Das Grundsatzprogramm der SPÖ setzt Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit und Solidarität als Grundwerte fest und bezieht sich damit auf die normativen Ideale der Französischen Revolution. So kann daran erinnert werden, dass seit 1789 mit den bürgerlichen Freiheiten auch die Grundlagen einer liberalen Demokratie zum Grundbestand der Moderne und mithin auch der Sozialdemokratie gehören. In diesem Zusammenhang sind die emanzipatorischen Kräfte der Aufklärung seit jeher auch mit der Freiheit der Wissenschaft verbunden, die angesichts von ökonomischem Druck, politischer Entdemokratisierung und gesellschaftlicher Polarisierung gegenwärtig in Gefahr ist. Sei es, dass der Bologna-Prozess zu einer bedenklichen wirtschaftlichen Indienstnahme der Universitäten geführt hat, sei es, dass die relative Autonomie des akademischen Feldes von mehreren Seiten bedroht wird, oder sei es auch, dass der Bildungsbereich politisch besetzt und damit in allen Wortbedeutungen um seine Freiheit gebracht wird.

Aus all diesen Gründen hat sich die Redaktion der ZUKUNFT in Kooperation mit dem Bund sozialdemokratischer Akademiker*innen (BSA) entschlossen, anlässlich des BSA-Bundestages 2025 eine gemeinsame Ausgabe zur Freiheit der Wissenschaft zu gestalten. Dabei soll es – zwischen Autonomie und Heteronomie – nicht nur um den aktuellen Zustand der Wissenschaft, sondern auch um die Möglichkeiten ihrer ZUKUNFT gehen. Angesichts von gegenwissenschaftlichen Tendenzen, die – im Sinne des postmodernen Kulturrelativismus und des Anything Goes – auch im Wissenschaftsbetrieb verstärkt vorhanden sind, stellt eine Diskussion über den Freiheitsbegriff gerade im Umfeld der Sozialdemokratie auch die Notwendigkeit in den Raum, über die Grundlagen der Wissenschaft und ihre gesellschaftliche Rolle zu debattieren. Die Redaktion konnte ausgehend von dieser Fragestellung herausragende Autor*innen gewinnen, die sich aus verschiedenen Perspektiven mit der Freiheit der Wissenschaft auseinandersetzen.
Den Reigen unserer Beiträge eröffnet ganz in diesem Sinne Wissenschaftsministerin Eva-Maria Holzleitner, die erläutert, wie Österreich zum sicheren Hafen für Forschende und Lehrende werden konnte – und warum es für eine starke Demokratie entscheidend ist, schon Kinder für Forschung zu begeistern. Freie Wissenschaft und Forschung sind das Fundament einer demokratischen Gesellschaft und liefern Antworten auf die großen Herausforderungen unserer Zeit – von der Gesundheitsversorgung über Klimaschutz, Digitalisierung bis zur Friedens- und Demokratieforschung. Freie Forschung und kritisches Denken sind dabei konstitutiv für sozialdemokratische Wissenschaftspolitik. Was diese beiden Projekte verbindet, ist ein Grundprinzip: Wissen muss allen zugänglich sein. Eine sozialdemokratische Wissenschaftspolitik bedeutet mithin, Bildung und Forschung nicht als exklusiven Elitenpfad zu begreifen, sondern als öffentliche Aufgabe. Das beginnt bei kindgerechten Experimenten im Sommer und reicht bis zur internationalen Talentförderung.
Der Beitrag von Andreas Mailath-Pokorny zeigt dann unter Berufung auf die Werte der Aufklärung, wie eine an der ZUKUNFT der Sozialdemokratie orientierte Wissenschaftspolitik konkret aussehen kann. Denn die Menschheit hat ihre Weiterentwicklung durch Wissenschaft erzielt, sie verdankt alles, was als Fortschritt bezeichnet werden kann, faktenbasiertem Wissen: Gesundheit, längeres Leben, gesellschaftliche Ordnung, Gerechtigkeit, technische Entwicklung, Bildung. Dieser Fortschritt war allerdings nie ein linearer und kontinuierlicher, er war historisch stets von Brüchen, Rückschritten und Pausen begleitet. Gerade deshalb benötigt die Wissenschaft Freiheit, Offenheit und die Möglichkeit, Forschungsergebnisse zu teilen und zu kritisieren. Sich der Gegenaufklärung auf allen Ebenen – z. B. in den Social Media – entgegenzustellen bedeutet, so Mailath-Pokorny, eine moderne, zukunftsfähige Gesellschaft auf Grundlage von Wissenschaft und Gerechtigkeit zu gestalten und ein dezidiert sozialdemokratisches Grundverständnis zu vertreten und weiterzuentwickeln.
