Mit der vorliegenden Ausgabe richten wir den Blick auf Resilienz, einen aktuellen Schlüsselbegriff, und verbinden ihn thematisch mit Verantwortung, die wir als möglichst umfassend verstanden wissen wollen. Insbesondere in einer Gegenwart, die vergleichsweise diverser, dynamischer und weniger leicht vorhersagbar wirkt (aber eben nicht unbedingt: ist) scheint es uns angebracht die Titelworte dieser Ausgabe der ZUKUNFT in ihrer Verbindung und eben auch Wechselbeziehung zu sehen. Wenn also das Duo Nathan Furr und Sasannah Harmon Furr den Begriff der Resilienz in ihrer Monografie The Upside of Uncertainty (2022) als „being able to take a blow and stay standing“ mit einem etwas groben, doch im wortwörtlichen Sinne treffenden Bild umschreiben, verweisen sie hier auf einen potenziell produktiveren Umgang mit unvermeidlichen Faktoren der Ungewissheit, der Unsicherheit und des Risikos. Dass dieses Standhalten nach einem (Rück-)Schlag aber nicht ohne gutes Fundament zu machen ist, erlaubt ein Verständnis von Resilienz als Fertigkeit des Widerstehens, ja, der Widerstandskraft, die sich nicht zuletzt in Form von Beweglichkeit und Agilität zeigt, ohne dabei permanent (politische) Überzeugungen verhandelbar zu machen. Wie notwendig es geworden ist, Herausforderungen oder gar Niederlagen zu bewältigen bzw. auszugleichen, zeigt wiederum ja doch auch unsere an Zumutungen gar nicht so arme Gegenwart. Dahingehend muss es uns aber als Gesellschaft eben nicht nur um das Wiedererlangen von Funktionalität oder Produktivität gehen, sondern um Lernerfahrungen, um ein erweitertes Verständnis von Fehlerkultur und vor allem auch um die notwendigerweise unaufhörliche Erweiterung vielfältiger Kompetenzen, um in veränderten Bedingungen und Wirklichkeiten gut – und eben auch verantwortungsvoll – agieren zu können.
Im Sinne dieses uns also höchst notwendig erscheinenden Zusammendenkens von Resilienz und Verantwortung haben wir die vorliegende Ausgabe der ZUKUNFT konzipiert: Eröffnet wird der Schwerpunkt von Wolfgang Wein: Der Autor fasst dabei aus der Sicht des Neukantianismus die Argumentationen der sog. Antiscience zusammen, die nicht zuletzt angesichts der Coronaleugnungsproteste der letzten Jahre vor Augen geführt werden kann. In diesem aktuellen Kontext thematisiert der Autor die Gefahren der aktuellen Wissenschaftsfeindlichkeit und rekapituliert die Geschichte (kultur-)relativistischer Positionen in der Geschichte des 20. Jahrhunderts, um ein eindringliches Plädoyer für das wissenschaftliche Denken und mithin für die Vernunft zu halten. Insgesamt stellt sich ihm die Frage: Inwiefern hat sich „der Westen“ seiner eigenen Rationalität – und damit der Aufklärung – entledigt, wenn Unvernunft, Irrationalismus, Mystik, New Age oder Esoterik regieren? Damit steht die Selbstzerstörung westlicher Rationalität genauso zur Debatte wie die Tatsache, dass moderne Wissenschaft und/als Aufklärung nach wie vor eine überlegene Form der vernünftigen Weltdeutung darstellt. Der aktuelle Beitrag von Thomas Nowotny fügt sich hier mit einer wirtschaftskritischen Analyse nahezu nahtlos an. In seinem Review Essay Gewinne ohne Investitionen und ohne Innovation analysiert er nicht nur eine Biografie von David Gelles über Jack Welch, den einstigen Vorstandsdirektor des US-Traditionsunternehmens General Electric; vielmehr legt er damit, ausgehend von der These einer umfassenden Destruktivkraft des Aktionärskapitalismus, auch eine kritische Auseinandersetzung mit der aktuellen Wirtschaftssituation und den mit ihr verbundenen Verantwortlichkeiten vor.
