausgewählt, weil sie eine einfache Idee objektiver Menschlichkeit auf besonders ergreifende und authentische Weise vermitteln können. Auf diese Weise werden die Betrachter*innen in den intimen Raum und das emotionale Gefüge von Familien hineingezogen, die einen Freund oder ein Familienmitglied verloren haben.
Auf jüdischer Seite wurde aus Respekt vor der Menschenwürde vermieden, die „Pornografie des Bösen“ zu zeigen und jedes Leid als Quelle des Mitgefühls darzustellen. Nach den harschen globalen Reaktionen und der Erkenntnis, dass die mangelnde Präsenz in den sozialen Medien einer Nichtexistenz gleichkommt, besteht jedoch die Notwendigkeit, die derzeitige Politik zu überdenken. Die Realität muss in Maßen dargestellt werden, wobei die menschlichen Werte gewahrt bleiben müssen. Die digitale Welt kennt keine Gnade mit denen, die nicht daran teilnehmen, und die Millionen von Menschen, die diese Kommunikation konsumieren, haben die Macht, Bewusstseinsrevolutionen zu schaffen.
Wir erinnern uns jedoch deutlich genug daran, dass Hamas-Mörder voller Stolz mit 251 Geiseln – darunter Babys, Kinder, Frauen, ältere Männer und sogar eine philippinische Pflegekraft – nach Gaza zurückkehrten. Die Terroristen nahmen ihre Masken ab, nicht weil sie sie nicht mehr benötigten, sondern weil sie stolz auf die Gewaltorgien waren. Einer der Terroristen wurde gefilmt, als er seinen Eltern voller Stolz von seinen antisemitischen Gräueltaten erzählte:
„Ich spreche mit Dir über das Telefon einer Jüdin, ich habe sie und ihren Mann getötet, ich habe persönlich zehn getötet.“[14]
Für Israel blieb all dies unerträglich. Bereits während der Massaker der Hamas und in ihrem Siegesrausch feuerte sie in den ersten vier Stunden des Angriffs vom Siebten Oktober etwa 3.000 Raketen und Mörsergranaten auf Israel ab. Das unvorstellbare Versagen des Militärgeheimdienstes,[15] des Premierministers und der leitenden Offiziere waren unverständlich. Der Tod der Soldat*inneen traf uns schwer. Mit der Zeit wurden Warnungen, die nicht ernst genug genommen worden waren, aufgedeckt,[16] und die israelische Gesellschaft, die von der Regierung und ihren Anhänger*innen einen Schlag nach dem anderen erlitten hatte, fühlte sich hauptsächlich in Opposition zu Bibi Netanyahu.[17]
Die israelische Gesellschaft befand sich inmitten einer Vertrauenskrise angesichts einer Regierung, die in ihrer Führungsrolle schwächelte und sich vor der Verantwortung drückte. Deshalb nahm die israelische Gesellschaft das Schicksal des Landes selbst in die Hand, um für seine Existenz und Zukunft zu kämpfen. Männer und Frauen jeden Alters handelten aus dem tiefen Bedürfnis heraus, einen Beitrag zu leisten und im Kampf um die Rettung ihrer „Brüder und Schwestern“, die in Gaza gefangen gehalten wurden, einen Sinn zu finden und das Andenken an die Tausenden Ermordeten zu ehren, darunter auch Säuglinge, die ihre Teddybären umklammerten. Diese Entschlossenheit, sich zu engagieren, war nicht nur eine Reaktion auf die Bedrohung, sondern ein tiefgreifender Ausdruck des Geistes der Freiheit und Gerechtigkeit, der jeden von uns in diesem Kampf leitete.
In dieser Zeit war die Mobilisierung der Zivilbevölkerung vorbildlich. Drei Tage nach Kriegsbeginn meldeten sich etwa eine Viertelmillion Israelis freiwillig zum Kampf.[18] Männer im Alter von 50 bis 70 Jahren beschlossen auf eigene Initiative, eine Einheit zu bilden, alte Panzer zu überholen und in den Krieg zu ziehen. Der lustige Typ aus dem Laden entpuppte sich als Flugzeugmechaniker, der große Nachbar mit dem Schnauzer als Pilot. Die junge Blondine, die ich immer im Aufzug treffe, ist Geheimdienstoffizierin – sie alle haben sich freiwillig gemeldet.