Auch der Artikel von Heinrich Himmer beleuchtet aus sozialdemokratischer Perspektive die zentrale Rolle von Wissenschaft, Bildung und technologischer Entwicklung für eine gerechte, freie und zukunftsfähige Gesellschaft. Er fordert eine demokratische Gestaltung des Wandels – durch gut finanzierte öffentliche Forschung, soziale Bildungspolitik, faire Digitalisierung und eine ökologisch wie sozial gerechte Transformation. Freie Wissenschaft wird dabei als Motor gesellschaftlichen Fortschritts und als Garant demokratischer Freiheit verstanden. Hier geht es um die Verteidigung eines öffentlichen Bildungssystems ebenso, wie um Bildungsgerechtigkeit als demokratischen Impuls für die ZUKUNFT. Wissenschaft, Zukunft und Freiheit sind aber keineswegs abstrakte Begriffe. Sie stehen für konkrete politische Entscheidungen: Wie finanzieren wir Universitäten? Wer hat Zugang zu Bildung? Wie steuern wir Technologie? Wie sichern wir Teilhabe und Demokratie in einer sich wandelnden Welt? Die Antworten auf diese Fragen müssen, so Himmer im Einklang mit den sozialdemokratischen Grundwerten, demokratisch, gerecht und solidarisch sein.
Ewa Samel, Landtagsabgeordnete und Vorsitzende des Kultur- und Wissenschaftsausschusses der Stadt Wien, gibt in der Folge einen Einblick in die Zukunft Wiens als europäische Forschungs- und Innovationsmetropole. Der Artikel erläutert, wie Wissenschaft, Kultur und gesellschaftliche Verantwortung in Wien ineinandergreifen – vom Otto-Wagner-Areal über Künstliche Intelligenz bis hin zu Citizen Science. Wien ist weit über seine Grenzen hinaus bekannt für seine hohe Lebensqualität, ein funktionierendes Gesundheitssystem und ein reiches kulturelles Erbe. Doch jenseits von Wohnbau, Musik und Museen etabliert sich Wien immer klarer auch in diesem Jahrtausend als Wissenschaftsstadt – als Ort, an dem kluge Köpfe in einem möglichst freien Handlungsspielraum Antworten auf die großen Fragen unserer Zeit finden. Wien soll also auch in ZUKUNFT ein Ort bleiben, an dem Wissenschaft nicht nur betrieben wird – sondern spürbar wirkt: In unseren Universitäten, Unternehmen, Klassenzimmern, Parks, Forschungslaboren und Theatern. Wien könnte so als lebendige Stadt auch als Vorbild für eine lebendige und freie Wissenschaft dienen.
Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei … so schon das österreichische Staatsgrundgesetz von 1867. Was bedeutet Freiheit aber hier genau? Der Beitrag von Andreas Schwarcz fasst für die Leser*innen der ZUKUNFT die Geschichte der Wissenschaftsfreiheit in Österreich zusammen und liefert dabei grundlegende Daten und Informationen zur Universitätsgeschichte und -gegenwart. Dabei geht es um die (relative) Autonomie der Wissenschaft ebenso wie um die aktuelle Lage im Forschungsbereich, die sich auf mehreren Ebenen der Digitalisierung stellen müssen. In diesem Kontext bleibt festzuhalten, dass Freiheit der wissenschaftlichen Lehre der Feststellung des Bedarfs im Rahmen der Studienpläne genauso unterliegt, wie der budgetären Bedeckbarkeit im Rahmen der Kontingente der jeweiligen Studienrichtung und dem inhaltlichen Konsens über die wissenschaftlichen Grundlagen der Lehrveranstaltungen. Zwar könnte die theoretische Lehrfreiheit ohne Finanzierung erfolgen, aber erst der Bedarf ermöglicht die Zuweisung eines Vortragsorts für Lehre oder den Zugang zu Labors und Forschungseinrichtungen, so Schwarcz.
