Für Wolfgang Markytan ist das Verhältnis der Sozialdemokratie zum Sport auch mit dem Gegensatz von Leistungsdenken und allgemeinem Wohlbefinden verbunden. Mit seinem Beitrag versucht er sich in einer Gratwanderung, die vor allem der Sozialdemokratie schwerfällt. Dabei fasst er für unsere Leser*innen auch die Ergebnisse seiner Masterarbeit zusammen.
I. Einleitung
Im Zuge der Erstellung meiner Masterarbeit im Bereich Politikwissenschaft habe ich mich intensiv mit dem Verhältnis der Sozialdemokratie zum Sport auseinandergesetzt. Ich verbinde darin meinen Bildungsweg sowie meine beruflichen Erfahrungen in den Bereichen Politikwissenschaft, Sportmanagement und Sozialdemokratie. Seit 2003 bin ich hauptamtlich im sozialdemokratischen politischen Erwachsenenbildungsbereich tätig. Daneben hatte ich die Ehre, im Sportmanagement verschiedene Positionen zu bekleiden, unter anderem 2007–2008 als Klubmanager des Wiener Sportklubs und als Vizepräsident des First Vienna Football Clubs 1894 in den Saisonen 2012 bis 2014. Dieser Beitrag bringt somit umfangreiche Erfahrungen aus Politik und Sportmanagement zusammen und behandelt das Spannungsverhältnis zwischen Sozialdemokratie und Sport. Dabei untersuche ich die Organisationsstrukturen im Sport, die Verteilung finanzieller Mittel und biete Einblicke sowohl in den österreichischen als auch in den internationalen Sport.
II. Wissenschaftliche Begriffsdefinitionen
Zuerst möchte ich eine kurze Zusammenfassung der wissenschaftlichen Begriffsdefinitionen anbieten. Diese bieten einen Einblick in die komplexe Beziehung zwischen Sport und Politik sowie in die Bedeutung des Sports in der Gesellschaft. Sie verdeutlichen, wie der Sport als kulturelles und politisches Phänomen betrachtet wird und welche Rolle er bei der Identitätsbildung und der Erreichung politischer Ziele spielt.
Wissenschaftliche Anerkennung des Sports in Österreich
In Österreich gibt es eine begrenzte wissenschaftliche Anerkennung des Sports aufgrund mangelnder wertschätzender Anerkennung in der Gesellschaft. Im deutschsprachigen Raum fehlen im Vergleich zum angelsächsischen Raum umfassende wissenschaftliche Untersuchungen zum Thema Sport und Politik (Ruge 2002).
Wert des Sports in der Gesellschaft
Die Bedeutung des Sports erstreckt sich über das bekannte Promille von Spitzensportler*innen hinaus, umfasst Millionen von Sporttreibenden und Hunderttausende von Helfer*innen. Diese breite Masse trägt zur Demonstration des Sinns und Werts von körperlicher Betätigung bei (Gastgeb 1962).
Sport als politisches Feld
In der Sportwissenschaft wurde oft angenommen, dass Sport eine unpolitische Veranstaltung sei. Dies ändert sich jedoch, wenn die politische Dimension des Sports sichtbar wird und nicht mehr ignoriert werden kann (Horak/Bailer 2011).
Soziale Funktionen des Sports
Der Sport erfüllt verschiedene soziale Funktionen, einschließlich sozialer Integration und kultureller Bedeutung. Es ist wichtig, den Sport kritisch zu analysieren, um seine stabilisierende und unterstützende Wirkung auf die Gesellschaft zu verstehen (Scheid/Simen 1997).
Sport als kulturelles Phänomen
Sport wird als eigenständiger Teil der Popularkultur betrachtet und hat sich als Teil der Kultur etabliert. Er reflektiert und beeinflusst gesellschaftliche Entwicklungen (Gruppe 2000).
Politikwissenschaft des Sports
Sport wurde lange Zeit als ein Randphänomen in der politischen und sozialen Wissenschaft betrachtet. Die Politikwissenschaft des Sports befasst sich mit den komplexen politischen Beziehungen und Einflüssen im Sport (Markovits 2007).
