Herr Seicherl und sein Hund VON JOHANNA LENHART

Tobias Seicherl war in den 1930er-Jahren der populäre Protagonist eines politisch-satirischen Comicstrips in der Tageszeitung Das Kleine Blatt. JOHANNA LENHART zeichnet im vorliegenden Beitrag nach, wie politische Umstürze auch vor einer Comicfigur nicht Halt machen.

Seicherl: Eine Erfolgsgeschichte

In den 1930er-Jahren landete der Zeichner Ladislaus Kmoch mit einem Daily Strip in der sozialdemokratischen Tageszeitung Das Kleine Blatt eine Sensation. „Herr Seicherl und sein Hund“ schlägt in Wien ein: Der „vermutlich erste politische Tagesstrip der deutschsprachigen Comicgeschichte“ (Havas/Sackmann 2010: 46) macht Furore und ihr Protagonist Seicherl beginnt eine zwiespältige politische Karriere.

Tobias Seicherl und sein Hund Struppi sind ab Oktober 1930 täglich im Kleinen Blatt vertreten. Gleichzeitig werden auch die Comicstrips Klipp und Klapp (gezeichnet von Willy Spira) über zwei freche Jungs sowie Bobby Bär (von Franz Plachy) – lustige Tiergeschichten – gestartet. Man sprach dem Comicstrip also auch in den 1930er-Jahren schon einiges an Durchschlags- und Anziehungskraft zu, wenn auch viele Comics – wie etwa die beiden oben genannten Serien – rein unterhaltenden Charakter hatten. Im Kleinen Blatt jedoch war schon vor Seicherl mit politischen Karikaturen von Persönlichkeiten und Einzelbildern nicht gespart worden. Zeichnungen, die häufig wenig subtil auf den politischen Gegner abzielten, wie etwa ein Einzelbild mit dem Titel Die Christlichsozialen in der Rue de Kack (2.10.1930) – eine Anspielung auf die nicht sehr rosigen Aussichten der Christlichsozialen Partei bei den Nationalratswahlen 1930, gehörten zur Blattlinie: Das Kleine Blatt als äußerst erfolgreiches Organ der Sozialdemokratie war eine 1927 gegründete kleinformatige Boulevard-Zeitung, die – so zitiert Bernhard Denscher den Chefredakteur und Gründer Julius Braunthal – „die Phantasie der Massen fesselt […] und in der einfachen Sprache des Volkes zum Volk spricht“ (Denscher 1983: 9). Für theorielastige Parteiagitation war hier also kein Platz, für Comicstrips dafür umso mehr: Und gerade sie trugen auch nicht unwesentlich zum Erfolg des Kleinen Blatts über die sozialdemokratische Kernleserschaft hinaus bei. Im Jahr 1930 hatte die an sieben Tagen die Woche erscheinende Zeitung eine Auflage von 165.000 Exemplaren erreicht (vgl. Havas/Sackmann 2010: 50).

Herr Seicherl und sein Hund wurde zu einem der populärsten Comicstrips im Kleinen Blatt: Tobias Seicherl ist, wie der Name schon sagt, ein Schwächling, ein Feigling ohne Rückgrat, der in den 1930er Jahren zunächst mit den sogenannten „Hahnenschweiflern“, der christlichsozialen, zunehmend militanten Heimwehrfront, und nach einigen Zwischenstationen schließlich mit den Nationalsozialisten sympathisiert. Seicherl ist leicht zu beeindrucken und läuft dem nach, der am lautesten schreit. Er wird gezeichnet als Vertreter des Typus „einfältiger Kleinbürger“, ein erklärter Feind „der Linken“, der alles glaubt, was er hört, und dabei nicht selten auf die Nase fällt – und zwar im Wiener Dialekt. Einer der ersten, dezidiert politisch ausgerichteten Folgen ist Seicherls Feind steht links vom 9. Oktober 1930.

