Editorial ZUKUNFT 11/2025: Der politische Isam VON ALESSANDRO BARBERI, VIKTORIA KRIEHEBAUER, MARLIES ETTL 

Wenn seit den späten 1990er-Jahren in den Diskussionen zu Samuel Huntington von einem clash of civilizations die Rede war, so stellt sich angesichts der aktuellen weltpolitischen Lage und im Blick auf Christentum, Judentum und Islam – um hier nur die drei abrahamitischen Weltreligionen zu nennen – aktuell die ernsthafte Frage, ob wir es nicht mit einem clash of confessions zu tun haben. So bleibt zu konstatieren, dass die klassischen Bestände der linken und säkularen Religionskritik und -wissenschaft im Namen der Aufklärung nach wievor volle Geltung beanspruchen können, wenn es um die innere Struktur des (fundamentalistischen) Glaubens sowie der (irrationalen) Religion und ihre – durchaus negativen – Auswirkungen auf ein demokratisches Gemeinwesen geht.

Gerade in Erinnerung an den Terroranschlag in Wien am 02. November 2020 und den Genozid vom 07. Oktober 2023 in Israel stellt sich dabei angesichts des radikalisierten Terrors insbesondere die Frage, wie genau und ob überhaupt der Islam als Religion vom Islamismus bzw. vom politischen Islam unterschieden werden kann. Denn die auf das siebte Jahrhundert zurückgehende Glaubensstruktur des Koran und des Propheten Mohammed zeigt sich auf verschiedenen Ebenen als gänzlich inkompatibel mit den liberalen und sozialen Grundwerten westlicher Demokratien und führt so zu manifesten Kollisionen und eben clashs of confessions. Dies betrifft u. a. den islamistischen Terror ebenso wie die Frauenpolitik. Deshalb hat sich die Redaktion der ZUKUNFT – in Kooperation mit der Dokumentationsstelle Politischer Islam und Terre des Femmes Österreich entschlossen, dem „politischen Islam“ eine eigene Ausgabe zu widmen, für die wir eine eindrucksvolle Reihe von Autor*innen gewinnen konnten, die sich schon im Vorfeld in dieser Diskussion hervorgetan haben.

Den Reigen unserer religionskritischen Ausgabe eröffnet demgemäß Abdel-Hakim Ourghi, der eine eminent wichtige Frage stellt: Woher kommt der Hass? Denn der Antisemitismus in arabischen Ländern und damit auch von vielen Muslim*innen ist keineswegs ein neues Phänomen, sondern beruht auf tief eingelagerten religiösen Traditionen, die sich im 20. Jahrhundert auch mit der nationalsozialistischen Ideologie verbanden. Dieser Antisemitismus wurzelt tief in der Geschichte des Islam, weshalb Ourghi nachdrücklich fordert, dass Muslim*innen sich diesen Umstand deutlich eingestehen müssen. Erst wenn sie das zugeben, kann der Islam zu einer Religion des Friedens werden, denn nur ein diesbezügliches Schuldbekenntnis könnte – z. B. gegenüber den Juden – einen Versöhnungsweg ebnen und dem „liberalen Islam“ überhaupt eine Chance geben.

Daran anschließend präsentieren wir die Transkription eines Vortrags von Necla Kelek, die anlässlich des Internationalen Frauentages in Neumünster 2025 betont(e), dass die Demokratie sich – z. B. in der Kopftuchfrage – an den Rechten der Frauen misst, weshalb nachdrücklich an einer besser strukturierten Integration gearbeitet werden muss. Dabei werden die bemerkenswerten Erfolge der westlichen Frauenpolitik zusammengefasst, um sie mit den geschlechtsspezifischen Traditionen vieler orientalischer Länder zu kontrastieren, nach denen das Geschlechterverhältnis zwischen Männern und Frauen strikt geordnet und also auch getrennt ist. In diesem Kontext werden familienrechtliche Fragen genauso diskutiert wie die sog „Imam-Ehen“, also Zwangsverheiratungen, die nach Kelek in einer Demokratie als nichtig angesehen werden müssen.

Dass in Frankreich die Trennung von Kirche und Staat – also der Laizismus – nicht nur ein Begriff, sondern tagtägliche Realität ist, belegt dann der Beitrag von Marlies Ettl, die sich die Mühe gemacht hat, in das Werk der beeindruckenden Feministin Caroline Fourest einzuführen, die im deutschsprachigen Raum vor allem mit Ihrem Buch Generation beleidigt (2020) bekannt geworden ist. Erschüttert vom islamistischen Anschlag auf die Satirezeitschrift Charlie Hebdo analysiert Fourest den Wandel linker Diskurse unter dem Druck identitätspolitischer Sensibilitäten und beschreibt, wie sich eine „Kultur der Beleidigung“ an die Stelle des offenen Widerspruchs gesetzt hat – mit Folgen für Feminismus, Meinungsfreiheit und universelle Werte. Ihr Buch ist eine Verteidigung der (laizistischen) Aufklärung gegen eine neue fundamentalistische Orthodoxie, die Moral mit Wahrheit verwechselt. 

