Editorial 12/2021: Bildpolitik – VON ALESSANDRO BARBERI, BIANCA BURGER UND THOMAS BALLHAUSEN

Dass Bilder und Filme auf verschiedenen Ebenen mit Fragen nach der Politik und dem Politischen in Verbindung stehen, beschäftigte uns schon in der Ausgabe 11/2021 zu Film und Politik. Wie angekündigt setzen wir mit der Ausgabe 12/2021 nach und fokussieren diesmal mit den letzten Schwerpunktbeiträgen dieses Jahres auf die Formen der Bildpolitik, um dem sog. iconic turn breiten Raum zu geben. In diesem Kontext beginnt der Bogen mit einer Analyse der Bildstrategien von Literaturverfilmungen und reicht über ein Interview zu den Produktionsbedingungen des (österreichischen) Films bis hin zur Rolle von Science-Fiction-Filmen im digitalen Zeitalter von YouTube und Co. Insgesamt geht es auch um historische und filmische Zeitperspektiven, finanzielle Aspekte des Filmbetriebs sowie um eine allgemeine Reflexion auf das Genre und die Grenzen der Science-Fiction.

So steht mit der Analyse von Marie-Theres Stampf die Literaturverfilmung des Romans The Road von Cormac McCarthy aus dem Jahr 2006 am Beginn unserer Schwerpunktausgabe. Die Autorin legt angesichts der Verfilmung von John Hillcoat (2009) den Schwerpunkt auf die dort gezeichneten dystopischen sowie (post-)apokalpytischen Szenarien und analysiert, wie sie im Rahmen der kinospezifischen Bildpolitik dargestellt werden. Dabei reiht sich The Road einerseits in eine Reihe von Endzeiterzählungen ein, geht aber andererseits in vielerlei Hinsicht wortwörtlich eigene Wege – hier verweist Stampf auf die Verbindung zwischen Irreversibilität und Unerklärtheit der gezeigten Zerstörung. Auch der Faktor Zeit – etwa im Sinne einer zyklischen Verknüpfung von Anfang und Ende – erfährt in The Road eine Aufwertung, beispielsweise hinsichtlich des Aussetzens von Geschichtszeit innerhalb der (Post-)Apokalypse oder der Valenz von Zeit für die Vorstellung von Fortschritt und (Weiter-)Entwicklung. Insgesamt bricht The Road, so wie diese Analyse, mit dem Fortschrittsglauben und führt uns in eine vergangene Zukunft der Gegenwart.

Angesichts unseres Schwerpunktthemas Bildpolitik freut es uns besonders, dass wir ein Interview mit Veit Heiduschka präsentieren können, dem Doyen der österreichischen Filmproduktion und Chef der Wega Film. Im Austausch mit unserer Redakteurin Hemma Prainsack und dem Chefredakteur Alessandro Barberi plaudert Heiduschka nicht nur aus dem sprichwörtlichen Nähkästchen, sondern reflektiert seinen bisherigen Werdegang und soziale Kontexte der Kunstform Film im Rahmen der österreichischen Zeitgeschichte. In diesem Zusammenhang geht es auch um die gegenwärtigen Möglichkeiten des österreichischen Films im internationalen Rahmen, die Anlass für Denk-Anstöße dafür bieten, zu verstehen, wie Filmproduktion und Filmförderung in Österreich funktionieren und vor allem verbessert werden könnten. Das Gespräch gibt einen breiten Einblick in die Mechanismen und Produktionsbedingungen des Filmbetriebs, der in Österreich auch mit politischen Funktionsträger*innen der Sozialdemokratie verbunden war und ist. Im Rahmen des Interviews werden die Rolle von Auszeichnungen genauso diskutiert wie die Zukunft der gesamten Filmbranche.

Die Zukunft ist auch für den Beitrag von Dominik Irtenkauf von wesentlicher Bedeutung, widmet er sich doch in seinem Essay den Angeboten der Plattform DUST, die für Independent-Filmmacher*innen und Drehbuchschreiber*innen eine Möglichkeit zur Veröffentlichung ihrer Werke bietet und gleichzeitig für Forscher*innen ebenso interessant ist. Sie bietet einen Ideenpool an, der verschiedene Themen der Zukunft anspricht. Daher untersucht Irtenkauf DUST auf ihre erzählerischen und (bild-)politischen Potenziale – und entfaltet dabei wie nebenbei eine neue theoretisch-reflexive Perspektive auf das Genre der Science-Fiction, die aufgrund ihrer Vorliebe für seriöse Spekulation ein großes Spielfeld für die Entwicklung von Zukunft bietet. Mit „seriöser Spekulation“ meint der Autor, die Freiheit zwar argumentativ überzeugend entwerfen zu können, aber letztlich Dinge anzudenken, die noch in weiter Ferne liegen. Irtenkaufs Resümee, wonach die Halluzinatorik des Science-Fiction-Films einen wichtigen Beitrag zur Bildpolitik leisten könnte, kann nach Lektüre seines Essays sicherlich zugestimmt werden.