Abb. 1: Seicherls Feind steht links (09.10.1930)

Seicherl lässt sich von einem gegen „links“ agitierenden Redner aufwiegeln, nur um sich im Anschluss auf den erstbesten – räumlich – von links kommenden Mann zu stürzen. Dieser der politischen Blattlinie entgegengesetzte Charakter öffnet so der Satire auf den politischen Gegner Tür und Tor: Nur Idioten wie Seicherl laufen den „Hahnenschweiflern“ oder den „Hakinger“ hinterher, scheint (zumindest Anfang der 1930er-Jahre) die Aussage zu sein. Als Korrektiv zu Seicherl fungiert sein sprechender Hund Struppi, der um einiges vernünftiger ist als sein Herrl: „Wo Seicherl ganz offensichtlich den allergrößten Blödsinn anstellt, weiß sein Hund genau, was hier nicht richtig läuft“ (Havas/Sackmann 2010: 52f.). Gesunder Hundeverstand gegen blinde Naivität und Opportunismus.

Seit Beginn der Serie reagieren die Seicherl-Strips immer wieder auf (tages-)politische Ereignisse, die Bernhard Denscher in einer der wenigen Untersuchungen zu Seicherl nachverfolgt: Seicherl stürzt sich etwa begeistert in den Wahlkampf für Bundespräsident Wilhelm Miklas oder freundet sich mit dem CS-Vorsitzenden Carl Vaugoin an. Seicherl zeigt sich sowohl von der Heimwehr als auch von den Nationalsozialisten beeindruckt und will sogar eine „Hakenkreuz-Hahnenschwanz-Partei gründen.“ (12.12.1931) – was natürlich gründlich schief geht.

Abb. 2: Seicherl will eine Hakenkreuz-Hahnenschwanz-Partei gründen (12.12.1931)

Im April 1932 wird Seicherl dann sogar kurz zum Kommunisten und gleich darauf zum „Hakenkreuzler“: „Die g’falln ma besser, weils’ a Uniform hab’n.“ (08.04.1932). Eine politische Achterbahnfahrt also, die nicht nur in einem ideologischen Schleudertrauma endet. Seine Überzeugungen sind so kurzlebig wie seine Unterstützungsversuche, die meistens mit einem sehr lädierten Seicherl enden, schädlich. Solche Anhänger diskreditieren natürlich die Sache für die sie sich einsetzen und so ist der Comicstrip auch durchaus intendiert: Seicherls Unterstützung kann sich „sei‘ ärgster Feind net wünsch’n“ (Der große Pallawatsch, Sondernummer, 09.10.1931), wie Struppi eine von Seicherls Aktionen kommentiert.

Auch wenn Herr Seicherl und sein Hund mitunter recht genau dem tagespolitischen Geschehen folgt und es kommentiert, sind auch unpolitische Alltagsgeschichten immer wieder zu finden. Seicherl ist nicht nur der politische Gegner der Sozialdemokratie, sondern auch ein Pechvogel mit dem die Welt – auch wenn er nicht unschuldig daran ist – nicht zimperlich umspringt: Er wird ständig von Kästen erschlagen, fliegt hochkant aus Gasthäusern und wird von Autos oder Zügen überfahren. Ziemlich angeschlagen rappelt er sich aber immer wieder auf und ist dabei in seiner Unverdrossenheit durchaus sympathisch – ein Umstand, der wohl auch seine Popularität quer durch die politischen Lager erklärt: Jeder konnte sich in den witzigen Alltagsproblemen und Missgeschicken wiederfinden. Und populär war Seicherl: Bereits ein halbes Jahr nach Erscheinen des ersten Strips wurden Schneemänner nach Seicherls Vorbild modelliert, war die Figur ein beliebtes Kostüm auf Faschingsbällen und wurde zum Werbeträger etwa von Zündhölzern (vgl. Denscher 1983: 13f.).

