Bildung für Wien. Bildungseinrichtungen im Roten Wien der Gegenwart VON ANDREA TRATTNIG

Weil Wien wächst und die Verantwortung gegenüber zukünftigen Generationen an oberster Stelle steht, investiert die Stadt Wien massiv in den Neu-, Aus- und Zubau, aber auch in die Sanierung von Bildungseinrichtungen. Zeitgemäße Bildung, Kultur und Sport bilden die Basis eines erfolgreichen Bildungswegs für junge Wienerinnen und Wiener. ANDREA TRATTNIG, die Leiterin der Abteilung Stadt Wien – Schulen, gibt Einblick in aktuelle Projekte der bildungspolitischen Architektur in Wien.

I. Bildungseinrichtungen Neubauprogramm – ein Bauprogramm für die Zukunft der Wiener Bildung

Gesellschaftliche Entwicklungen, neue pädagogische Modelle und die Qualität der Lernumgebung waren Ausgangspunkte für die Entstehung des Wiener Campusmodells, das im Folgenden vorgestellt wird. Die Grundidee war es, Kindergarten-, Schul- und Freizeitpädagogik an einem Standort zu situieren und miteinander zu vernetzen. Die ganzheitliche Bildungskontinuität erleichtert den Übergang zwischen den Altersstufen (vom Kindergarten zur Volksschule bzw. von der Volksschule zur Mittelschule).

Eine entscheidende Rolle beim Zusammenwachsen der unterschiedlichen Bildungsinstitutionen spielt die Architektur. Räume müssen flexibel sein, sie müssen die bestmögliche Infrastruktur für Lernen und Freizeit bieten.

Zuerst lieferte das Wiener Campusmodell erste Atworten auf die anfänglich unterschiedlichen Erfordernisse (Verschränkung von Freizeit und Unterricht, ganztägiger und ganzjähriger Betrieb, erleichterter Übergang). Die Umsetzung dieser Ideen zeigt sich beispielsweise am Bildungscampus Monte Laa – dieser ist sozusagen der Bildungscampus der 1. Generation (2009–2012).

Da Wiener Bildungseinrichtungen allen Kindern und Jugendlichen eine optimale und qualitativ hochwertige Lernumgebung gewährleisten sollen, wurde auch das Wiener Campusmodell weiter- bzw. neu gedacht – der Bildungscampus der 2. Generation wurde entwickelt. Am Bildungscampus Sonnwendviertel wurde erstmals die Idee eines Bildungsortes für 0–14 Jährige umgesetzt: dort befindet sich ein 11-gruppiger Kindergarten, eine 17-klassige Ganztagsvolksschule und eine 16-klassige Ganztagsmittelschule. Workshops für Pädagog*innen ermöglichen das (weiter)denken neuer pädagogischer Konzepte. Der Qualitätenkatalog lieferte Spielraum für innovative Lösungen:

  • Umsetzung von Clustern, die den großen Gebäudekomplex für 1.100 Kinder und Jugendliche in überschaubare Einheiten gliedern. Je zwei oder drei Gruppen bzw. je vier Klassen werden hier als „Organisationseinheit“ zusammengefasst – zusätzlich gibt es dezentrale Teamräume für Pädagog*innen.
  • Einführung von Bildungsräumen statt der Unterscheidung in Unterrichts- und Freizeiträume
  • Vorstellung des gemeinsamen Marktplatzes als „Herz“ des Clusters mit Bewegungs-, Gruppenarbeits- und Aufenthaltsraum. Zusätzlich fungiert er als ein Raum für offene Unterrichtsformen, Versammlungen und Mahlzeiten (in Kindergarten und Volksschule).

2012, mit der Errichtung des ersten Bildungsstandortes nach dem Campus+ Konzept, startete auch die Umsetzung der 3. Generation (2017–2023) an Bildungscampussen. Denn Pädagogik, Bildung, Ausstattung und Infrastruktur hängen unweigerlich zusammen und entwickeln sich stetig weiter. Das Campus+ Konzept setzt auf eine intensivere Vernetzung der einzelnen Bildungsinstitutionen, durchmischte Bildungsbereiche mit Kindergarten und Volksschule bzw. Volksschule und Mittelschule, je nach Standort gibt es einen sonderpädagogischen Schwerpunkt. Zusätzlich werden weitere Bildungsparter*innen integriert, wie etwa Musikschulen und/oder Jugendzentren. Hier wird auch eine verstärtke Mehrfachnutzung der Sportanlagen und Freiflächen berücksichtigt.