Dieser Frage der Beleidigung geht auch die Historikerin Andrea Romstorfer nach, die sich in ihrem Beitrag den methodologischen und ideologischen Überschneidungen von Islamismus, Multikulturalismus und Ethnopluralismus widmet und so auf die politisch-ideologische Problematik der identitären Austauschbarkeit von „links“ und „rechts“ verweist. Denn gegenwärtig kämpfen auf den politischen Feldern fast ausschließlich jene identitätspolitischen Kräfte um die Hegemonie, die jede aufgeklärte Position verlassen haben. Gekämpft wird dabei um Narrative und Ideologien. So sind der (linke) Multikulturalismus und der (rechte) Ethnopluralismus heute die ideologischen Pole des politischen Hufeisens, die sich medienwirksam in Antisemitismus und der Missachtung von Frauenrechten überschneiden und so einen Teufelskreis bilden, in dem und durch den es zu bedenklichen Überschneidungen von linken und islamistischen Positionen kommen kann. 

Ganz in diesem (laizistischen) Sinne betont auch Nina Scholz in dem mit ihr geführten Interview, dass Religionsfreiheit in einer Demokratie kein Grundrecht de luxe darstellen darf.  Viktoria Kriehebauer und Marlies Ettl diskutieren mit ihr, weshalb es so wichtig ist, dass alle fünf österreichischen Parlamentsparteien sich jüngst für ein Kopftuchverbot für Mädchen bis 14 Jahren ausgesprochen haben, weshalb das diesbezügliche Gesetz im kommenden Februar in Kraft tritt. Was bedeutet aber diese Entwicklung für Mädchenrechte, für Gleichstellung und für die politische Kultur in Österreich? Da das Kopftuch, so Scholz, Kinder in eine inferiore Rolle drängt, steht auch vor Augen, dass es als Symbol patriarchaler Unterdrückung mit den Grundlagen der Republik genauso kollidiert wie mit dem Standard westlicher Frauenrechte. Parallel zu Caroline Fourest und im Blick auf den politischen Islam geht es dabei auch um die Tatsache, dass es kaum eine Zeitung mehr wagt, Mohammed-Karikaturen zu drucken oder Witze über den Islam zu machen. Denn der Druck, die Angst und der damit oft einhergehende vorauseilende Gehorsam haben ein unübersehbares Ausmaß angenommen.

Gerade in letzter Zeit ist es angesichts derartiger Konstellationen in Teilen der Linken zu bedenklichen Überlappungen mit dem politischen Islam und dem Islamismus gekommen. Können wir also schon von einer „Islam-Linken“ reden? Armin Pfahl-Traughber diskutiert mit seinem Artikel, ob es sich bei diesem Begriff um eine analytische Kategorie oder ein politisches Schlagwort handelt und erörtert aus politikwissenschaftlicher Sicht die faktischen Kooperationen verschiedener politischer Lager. Denn bei israelfeindlichen Demonstrationen konnten mitunter erstaunliche Kooperationen zwischen Islamist*innen und Linksextremist*innen wahrgenommen werden, weshalb in Frankreich der Terminus „Islamo-Gauchisme“ geprägt wurde. Bei allen wahrnehmbaren Unterschieden überlappen sich die Extreme z. B. in einem „Antiimperialismus“, nach dem die USA der „große“ und Israel der „kleine Satan“ wäre. Bildet sich mithin vor unseren Augen nun tatsächlich eine „islam-linke Querfront“?

An diesem bedenklichen Punkt setzt auch Hans-Jürgen Tempelmayr-Patay an, der im Sinne einer sozialdemokratischen Selbstkritik Liebevoll am Teppich ziehen will. Auch er will ausloten, warum der Linken die Kritik am Politischen Islam bzw. Islamismus so schwerfällt, und setzt dabei vor allem bei den übelsten Formen des linken „Antizionismus“ an, der im Grunde nur ein oberflächlich versteckter Antisemitismus ist. Denn auch die vermeintliche „Israelkritik“ ist faktenresistent und checkt deshalb die islami(sti)schen Fakten eben nicht. Gerade deshalb ist für die Sozialdemokratie eine eingehende Diskussion von Migrations-, Einwanderungs- und Einbürgerungsfragen ebenso unabdingbar wie das Eingeständnis, dass die Linke mitverantwortlich ist, der Rechten in dieser Frage das Feld überlassen zu haben. Die Conclusio? Es ist (gerade) noch nicht zu spät …

Das Verhältnis der Linken zum Islam thematisiert auch Ruşen Timur Aksak, der von biografischen Erfahrungen ausgeht und den Leser*innen der ZUKUNFT in der Folge die Gefahr der Kooperation der Linken mit dem Islamismus erläutert. Dabei erinnert er daran, dass der Begriff der „Islamophobie“ z. B. von den Muslimbrüdern eingesetzt und erst später von der (akademischen) Linken übernommen wurde. Damit stärkten Teile der Linken inner-muslimisch gerade jene Kräfte, die jede Kritik, jedes Infragestellen von konservativen Dogmen mit brutaler Wut unterdrücken und ahnden, wie angesichts der Mullahs im Iran Tag für Tag nur allzu deutlich wird. Es ist aber möglich, Rassismus anzuprangern, ohne dabei das Geschäft reaktionärer Muslim*innen zu erledigen. Gerade deshalb kann unsere Demokratie nicht auf eine vernünftige Linke und den Bestand ihrer Religionskritik verzichten, so Aksak abschließend.

