„Wer an den Dingen der Stadt
keinen Anteil nimmt, ist kein stiller,
sondern ein schlechter Bürger.“Perikles, athenischer Politiker und Feldherr
Städte sind der Lebensraum der Zukunft. Das ist weder Wunschvorstellung noch Horrorszenario, es ist lediglich eine fakten- und evidenzbasierte Aussage. Auch wenn es viele Leser*innen nicht glauben mögen, der „Megatrend Urbanisierung“ polarisiert. Während auf Länderebene die Huldigung des Nationalstaates dank populistischer Verführungen weltweit im Vormarsch ist (von „Make America great again“ bis „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“), wird auf kommunaler Ebene nicht selten die lokalpatriotische Keule geschwungen. Motto: „Stadt gegen Land“. Sosehr ein undifferenziertes Wettern gegen „Brüssel“ – nicht zu verwechseln mit sachlicher Kritik an Fehlentwicklungen in der Europäischen Union – und die Forderung nach internationaler Entkoppelung rein populistisch und fern von echtem Problemlösungswillen sind, können politische Losungen, wie „Fahr nicht fort, bleib im Ort“ ebenso wenig ernst genommen werden. Beides soll Sand in die Augen der Bürger*innen streuen; deren Lebensrealitäten sehen nämlich ganz anders aus.
Menschen wählen ihren Wohnsitz weit überwiegend nach rationalen Gesichtspunkten (Leistbarkeit des Wohnraums, Verfügbarkeit von Daseinsvorsorge wie Kinderbetreuungsreinrichtungen oder Nahversorgung, Nähe zum Arbeitsplatz, verkehrstechnische Anbindung etc.) und nicht emotional aufgeladenen („Insa Dörfli“). Egal ob in der Metropole Wien (innerhalb der Bezirke), im Salzburger Lungau oder im Vorarlberger Rheintal, die Bürger*innen sind mobil und flexibel wie noch nie zuvor. Umso mehr hat ein „Klein gegen Groß“ überhaupt keinen Sinn und geht völlig an den Bedürfnissen und Problemen der Menschen vorbei. Vielmehr sollten alle verantwortlichen Politiker*innen und Fachleute „in Regionen denken“ und die Städte sowie ihr Umland als regionale Einheiten betrachten. Aus all diesen Gründen hat die Redaktion der ZUKUNFT sich entschlossen, eine eigene Schwerpunktausgabe zum Lebensraum Stadt zu gestalten.

Denn Städte sind ein „unterschätzter Lebensraum“, wie der Herausgeber Bernhard Müller in seinem gleichnamigen einleitenden Beitrag darzulegen versucht. Dies überrascht umso mehr, als alle validen Zahlen von Organisationen und Institutionen wie der UNO eines klar belegen: „The future is urban!“ Wie die Städte heute aussehen, welche Stärken und Schwächen sie haben, welche Herausforderungen auf sie zukommen, was insbesondere für gewisse Bevölkerungsgruppen dringend zu tun ist und wie sie im internationalen Vergleich einzuordnen sind, soll in dieser Ausgabe der ZUKUNFT thematisch werden. Die Redaktion konnte dazu eine Reihe von kompetenten und namhaften Fachleuten gewinnen.
So beschäftigt sich der Journalist und exzellente Kenner der balkanischen Verhältnisse, Christoph Baumgarten, in seinem Beitrag mit Großstädten im ehemaligen Jugoslawien und zeichnet ein sehr genaues Bild der Entwicklungen in Sarajevo, Belgrad & Co. Keinesfalls ein Phänomen des Balkans sind Tendenzen wie Unleistbarkeit von Wohnraum für breite Bevölkerungsteile, Gentrifizierungsprozesse und das Zehren von Erreichtem. Damit gehen wie so oft Immobilienspekulation, rein gewinnorientierter Bauboom und eine Überlastung des Verkehrs einher. Der Autor beweist darüber hinaus mit seinem Blog balkanstories.net seit zehn Jahren seine Fähigkeit zu wachem Blick und abwägender Analyse. Mit Detailreichtum und Einfühlungsvermögen weckt er trotz manch düsterer Betrachtung eine urbane Lust auf ein „Mehr an Balkan“.