Im Laufe des Programms entwickelte sich nun auch die 3. Generation, also der Campus+, weiter. Der derzeitige Standard nach dem Campus+ Konzept beinhaltet zwölf Gruppen elementarer Bildung (davon eine heilpädagogische Gruppe und drei Kleinkindergruppen), 17 Regelklassen (16 Volksschulklassen, eine Vorschulklasse), vier Klassen Sonderpädagogik, zwei Turnsäle und eine integrierte Musikschule. Mitgedacht werden nun auch sogenannte Flexibiber (Biber=Bildungsbereich), die altersgemischt für Volksschule und/oder Mittelschule variabel eingesetzt werden können und eine Bandbreite von 33 bis 64 Bildungsräumen aufweisen.

Seit 2012 läuft das bisher größte „Bildungseinrichtungen Neubaubrogramm“, kurz BIENE, für Kindergärten und Schulen. Das Programm wurde von der Magistrationsdirektion – Geschäftsbereich Bauten und Technik, aufgesetzt. In mehreren Workshops mit allen relevanten Dienststellen der Stadt Wien wurden Erfordernisse für eine Umsetzung eines Bildungscampusses erarbeitet. Die umfassenden Anforderungen wurden in Prozesse und Arbeitsschritte „gegossen“. Die Programmorganisation setzt sich aus Vertreter*innen der Politik, Bildungsdirektion und relevanten Dienststellen der Stadt Wien zusammen. Um neue Lösungen zu erarbeiten und pädagogische Ideen zu erfassen, bedarf es einer guten ressort- und dienststellenübergreifenden Zusammenarbeit – natürlich darf hier die Innovationsfreude nicht unerwähnt bleiben.

Die Nähe zueinander ermöglicht Kindern und Jugendlichen ein gemeinsames Lernen und/oder Spielen. Viele Bereiche stehen den Kindern und Jugendlichen zur freien Verfügung. Besonderes Augenmerk liegt hier auch an der hohen Aufenthaltsqualität: Bei einem ganztägigen Aufenthalt in einem Bildungscampus nach dem Campus+ Konzept, soll das Wohlfühlen nicht zu kurz kommen.

Im Zuge des BIENE-Programms 2012–2023 werden bis Ende 2023 in Wien neun Projekte nach dem Campus+ Konzept sowie eine ganztägige Mittelschule umgesetzt. Im Jahr 2019 startete das „Bildungseinrichtungen Neubauprogramm II“, kurz BIENE II – bis 2034 werden weitere 11 neue Bildungsstandorte (neun Campusse, zwei Sonderprojekte) fertig gestellt werden.

II. Bildungscampus Aron Menczer – ein umfassenes Bildungsangebot vom Kindergarten bis zur Musikschule

Abbildung 1: Bildungscampus Aron Menczer © Stadt Wien

Der Standort bietet Platz für vierzehn Kindergartengruppen (drei Kleinkindergruppen, vier Kindergartengruppen, vier Familiengruppen 2–6 Jahre, zwei Integrationsgruppen im Kindergarten sowie eine heilpädagogische Gruppe. Weiters stehen den Kindern und Jugendlichen 17 Volksschulklassen, vier basale Klassen für pflegeabhängige Kinder mit mehrfacher Behinderung und sieben sonderpädagogische Bildungsräume samt Therapieräumen auf sechs Geschossen, die in Bildungsbereichen organisiert sind, zur Verfügung. Zusätzlich sind in der Bildungseinrichtung ein Normturnsaal, zwei Gymnastiksäle sowie eine Musikschule, die den Hauptstandort des Bezirks darstellt, untergebracht.

II.I Neuer Standort für die Musikschule

Die Musikschule Landstraße hat einen neuen Hauptstandort im Bildungscampus Aron Menczer bekommen. Bis Juni 2021 war die Musikschule an drei Schulstandorten im Bezirk verteilt und startete mit der Fertigstellung des Bildungsgebäudes mit eigenen, sehr großzügig dimensionierten und gestalteten Räumlichkeiten ins neue Schuljahr. Es stehen 12 Unterrichtsräume in unterschiedlichen Größen für Gruppen- und Einzelunterricht sowie Orchester und Ensembles, Direktion, Lehrer*innenzimmer und zwei Terrassen zur Verfügung. Ein Konzertsaal, der gemeinsam mit den anderen hier vertretenen Institutionen genützt wird, rundet das Angebot ab. In den Unterrichtsräumen, die punkto Schallisolierung, Dämmung, Akkustik und Raumklima top ausgestattet sind, befinden sich Klaviere, Schlaginstrumente und vieles andere mehr.

