„Wir stehen an einem wichtigen Kreuzungspunkt in Richtung Zukunft.
Werthner et al. (2019) Wiener Manifest für Digitalen Humanismus
Wir müssen handeln und die richtige Richtung einschlagen!“
Die ZUKUNFT der Menschheit scheint sich an einem Scheidepunkt zu befinden: Wollen wir als Menschen der Technologie nur folgen oder sie stattdessen zugunsten der Menschheit formen? Wie kann Technologie ein erfüllendes Leben fördern, statt ein permanentes Hindernis zu sein? Im Rahmen dieser zweiten Sonderausgabe der ZUKUNFT zum Thema Digitaler Humanismus, die in Kooperation mit der FH des BFI Wien entstanden ist, beleuchtet ein inter- und multidisziplinäres Autor*innenteam die Rolle des Menschen im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz. Diese Ausgabe legt einen besonderen Fokus auf die Rolle Österreichs in der Stärkung des Digitalen Humanismus.
Dies ermöglicht einen besonderen Stellenwert des Landes im internationalen Kontext und eine Chance, sich als Vorreiter in einem menschlichen Ansatz zur Technologieentwicklung zu behaupten. Wie auch in der Vorgängerausgabe (ZUKUNFT 01_02/2025) fokussieren sich die Artikel dieser Sonderausgabe auf verschiedene, vor allem politische Kontexte – die Rolle der Gewerkschaften, das Engagement der Stadt Wien oder die Möglichkeit des guten Lebens – und sind sich dennoch in einem einig: der Mensch muss – gerade im Umfeld der Sozialdemokratie – im Zentrum der aktuellen Technologieentwicklung stehen. In einer Zeit rasanter digitaler Entwicklung erinnert uns die Philosophie des Digitalen Humanismus also daran, dass Technik dem Wohl des Menschen dienen sollte – nicht umgekehrt. Denn der Digitale Humanismus fordert eine ethische und menschenzentrierte Gestaltung digitaler Innovationen. In einer zunehmend vernetzten Welt ist er somit ein notwendiger Kompass, um sicherzustellen, dass Technologie nicht zur Entmenschlichung führt, sondern unser Gemeinwohl, unseren gemeinsamen Reichtum, unseren Common Wealth fördert.
Da die Digitalisierung unsere Arbeitswelt rasant verändert, zeigen Wolfgang Katzian und Sebastian Klocker mit unserem Leitartikel, wie diese Entwicklung zu besseren Arbeitsbedingungen führen kann, anstatt Kontrolle und Stress zu fördern. Digitaler Humanismus steht auch für sie im Zentrum dieses Ansatzes, wobei sie eingehend auf die Gefahren der Digitalisierung für Arbeitnehmer*innen hinweisen. Dabei sind Mitbestimmung, soziale Sicherheit und faire Arbeitsbedingungen entscheidend. Der Artikel thematisiert sowohl die Risiken der Digitalisierung – wie Arbeitsplatzverlust, Überwachung und Stress – als auch ihre Chancen, wie flexible Arbeitsmodelle und weniger physische Belastung. Eine wichtige Voraussetzung für den Digitalen Humanismus ist die digitale Souveränität, die es Individuen und Gesellschaften ermöglicht, digitale Technologien selbstbestimmt zu nutzen. Gewerkschaften spielen eine entscheidende Rolle in der Gestaltung dieser Transformation. Die Autoren plädieren daher für eine digitale Zukunft, in der Technik den Menschen stärkt und seine Rechte auf allen Ebenen bewahrt.

Im Interview mit Niko Alm erläutert dann auch Alexander Schmölz, Professor für Digitalen Humanismus an der FH des BFI Wien, die Bedeutung von Humanismus und Digitalem Humanismus. Schmölz betont, dass der Humanismus den Menschen in den Mittelpunkt stellt und seine Freiheit und Würde fördert. Der Digitale Humanismus fragt, wie digitale Technologien gestaltet werden müssen, um die menschliche Freiheit zu unterstützen und auf keinen Fall einzuschränken. Schmölz warnt vor den Risiken, die durch wirtschaftlich getriebene Technologien entstehen und kommt dabei u. a. auf Suchtmechanismen und die Militarisierung von KI zu sprechen. Er sieht die größte Gefahr nicht in Maschinen, die menschenähnliche Intelligenz entwickeln, sondern in der Tendenz der Menschen, ihre eigenen Qualitäten zugunsten von Maschinen abzugeben und zu verlieren. Um den Digitalen Humanismus zu fördern, fordert er mehr Regulierung, Bildung und ethische Richtlinien, die das Gemeinwohl, also auch unsere (Creative) Commons in den Fokus stellen.