Die israelische Gesellschaft organisierte sich auf rührende und außergewöhnliche Weise in einer gewaltigen Hilfsaktion, wie z. B. Kleider- und Lebensmittelsammlungen, die sowohl für Soldat*innen an der Front als auch für aus dem Süden Israels evakuierte Familien bestimmt waren. Schätzungen zufolge wurden etwa 60.000 bis 100.000 Israelis aus dem Süden Israels und etwa 65.000 Israelis aus dem Norden[19] evakuiert – Binnenvertriebene, die in verschiedene Städte in ganz Israel evakuiert wurden. Einige wurden in Hotels, Pensionen und sogar in Privathäusern von Bürger*innen untergebracht, die sich freiwillig als Gastgeber*innen gemeldet hatten.
Zudem kam es zu einer massiven Solidaritätsbekundung, überall waren Bilder der Geiseln zu sehen, ganze Straßenzüge waren ihren Geschichten gewidmet, um zu verhindern, dass sie zu bloßen Statistiken wurden. Auf unzähligen Plakaten war zu lesen: „Bringt sie nach Hause“, und auf Websites wurde eine sich ständig leere Sanduhr angezeigt. Sportler auf der ganzen Welt widmeten ihre Medaillen den Geiseln und bei der größten und schnellsten Spendenaktion in der Geschichte des Landes warteten lange Schlangen von Menschen darauf, Blut zu spenden. In weniger als zehn Tagen spendeten über 80.000 Israelis ihr Blut, um verwundete Soldat*innen und Zivilist*innen zu retten.[20]
In einer Fernsehsendung mit dem Titel Unternehmen brechen zusammen, weil Bürger im Krieg sind sprach die Frau eines Offiziers, die ein Sportschuhgeschäft betreibt, über die Notlage, die sie dazu veranlasste, ihren zweiten Job aufzugeben, um das Geschäft vor dem Zusammenbruch zu bewahren. Ein nach der Sendung veröffentlichter Facebook-Post, in dem die Menschen aufgefordert wurden, Schuhe zu kaufen, wurde 1.300 Mal geteilt. Als wir das Geschäft besuchten, stand eine Menschenschlange die Straße hinunter, alle warteten ruhig darauf, Sportschuhe in dem kleinen Laden zu kaufen, in dem nicht mehr als fünf Personen gleichzeitig Platz finden. Ein weiterer Facebook-Post mit einer kurzen Nachricht: „Wir benötigen Muttermilch für ein Baby, dessen Mutter auf der Party vermisst wird. Bitte wenden Sie sich an Shira“ führte zu einer Flut von Angeboten. 700 Frauen erklärten sich freiwillig bereit, Muttermilch für Babys bereitzustellen, deren Mütter den Kontakt verloren hatten oder zum Reservedienst einberufen wurden.[21] Städtische Männer und Frauen meldeten sich freiwillig für die Arbeit in der Landwirtschaft, um allen Bäuer*innen zu helfen, deren Arbeiter*innen aus dem Land geflohen waren. Unzählige bewegende Geschichten über kollektive Verantwortung überschwemmen Israel.
VI. Die Parallelwelt in den USA und in Europa
In einer vollkommenen Parallelwelt fanden an diesem so schmerzhaften Tag, dem Siebten Oktober 2023, in ganz Europa und den Vereinigten Staaten Proteste statt. Die Israelis, die die Medien verfolgten, in denen dokumentiert wurde, wie Palästinenser*innen und ihre Anhänger*innen die Aktionen der Hamas mit Freude feierten, waren nicht erschüttert. Was sie schockierte, war die Entscheidung der Behörden, Demonstrationen zur Unterstützung von Verbrechen gegen die Menschheit zuzulassen. Am nächsten Tag wurde Eric Adams, der Bürgermeister von New York City,[22] in den Nachrichten von Channel 13 in Israel interviewt und sagte:
„Ich habe einige der verabscheuungswürdigsten Taten gesehen, die Menschen gegeneinander begangen haben, aber ich habe noch nie etwas Verabscheuungswürdigeres gesehen, als das, was ich in diesen Videos gesehen habe.“
Er fügte aber bezeichnenderweise hinzu:
„In den USA hat eine Person das Recht zu protestieren […] das ist in unserer Verfassung verankert.“[23]
Ein Dokumentarfilm der Hamas für ihre Führungskräfte und Journalisten warf die Frage auf, ob er der Öffentlichkeit zumutbar sei. Psychologen in Israel forderten dies zu unterlassen, da er bei den Zuschauer*innen schwere psychologische Auswirkungen haben könnte. Der Inhalt umfasst äußerst drastische Szenen von Gewalt, Zerstörung und Massakern, die bei den Zuschauer*innen Traumata, Angstzustände und PTBS-Symptome auslösen könnten. Außerdem bestand keine Absicht, Vergewaltigungen und Enthauptungen in eine Reality-Show für neugierige Zuschauer*innen zu verwandeln, die in einer blutgetränkten Arena klatschen.
