RENATE BRAUNER UND EVA KAIL führen mit Ihrem Beitrag in die Probleme der frauengerechten Stadtplanung ein und berichten auf mehreren Ebenen von der derzeitigen Lage …
I. Einleitung
So lautete die erste Reaktion, als wir Anfang der neunziger Jahre in der Stadt Wien frauengerechte Stadtplanung zum Thema machten. Die überwiegend männlichen Planer waren überrascht und skeptisch, nur wenige offen. Seitdem hat sich viel geändert. Nutzer:innenorientierung, Partizipation, welche Gruppen wie von Planungen und Veränderungen in der Stadt betroffen sind, all das steht viel mehr im Fokus. Leider ist es aber dennoch keine Selbstverständlichkeit, gezielt auf die vielfältigen Interessen von Frauen in der Planung und in der Gestaltung Rücksicht zu nehmen. Ihre Alltagsmuster sind ja weiter komplexer, da traditionelle Rollenbilder in großen Teilen der Bevölkerung noch immer nicht überwunden sind. Nach wie vor leisten überwiegend Frauen die Care-Arbeit, sind für die Kinderbetreuung zuständig. In Wien z. B. arbeiten Frauen im Schnitt 3,5 Stunden pro Tag unbezahlt, Männer nur 2,25, (und dabei drängt sich der begründete Verdacht auf, Routinearbeiten wie Einkaufen und lästige Termine wie Kinderarztbesuch oder in der Schule nachfragen bleibt viel eher an den Frauen hängen, der Ausflug in den Zoo und die coolen Wochenendunternehmungen sind dann eher Vätersache).
II. Von den Lebenswelten der Frauen
Ob es ausreichende Kinderbetreuungseinrichtungen gibt, hat für die Alltagsqualität und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Frauen zentrale Bedeutung. Das gilt auch für weniger offensichtliche Bereiche. Ob der Park nur am Weg zum Auto gequert und der Spielplatz sporadisch mit den Kindern am Wochenende besucht wird oder unter der Woche nachmittags viele Stunden am „Elternarbeitsplatz“ verbracht werden, macht einen Unterschied. Scheinbar banale Fragen wie Zahl und Komfort der Sitzplätze, Schatten im Sommer, Möglichkeit zum Händewaschen oder die „sandpanierten“ Kinder, saubere Toiletten, all das bestimmt die Aufenthaltsqualität im Park- und die Qualität am Elternarbeitsplatz. Frauengerechte Stadtgestaltung und eine klimafreundliche Kommune sind beides wichtige Zukunftsthemen und weisen viele Schnittstellen auf. Frauen sind bekanntlich einkommensschwächer als Männer, ihre Armutsgefährdung verstärkt sich im Alter noch. Sie haben zur Bewältigung der Klimakrise weniger Ressourcen zur Verfügung und sind v. a. im Alter hitzeempfindlicher als die Männer.
Gleichzeitig tragen Frauen durch ihr Konsum- und Mobilitätsverhalten weniger zur Klimakrise bei, z. B. essen sie weniger Fleisch, benutzen seltener ein Auto. Die Wiener Zahlen zeigen, dass ihr Anteil an umweltfreundlichen Verkehrsformen höher ist – auch aufgrund ihrer Lebenssituation. Beim Öffentlichen Verkehr ist der Weganteil von Frauen und Männern zwar annähernd gleich (40 % zu 37 %), aber Frauen gehen deutlich mehr zu Fuß (31 % gegenüber 24 %), beim Auto ist es genau umgekehrt (24 % zu 31 %).