Österreichische Funnies

Sowohl die politische Ausrichtung als auch die grafische Gestaltung – Sprechblasencomics als Daily Strips, „Peng-Wörter“, Bilder in den Sprechblasen, Bewegungslinien (vgl. Havas/Sackmann 2010: 50) – des Comicstrips waren für die österreichische Szene dabei durchaus innovativ und scheinen sich an amerikanischen Vorbildern zu orientieren, auch wenn unklar ist, ob Kmoch tatsächlich Zugang zu US-amerikanischen Produktionen hatte. Die sogenannten Funnies, seriell in (Tages-)Zeitungen erscheinende Comicstrips, feierten in den US-amerikanischen Zeitungen und Zeitschriften ab Ende des 19. Jahrhunderts große Erfolge, da sie dem Alltag der Leser*innen witzigen Ausdruck verliehen. Vorreiter dieser Form war der US-amerikanische Strip The Yellow Kid (1895–1898) von Richard F. Outcault: In einem der Unterschicht nachempfundenem Soziolekt, der auch durch die Migration aus aller Welt entstandene Sprachenmischmasch abbildete, wurde hier die Welt eines New Yorker Hinterhofs dar- und ausgestellt. Ein „soziales Panoptikum“ (Platthaus 2016: 183), wo unterschiedlichste Nationen, Sprachen und Ideen satirisch aufeinandertreffen. Bei Outcault, wie auch in anderen US-amerikanischen Frühformen des Comicstrips, ist also durchaus auch eine gesellschaftskritische, politisch-subversive Haltung auszumachen. Ihre Strips für erwachsene Leser*innen richteten sich gerne und oft gegen Autoritäten und bürgerliche Moralvorstellungen. Ihre Protagonist*innen waren oft nicht eindeutig moralisch integer – im Gegensatz zu ihren europäischen Pendants, die zunächst eher in den Kinderbeilagen von Tageszeitungen erschienen und pädagogisch hehre Ideale verfolgten (vgl. Knigge 2009: 24). Die Ausrichtung von Kmochs Seicherl auf erwachsene Leser*innen mit einem ideologisch wankelmütigen Anti-Helden war für den europäischen Markt also durchaus gewagt. Was allerdings Wiedererkennungswert hatte, war das Gespann aus Herr und Hund. Mehr oder weniger anthropomorphisierte Tiercharaktere sind in Comics, wie etwa dem wegweisenden Krazy Kat (1913–1944) von George Herriman, schon früh zu finden. Und auch die Kombination mit menschlichen Charakteren ist häufig zu beobachten, beispielsweise im fast zeitgleich mit Seicherl entstehenden Les Aventures de Tintin (1929–1983; dt. Tim und Struppi) des belgischen Comicautors Hergé.

Der wandlungsfähige Herr Seicherl

Ladislaus Kmoch (der später als Ludwig Kmoch auftrat), der Autor und Zeichner von Herr Seicherl und sein Hund hatte mit dieser Figur also einen Volltreffer gelandet. Kmoch (1897–1971), eigentlich Ledergalanteriewarenerzeuger, war vermutlich Autodidakt – zumindest sind keine anderen gesicherten Quellen vorhanden – und arbeitete ab 1919 für den Münchner Simplicissimus und die Wiener Muskete,sowie den ebenfalls in Wien angesiedelten Götz von Berlichingen als Zeichner (vgl. Havas/Sackmann 2010: 46). Gerade die Arbeiten für die Muskete, ein bürgerlich-konservativ eingestelltes Blatt, und den im Gegensatz dazu eindeutig links ausgerichteten Götz von Berlichingen sind dabei interessant: Während Kmoch in der Muskete Zeichnungen, die sich gegen die Arbeiterschaft richteten, veröffentlichte, waren die Zeichnungen im Götz von Berlichingen gegen konservative Kreise gerichtet (vgl. Havas/Sackmann 2010: 49). Eine gewisse ideologische Flexibilität war Kmoch also bereits vor Tobias Seicherl eigen – ein Umstand der, mit den zeitgeschichtlichen Umständen vor Augen, noch von Interesse sein wird, denn mit der politischen Situation sollte sich auch die Ausrichtung von Herr Seicherl und sein Hund radikal verändern.