In ihrem Beitrag betont dannn auch Ulrike Domany-Funtan die Bedeutung digitaler Kompetenzen im Kontext des Digitalen Humanismus und der fortschreitenden technologischen Entwicklungen. Sie argumentiert, dass digitale Kompetenzen notwendig sind, um als mündige Gesellschaft selbstbestimmte und informierte Entscheidungen in der digitalen Welt zu treffen. Der digitale Wandel erfordert, dass Menschen sich aktiv mit den Chancen und Risiken neuer Technologien auseinandersetzen, um Verantwortung zu übernehmen und ihre Autonomie zu bewahren. Domany-Funtan hebt hervor, dass insbesondere die Nutzung von KI-Anwendungen eine informierte und kompetente Handhabung erfordert, um ethische, rechtliche und soziale Implikationen zu verstehen. Sie fordert einen kollektiven Diskurs und die Förderung von digitaler Mündigkeit durch Bildung, um die Gesellschaft in die Lage zu versetzen, Technologien im Sinne des Digitalen Humanismus verantwortungsbewusst zu gestalten und zu nutzen.
Tanja Sinozic-Martinez beschreibt in der Folge, wie Wien den Digitalen Humanismus nutzt, um technologische Innovationen mit ethischer Verantwortung und den lokalen Werten der Stadt zu verbinden. Der Digitale Humanismus, seit 2019 in Wien gefördert, basiert auf den Prinzipien der Autonomie, Bildung und Selbstbestimmung und hat die Stadt zur Entwicklung einer digitalen Agenda inspiriert. Auch Bürgermeister Michael Ludwig betont, dass Technologie primär den Bürger*innen dienen soll. Wien verfolgt eine Politik, die ethische Standards für KI-Nutzung setzt und durch Initiativen wie den Kompass für den dienstlichen Umgang mit generativer KI und die KI-Community KITT die KI-Kompetenz der Mitarbeiter*innen stärkt. Mit Methoden wie dem Value-Based Engineering (VBE) wird sichergestellt, dass Werte wie Inklusion und Datenschutz in die IT-Systemgestaltung integriert werden. Wien positioniert sich als globaler Vorreiter im Digitalen Humanismus, wobei Innovation stets im Einklang mit den sozialen und ethischen Bedürfnissen der Bürger*innen steht.
Ein guter Beleg dafür ist das neue Lehrbuch Digitalisierung und Wir, das von Anita Eichinger, Direktorin der Wienbibliothek im Rathaus, vorgestellt wird. Diese medienpädagogisch relevante (Online-)Publikation behandelt die technologischen, ethischen und gesellschaftlichen Aspekte der Digitalisierung und Künstlichen Intelligenz. Entwickelt von der Wienbibliothek im Rathaus und Experten der TU Wien, richtet es sich an Schulen und Erwachsenenbildungseinrichtungen. Es vermittelt praxisnahe Übungen und fördert eine reflektierte Auseinandersetzung mit den Auswirkungen von KI. Als Open Access verfügbar, ist dieses (digitale und digitalisierte) Buch ein dynamisches Lehrwerk, das stetig erweitert wird und eine europäische Crowd-Plattform als Modell bietet. Übersetzungen ins Englische und Italienische sind bereits in Arbeit …
Auch Erich Prem fordert in seinem Artikel die Verwirklichung eines Digitalen Humanismus als Antwort auf die entmenschlichenden Tendenzen von autoritärer Technokratie und Technofaschismus. Der Digitale Humanismus stellt den Menschen und seine gesellschaftlichen Bedürfnisse in den Mittelpunkt, im Gegensatz zu Technologien, die (neoliberalen) Individualismus und (kapitalistische) Machtstrukturen fördern. Prem skizziert vier wesentliche Schritte zur Umsetzung: erstens, die Entwicklung einer Vision für ein gutes digitales Leben, zweitens, die Überzeugungsarbeit zur Machbarkeit dieser Vision, drittens, die Schaffung und Weiterentwicklung von Technologien, die menschliche Werte respektieren, und – last but not least – viertens, die breite Anwendung dieser Technologien in der Gesellschaft. Ziel ist es, eine Technikmoral zu etablieren, die den Digitalen Humanismus fördert und damit eine ethische Grundlage für die Gestaltung der digitalen Zukunft bietet.