Bereits in der vorangegangenen Ausgabe widmete sich Erkan Osmanovic dem Thema Arbeit und Arbeitslosigkeit. Deshalb schließt er nun den Bogen unseres Doppelschwerpunkts und fragt auch in der letzten Ausgabe des Jahres 2021: Warum ist Arbeiten gut? Ist es das überhaupt? Und warum haben sich die Menschen in der Antike weniger Sorgen um Arbeitsplätze gemacht als wir? Der Autor präzisiert seine Ausführungen zu diesem Themenkomplex und legt diesmal den Schwerpunkt auf die historisch unterschiedlichen Formen der Arbeitsauffassung. Macht uns ein Dienstvertrag eigentlich zu einem besseren Menschen? Osmanovic kommt in diesem Zusammenhang auch auf die aktuellen Problemlagen von Arbeitslosen zu sprechen, die nicht als Menschen, sondern nur mehr als Nummern wahrgenommen werden und zeichnet nach, warum niedrige Löhne auch die Arbeitsmotivation senken. Vor dem Hintergrund der antiken Arbeitsauffassung rekapituliert der Autor insgesamt die historische Entwicklung unserer Einstellung der Arbeit gegenüber und hält ein Plädoyer für das bedingungslose Grundeinkommen (BGE).

Linda Achberger lässt dann in ihrer feinfühligen Erzählung Kohlweißling den/die Ich-Erzähler*in sich an ein Zusammentreffen mit der Großmutter erinnern, wie es wahrscheinlich viele von uns ebenfalls erlebt haben. Dabei stellen sich Fragen über Fragen an die ältere Generation, die darauf meist nicht direkt antwortet, sondern mit Schilderungen verschiedenster Gegebenheiten reagiert. Zwischen die Schilderungen des/der Ich-Erzähler*in mischen sich detaillierte Erinnerungen der Großmutter – z. B. an ihre Lieblingsspeise. Achberger verwendet durchwegs sprachliche Bilder, die einen in den Bann ihrer Geschichte ziehen und das Lieblingsessen der Großmutter fast schon riechbar machen – und nicht zuletzt dem Medium Fotografie eine besondere Rolle zuweisen.

Auch freut es uns ganz besonders zum Ende hin ein Interview mit Pamela Rendi-Wagner präsentieren zu können, das die ZUKUNFT-Redakteur*innen Hemma Prainsack und Thomas Ballhausen mit ihr geführt haben. Im Rahmen des Gesprächs werden „Message Control“ und das „System Kurz“ ebenso diskutiert, wie die Aufgaben und Zukunft der Sozialpolitik. Rendi-Wagner plädiert unter anderem für Steuersenkungen, eine Pflegeoffensive und den Ausbau der Ganztags-Kinderbetreuung. Zentral sind für sie die Fragen, wie die Politikverdrossenheit der Bevölkerung bekämpft werden kann, welche Parallelen es zwischen dem Beruf als Ärztin und Politikerin gibt und welche Rolle der Bildung in der Etablierung eines politischen Bewusstseins zukommt.

Am Ende unserer Ausgabe erinnert dann Alfred „Ali“ Kohlbacher an einen Genossen, der uns nach wie vor fehlt. Denn als der demokratische Sozialist Hugo Pepper am 1. September 2011 verstorben ist, verloren die jungen und alten sozialistischen Freiheitskämpfer*innen, die SPÖ und der ÖGB einen bedeutenden Widerstandskämpfer gegen den Austrofaschismus, das terroristische Naziregime und dessen verbrecherischen Krieg. Deshalb freut es die Redaktion der ZUKUNFT, dass unser Heft mit diesen Erinnerungen an einen großen und wichtigen Weggefährten der österreichischen Sozialdemokratie das (schwierige) Jahr 2021 abschließen kann.

Ganz besonders möchten wir aber noch auf die Bildstrecke der vorliegenden Ausgabe hinweisen, die sich aus den Arbeiten der diesjährigen Schwerpunktausstellung der G.A.S-Station Berlin zusammensetzt: Rund um das Thema Die Kunst ist ToT∞ wurden Künstler*innen zur Auseinandersetzung mit dieser provokanten These eingeladen – eben um die Vitalität der Künste unter Beweis zu stellen. 2021 wurde dieser thematische Schwerpunkt von Thomas Ballhausen, dem stellvertretenden Chefredakteur der ZUKUNFT, mitgestaltet und auch um ein Sonderformat ergänzt: Gemeinsam mit der renommierten Autorin Elisa Asenbaum hat er den Programmteil TANDEM – Literatur und Bildende Kunst in Dialog entwickelt und gestaltet. Bildnerische Arbeiten aus allen Teilen des gesamten Schwerpunkts sind in die Auswahl eingegangen, die sich alle auch unter bildpolitischen Perspektiven produktiv lesen lassen.

Eine solch produktive und anregende Lektüre hoffen wir mit dem aktuellen Heft ganz generell wieder anbieten zu können und verbleiben wie immer mit herzlichen und freundschaftlichen Feiertags- und Neujahrsgrüßen

BIANCA BURGER, THOMAS BALLHAUSEN UND ALESSANDRO BARBERI

BIANCA BURGER

ist Redaktionsassistentin der ZUKUNFT und hat sich nach ihrem geisteswissenschaftlichen Studium der Frauen- und Geschlechtergeschichte sowie der historisch-kulturwissenschaftlichen Europaforschung in den Bereichen der Sexualaufklärung und der Museologie engagiert.

THOMAS BALLHAUSEN

lebt als Autor, Kultur- und Literaturwissenschaftler in Wien und Salzburg. Er ist international als Herausgeber, Vortragender und Kurator tätig. Zuletzt erschien sein Buch Transient. Lyric Essay (Edition Melos, Wien).

ALESSANDRO BARBERI

ist Chefredakteur der ZUKUNFT, Bildungswissenschaftler, Medienpädagoge und Privatdozent. Er lebt und arbeitet in Magdeburg und Wien. Politisch ist er in der SPÖ Landstraße aktiv. Weitere Infos und Texte online unter: https://lpm.medienbildung.ovgu.de/team/barberi/