Garten der Erinnerung – Statement zur Bildstrecke – VON EKATERINA SKLADMANN

Die Künstlerin EKATERINA SKLADMANN hat die Bildstrecke zur aktuellen Ausgabe beigetragen. Die fotografische Dokumentation ihrer Serie Garten der Erinnerung (2019) durch Stefan Maria Rother macht den Garten als Ort erfahrbar, aus dem sich die unterschiedlichsten Räume herausentfalten können.

Skladmanns sensible Annäherung an Themenkomplexe wie Gewalt und Trauma erlauben eine Perspektive auf den gar nicht nur harmlosen Garten als Repositorium des persönlich-familiären als auch allgemeinen Erinnerns, der auch medienübergreifend seine Wirksamkeit und Wichtigkeit entfaltet. – Ein Statement der Künstlerin.

I.

EKATERINA SKLADMANN – DOKUMENTATION ZUR SERIE
„GARTEN DER ERINNERUNG“ (2019)
FOTOGRAFIE © STEFAN MARIA ROTHER (2022)

Heimat ist mehr als ein geografischer Ort – sie kann auch in Erinnerungen, Gefühlen, Menschen, Liedern und in einem selbst vorhanden sein. Doch was geschieht, wenn Menschen ihr Zuhause gezwungenermaßen verlassen und verlieren?  Wie geht man mit dieser Entwurzelung der eigenen Identität um und wie schafft es der Mensch, an einem neuen Ort Wurzeln zu schlagen? Kann man seine Heimat mit an einen anderen Wohnort nehmen oder wird sie zu einer inneren, nostalgischen Landschaft aus Erinnerung und Gefühlen?

Heimatverlust ist seit Menschengedenken eine globale und universelle Erfahrung– Ursachen dafür sind Kriege, Gewalt oder Menschenrechtsverletzungen, politische, ethnische oder religiöse Verfolgung. Mehr als 100 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht (Quelle: UNHCR, Mai 2022). Die Metapher der Ver- und Entwurzelung wird in Reflexion einer Vielzahl dieser Flüchtlingsgeschichten und Erinnerungen von Vertriebenen und anhand persönlicher Erlebnisse untersucht. Aus dieser Analyse ist der Garten der Erinnerung als szenografische Rauminstallation entstanden, die sich künstlerisch-assoziativ dem Gefühl verlorener Heimat widmet.

II.

Aus der Erinnerung meiner Großmutter, Ludmila Piletskaja:

EKATERINA SKLADMANN – DOKUMENTATION ZUR SERIE
„GARTEN DER ERINNERUNG“ (2019)
FOTOGRAFIE © STEFAN MARIA ROTHER (2022)

„Ich wurde als jüngstes von neun Kinder in einer weißrussischen Bauernfamilie geboren. In unserem Dorf Swojatycze lebten Polen und Weißrussen gemeinsam, sprachen Polnisch und Weißrussisch. Mit großer Freude erinnere ich mich an den Apfelgeruch meiner Kindheit. Unserer Familie gehörte ein großer Apfelgarten, dessen Äpfel wir in die Stadt brachten und dann auf dem Markt verkauft haben.

Mein Vater nahm mich oft mit in die Stadt und kaufte mir nach dem Verkauf von Äpfeln die tollsten Süßigkeiten. Doch als ‚die Sowjets‘ in unser Dorf kamen, war es damit vorbei. Jeder einzelne Apfelbaum wurde bei der Dorfverwaltung registriert, man musste Steuern dafür zahlen und der Verkauf der Äpfel wurde verboten.

Das war 1939 – damals war ich gerade zehn Jahre alt. Ich erinnere mich sehr gut an die sowjetischen Männer und Frauen, die in unser Dorf kamen: Hungrige, schlecht gekleidete und dreiste Menschen, die sich wie Besatzer benommen haben. Kurz darauf wurde das Land in Kolchosen zusammengeführt …

EKATERINA SKLADMANN – DOKUMENTATION ZUR SERIE
„GARTEN DER ERINNERUNG“ (2019)
FOTOGRAFIE © STEFAN MARIA ROTHER (2022)

Unser Garten wurde nicht mehr ‚unser‘. Kühe und Pferde würden fortgebracht. Ich erinnere mich an die Tränen meiner Mutter, als die Russen unsere Kuh aus dem Hof holten. Die katholische Kirche wurde geplündert und in einen Getreidespeicher verwandelt. Die polnische Sprache wurde in der Schule verboten.

Und wenn jemand dagegen Widerstand leistete, wurde er verhaftet und deportiert. Meine ältere Schwester Maria ist in Polen geblieben und wir in der Sowjetunion, es dauerte Jahrzehnte, bis wir uns wieder sehen konnten! Das alltägliche Leben wurde immer mühseliger und elender.

Es herrschte Armut. Wir mussten nacheinander zur Schule gehen, denn es gab nicht einmal genug Schuhe für alle acht Geschwister. Und nach der Schule mussten wir arbeiten – Äpfel aus dem Garten aufsammeln und diese dann an die Kolchose abgeben …“

III.

Unser Garten hat über vier Generationen vieles gesehen: spielende Kinder, Grenzverschiebungen, Krieg und Zerstörung. Diese Erinnerungen sind bis heute geblieben, der Garten trägt sie still und stoisch weiter.

EKATERINA SKLADMANN – DOKUMENTATION ZUR SERIE
„GARTEN DER ERINNERUNG“ (2019)
FOTOGRAFIE © STEFAN MARIA ROTHER (2022)

EKATERINA SKLADMANN

wurde in Baranowischy, Belarus geboren. Sie hat Freie Kunst in Minsk und Textil- und Flächendesign, Bühnenbild und Ausstellungsdesign in Berlin studiert. Heute macht sie verschiedene Projekte mit dem Schwerpunkt Szenografie. Meistens haben die Projekte einen dokumentarischen Hintergrund, eine historische Geschichte. Das Hauptthema Ihre Arbeit ist die Erinnerung, Verschwinden von Erinnerungen und ihre Transformation im Kontext der Zeit.

Weitere Informationen online unter: www.ekaterinaskladmann.com