Die Künstlerinnen ELISABETH ÖGGL und LORENA PIRCHER haben die Bildstrecke der vorliegenden Ausgabe der ZUKUNFT gestaltet. In ihrem bewusst sehr persönlichen Statement erlauben sie Einblicke in ihre Schwerpunktsetzungen und Arbeitsprozesse – das Buch als Objekt spielt dabei eine zentrale Rolle.
“It’s an artist book, if an artist made it, or if an artist says it is”.
Lucy Lippard, 1985
Der schönste Versuch einer Definition von Künstlerbüchern ist gleichzeitig eine Nicht-Definition. Das erste Wort nach „Buch“ im Duden Band 1, 23. Auflage von 2004 ist „Buchara“, eine Landschaft und Stadt in Usbekistan. Dieses Wort kann man an drei Stellen trennen. „Buch“ hingegen ist einsilbig. Unterteilen lässt es sich vielleicht trotzdem. Das Wort „Künstlerbuch“ gibt es im Duden nicht. Bis heute gibt es keine allgemeingültige Fixierung der Begrifflichkeit.
Lange fungierten Bücher als Kommunikationsprothese des Menschen, als Vermittler von Wissen und als Informationslieferant neuer Erkenntnisse. Durch moderne Medien und soziale Netzwerke wird das Buch immer stärker von diesen Funktionen befreit. Viele bekannte Künstler*innen nutzen das Künstlerbuch bis heute als Beiwerk ihrer Ausstellungsarbeiten. Mittlerweile hat es sich jedoch als eigenständiger Nischenbereich im Kunstbetrieb etabliert. Zahlreiche Künstlerbuchmessen finden vermehrt Zuspruch, auch in Europa. Ein großer Kunstbuchmarkt existiert seit einiger Zeit in Amerika, wo Codex Book Fair und die New York Art Book Fair spannende Einblicke des Buches im Kontext der Bildenden Kunst liefern. Podiumsdiskussionen und Symposien beschäftigen sich zunehmenden mit den alternativen Vermittlungsformen literarischer Werke.
Wenn das Buch nichts mehr muss, was kann es dann?
Diese Frage stellen wir uns, indem wir gemeinsam versuchen, Grenzen der Buchform auszuloten. Wir forschen nach funktionierenden Formen, die Texte auf alternative Weisen erfahrbar machen und Schnittpunkte zwischen Lyrik und der Bildenden Kunst schaffen können. Besonders Materialaffinität und bibliophile Auseinandersetzungen spielen für uns dabei eine Rolle. Bücher haben einen aktivierenden Charakter und verlangen der/dem Betrachter*in Eigeninitiative ab, gleichzeitig haben sie eine entschleunigende Komponente. Kunst und Literatur können auf mehrfacher Zeit- sowie Metaebene wirken. Auch Künstlerbücher können selten passiv konsumiert werden. Vor allem darauf möchten wir eingehen. Zudem sollen unsere Werke einen bestimmten haptischen Reiz und eine experimentelle Auseinandersetzung zwischen Inhalt und Form transportieren. Die Arbeiten bewegen sich deshalb zwischen Buchobjekt und druckgrafischem Werk. Ein Hauptaugenmerk in der Gestaltung liegt auf der Verwendung von verschieden Werkstoffen wie Silikon, Metall, Holz, Samt sowie Papier und deren Konnotationen und Empfindungen, die damit assoziiert werden. Unsere Inspirationen sind vielfältig. Insbesondere Kunstwerke, denen eine Ausdehnung von Text in den dreidimensionalen Raum gelingt, übt eine Faszination auf uns aus.
Elisabeth begann sich mit ihrem Erasmusaufenthalt in Florenz durch den Einfluss ihres Hauptprofessors Maurizio Olivotto mit Künstlerbüchern auseinanderzusetzen. Durch seine verspielten Arbeiten fand sie auf entspannte Weise Zugang zum Buch im Kontext der Bildenden Kunst. Ihre Diplomarbeit setzte sich anschließend konkret mit dem Buch als Kunstwerk auseinander. Die neun von ihr präsentierten Arbeiten reflektierten über Banales und Experimentelles. Einige ihrer Werke untersuchen Prosa aus Japan um das Jahr 1000 n. Chr., andere sind ironische Auseinandersetzungen mit populärkulturellen Erscheinungen. Ihre kreativen Entscheidungen sind häufig primär Materialentscheidungen. Original druckgrafische Elemente wie Monotypie, Siebdruck und Radierung finden in all ihren Werken Eingang.