Die politische Lage in Österreich verschärfte sich bekanntlich in den 1930er-Jahren zunehmend. Seicherl – inzwischen die Nationalsozialisten parodierend zum „Hakinger“ geworden – nimmt etwa an Femenmorden oder Sprengaktionen teil und besucht Adolf Hitler. Bemerkenswert scheint auch die Folge Seicherl im Dritten Reich (Der Wahl-Seicherl, Beilage, 15.04.1932), in der Seicherl den „Hitlerputsch“ und die darauffolgende „Neue Ordnung“ imaginiert. Die als parodistische Übertreibung intendierte, ganzseitige Episode zur Landtagswahl in Wien, bei der die NSDAP 17 % der Stimmen erreichte, birgt eine rückblickend erschreckend akkurate Einschätzung der nationalsozialistischen Herrschaft. Sie endet mit Seicherl und Adolf Hitler auf einem scheinbar unendlich großen Friedhof. Der Comic-Hitler erklärt: „Na hab ich meine Versprechungen nicht eingehalten?! Es gibt keine Reparationen mehr, keine Arbeitslosigkeit, keine Zinsknechtschaft, keinen Klassenkampf, keine Judenfrage. Ruhe und Friede über allen deutschen Gauen!“ Seicherl steht daneben und kommentiert paradox angesichts der unzähligen Reihen an Grabkreuzen: „Des haß i a Leb’n!“ – 1932.

Das Ende der freien Presse: „Seicherl wagt nicht zu husten“

Auch die Möglichkeiten öffentlich politisch frei zu kommentieren, werden zusehends weniger. Nach der Ausschaltung des Parlaments durch Dollfuß am 4. März 1932, werden auch die Freiheiten der sozialdemokratischen Presse eingeschränkt: „Seicherl wagt nicht zu husten.“ (23.03.1933), wie Kmoch hier noch verschlüsselt kommentiert.

Abb. 3: Seicherl wagt nicht zu husten (23.03.1933)

Der Februaraufstand und das darauffolgende Verbot der Sozialdemokratie tat schließlich ihr Übriges und machte auch vor dem Kleinen Blatt und Seicherl nicht halt. Nach der Verhaftung des Chefredakteurs und der Umbesetzung der Redaktion im Sinne des Dollfuß-Regimes stand die Zeitung ab Februar 1934 nach einer zweiwöchigen Publikationspause unter Vorzensur. Am 28. Februar erscheint am Titelblatt eine Zeichnung mit dem Comic-Personal des Kleinen Blatts, unter anderem auch mit Seicherl und Struppi, unterschrieben mit: „Wir alle sind schon wieder da“ (28.02.1934). Auf Seite zwei wird die neue Ausrichtung des Kleinen Blatts deutlich:

„Das kleine Blatt erscheint wieder. Man hat der Arbeiterschaft ihren alten Freund zurückgegeben und damit einen sichtbaren Beweis der wiederholt geäußerten Absicht gegeben, die Wunden so rasch als möglich zu heilen und über die vergangenen Tage des Unglücks den Schleier der Versöhnung zu breiten.“

Die „Neugestaltung des staatlichen Lebens“ (ebd.), wie es weiter heißt, hat auch auf Seicherl und Struppi Einfluss: Kmoch enthält sich – ob freiwillig oder nicht, ist nicht nachvollziehbar – von nun an politischer Kommentare: Seicherl verliebt sich, wird zum Schriftführer beim Sparverein, baut eine Kleiderklopfmaschine, befindet sich ganz allgemein im „Erfindungswahn“ (20.03.1935) wie Struppi bemerkt: Seicherl macht eine Erfindung nach der anderen, die ihn natürlich alle auf die eine oder andere Weise windelweich klopfen. Kmoch baut nach den Februarkämpfen also die unpolitische Linie seiner Seicherl-Comics aus und garantiert sich so einen Platz auch in der veränderten Blattlinie.

Ab Juli 1935 geht es allerdings abwärts mit Seicherls Verfassung, er leidet zusehends unter Verfolgungswahn: Autos verwandeln sich in Drachen und andere Monster und jagen ihn durch die Stadt hinein in die Nervenheilanstalt, wo ihm „der Kopf ausgepumpt“ (15.07.1935) wird.