Nur beim Radfahren haben die Männer die Nase vorn. Gut ausgebaute Öffis und fußgänger:innenfreundlichere öffentliche Räume sind für Frauen deswegen besonders wichtig, feministische Planerinnen fordern das bekanntermaßen bereits seit Jahrzehnten. Umweltfreundliche Mobilität ist auch für die gesellschaftliche Teilhabe von zentraler Bedeutung. Auch wenn der Wegfall der Stellplätze in existierenden engen Straßen ein strittiges kommunalpolitisches Thema bleibt, eine entsprechende benutzer:innenfreundliche Gestaltung der Straßen und Gehsteige ist – nicht zuletzt, wenn frau mit den Kindern unterwegs ist – ein zentraler Punkt der alltagsgerechten Gestaltung und auch ein Beispiel dafür, dass frauengerechte Gestaltung im Endeffekt allen zugutekommt. Denn insbesondere jüngere Männer beteiligen sich zunehmend mehr an der Familienarbeit, die Vorteile für Menschen mit Beeinträchtigungen, im Rollstuhl oder für Ältere liegen sowieso auf der Hand. Das Thema Sicherheit hat für Frauen einen besonderen Stellenwert. Laut Statistik ist für die Frau zwar leider nach wie vor der gefährlichste Ort die eigene Wohnung, dennoch kennen viele das Gefühl des Unbehagens oder der Angst in dunklen Straßen oder in unübersichtlichen Tiefgaragen. Hochgarage statt Tiefgarage, die Beleuchtung im Park, zur Straße orientierte Fenster als „soziale Augen“, all das trägt dazu bei, dass sich Frauen wohl und sicher fühlen, wenn sie alleine unterwegs sind.
III. Wien als Vorzeigestadt
Menschen mit Beeinträchtigungen, jene, die aus sprachlichen oder sonstigen Barrieren keine so laute Stimme haben, gehen in Beteiligungsprozessen oft gegenüber den Artikulationsfähigen mit Zeit und Selbstbewusstsein unter. Ein Prozess, der nicht nur auf die Lauten hört, ist auch im Interesse sozial Schwächerer: Kinderbetreuung bei Treffen, ein Zeitpunkt, der auch in den Ablauf der Familienarbeit passt, einfache Methoden, wie schnelle Punktebewertungen von Bildbeispielen vor Ort helfen, viel mehr Personen miteinzubeziehen. Wien gilt seit vielen Jahren als Vorzeigestadt für frauengerechte Gestaltung, vielfache Top Rankings zum Thema Lebensqualität haben auch damit zu tun, dass der geschlechtersensible Blick in Wien gelebt wird. Hier spielt der klare politische Willen zu einer geschlechtergerechten Gestaltung der Stadt mit den exzellenten Expert:innen in der Verwaltung zusammen.
Es wurde sehr früh begonnen, frauen-und planungspolitisch relevante Initiativen zu setzen. Das Thema zu Fuß gehen wurde bereits 1991 erstmals für Wien mit der Ausstellung „Wem gehört der öffentliche Raum – Frauenalltag in der Stadt“ von der Frauenseite artikuliert. Die Ausstellung schuf damals Problembewusstsein. Von 1998 bis 2009 gab es in der Stadtbaudirektion eine eigene Leitstelle „Frauen- und Alltagsgerechtes Planen und Bauen“, die gezielt auf eine Strategie der Pilotprojekte setzte. Den nachhaltigsten Einfluss im Mainstream erreichte die geschlechtssensible Park und Spielplatzgestaltung und die Qualitätssicherung im Wohnbau, ausgelöst durch das Modellprojekt „Frauen-Werk-Stadt I“, das mit 2,3 ha. und rund 360 Wohnungen seit ihrem Bezug 1997 nach wie vor das europaweit größte Beispiel eines von Frauen geplanten frauengerechten Wohn- und Städtebaus ist.