Peter Biwald, Geschäftsführer des KDZ – Zentrum für Verwaltungsforschung und Experte des Fiskalrats, führt dann die Bedeutung der Daseinsvorsorge (Grundversorgung der Bürger*innen von Wasserbereitstellung und Abwasserentsorgung, über kommunale Infrastruktur bis zu Bildungs-, Freizeit- und Kulturangeboten) aus und mahnt – insbesondere in Sparzeiten – ihre Sicherung ein. Der Fachmann für Haushaltsreform auf Bundes-, Länder- und Gemeindeebene thematisiert dabei notwendige Reformen wie eine Entflechtung der Finanzströme (Transfers) zwischen den Körperschaften, Stärkung der Gemeindestrukturen und Ausbau der Abgabenautonomie. Was auf den ersten Blick spröde klingen mag, zeigt sehr rasch ein Thema, das uns alle betrifft und nicht egal sein darf, nämlich die Aufrechterhaltung der Grundversorgung und ihr Fitmachen für die Zukunft. Dass auch öffentliche Leistungen immer noch geschützt und gegen neoliberale Trends („Mehr Privat, weniger Staat“) verteidigt werden müssen, zeigen viele internationale Beispiele von Dresden (Verkauf der Gemeindewohnungen) über Grenoble (Privatisierung der kommunalen Wasserversorgung) bis London (Teil-Privatisierung der öffentlichen Metro).
Um frauengerechte Stadtplanung geht es im Text von Eva Kail (studierte Raumplanerin und international engagierte Top-Expertin in Gender Planning) und Renate Brauner (Amtsführende Stadträtin für Frauenfragen der Stadt Wien a. D., Präsidentin des Kuratoriums von Urban Forum) und es zeigt sich, dass Wien diesbezüglich eine Vorzeigestadt ist. Die Autorinnen weisen am Beginn ihrer Ausführungen auf die Widerstände, die Forderungen nach einer geschlechtergerechten Stadtplanung vor rund 30 Jahren gestoßen sind, hin, führen umfassend aus, was seitdem erreicht wurde und vergessen nicht zu erwähnen, was immer noch zu tun ist. Dass Gender Planning im Jahr 2025 von der Mehrheit der Menschen ernst genommen und nicht belächelt wird, ist das Verdienst von Pionierinnen in diesem Politikfeld, die nie die realen Lebenswelten der Frauen aus den Augen verloren haben.
Der ehemalige Manager und erfolgreiche Buchautor Robert Fitzthum skizziert in der Folge Beobachtungen zum Leben in chinesischen Städten. Er tut dies nicht aus der Ferne, sondern unmittelbar vor Ort, weil er sich nicht nur seit mehr als 45 Jahren für China interessiert, sondern seit 2013 in der Volksrepublik lebt. Der Autor fördert viel Neues über Technologieentwicklungen, saubere Luft in einstigen Smog-Hochburgen bis hin zu Bürger*innenbeteiligung und Basisarbeit in den Kommunen zutage und ermöglicht den Leser*innen der ZUKUNFT einen profunden Blick hinter klischeehafte Vorstellungen des Reichs der Mitte.
László Flamm rundet die internationalen Bewertungen urbaner Zentren ab. Der wissenschaftliche Mitarbeiter von EuropaHaus Budapest hat u. a. Skandinavistik studiert und ist daher prädestiniert, für uns eine Einordnung der dänischen Philosophie städtischen Lebens vorzunehmen. Besonders beeindruckt der über allem stehende menschenzentrierte Ansatz, denn die Stadt der Zukunft dürfe sich nicht um Technologie, sondern müsse sich um den Menschen drehen. Wohlbefinden als altruistische Haltung – erreicht durch intelligente und nachhaltige Stadtplanung. Der Autor, der die österreichische Bundeshauptstadt gut kennt und immer wieder hier als Experte an Konferenzen teilnimmt, zieht in seinem Beitrag auch einen Vergleich zwischen Wien und Kopenhagen.
Ein spannendes und aufschlussreiches Interview führte ZUKUNFT-Redaktionsmitglied Bernd Herger (ein begeisterter Seestädter) mit Robert Grüneis, dem Vorstand der Wien 3420 aspern Development AG. Der ausgewiesene Energie- und Smart-Cities-Experte stand Rede und Antwort bei Fragen zur Nachhaltigkeit von Bauprojekten, Bürger*innenbeteiliung und frühzeitigen Einbindung von Anrainer*innen, zu Auswirkungen des Klimawandels und zur Bedeutung des Sees für diesen Stadtteil. Dabei geht der Interviewpartner auf Erreichtes ebenso wie auf künftige Herausforderungen ein. Über allem steht, dass ein Stadtentwicklungsprojekt dieses Formats ständig im Wandel ist und eigentlich auch nie fertig sein kann. Der Seestadt entspricht demgemäß auch unsere Bildstrecke, die Bernd Herger diesmal für unsere Leser*innen zusammengestellt hat.