II.II Architektur als vermittelnde Rolle

Abbildung 2: Bildungscampus Aron Menczer © Stadt Wien

Der Bildungscampus zeichnet sich durch einen vielschichtigen Baukörper mit einem kompakten Haupthaus aus: Rundum laufende Terrassen stellen nicht nur pädagogisch einen Mehrwert dar, sondern sind auch ein Zeichen der Öffnung des Campus zum gesamten Stadtviertel. Insgesamt soll das Areal an den umgebenden öffentlichen Raum, insbesondere den angrenzenden Leon-Zelman-Park angebunden werden. Dem Bildungscampus kommt somit eine vermittelnde Rolle zwischen dem Fasanviertel und dem neuen Wohnviertel zu. Berankte Zonen entlang der Rampe, Gründächer sowie Pflanzentröge auf den Terrassen tragen zusätzlich positiv zum Mikroklima bei.

Mehrere Klassen und Kindergartengruppen sind jeweils zu „Bildungsbereichen“ mit Multifunktionsflächen zusammengefasst. Die gemeinsamen Bereiche ermöglichen Projekte und tägliche Berührungspunkte im Alltag, dadurch lernen Kindergarten- und Schulkinder von- und miteinander. Kindergarten und Schule wachsen so stärker zusammen und erleichtern Kindern und Eltern den Übergang zwischen den Bildungsinstitutionen.

III. Bildungscampus Liselotte Hansen-Schmidt – Vorzeigeprojekt für eine klimafitte Zukunft

Der Bildungscampus in der Seestadt bietet seinen Nutzer*innen einen Kindergarten, eine Volksschule, eine neue Mittelschule sowie sonderpädagogische Einrichtungen. Insgesamt werden hier bis zu 1.100 Kinder und Jugendliche ganztägig betreut.

Gleich neben dem Campus gibt es ein Jugendzentrum, ein Café, einen Veranstaltungsraum sowie viele Sportflächen. Die Besonderheit liegt aber hier im nachhaltigen Konzept – energietechnisch wie auch sozial. Es gibt Gärten und Dachgärten – die angrenzenden Plätze und Grünflächen mit Spielplätzen dürfen die Schüler*innen und Anrainer*innen gleichermaßen nutzen. Die begrünte Fassade bildet einen natürlichen Sonnenschutz. Das Energiekonzept basiert auf einer Bauteilaktivierung: Geheizt und gekühlt wird ohne fossile Energie. Die Erdwärme bzw. im Sommer die Kühle wird mit Hilfe von Wasserrohren, die in die Betonbauteile eingelegt wurden, über die Wärmepumpe im gesamten Gebäude verteilt – Beton kann man sehr gut als Speichermasse nutzen. Die Wärmepumpe wird direkt von der Photovoltaikanlage am Dach mit Strom versorgt. Der Bildungscampus ist damit energietechnisch weitgehend autark und setzt ausschließlich auf erneuerbare Energiequellen.

Die Energiewende, also der Ausstieg aus fossiler Energie hin zu erneuerbaren Energien, nimmt bei den Wiener Bildungseinrichtungen eine zentrale Rolle ein: Wien hat es sich zum Ziel gesetzt bis 2040 klimaneutral zu werden. Bei Neubauten und Sanierungen werden bereits Herausforderungen der Klimakrise und Hitze im Sommer berücksichtigt.