Die aktuelle Bildstrecke des international renommierten Fotografen Michael Liebert wird von einem Interview begleitet, das die Redakteurin der ZUKUNFT Hemma Marlene Prainsack in bewährter Manier mit dem Künstler geführt hat. In diesem vielfältigen Austausch spricht Liebert über die Ironie bei Selbstporträts, warum ihm die heutige „Selfiekultur“ missfällt und was für ihn den Reiz der Porträtfotografie ausmacht. Dabei wird auch deutlich, dass Liebert seine Arbeit als Werbefotograf ebenso inspirierend findet wie sein Kooperieren mit anderen Künstler*innen. Der Dialog rund um sein Schaffen, der unter dem sprechenden Titel „Gutes Aussehen macht dich nicht zur Persönlichkeit“ steht, erweist sich dabei auch als Gespräch über die Herausforderungen und Anregungen der digitalen Fotografie, bei der es, so Liebert, eben kein Unikat mehr gibt.
Der schöne und zugleich mitunter schwere Gedanke, dass insbesondere auch die Künste zu einem positiven Verständnis und zu einer entsprechend – auch im Sinne von Max Weber zu denkenden – verantwortungsvollen und sich ihrer Handlungsfolgen bewussten Lebbarkeit von Resilienz ganz wesentlich beitragen können, setzt sich auch in den beiden letzten Beiträgen der Ausgabe fort: In seinem Essay Die Rettbarkeit der Unglücklichen widmet sich Thomas Ballhausen in Form einer kontextualisierenden Lektüre des generationsübergreifend wirksamen Trostbuchs Fragmente einer Sprache der Liebe von Roland Barthes (1915–1980). Wie kaum ein anderes Werk verbindet Barthes in dieser international erfolgreichen Veröffentlichung literarische und philosophische Ansprüche in der Verhandlung von Begehren, Unglück und Verlust. Wenn darin also aus der Perspektive des Unglücklichen die Liebe und deren Verlust verhandelt wird, eröffnet sich dadurch, so Ballhausen, auch eine Perspektive resilienter (Selbst-)Verantwortung. Diese nicht nur ethische, sondern eben auch politische bzw. rechtsphilosophische Dimension meint also nicht nur eine begrüßenswerte Form von Auto-Ethnografie, wie sie schon bei Michel de Montaigne (1533–1592), dem Begründer der modernen Essayistik, angelegt ist; vielmehr lässt sich in der schonungslosen Introspektion, wie Barthes sie eben lesbar macht, auch die Aufforderung ablesen, nicht nur gegenüber anderen, sondern auch gegenüber sich selbst verpflichtet zu sein und auch zu bleiben. Damit ist auch eine vitale, erhaltenswerte Kritik gemeint, die tatsächliche Selbstkritik als integrativen Bestandteil erhalten will und klar vom radikal-autoritären Druck permanenter Selbstbezichtigung unterschieden werden muss. Der ethische Aspekt bliebe also unterentwickelt, würde man das Selbstverhältnis ausklammern. An diesen Gedanken knüpft auch Zarah Weiss mit ihrer Erzählung Gold’ne Kette, gold’ner Schuh an. Die preisgekrönte Autorin fragt darin auf sehr einfühlsame Weise nach dem Umgang der Gesellschaft mit Lebensentwürfen, die nicht ins konventionelle Konzept passen wollen bzw. Verheimlichtes zutage fördern. Weiss richtet ihren Blick dabei wie beiläufig auf die vergangenen und gegenwärtigen Vorstellungen von Familie, auf das Unbehagen, das Veränderung mit sich bringt und eben auf Aspekte wie Herkunft und Geschlecht.
Wir wünschen unseren Leser*innen spannende und anregende (Bild- und Text-)Begegnungen in der wichtigen Auseinandersetzung mit Resilienz und Verantwortung – und uns allen eine ZUKUNFT, in der die umfassende Wirksamkeit eines deliberativen Diskurses einen erstzunehmenden Austausch lebendig hält!
ALESSANDRO BARBERI
ist Chefredakteur der Fachzeitschriften ZUKUNFT (www.diezukunft.at) und MEDIENIMPULSE (www.medienimpulse.at). Er ist Historiker, Bildungswissenschaftler, Medienpädagoge und Privatdozent. Er lebt und arbeitet in Magdeburg und Wien. Politisch ist er im Umfeld der SPÖ Bildung und der Sektion Wildganshof (Landstraße) aktiv. Weitere Infos und Texte online unter:
https://lpm.medienbildung.ovgu.de/team/barberi/.
THOMAS BALLHAUSEN
lebt als Autor, Literatur- und Kulturwissenschaftler in Wien und Salzburg. Er ist international als Herausgeber, Vortragender und Kurator tätig. Zuletzt erschien sein Buch Transient. Lyric Essay (Edition Melos, Wien).