„Die Menschen verließen den Raum schweigend, weinten oder waren einfach nur fassungslos“, sagte ein israelischer Journalist nach der Vorführung.
„Ich sah, wie sie mit dem gleichen Entsetzen auf die visuellen Beweise des Massakers reagierten, sobald sie damit konfrontiert wurden, und diese nie wieder vergaßen.“
Das TIME Magazine betitelte seinen Bericht über diesen Dokumentarfilm mit The Worst 45 Minute Film You Will Ever See.[24]
VII. Conclusio
In einer Welt, in der Juden nur 0,2 % der Weltbevölkerung ausmachen, erleben wir die Manipulation von Medienkanälen im Zeichen des Judenhasses. Mithilfe von Algorithmen versucht man junge und alte Köpfe für die Sache des Hasses zu gewinnen. Der Angriff vom Siebten Oktober 2023 offenbarte den Preis vergangener strategischer Fehler, als die Hamas die „Conception-Politik“[25] des israelischen Premierministers ausnutzte, um sich zu stärken und zu einer existenziellen Bedrohung zu werden. In einem winzigen Land, das von Dutzenden arabischen Staaten umgeben ist, die sich weigern, sein Existenzrecht anzuerkennen und sich ihrer Verantwortung, den Palästinenser*innen zu helfen, entziehen, geht der existenzielle Kampf weiter, während die Welt diese komplexe Realität schlicht und einfach ignoriert.
Der Schrei „Nie wieder“, einst ein entschiedener Protest gegen den Holocaust, hat sich im heutigen Europa, das mit dem radikalen Islam in seinem Inneren zu kämpfen hat, in moralische Doppelzüngigkeit verwandelt. Anstatt Antisemitismus und Hass zu bekämpfen, lässt es das Aufkommen eines radikalen und eliminatorischen Antisemitismus zu. Und wie Albert Camus in seinem Buch Die Pest schrieb:
„Sowohl die Pest als auch der Krieg werden die Menschen immer gleichermaßen unvorbereitet treffen.“
In unserem Fall ist die Krankheit eine moralische Blindheit, das Unvermögen, die reale Gefahr zu erkennen, die die Werte der Freiheit und Demokratie bedroht. Vor dieser moralischen Blindheit warnte bereits die ehemalige israelische Premierministerin Golda Meir, als sie erklärte:
„Wir können den Arabern verzeihen, dass sie unsere Kinder getötet haben; wir können ihnen nicht verzeihen, dass sie uns gezwungen haben, ihre Kinder zu töten. Wir werden erst dann Frieden mit den Arabern haben, wenn sie ihre Kinder mehr lieben als sie uns hassen.“
Sie fügte hinzu:
„Wenn die Araber ihre Waffen niederlegen, wird es keinen Krieg mehr geben; wenn Israel seine Waffen niederlegt, wird es kein Israel mehr geben.“
In einem Umfeld wie dem unseren, in dem wir Seite an Seite mit Muslim*innen leben, hat sich die Hoffnung, dass wirtschaftliche Hilfe und die Verbesserung des Lebensstandards zu einer Koexistenz führen würden, als Schwäche ohne jegliche Grundlage in der Realität erwiesen. Die humanitäre Hilfe internationaler Organisationen und Israels verfehlte nicht nur ihr Ziel, sondern ermöglichte auch, dass zig Milliarden für den Bau von Tunneln statt für Kindergärten, für den Kauf von Waffen statt für die Entwicklung der Wirtschaft, für die Verbreitung von Hass statt für Bildung und Wissen verwendet wurden. Israel ist zu einem nüchternen Spiegel geworden, der den Westen betrachtet und warnt: Fundamentalisten können nicht mit demokratischen Mitteln bekämpft werden. Der Krieg ist ideologisch, was auch erklärt, warum der Begriff „palästinensisches Volk“ nie zu hören war als Israel unter arabischer Kontrolle und Gaza unter ägyptischer Herrschaft stand … und als es auch keine Forderung nach einem „palästinensischen“ Staat gab.