Sportpolitik
Die Sportpolitik umfasst das politische Handeln und die Entscheidungsfindung im Bereich des Sports, einschließlich der Verwendung des Sports zur Erreichung politischer Ziele (Güldenpfennig 2002).
Politische Ziele des Sports
Der Sport wird von politischen Akteur*innen genutzt, um politische Ziele wie soziale Integration, nationale Identität und das Ansehen im Ausland zu fördern (Neuhold 2000).
Identität und Sport
Der Sport spielt eine Rolle bei der Identitätsbildung, sei es auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene. Erfolge im Sport stärken die nationale Identität (Ehalt 1995; Wieselberg 2006).
Sportideologie
Sportideologien sind gesellschaftliche Deutungen von Natur, Geschichte, Gesellschaft und Kultur, die von Interessen geleitet sind und verschiedene Formen von Rationalität enthalten. Sie können zur Politisierung des Sports beitragen (Bachleitner 1986).
III. Die Geschichte der Arbeiter*innensportbewegung
Die Geschichte der Arbeiter*innensportbewegung in Österreich ist ein faszinierendes Kapitel, das den Wandel des Sports von einer Aktivität für die Elite zu einem zentralen Bestandteil der Kultur und Identität des Landes widerspiegelt. Die Ursprünge des Sports reichen bis in die Antike zurück, aber erst mit der Demokratisierung der Gesellschaft erhielt er seine moderne Form.
In den Anfängen der Arbeiter*innenbewegung erlebte der Sport in Wien einen rasanten Aufschwung. Zahlreiche Arbeiter*innenvereine wurden in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts gegründet und betonten die Bedeutung von Bildung und Sport. Sport bot eine Möglichkeit, dem industriellen Leben zu entkommen und eine neue Körperkultur zu entwickeln. Nach dem Ersten Weltkrieg prägte der Sport das tägliche Leben in Wien. Die Stadt Wien, die von der Sozialdemokratie regiert wurde, legte Wert auf den Aufbau eines antizipatorischen Sozialismus und schuf Sportstätten als soziale Treffpunkte.
Die Arbeiter*innensportbewegung musste sich nach dem Verbot ihrer Organisationen 1934 neu ausrichten. Sie engagierte sich verstärkt in der Bildungsarbeit und bewahrte sich einerseits ihre Strukturen, aber andererseits auch demokratische Werte in einem autoritären Umfeld. In der Nachkriegszeit, während der Zweiten Republik, wurde der Sport in Österreich neu organisiert. In der aktuellen Sportgeschichte beeinflusst die Unterhaltungskultur den Profisport, der von Strukturreformen und ideologischer Neuausrichtung geprägt ist.
IV. Aktuelle soziale Entwicklungen des Sports
Die Zusammenfassung der verschiedenen Abschnitte zu den sozialen Entwicklungen des Sports in Österreich verdeutlicht die komplexe Verbindung zwischen Sport, Politik, Gesellschaft, Medien und Kultur in diesem Land:
Politik im Sport
Parteien spielen eine bedeutende Rolle im österreichischen Sport, und politische Einflüsse werden sorgfältig betrachtet.
Soziale Aspekte des Sports
Sport hat die Fähigkeit, Menschen unterschiedlicher Hintergründe zu vereinen und erfüllt eine wichtige gesellschaftspolitische Funktion.
Wandel des Sports
Der moderne Sport hat sich von kollektiven Aktivitäten hin zu individuellen Fitnessbewegungen entwickelt, wobei die Betonung auf dem individuellen Körper liegt.
Aufgabe der Stadt
Eine sportfreundliche Stadt wird nicht nur durch ihre Spitzensportler*innen definiert, sondern auch durch die aktive Beteiligung der Bürger*innen am sportlichen Leben.
Sportliche Grundeinstellung
Körperliche Aktivität wird als grundlegendes menschliches Bedürfnis angesehen.
Entwicklungen des Schulsports
Ängste, die im Zusammenhang mit schulischer sportlicher Betätigung auftreten können, werden analysiert und kategorisiert.