Den Leser*innen der ZUKUNFT ist in den letzten Jahren sicher nicht entgangen, dass der Chefredakteur und die Redaktion dem Antisemitismus auf allen Ebenen den Kampf angesagt haben. Deshalb freut es uns ganz besonders, in Kooperation mit Spiegelbild e.V. eine breit verdrängte Geschichte des Judentums wieder bewusst machen zu können. Den Stephan Grigat berichtet in einem Interview, dass Thure Alting mit ihm geführt hat, eingehend und faktenorientiert von der systematischen Flucht und Vertreibung der Juden aus dem arabischen Raum, die lange Zeit nicht aufgearbeitet wurden. Für das heutige Verständnis der Lage ist aber eine genaue Kenntnis dieses vergessenen Exodus unabdingbar. Die ZUKUNFT bringt die gekürzte Fassung des Interviews, das im März 2025 in dem Band Gerüchte, Widersprüche & Desinformation zur antisemitismuskritischen Bildungsarbeit in Wiesbaden erschienen ist. Dieser Band kann kostenfrei im Netz heruntergeladen werden.
Die letzten vier Ausgabe der ZUKUNFT haben auf verschiedenen Ebenen Fragen der Digitalisierung, Automatisierung und Maschinisierung angesichts von Künstlicher Intelligenz und Digitalem Humanismus zum Gegenstad der Debatte gemacht. Um diese Themen auch visuell zu verdeutlichen, haben wir bei den Bildstrecken der letzten drei Ausgaben mit KI gearbeitet, um ihre „künstlich/künstlerischen“ Möglichkeiten auszuloten. Da wir aber durchgängig auf der Eigenart der menschlichen Intelligenz bestehen, freut es uns ganz besonders, dass die versierte Künstlerin Michaela Putz uns freimütig ihre – thematisch mehr als relevanten – Arbeiten zur Verfügung gestellt hat: Es handelt sich bei der Bildstrecke dieser Ausgabe um eine Werkserie, die sich mit der Beziehung zwischen Erinnerung, digitalen Bildspeichern und der physischen Interaktion mit Screens auseinandersetzt. Die renommierte Künstlerin greift dabei auf ihr eigenes mobiles Bildarchiv zurück und fotografiert ausgewählte Motive direkt vom Display ihres Smartphones ab. Doch anstatt sich auf die ursprünglichen Erinnerungsmomente zu fokussieren, wird der Akt des Erinnerns selbst sichtbar … Nähere Informationen zur Künstlerin und ihren Arbeiten finden sich denn auch am Ende unserer Ausgabe.
Anlässlich dieser zweiten Sonderausgabe wollen wir als erweiterte Redaktion der ZUKUNFT der FH des BFI Wien und der Arbeiterkammer Wien herzlich danken, die durch ihre Unterstützung die Stiftungsprofessur zum Thema Digitaler Humanismus an der FH des BFI Wien und somit inhaltlich auch diese Ausgabe möglich gemacht haben.
Es senden den Leser*innen der ZUKUNFT
im Namen einer durchwegs humanistischen und d. h. menschlichen Redaktion herzliche und freundschaftliche Grüße Pia-Zoe Hahne, Alexander Schmölz und Alessandro Barberi.
PIA-ZOE HAHNE
ist Researcherin für Digitalen Humanismus an der Fachhochschule des BFI Wien und Doktorandin an der philosophischen Fakultät der Universität Wien. Ihre Arbeit fokussiert auf Technikphilosophie, KI-Ethik und das Verhältnis zwischen gesellschaftlichen Akteur*innen und künstlicher Intelligenz. Sie hält einen MSc in Cultures of Arts, Science and Technology von der Universität Maastricht. Kontakt: pia.hahne@fh-vie.ac.at.
ALEXANDER SCHMÖLZ
hat die Stiftungsprofessur für Digitalen Humanismus an der FH des BFI Wien inne. Als versierter Medienpädagoge und Bildungswissenschaftler ist er geschäftsführender Leiter des Österreichischen Instituts für Berufsbildungsforschung und Researcher-in-Residence bei fit4internet. Darüber hinaus ist er als Editor-in-chief des Journals Digital Culture & Education (DCE) aktiv.
ALESSANDRO BARBERI
ist Chefredakteur der ZEITSCHRIFT FÜR HOCHSCHULENTWICKLUNG (www.zfhe.at) sowie der Fachzeitschriften ZUKUNFT (www.diezukunft.at) und MEDIENIMPULSE (www.medienimpulse.at). Er ist Zeithistoriker, Bildungswissenschaftler, Medienpädagoge und Privatdozent. Er lebt und arbeitet in Magdeburg und Wien. Politisch ist er im Umfeld der SPÖ Bildung und der Sektion 32 (Wildganshof/Landstraße) aktiv. Weitere Infos und Texte online unter: https://medienbildung.univie.ac.at/.