Literatur (Auswahl)
Allen, Lori A. (2009): „Martyr Bodies in the Media: Human Rights, Aesthetics, and the Politics of Immediation in the Palestinian Intifada“, in: American Ethnologist 36(1): 161–180.
Hamas (2023): Die Charta der Hamas von 1988 und 2017 im Wortlaut – ins Deutsche übersetzt, Vorwort von Heinz Gess, in: Kritiknetz – Zeitschrift für Kritische Theorie der Gesellschaft, online unter: https://www.kritiknetz.de/images/stories/texte/charta%20der%20hamas.pdf (letzter Zugriff: 20.08.2024).
Horowitz, Dan/Lissak, Moshe (1989): Trouble in Utopia. The Overburdened Polity of Israel, New York: State University of New York Press.
IMPACT-se (2021): The 2020–21 Palestinian School Curriculum, Grades 1–12, Selected Examples, online unter: https://tinyurl.com/4hppr64s (letzter Zugriff: 01.09.2024).
Marcus, Itamar/Zilberdik, Nan J. (2021): Palestinian Authority Schoolbooks Promote Hatred and Violence against Jews, Jerusalem Center for Public Affairs.
Sonnenfeld, Jeffrey (2023): „The Worst 45 Minute Film You Will Ever See“, in: time.com, 23.01.2024, online unter: https://time.com/6565186/october-7-hamas-attack-footage-film/ (letzter Zugriff: 01.09.2024).
ORNA SHANI
hat in den letzten Jahren ihre Kunst mit Forschungen und Vorträgen auf dem Gebiet der psychologischen Anthropologie verbunden. Ihre Werke bringen auch ihre Ideen und Wahrnehmungen im akademischen Bereich zum Ausdruck.
[1] In jedem Gebäude in Israel, das vor 1992 gebaut wurde, gibt es einen unterirdischen Schutzraum. Ein verstärkter Sicherheitsraum (Mamad) ist eine gesetzlich vorgeschriebene Schutzlösung in jeder Wohnung. Der Bau eines geschützten Raums wurde ab 1992 nach dem Ersten Golfkrieg verpflichtend. Bei jedem Neubau – egal ob Privathaus oder Wohnung in einem Gebäude – muss ein geschützter Raum eingerichtet werden, der den Bewohner*innen des Hauses Schutz bietet.
[2] Vgl. Hamas (2023): Die Charta der Hamas von 1988 und 2017 im Wortlaut – ins Deutsche übersetzt, Vorwort von Heinz Gess, in: Kritiknetz – Zeitschrift für Kritische Theorie der Gesellschaft, online unter: https://www.kritiknetz.de/images/stories/texte/charta%20der%20hamas.pdf (letzter Zugriff: 20.08.2024).
[3] Vgl. IMPACT-se (2021): The 2020–21 Palestinian School Curriculum, Grades 1–12, Selected Examples, online unter: https://tinyurl.com/4hppr64s (letzter Zugriff: 01.09.2024). Vgl. auch Marcus, Itamar/Zilberdik, Nan J. (2021): Palestinian Authority Schoolbooks Promote Hatred and Violence against Jews, Jerusalem Center for Public Affairs.
[4] Vgl. dazu auch den bedenklichen Bericht der UNWRA aus dem Jahr 2022, online unter: https://www.unrwa.org/sites/default/files/content/resources/2022_annual_operational_report_-_english.pdf (letzter Zugriff: 01.09.2024).
[5] Die diesbezügliche Sendung von Chanel 12 wurde in den israelischen Nachrichten ausgestrahlt, um zu zeigen, wie die palästinensische Gesellschaft ihre Kinder erzieht.
[6] Vgl. dazu online: https://www.mako.co.il/news-military/2024_q1/Article-1d487ab12bfcc81026.htm (letzter Zugriff: 01.09.2024).