Lorena entwickelte früh eine Faszination für das Zusammenspiel von Literatur und Bildender Kunst, da sie Inspiration für ihre Gedichte in Werken der Konzeptkunst, des Expressionismus, der Arte Povera und Monumentalskulpturen von beispielsweise Louise Bourgeois findet. Ihre Gedichte sieht sie zuerst als Bilder, welche sie schriftlich verarbeitet. Die Qualitäten des Künstlerbuches, den Inhalt von Gedichten im künstlerischen Umfeld und im dreidimensionalen Raum zu manifestieren, üben daher einen besonderen Reiz auf sie aus. Die lyrischen Werke entstehen meist in einem Guss, sind Prosagedichte und transportieren häufig Stimmungen mit starken Assoziationen zu bestimmten Farben und Materialitäten, organischen und formbaren Elementen wie Lehm sowie sich wandelnden Elemente wie Holz, das auch in Form von Asche auftritt. In ihren Gedichten beschäftigt sie sich mit der Auseinandersetzung des menschlichen Innenlebens mit der Umwelt und des Individuums, das sich innerhalb der Gesellschaft zu positionieren versucht.
Untitled I war unser erstes gemeinsames Projekt. Es spielt mit einer Wechselwirkung aus Leichtigkeit und Schwere, was durch die Materialien Bleiblech und den dünnen Silikonseiten transportiert wird. Es erlaubt ein wandelbares und dynamisches Wahrnehmen der literarischen Handarbeit: Die einzelnen Seiten sind nicht fixiert, können somit neu angeordnet und verändert werden, schmiegen sich an sich verändernde Formen an und erlauben durch ihre Transparenz eine Übereinanderschichtung und Neuanordnung der Sätze. Dementsprechend ist der Inhalt des Künstlerbuches ambivalent. Der Satz „Deine Gedanken krümmen sich in meinen Organen“ kann beispielsweise durch die aktive Krümmung der Silikonseiten physisch nachempfunden werden. Dadurch, dass der Text aus einer vorgeschriebenen Syntax enthoben wurde, bleibt sein Sinn ein wandelbarer, ein nicht festgeschriebener und erinnert an das Libro de arena von Jorge Luis Borges.
The Pillow Book Project ist eine nicht unironische Anspielung auf eines der frühesten Prosawerke der japanischen Heian-Periode. Die Hofdame Sei Shōnagon brachte damals ihre Gedanken zum täglichen Leben aufs Papier. Die Übermittlung basiert auf einer stark männlich geprägten Perspektive, weshalb der Name auf mehrfache Weise irreführend ist; der Name 枕草子, Makura no Sōshi, kann nicht nur Kopfkissen, sondern auch Sattel bedeuten, wurde aber durch eine männliche Rezeption auf erstere Bedeutung festgelegt und damit in den häuslichen Kontext gesetzt. Die künstlerische Verarbeitung greift ebendiese Elemente auf und druckt Gedanken und Beobachtungen mittels Siebdruck auf scheinbar bequeme Kissen. Mit diesem Projekt möchten wir die Betrachter*innen an den Gedanken fiktiver Personen teilhaben lassen. Der Tiefgang der niedergeschriebenen Sätze kann in allen Fällen übersehen werden.
Auch in unserem aktuellen Projekt Knochen der Jahre wirken Inhalt und Material wechselseitig aufeinander ein. Die in den Texten untersuchte symbolische Materialität menschlicher Körper wird in den dreidimensionalen Raum geführt.
ELISABETH ÖGGLwurde 1994 in Südtirol, Italien geboren. Sie lebt und arbeitet als Visual Artist in Wien. An der Universität für angewandte Kunst in Wien studierte sie Grafik und Druckgrafik. Schon im Laufe ihres Studiums lag ihr Fokus auf dem Buch im künstlerischen Kontext.
LORENA PIRCHER wurde 1994 in Südtirol, Italien, geboren. Studium der Vergleichenden Literaturwissenschaft sowie Anglistik und Romanistik. Sie schreibt Kurzprosa und Lyrik. Ihr erster Gedichtband Irrende Welten wurde 2018 veröffentlicht; derzeit arbeitet sie an ihrem zweiten Lyrikband.