Natürlich gibt es noch aktive PolitikerInnen, die sich erinnern können oder dennoch wissen, warum bestimmte Reformen der Regierung Kreisky erkämpft worden sind. Aber die Siebzigerjahre liegen doch auch schon recht weit – mehr als eine Generation – zurück. Bei manchen der Reformmaßnahmen der Siebzigerjahre kann man heute den Eindruck haben, es gehe nun sogar darum, sie endgültig zu überwinden, die Geschichte um etwas mehr als 30 Jahre zurück zu drehen. Wir haben deshalb zwei, insbesondere frauenpolitisch überaus wichtige Themen als gemeinsames Schwerpunktthema gewählt: Familiensplitting oder Individualbesteuerung und die Fristenregelung. Zum Schwerpunkt haben wir Johanna Dohnal um ein Interview gebeten, das Laura Dobusch und Stefanie Vasold geführt haben.
Sonja Ablinger, die oberösterreichische Frauenvorsitzende der SPÖ und Margit Schratzenstaller, stellvertretende Leiterin des WIFO und Eva Festl, Diplomandin an der WU, haben sich mit den steuerpolitischen Fragen beschäftigt. Bettina Stadlbauer, die Bundessekretärin der SPÖ-Frauen, beschäftigt sich in ihrem Beitrag mit den Tricks der konservativ geführten Bundesländer, die Fristenregelung zu unterlaufen. Es zählt zu den noch nicht wirklich gelösten Herausforderungen der Politik, das Bewusstsein für politische Maßnahmen, die auch heute noch Bedeutung, mehr noch: Berechtigung haben, auf angemessene Weise aufrecht zu erhalten und weiter zu entwickeln. Denn anders kann recht leicht ein Sturm entfacht werden, der ganz plötzlich vieles von dem wegträgt, was jahrelang erkämpft werden musste. Die Bemühungen der schwarz-blauen Koalition, das Prinzip der Pflichtversicherung in der Sozialversicherung oder die Arbeiterkammermitgliedschaft auszuhöhlen sind noch relativ frisch in Erinnerung und sollten es als Beispiele
bleiben.
Was bietet diese Ausgabe noch? Es gibt einen Bericht über die Ergebnisse einer Studie des europäischen Dachverbands der öffentlichen Dienstleister und Erbringer von Leistungen der Daseinsvorsorge (CEEP), in dem Prozesse der Restrukturierung untersucht werden. Manfred Lang bespricht die Kriegskommentare George Orwells, die er in den vierziger Jahren für die BBC verfasst hat; Franz Spitaler ein Buch Leopold Rosenmayrs über schöpferisches Altern und Tanja Dobarth den Band »Halbe/Halbe« von Hildegard Steger-Mauerhofer über die Utopie Geschlechterdemokratie. Peter Rosner beschäftigt sich in seinem Schlusskommentar mit den Auswirkungen der chinesischen Währungspolitik auf die Weltwirtschaft.
Unsere Bildstrecke zeigt das Wien des Fotografen Harry Weber. Gemeinsam mit Inge Morath, Franz Hubmann und Erich Lessing zählt Harry Weber, der 85-jährig im April 2007 in Wien verstorben ist, zu Österreichs Großmeistern der klassischen Fotografie. Harry Weber hat sich in seinen letzten fünf Lebensjahren intensiv mit seiner Heimatstadt fotografisch auseinandergesetzt und schoss – Harry Weber: »Ich bin ein Schiesser!« – an die 30.000 Bilder. 500 davon zeigt das Museum auf Abruf (Wien 1., Felderstraße 6-8) noch bis zum 16. Februar in seiner sehr sehenswerten Ausstellung »HARRY WEBER: DAS WIEN-PROJEKT«. Harry Weber lichtete mit Vorliebe Menschen und Szenen aus dem Wiener Leben ab, ohne jemals ein Foto zu stellen. Die Öffnungszeiten des Museums auf Abruf sind: Dienstag bis Freitag von 11.00 bis 19.00 Uhr, Donnerstag von 11.00 bis 20.00 Uhr und Samstag von 11.00 bis 16.00 Uhr. Hingehen und anschauen!
Wir wünschen Vergnügen beim Lesen – und beim Schauen!
CASPAR EINEM
Inhalt
6 Harry Weber: Das Wien-Projekt
8 »Es müssen immer die nächsten Schritte folgen« Johanna Dohnal im Interview
13 Harry Weber: Das Wien-Projekt
14 Hände weg von der Fristenregelung! von Bettina Stadlbauer
18 Harry Weber: Das Wien-Projekt
20 Familiensplitting – ein Modell für Österreich? von Eva Festl und Margit Schratzenstaller
28 Harry Weber: Das Wien-Projekt
30 Familiensplitting als Spitze des Eisbergs von Sonja Ablinger
36 Harry Weber: Das Wien-Projekt
38 Restrukturierung öffentlicher Dienstleistungen von Caspar Einem
40 Harry Weber: Das Wien-Projekt
42 Vergeudete Zeit? von Manfred Lang
44 Harry Weber: Das Wien-Projekt
45 Halbe/Halbe? von Tanja Dobart
46 Wer die Mitte des Lebens überschritten hat … von Franz Spitaler
48 Buchtipps Sachliches und Belletristisches
50 Soll China aufwerten? von Peter Rosner