[7] Vgl. die Umfrage des PSR unter Palästinenser*innen aus dem Dezember 2024 online unter: https://pcpsr.org/en/node/963 (letzter Zugriff: 01.09.2024). Die Umfrage hält unter anderem fest, dass die politische Unterstützung für die Hamas sich mitten im Krieg verdoppelt hat.
[8] Vgl. Horowitz, Dan/Lissak, Moshe (1989): Trouble in Utopia. The Overburdened Polity of Israel, New York: State University of New York Press.
[9] Vgl. dazu online: https://www.ynet.co.il/economy/article/h1cz7ih0a (letzter Zugriff: 01.09.2024).
[10] In diesem Artikel wird mit „Israelis“ vor allem die jüdische Bevölkerung Israels gemeint.
[11] Vgl. dazu auch online: https://www.inss.org.il/publication/arab-society-7-months/ (letzter Zugriff: 01.09.2024).
[12] Vgl. zu „Pallywood“ online: https://www.zdf.de/nachrichten/politik/ausland/propaganda-hamas-israel-crisis-actor-pallywood-100.html sowie https://www.euronews.com/my-europe/2023/11/01/pallywood-gazans-are-falsely-accused-of-staging-injury-and-death-online (letzte Zugriffe: 01.09.2024).
[13] Vgl. Allen, Lori A. (2009): “Martyr Bodies in the Media: Human Rights, Aesthetics, and the Politics of Immediation in the Palestinian Intifada”, in: American Ethnologist 36(1): 161–180.
[14] Vgl. das diesbezügliche Video-Beweisdokument online unter: https://www.ynet.co.il/news/article/bkkhzurzp (letzter Zugriff: 01.09.2024).
[15] Shin Bet ist der Allgemeine Sicherheitsdienst. Er gilt als zentraler und integraler Bestandteil des israelischen Sicherheitssystems und spielt eine entscheidende Rolle beim Schutz des Staates und der Gewährleistung der Sicherheit seiner Bürger*innen vor internen und externen Bedrohungen.
[16] Vgl. online unter: https://www.israelnationalnews.com/news/390443 (letzter Zugriff: 01.09.2024).
[17] Vgl. online unter: https://www.themarker.com/captain-internet/2023-10-29/ty-article/0000018b-7b85-d1da-a1bb-7fbdc8fd0000 (letzter Zugriff: 01.09.2024).
[18] Vgl. online unter: https://news.walla.co.il/item/3673391 (letzter Zugriff: 01.09.2024).
[19] Dies vor allem ob der brutalen Raketenangriffe der terroristischen Organisation Hisbollah, die mit der Hamas eng zusammenarbeitet. Beide werden in ihrem aggressiven Antisemitismus massiv vom Iran unterstützt.
[20] Vgl. online unter: https://www.israelhayom.co.il/news/local/article/14855794 (letzter Zugriff: 01.09.2024).
[21] Vgl. online unter: https://www.ynet.co.il/laisha/article/rkgdip7bt (letzter Zugriff: 01.09.2024).
[22] Vgl. online unter: https://tinyurl.com/43w8d6fc (letzter Zugriff: 01.09.2024).
[23] Vgl. online unter: https://13tv.co.il/item/news/politics/state-policy/new-york-903755334/ (letzter Zugriff: 01.09.2024).
[24] Sonnenfeld, Jeffrey (2023): „The Worst 45 Minute Film You Will Ever See“, in: time.com, 23.01.2024, online unter: https://time.com/6565186/october-7-hamas-attack-footage-film/ (letzter Zugriff: 01.09.2024).
[25] Die Politik des „Conception Managements“ von Premierminister Netanyahu beinhaltete die Aufrechterhaltung der Hamas als schwache, aber kontrollierende Kraft in Gaza, mit dem Ziel, die Palästinensische Autonomiebehörde zu schwächen und die Gründung eines vereinten palästinensischen Staates zu verhindern. Im Rahmen dieser Politik erlaubte die Regierung Netanyahu die Überweisung von Geldern an die Hamas durch Israel, hauptsächlich durch Bargeld über Katar. Dies basierte auf der Überzeugung, dass wirtschaftliche Unterstützung zu einer Verbesserung der Lebensqualität der Palästinenser*innen führen und die Motivation für einen Krieg verringern würde.