IV. Schule in der Meißnergasse

Aber auch in Bestandsschulen bzw. in deren Zu- und Ausbauten oder bei Sanierungen wird nachgerüstet: So steht die Volks- und Mittelschule in der Meißnergasse in Wien-Donaustadt stellvertretend für insgesamt zwei erweiterte Schulen, die heuer fertig geworden sind. Die Volksschule wurde um zwölf und die Mittelschule um acht neue Klassenräume erweitert – hinzu kommen vier flexible Klassen. Zusätzlich zu den Klassenräumen wurden zwei textile Werkräume, ein technischer Werkraum, ein Speisesaal, ein Physiksaal, eine Lehrküche, eine Bibliothek, eine eigene Verwaltungseinheit für die Mittelschule, Garderobenbereiche, ein teilbarer Normturnsaal sowie ein Gymnastiksaal mit den dazugehörigen Nebenräumen errichtet. Die Erweiterung und der Neubau wurden durch das entsprechend zeitgemäße pädagogische Konzept mit einem clusterbezogenen Raum- und Funktionsprogramm umgesetzt. Insgesamt stehen den Schüler*innen und dem Lehrpersonal am Schulstandort nun 33 Klassenräume samt Nebenräumen zur Verfügung.

Bei diesem Projekt gewährleisten Volllüftung, Wärmepumpen und eine Photovoltaikanlage auf dem Gründach eine klimaschonende Energieversorgung. Darüber hinaus überzeugt der Neubau mit großzügigen Verglasungen Richtung Außen- und Freiräumen. Diese gehen direkt in den Aktiv-Park Kagran über und verbinden so die Schulgärten mit der grünen Umgebung. Auch ein großzügiger Vorplatz, der als Pausenhof genutzt wird, schafft viel Platz für die Schüler*innen.

V. Mehrfachnutzung

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Stadt Wien bereits seit langer Zeit Projekte umsetzt, bei denen vorhandene Freiflächen mehrfach genutzt werden können. So kann den Wiener Bürger*innen mehr Freiraum für Sport und Freizeit geboten werden. Auch zukünftig wird die Mehrfachnutzung öffentlicher Flächen ausgebaut werden: die vorhandenen Plätze bieten die Möglichkeit ressourcenschonend kostenlosen Freiraum für alle Wiener*innen zu schaffen.

Vielfach geht es hier um die Öffnung von Freiflächen von öffentlichen Bildungseinrichtungen (u. a. auch Bildungscampussen) und öffentlichen Sportanlagen außerhalb der Betriebszeiten – auch am Wochenende. Durch die Öffnung dieser Flächen und Einrichtungen können so kostenlos mehr Bewegungsräume für Kinder und Jugendliche geschaffen werden.

So wurde eine Mehrfachnutzung der Sportflächen im Bildungscampus in der Seestadt Aspern durch die Ausstattung von ausreichenden Sitzgelegenheiten und und durch entsprechende Beleuchtung am Abend von Beginn an miteingeplant – auch die Gestaltung des angrenzenden Parks wurde darauf abgestimmt.

Die Stadt Wien bietet mithin verschiedene Modelle der Mehrfachnutzung an, die sich je nach Standort und Angebot der Freiflächen unterscheiden. Zudem werden die Möglichkeiten und der Ausbau künftiger Umsetzungen laufend in Bildungs- und Schulbauvorhaben durch die Abteilung Schulen (MA 56) und an öffentlichen Sportstätten durch die Abteilung Sport Wien (MA 51) evaluiert. Zudem werden auch bereits bestehende Standorte auf die Möglichkeit nach einer Mehrfachnutzung geprüft.

ANDREA TRATTNIG

ist in Kärnten geboren und aufgewachsen. Nach Abschluss der HBLA Villach begann sie in Wien eine Fächerkombination (Publizistik als Hauptfach und Politikwissenschaften) zu studieren, das sie 2000 abschloss. 2001–2008 war sie für die SPÖ Landstraße als Geschäftsführerin tätig, danach ging sie zum Österreichischen Städtebund und wechselte 2009 in das Büro der Geschäftsgruppe Bildung. Mit 2012 wurde sie Büroleiterin von Bildungsstadtrat Christian Oxonitsch, 2015 Büroleiterin von Jürgen Czernohorszky, der zunächst Präsident des Wiener Stadtschulrates war und 2017 zum Bildungsstadtrat bestellt wurde. Seit Herbst 2020 ist sie Leiterin der Abteilung Stadt Wien-Schulen.

KURZBESCHREIBUNG DIENSTSTELLE

Die Stadt Wien – Schulen schafft die Basis für einen bedarfsorientierten, modernen und qualitativ hochwertigen Schulbetrieb an mehr als 390 öffentlichen Pflichtschulen für über 112.000 Kinder und Jugendliche sowie rund 15.000 Lehrende. Auf Landes- und Gemeindeebene ist sie die größte Schulerhalterin Österreichs.