Abb. 4: Seicherl hat Verfolgungswahn (07.07.1935)

Solcherart geheilt und von Wahnvorstellungen befreit, begibt sich Seicherl am 20. Juli per Luftschiff auf eine Weltreise: „An’s tröst mi: Des war mei letzter Unfall in den schäbig’n Europa!“ Von nun an weilt Seicherl gemeinsam mit Struppi und seinem Kollegen Schwasser in der Fremde fernab von (österreichischer) Politik. Mit kurzen Abstechern in Wien werden die drei zu regelrechten Weltenbummlern. Auch als am 12. März 1938 deutsche Truppen in Österreich einmarschieren, befinden sich Seicherl, Schwasser und Struppi gerade auf einer Weltreise.

 In die Welt hinaus

Im März 1938 sieht sich Das Kleine Blatt erneut einer Übernahme ausgesetzt und steht nun unter nationalsozialistischer Führung. Propagandistische Beiträge um die Arbeiterschaft in das Deutsche Reich „heimzuholen“ sind ab dem 13. März zahlreich und wenig subtil: Das Kleine Blatt geht nahtlos in ein nationalsozialistisches Propagandamedium über. Genauso ergeht es Seicherl und Struppi: Ohne viel Federlesens legen sie ihre unpolitische Haltung ab und werden zu Sprachrohren nationalsozialistischer Gesinnung. Die nächste Station auf ihrer Weltreise ist Palästina. Bereits auf dem Weg dorthin begegnen ihnen halsabschneiderische Juden in Gestalt von Geiern, sie werden von einem jüdischen Verkäufer übers Ohr gehauen und am 23. März beobachten sie die Ankunft eines Schiffs mit jüdischen Geflüchteten aus Wien: „Des soll’n Österreicher sein?! Des san do lauter Polnische.“ Und Struppi meint: „Des is da erste Schub aus der Leopoldstadt.

Abb. 5: Seicherl und Schwasser wollen Landsleute empfangen (23.03.1938)

Um es kurz zu machen: Unmittelbar nach der nationalsozialistischen Machtübernahme bedient sich Kmoch einer „plumpen antisemitischen Propaganda“ (Havas/Sackmann 2010: 56f.) – von unpolitisch ist also keine Rede mehr. Am 8. April fordert Das Kleine Blatt auf seiner Titelseite die Bevölkerung zur Stimmabgabe ab – „Dem Führer dein Ja!“ – während Seicherl auf dem Weg nach Wien mit seinem Propellerflugzeug abstürzt und ausgerechnet in Genf, dem Sitz des Völkerbundes, landet. Es folgen weitere antisemitische Ausfälle gegen die „Zeitungsjud’n“ mit ihren „Greulnachricht’n“ und den Lügen verbreitenden, jüdischen Völkerbund: „Der Völkerbund is quasi a palästinensische Filiale!“ stellt Struppi am 13. April fest.

Kmoch findet in dieser neuen politischen Ausrichtung auch zu den narrativen Anfängen von Herr Seicherl und sein Hund Struppi zurück. Seicherl und Schwasser treffen beim Völkerbund auf den „Negus“, der die beiden als seine Vertreter beim Völkerbund anwirbt (19.04.1938). Genauso wie Seicherl Anfang der 1930er-Jahre christlichsoziale Politiker, Hahnenschwänzler und Hakenkreuzler durch seine Unterstützung lächerlich gemacht hatte, wird jetzt der „Negus“, eine rassistische Stereotypisierung eines afrikanischen Staatsoberhaupts, durch Seicherls Engagement in einem Aufwasch mit dem Völkerbund der Lächerlichkeit preisgegeben, garniert mit ein paar Seitenhieben auf Otto Habsburg, der sich bekanntermaßen gegen den „Anschluss“ Österreichs ans Deutsche Reich ausgesprochen hatte. Ende April werden Seicherl und Schwasser dann sogar beim Völkerbund angestellt (27.04.1938), „for Repräsentationszwecke! Mer soll üns nix nachsog’n, der Velkerbund is à rein jüdische Angelegenheit.“, wie ein aufdringlich antisemitisch gezeichneter Vertreter erklärt.