Der clash of confessions findet auch Tag für Tag in unseren Schulen statt, die durch den Islam grundlegend verändert wurden, wie Susanne Wiesinger berichtet, die seit langer Zeit als Lehrerin im zehnten Wiener Gemeindebezirk tätig ist und dahingehend auch ein brisantes Buch publiziert hat. Schwierige soziale Verhältnisse, Gewalt, Vernachlässigung und sexueller Missbrauch in- und außerhalb der Familien sind für sie seit langer Zeit (schulische) Realität. Eine Wirklichkeit der Schule, die seit den 1990er-Jahren immer mehr Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund zu betreuen hatte, wodurch ein Kulturkampf im Klassenzimmer entstanden ist. Wenn die Integrationsarbeit aber nur in Kindergärten und Schulen stattfindet, so Wiesinger, kann sie nicht funktionieren. Es gilt also, den Bildungsbereich grundlegend zu verändern. Passiert nichts, werden bereits vorhandene Probleme noch weiterwachsen.

Insgesamt möchten die Herausgeber*innen deutlich festhalten, dass religiöser Extremismus auf verschieden Ebenen eine immense Herausforderung für den liberalen (und sozialen) Westen darstellt. Deshalb schließt Lisa Fellhofer als 

Herausgeberin und (mit der ZUKUNFT) kooperierende Direktorin der Dokumentationsstelle Politischer Islam unser Heft mit einem pointierten Beitrag ab: Denn religiöser Extremismus bezeichnet politische Bewegungen, die die Grundfesten der Demokratie religiös begründet ablehnen oder bekämpfen. Deshalb haben wir den „politischen Islam“ zum Zentrum dieser Ausgabe und unserer Diskussion gemacht. Denn der „Islamismus“ versucht, Gesellschaft, Kultur und Staat nach religiösen Normen zu gestalten, die im Widerspruch zu Demokratie und Menschenrechten stehen. Dem stellen wir uns (nicht nur) mit diesem Heft sozial und demokratisch entgegen.

Es bleibt uns zum Ende hin nur noch der dankbare Hinweis auf unsere bemerkenswerte Bildstrecke. Den Leser*innen der ZUKUNFT ist Heike Willmaser vielleicht noch in Erinnerung. Denn Sie hat uns zum wiederholten Male ihre beeindruckenden Werke zur Verfügung gestellt, die im Grunde auch für sich selbst sprechen … vom Stillleben Hagebutten bis zu einer Katze auf Lauer.

Es senden herzliche und freundschaftliche Grüße

Alessandro Barberi, Viktoria Kriehebauer, Marlies Ettl und Lisa Fellhofer

ALESSANDRO BARBERI

ist Chefredakteur der ZEITSCHRIFT FÜR HOCHSCHULENTWICKLUNG (www.zfhe.at) sowie der Diskussionszeitschrift ZUKUNFT (www.diezukunft.at) und des Fachjournals MEDIENIMPULSE (www.medienimpulse.at). Er ist Zeithistoriker, Bildungswissenschaftler, Medienpädagoge und Privatdozent. Er lebt und arbeitet in Magdeburg und Wien. Politisch ist er im Umfeld der SPÖ Bildung und der Sektion 32 (Wildganshof/Landstraße) aktiv. Weitere Infos und Texte online unter: https://medienbildung.univie.ac.at/.

VIKTORIA KRIEHEBAUER

hat 1982 die Hertha Firnberg Schulen für Wirtschaft und Tourismus (HFS) gegründet. Sie engagiert sich derzeit als Vorstandsmitglied der Frauen-NGO Terre des Femmes Österreich (www.terredesfemmes.at), um alle Formen der Gewalt an Frauen zu bekämpfen. Sie ist Trägerin des Käthe-Leichter-Preises und der Otto-Glöckel-Medaille.

MARLIES ETTL

war langjährige Schulleiterin der Hertha Firnberg Schulen (HFS). Seit vielen Jahren engagiert sie sich auf verschiedenen Ebenen der Frauenpolitik und ist eine profiliert auftretende Feministin. Sie ist Mitgründerin sowie stellvertretende Vorsitzende der NGO Terre des Femmes Österreich. Sie wurde mit dem Wiener Frauenpreis, dem Grete-Rehor- und dem Anton-Benya-Preis ausgezeichnet. Weitere Informationen finden Sie unter: www.terredesfemmes.at & www.firnbergschulen.at.

LISA FELLHOFER

ist seit 2020 Direktorin des Österreichischen Fonds zur Dokumentation von religiös motiviertem politischen Extremismus (Dokumentationsstelle Politischer Islam). Sie publiziert zu religiösem Extremismus, Frauenrechten und Demokratieschutz.