Der 6. Wiener Gemeindebezirk Mariahilf war bereits 2002-2006 Modell für Gender-Mainstreaming auf Bezirksebene. Von Ampelschaltungen über Gehsteigbreiten wurde der Bezirk aus der Gender-Perspektive gescreent, mit speziellen Nightwalks der Frauenkommission der Bezirksvertretung Angsträume identifiziert und als Konsequenz daraus im Bezirksbudget ein eigener Budgetposten für die Beleuchtung reserviert. Viele fußgängerinnenfreundliche Umgestaltungen folgten. Oder auch der neue Stadtteil Aspern, der sich nicht nur dadurch auszeichnet, dass alle Straßen nach Frauen benannt sind, sondern wo bei der Gesamtplanung die Interessen von Frauen gezielt berücksichtigt wurden. Dies erfolgte nicht zuletzt deshalb, weil die vielen, bereits etablierten Planungszugänge und Qualitätssicherungsprozesse der Einbindung der Gender-Perspektive hier wie auch in anderen Stadtentwicklungsgebieten zusammenkommen.
2013 wurde das Handbuch für Gender Planning herausgegeben, um dieses Methodenwissen zu teilen. Alles das war und ist in eine Gender Mainstreaming-Gesamtstrategie der gezielten Berücksichtigung der unterschiedlichen Interessenslagen in allen kommunalpolitischen Bereichen eingebettet. Wie thematisch weit ein solches Gender Mainstreaming reicht, zeigt die letzte Initiative der Stadt, die den 10. Bezirk- Favoriten zum Gender-Medizin-Bezirk erklärt. Kernstück ist das FEM, das Frauengesundheitszentrum. Auch wenn Wien weltweit wahrgenommene Vorreiterin für frauengerechte Planung und Gestaltung ist, bleibt trotzdem noch viel zu tun. Erstarkende reaktionäre Tendenzen, die immanent frauenfeindlich sind, versuchen unantastbar geglaubte Errungenschaften für die Frauen wieder abzuschaffen oder zurückzudrängen. Die Erfahrung zeigt leider, dass außerdem in Zeiten knapper werdender budgetärer Mittel die Interessen der Frauen oft hintangestellt werden oder untergehen.
IV. Conclusio
Gegen konservative Offensiven, die Frauen zurück an den Herd drängen wollen, gilt es mit aller Kraft anzukämpfen, ob fortschrittliche Frauenorganisationen, Gewerkschaften, Frauen aus allen gesellschaftlichen Bereichen. Auch ist eine Stadt, deren Strukturen darauf ausgerichtet sind, Frauen Eigenständigkeit, Unabhängigkeit und Mobilität zu ermöglichen und in schwierigen Situationen Hilfe und Unterstützung anzubieten, in so einer Situation besonders wichtig und hilfreich. Eben diese Strukturen einer frauengerechten Stadt müssen verteidigt und ausgebaut werden. Denn die beste Verteidigung ist immer noch, einen weiteren Schritt vorwärtszugehen.
RENATE BRAUNER
Studium der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften. Ihr beruflicher Werdegang begann 1981 in der Wiener Arbeiterkammer, wo sie als Referentin in der konsumentenpolitischen Abteilung tätig war. In ihrer langen politischen Karriere war sie u. a. Amtsführende Stadträtin für Frauenfragen (1996-2004), später Amtsführende Stadträtin für Gesundheit und Soziales bzw. für Finanzen. Vizebürgermeisterin der Stadt Wien von 2007-2015. Seit 2022 Präsidentin des Kuratoriums von „Urban Forum – Egon Matzner-Institut für Stadtforschung“. Herausgeberin des Buches „Wege zur Wohlfahrtsstaat“ (2020).
EVA KAIL
Studium Raumplanung und Regionalwissenschaften an der TU Wien. Bis vor kurzem für die Stadt Wien in der Stadtbaudirektion für Gender Planning und zielgruppenorientierte Qualitätssicherung zuständig. Sie koordinierte über 60 gendersensible Pilotprojekte im Bereich Wohnbau, Städtebau, Mobilität sowie Gestaltung öffentlicher Räume und Parks und hat feministische Stadtplanung populär gemacht. Als eine der führenden europäischen Expertinnen in Gender Planning ist sie weiter auf internationaler Ebene als Beraterin und Vortragende tätig. Zahlreiche Publikationen.