 Zurück nach Wien

Anfang Mai kehren Seicherl, Schwasser und Struppi nach Wien zurück, wo sie sich überraschenderweise weitgehend unverdächtig verhalten: Kmoch kehrt zurück zu den unpolitischen Pechvogel-Geschichten. Seicherl und Schwasser übernehmen einen Gemischtwarenhandel, wo allerhand schief geht, Seicherl begibt sich auf die Suche nach einer Frau und Schwasser stellt sich als noch einfältiger als Seicherl selbst heraus. Kaum ein halbes Jahr zurück in Wien zieht es Seicherl, Schwasser und Struppi allerdings wieder in die Welt hinaus. Während in Österreich „Fünf Regierungsverordnungen gegen das Judentum“ erlassen werden, so die Schlagzeile auf dem Titelblatt des Kleinen Blatts vom 13.11.1938, bringt Seicherl gerade sein erstes Abenteuer in Australien hinter sich. Zwar werden auf der Weltreise immer wieder rassistische Stereotypen bedient, offen (tages-)politisch – wie etwa gegenüber dem Völkerbund – werden die Strips nicht mehr. Die erneute Weltreise von Seicherl ist auch der Anfang seines langsamen Endes. Nach einer Unterbrechung im August 1939, Kmoch wird zum Kriegsdienst einberufen, wird die Serie im Mai 1940 schließlich sang- und klanglos eingestellt.

Herr Seicherl und sein Hund entwickelt sich so von einem – wenn auch eindeutig einer politischen Richtung zuordenbaren – kritischen Comic zu einem medialen Mitläufer. Wenn Kmoch 1934 noch auf die veränderten Publikationsbedingungen wenigstens verschlüsselt reagiert, müssen die antisemitischen Ausfälle 1938 mindestens als Appeasement an das neue Regime gewertet werden. In der spärlichen Forschung zu Herr Seicherl und sein Hund werden die Weltreisen Seicherls häufig als Versuch sich der politischen Einflussnahme zu entziehen gedeutet (vgl. Havas/Sackmann 2010: 56). Ob Kmochs Rückzug ins Unpolitische aber tatsächlich eine bewusste Entscheidung im Sinne eines Widerstands darstellt, ist aus den zugänglichen Quellen nicht erkennbar. Was Herr Seicherl und sein Hund aber eindrücklich zeigt, ist, wie sich politische Prozesse im nur scheinbar einfachen Medium Comic publikumswirksam einschreiben.

Literatur

  • Das Kleine Blatt. 1927–1971. Jahrgänge 1927–1944 über die Datenbank „ANNO: Historische Österreichische Zeitungen und Zeitschriften“ der Österreichischen Nationalbibliothek zugänglich, online unter:  https://anno.onb.ac.at/info/dkb_info.htm (letzter Zugriff: 09.06.2021).
  • Denscher, Bernhard (1983): Humor vor dem Untergang. Tobias Seicherl – Comics zur Zeitgeschichte 1930–1933, Wien: ÖBV.
  • Havas, Harald/Sackmann, Eckart (2010): Ladislaus Kmoch, in: Deutsche Comicforschung 6, 46–60.
  • Knigge, Andreas C. (2009): Zeichen-Welten. Der Kosmos der Comics, in: Text+Kritik. Zeitschrift für Literatur. Sonderband, 5–34.
  • Platthaus, Andreas (2016): Funnies, in: Abel, Julia/Klein, Christian (Hg.): Comics und Graphic Novels. Eine Einführung, Stuttgart: J. B. Metzler, 181–193.
  • JOHANNA LENHART ist Literaturwissenschaftlerin und Redakteurin der Fachzeitschrift MEDIENIMPULSE. Sie hat zahlreiche Publikationen zur österreichischen Gegenwartsliteratur vorgelegt.

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