Auch über Ländergrenzen hinweg zeigt der Fall Frauke Brosius-Gersdorf, wie die Besetzung des deutschen Verfassungsgerichts die Demokratie und die Freiheit der Wissenschaft auf die Probe stellt. Ingrid Nowotny hat sich deshalb im Rahmen unserer Ausgabe die Mühe gemacht, zusammenzufassen, wieso Frauke Brosius-Gersdorf, die von der Koalition zwischen CDU/CSU und SPD als Verfassungsrichterin nominiert worden war, ihre Kandidatur zurückgezogen hat. Denn es kam zu einer mehr als bedenklichen Medienkampagne, welche die wissenschaftlich sehr renommierte Juristin um ihren Ruf und in der Folge um ihren Job bringen sollte. Besonders hervorgetan haben sich dahingehend das rechte On-Line-Portal NIUS, ebenso Apollo News, Tichys Einblick und das Compact Magazin. In Österreich war AUF1 besonders aktiv. Allen gemeinsam war eine unerträglich aggressive inferiore Sprache, mit der auch die liberale Demokratie und die Freiheit der Wissenschaft attackiert wurden. Nowotny fasst dabei die Positionen Brosius-Gersdorfs zusammen und rekonstruiert den gesamten Ablauf der Debatte, um sich deutlich für die Freiheit und Unabhängigkeit der Wissenschaft einzusetzen.
Auch unabhängig von unserem Schwerpunkt hat diese Ausgabe der ZUKUNFT zwei weitere Beiträge zu bieten. So analysiert Fritz Peter Kirsch eingehend die österreichische Parteienlandschaft und arbeitet so die Möglichkeiten einer wirklich demokratischen ZUKUNFT heraus. Dabei steht unserem Autor im Sinne der sozialdemokratischen Grundwerte vor allem die Solidarität als moralischer Kompass vor Augen, um in Österreich Gemeinsames stiften zu können. Dabei arbeitet Kirsch im Bogen aller Nationalratsparteien die Spezifika der Sozialdemokratie heraus und betont die Notwendigkeit für alle Parteien, aus der kritischen Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Geschichte die richtigen Lehren für die ZUKUNFT Österreichs zu ziehen.
Auch freut es die Redaktion, einen Beitrag von Roman Arrenberg präsentieren zu können. Er entwirft angesichts der Gefahren und Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz einen utopischen Raum, der gerade im Umfeld der Sozialdemokratie eine Diskussion über neue visionäre Formen von Ökologie und Gemeinschaft ermöglichen kann. Dabei wird mehr Lebensqualität statt Leistungsdruck auf eine neuartige Definition von Gesundheit und Wohlstand bezogen, wobei vor allem der öffentliche Raum als Ort der Begegnung und des Miteinanders zu konzipieren ist. Gerade die Digitalisierung mit ihrer Transformation der Arbeitswelt lässt auch ein Grundeinkommen als notwendig erscheinen. Die ZUKUNFT nimmt also Gestalt an – und sie sieht vielversprechend aus.
Des Weiteren danken die Herausgeber*innen dem herausragenden Künstler Gerhard Cervenka, der uns – auch als BSA-Mitglied – seine Werke für diese Ausgabe zur Freiheit der Wissenschaft zu Verfügung gestellt hat. Dass auch die Kunst frei sein muss und mit Cervenka auch frei ist, zeigen diese Bilder, die für seine langjährige künstlerische Laufbahn als repräsentativ gelten können. So steht das rahmende Rot von Blutstrom vom Cover weg für eine Serie, in der es um Licht, Frühling oder um Wasser und Weide geht …
Zusammenfassend wollen wir betonen, dass angesichts der oft in Bedrängnis geratenen Freiheit der Wissenschaft, ihre nachdrückliche Verteidigung zu den Grundsätzen der Sozialdemokratie zählt: Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit und Solidarität!
Es senden herzliche und freundschaftliche Grüße
Alessandro Barberi und Barbara Auracher-Jäger
ALESSANDRO BARBERI
ist Chefredakteur der ZEITSCHRIFT FÜR HOCHSCHULENTWICKLUNG (www.zfhe.at) sowie der Diskussionszeitschrift ZUKUNFT (www.diezukunft.at) und des Fachjournals MEDIENIMPULSE (www.medienimpulse.at). Er ist Zeithistoriker, Bildungswissenschaftler, Medienpädagoge und Privatdozent. Er lebt und arbeitet in Magdeburg und Wien. Politisch ist er in der Medienfachgruppe des Bundes sozialdemokratischer Akademiker*innen (BSA) aktiv. Weitere Infos und Texte online unter: https://medienbildung.univie.ac.at/.
BARBARA AURACHER-JÄGER
ist in der Bildungsdirektion für Wien Abteilungsleiterin Zentralverwaltung und IKT sowie Vizepräsidentin und Vorsitzende der Jurist*innen des Bundes sozialdemokratischer Akademiker:innen(BSA). Sie lebt und arbeitet in Wien.