Sport als Leistungsprinzip
Die Bedeutung von Leistung im Sport, sei es im Breiten- oder im Leistungssport, wird hervorgehoben.
Sport und die Medien
Die Medien spielen eine entscheidende Rolle bei der Präsentation und Vermarktung des Sports, wobei die Beziehung zwischen Sport, Medien und Wirtschaft von zentraler Bedeutung ist.
Sport und die Fans
Fans sind ein essenzieller Bestandteil des Sports und die Beziehungen zwischen Intellektuellen und Sport sowie zwischen Politik und Fußballfans werden untersucht.
Geschlechterrollen im Sport
Gerade in den letzten Jahren hat sich dabei sehr viel entwickelt. Neue Gesellschaftsnormen ziehen auch im Bereich des Sports ein.
V. Kunst- und Sport – Budgetverteilung in Wien
Das Budget, das oft als „in Zahlen gegossene Politik“ betrachtet wird, spiegelte die wechselnden Herausforderungen wider. Die Budgetverteilung einer Stadt ist somit nicht nur eine finanzielle Angelegenheit, sondern auch ein Spiegelbild ihrer politischen Prioritäten und gesellschaftlichen Veränderungen.
Wachstum des Kulturbudgets
Zu Beginn des im Rahmen meiner Studie analysierten Zeitraums lag es bei etwa 217 Millionen Euro und erhöhte sich bis 2016 auf etwa 300 Millionen Euro. Dies entspricht einer eindrucksvollen Steigerung von rund 50 %. Die Zunahme des Kulturbudgets unterstreicht die Wertschätzung und den Ausbau kultureller Angebote und Veranstaltungen in der Stadt. Das Kulturbudget verzeichnete zwischen 2002 und 2016 ein bemerkenswertes Wachstum.
Steigerung des Sportbudgets
Von etwa 32 Millionen Euro Budget im Jahr 2002 stieg es auf rund 40 Millionen Euro im Jahr 2016. Dies entspricht einem Anstieg von nur etwa 25 %.
Die Verteilung des Budgets für Kunst und Sport in der Stadt Wien zwischen den Jahren 2002 und 2016 spiegelt die sich verändernden politischen Prioritäten in der österreichischen Hauptstadt wider. Diese Analyse basiert auf den Rechnungsabschlüssen des Bundeslandes Wien und bietet Einblicke in die unterschiedlichen Schwerpunkte und Entwicklungen in der Budgetverteilung für Kultur und Sport.
VI. Und wie geht es weiter?
Im Oktober 2020 startete die Stadt Wien mit dem Sport.Wien.2030 – Sportstätten-Entwicklungsplan ein breit angelegtes Investitionsprogramm zum Ausbau und zur Modernisierung ihrer Sportstätten. Auf Basis dieses Konzepts werden in den kommenden Jahren rund 150 Millionen Euro für die Sanierung bestehender und die Errichtung neuer Sportanlagen aufgewendet. Auch Garderobengebäude und Spielfelder sollen neu errichtet oder saniert werden. Bei der Erneuerung der Flutlichtanlagen liegt das Augenmerk auf energiesparenden Maßnahmen. Dies ist sicherlich eine der größten Anstrengungen, welche die Stadt Wien in diesem Bereich seit Jahren begonnen hat.
Bernd Herger, Marcus Schober und Wolfgang Markytan beim 1. Fußball hat viele Gesichter Cup 2010 © SPÖ Wien / Fußball hat viele Gesichter
VII. Zusammenfassung
Im Inhaltlichen kann ich nun festhalten, dass sich innerhalb der Literatur nur vereinzelt Hinweise dazu fanden, meine Forschungsfrage zu bestätigen. Auch deswegen wurde ein Hauptaugenmerk auf verschiedene qualitative Interviews gelegt. Schlussendlich konnte ich die Erfahrungen von Gesprächen mit über 35 Personen aus dem Sport- und Politikbereich auswerten. Sie stellen nach wie vor eine bemerkenswerte Quelle zur Sportgeschichte dar. Dabei hat sich gezeigt, dass nur sehr wenige aktive Politiker*innen bereit sind, die unterschiedlichen Dotierungen des Kultur- bzw. Sportbereiches auch als diese zu bezeichnen. Immer wieder wurde mir mitgeteilt, dass dies historisch gewachsen sei und die Politik für den Sport in anderer Weise hilfreich agiere, wie zum Beispiel durch zur Verfügungstellung von kostengünstigen Räumlichkeiten, welche nach marktüblichen Kriterien sicherlich unbezahlbar wären.