Gunther Laher, Teammitglied der Programmleitung Stadtenwicklungsareale für lebenswertes Wohnen, geht ausführlich auf die seit zehn Jahren bestehende Wiener Smart Klima City Rahmenstrategie ein, die international Beachtung fand und findet. In seinen Ausführungen beschäftigt er sich intensiv mit der Stadt der Zukunft unter besonderer Berücksichtigung von klimabewusster und sozialer Stadtentwicklung. Der Autor erörtert dabei Infrastruktur als Basis für Lebensqualität und Digitalisierung als Werkzeug der Veränderung von Stadtentwicklungsprozessen. Seine Conclusio lautet: Partizipation ist das Fundament der Stadt von morgen.
Utopie und Dystopie stellt Michael Bonvalot in seinem essayistischen Beitrag mit dem Titel Wien im Jahr 2075. So oder so? gegenüber. Der Journalist und ausgebildete Sozialarbeiter bringt in literarischer Form zu Papier, was heiter klingt, es aber oftmals nicht ist. So ist der Text bei näherer Betrachtung weit von einer humoristischen Betrachtung der Zukunft entfernt, sondern setzt sich mit Themen wie menschgemachter Erderhitzung, Luftverschmutzung, Sicherheit des Trinkwassers, Kaputtsparen des Öffentlichen Verkehrs und Ausbeutung durch Arbeit auseinander. Es ist aber kein fatalistischer Text, denn der Dystopie einer „Hölle auf Erden“ stellt der Autor die Utopie entgegen, wonach die Menschen lernfähig und nach multiplen Krisen bereit sind, für ein besseres und gesünderes Leben auf unserem Planeten zu kämpfen und dieses zu erreichen.
Nicht nur Städte in China, Dänemark und Ex-Jugoslawien werden in diesem Heft unter die Lupe genommen, sondern auch aus Österreich – und dabei ausführlich neben Wien die drittgrößte Kommune unseres Landes, Linz. Die oberösterreichische Landeshauptstadt, der lange das Image der grauen, wenig umweltbewussten Industriemetropole anhing, kann heute getrost als Vorzeigemodell für Innovation, Klimaschutz und Stadtentwicklung bezeichnet werden. Neben dem umfassenden Bemühen, eine „Green City“ zu werden, wird in diesem Beitrag deutlich erkennbar, dass für die Kulturhauptstadt Europas 2009 die Symbiose von moderner Erneuerungskraft, nachhaltiger Stadtentwicklung und kultureller Vielfalt besondere Priorität hat. Dies alles verdeutlicht uns der langjährige Wissenschaftler und Universitätsprofessor Thomas Gegenhuber, der seit Kurzem auch als Mitglied des Linzer Stadtsenats tätig ist.
Abgerundet werden die Fachbeiträge durch das wichtige Thema Gleichstellung auf kommunaler Ebene, dem sich Christina Aigner, Referentin beim Österreichischen Städtebund für Sozialen Zusammenhalt und Demografischen Wandel, ausführlich widmet. Die ausgebildete Stadtforscherin zeigt anhand des Städtebund-AK-Gleichstellungsindex 2025 auf, wo diesbezügliche Fortschritte erzielt wurden und wo Frauen immer noch stark unterrepräsentiert sind. Bedauerlicherweise gibt es immer noch Kommunen, bei denen im Gemeinderat ausschließlich Männer vertreten sind. Klar ist jedenfalls, dass Gleichstellung auf kommunaler Ebene begonnen werden muss und noch ein langer Weg dorthin vor uns liegt.
Kurz vor Redaktionsschluss erreichte uns noch die traurige Nachricht vom Ableben des langjährigen Ministers, Sportfunktionärs und sozialdemokratischen Urgesteins Erwin Lanc. In Worte zu fassen, was den gelernten Bankier, späteren Langzeitpolitiker und Kosmopoliten fachlich sowie menschlich ausgemacht hat, versuchen wir in einem Nachruf am Ende dieses Hefts.
Es grüßen im Namen der Redaktion Bernhard Müller und Alessandro Barberi.
BERNHARD MÜLLER
Studium der Politikwissenschaft und Publizistik sowie postgradual Public und International Management. Seit 2015 Generalsekretär von Urban Forum – Egon Matzner-Institut für Stadtforschung; Mitglied des Hauptausschusses des Österreichischen Städtebundes. Autor des Buches Land der Städte? (2023).
ALESSANDRO BARBERI
ist Chefredakteur der ZEITSCHRIFT FÜR HOCHSCHULENTWICKLUNG (www.zfhe.at) sowie der Fachzeitschriften ZUKUNFT (www.diezukunft.at) und MEDIENIMPULSE (www.medienimpulse.at). Er ist Zeithistoriker, Bildungswissenschaftler, Medienpädagoge und Privatdozent. Er lebt und arbeitet in Magdeburg und Wien. Politisch ist er im Umfeld der SPÖ Bildung und der Sektion 32 (Wildganshof/Landstraße) aktiv. Weitere Infos und Texte online unter: https://medienbildung.univie.ac.at/.