Zusammenfassend will ich darauf hinweisen, dass das Thema Die Sozialdemokratie und ihr Verhältnis zum Sport noch nicht abschließend beurteilt werden kann. Ich freue mich auf eine etwaige Zusammenarbeit mit weiteren interessierten Sport- und Politikbegeisterten.
Wolfgang Markytans Masterarbeit findet sich online unter: https://utheses.univie.ac.at/detail/46549#(letzter Zugriff: 01.11.2023).
Literatur
Bachleitner, Reinhard (1986): Ideologien im Sport, in: Sport und Politik; Mattersburg: Arbeiterbund für Sport und Körperkultur in Österreich, 10–14.
Ehalt, Hubert Christian (1995): Sport zwischen Disziplinierung, Leistungswahn und alternativen Ansätzen, in: Stadtplanung Wien. Sport in der Stadt. Beiträge zur Stadtforschung, Stadtentwicklung und Stadtgestaltung Nr. 57, Wien: Böhlau.
Gastgeb, Hans (Hg.) (1962): 70 Jahre Arbeitersport in Österreich, Wien: Jungbrunnen.
Grupe, Ommo (2000): Vom Sinn des Sports. Kulturelle, pädagogische und ethnische Aspekte, Schorndorf: Hofmann.
Güldenpfennig, Sven (2002): Plädoyer für eine Politikwissenschaft des Sports: Überlegungen zum Verhältnis Sport, Politik und Ökonomie, in: Zentrum für Europa Nordamerika-Studien (Hg.): Fußballwelten. Zum Verhältnis von Sport, Politik, Ökonomie und Gesellschaft, Opladen: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 68–83.
Horak, Roman/Bailer, Brigitte (2011): Vorwort, in: Rosenberg, Jakob/Spitaler, Georg (Hg.): Grün-Weiß unterm Hakenkreuz. Der Sportklub Rapid im Nationalsozialismus (1938–1945); Wien: SK Rapid/Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW), 11–12.
Markovits, Andrei/Rensmann Lars (2007): Querpass. Sport und Politik in Europa und den USA, Göttingen: Verlag Die Werkstatt.
Ruge, Undine (2000): Einleitung: Nach dem Spiel ist vor dem Spiel, in: Zentrum für Europa Nordamerika-Studien (Hg.): Fußballwelten. Zum Verhältnis von Sport, Politik, Ökonomie und Gesellschaft, Opladen: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 8.
Neuhold, David/Neuhold, Leopold (2000): Fußball und mehr … Ethische Aspekte eines Massenphänomens; Innsbruck: Tyrolia.
Scheid, Volker/Simen, Joachim (2006): Soziale Funktionen des Sports, Schorndorf: Hofmann.
Wieselberg, Lukas (2006): Ein Weg führt über die Berge. Christl Haas, in: Golden Girls. Österreichs Ski-Olympiasiegerinnen, Wien: EGOTH, 227–234.
WOLFGANG MARKYTAN
ist Bundesbildungsgeschäftsführer der SPÖ. Nach einer Kellnerlehre und zehn Jahren Arbeit im Touristikbereich im Ausland kehrte er 2001 nach Wien zurück und studierte Politikwissenschaft. Seit 2003 arbeitet er im Bereich der politischen Erwachsenenbildung, ist Leiter der Wiener Parteischule der Wiener Bildungsakademie und gibt Seminare und Workshops an verschiedenen Bildungseinrichtungen in den Bereichen Kommunikation und politische Grundausbildungen.