Die Linke und der Islam – VON RUŞEN TIMUR AKSAK

Der Beitrag von RUŞEN TIMUR AKSAK geht von biografischen Erfahrungen aus und erläutert den Leser*innen der ZUKUNFT in der Folge die Gefahr der Kooperation der Linken mit dem Islamismus. Gerade deshalb kann unsere Demokratie nicht auf eine vernünftige Linke und den Bestand ihrer Religionskritik verzichten.

I. (Biografische) Einleitung

Der erste Linke, den ich in meinem Leben kennengelernt habe, ist ein besonderes Exemplar. Ein Bauernsohn, der sich schon in Jugendtagen die Frage nach Verteilungsgerechtigkeit gestellt hat. Damals wusste er noch nichts von Marx, Engels oder Lenin. Schon in seinem kleinen Dorf schien die Welt so gar nicht in Ordnung. Warum arbeiteten seine Eltern so hart und dennoch reichte es gerade einmal für das eigene Überleben? Die wenigen, versprengten, kleinen Felder, die man bewirtschaftete, waren nichts im Vergleich zu den riesigen, ergiebigen Feldern der Großbauern – aber wie hatte es überhaupt dazu kommen können? Wieso konnten nicht alle gleich viel Fläche bewirtschaften? Später musste er jeden Tag über zehn Kilometer zu Fuß zurücklegen, um die höhere Schule in der Bezirkshauptstadt zu besuchen. Warum mussten die Kinder aus armen Familien zu Fuß gehen, während die Kinder aus den weniger armen Familien mit dem Bus fahren konnten? Wieso wurde er als Bauernsohn von den Lehrern besonders herablassend behandelt?

Als er diese Ungerechtigkeit ansprach, fanden auch andere Kinder, deren Eltern Landwirte waren, Mut und Selbstvertrauen. Selbst wenn man kein Linker ist, empfindet man diesen Menschen und sein kritisches Bewusstsein bewundernswert. Natürlich bin ich befangen, da es sich hierbei um meinen eigenen Vater handelt. Sein Weg zum Linken war in gewisser Weise vorgezeichnet, weil die grassierende Armut, Ungerechtigkeit und Repression selbst in einem verschlafenen, anatolischen Dorf einfach nicht hinnehmbar waren. Sein kritischer Blick fiel auch bald auf die Religion. Natürlich waren alle fromm und brav, dennoch stand die Religion wie auch der örtliche Imam stets auf der Seite der Großbauern, die sich wie Adelige aufführten. Fragen nach Armut und Gerechtigkeit interessierten den Mann Gottes nur dann, wenn sie theoretisch und fern ab der bitteren Realität gestellt wurden. Religion als Herrschaftsinstrument für die etablierte Ordnung: Diese Erkenntnis prägte den Blick meines Vaters schon früh. Noch bevor er Marx’ berühmten Satz über Religion als Opium des Volkes las, hatte ihm das Leben schon die wahren Probleme aufgezeigt. Ohne konkrete Arbeit, ohne Solidarität unter den Armen und Entrechteten, ohne klare Kritik an den Mächtigen würden sich die Dinge niemals zu Besseren wenden. Wie gesagt, der erste Linke in meinem Leben ist ein besonderes Exemplar.

Da ich in Tirol geboren und aufgewachsen bin, habe ich wenig Möglichkeit gehabt, andere Linke kennenzulernen. Mein Heimatbundesland ist da ein unfruchtbarer Boden, wie mir scheint. Daher war ich besonders neugierig, als ich nach Wien ging, um zu studieren. Am Institut für Politikwissenschaft angekommen, traf ich dann endlich andere Linke. Sie trugen T-Shirts mit Che Guevara-Konterfei oder klaren Ansagen wie „Fight Capitalism“. Je mehr ich jedoch mit ihnen sprach, desto mehr sah ich die Unterschiede zu meinem Vater und seiner Generation von Linken. Diese modernen, jungen Linken waren eben angehende Akademiker. Sie wollten ebenfalls den Kapitalismus zerstören, aber auf dem Weg dorthin wollten sie – für mich überraschende – Stopps einlegen. Sie wollten etwa eine anti-rassistische Gesellschaft etablieren, was natürlich löblich ist, doch ihr Zugang schien mir damals schon seltsam. Denn sie wollten dabei mit konservativen, ja reaktionären Muslimen zusammenarbeiten. Sie saßen dann in ihren Sitzkreisen und debattierten, wie sie das gemeinsam anstellen konnten. Schon damals bemerkte ich, dass die jungen Linken so ziemlich alles, was die konservativen, muslimischen Studenten monierten, kritiklos übernahmen. Kopftuch? Gar kein Problem, ja sogar Zeichen von Selbstbestimmung. Patriarchale Familienstrukturen? Nur ein Problem bei einheimischen Familien, ansonsten eurozentristische Bevormundung.

Ruşen Timur Aksak © Ruşen Timur Aksak

II. Von der „Islamophobie“

In mir gärte ein seltsames Gefühl und die Kluft zur linken Bewegung wurde größer. Erst später sollte diese Entwicklung endgültig ihren absoluten Tiefpunkt erreichen, als etwa der Vorwurf der allgegenwärtigen „Islamophobie“ von akademischen Linken übernommen wurde. Doch da war ich bereits am Anfang meiner journalistischen Karriere und hatte ganz andere Sorgen als revolutionäre Sitzkreise. Das Thema Integration aber auch der Spannungsbereich zwischen Islam und Islamismus wurden sehr schnell meine Leibthemen. Und auch wenn ich bereits an der Universität eine problematische Entwicklung beobachtet hatte, hielt ich die dortigen Jung-Linken für nicht repräsentativ. In der großen, weiten Welt des polit-medialen Spektrums würden solche Flausen ja auf taube Ohren stoßen. Doch Artikel für Artikel, merkte ich, dass gerade die Linken im Journalismus, der Politik und den NGOs meine wütendsten Kritiker wurden. Man muss sich das einmal vorstellen: Da haben sie die üblichen konservativen Muslime und Akteure, die meine journalistische Arbeit behindern wollen und im Gleichschritt machen es ihnen akademische Linke nach – mit der gleichen Argumentation übrigens.

„Islamophobie“ beziehungsweise „Islamfeindlichkeit“ waren und sind bis heute die Knüppel mit denen gegen unliebsame Journalisten, aber auch Politiker und Feministinnen (die etwa das Kopftuch kritisch sehen) vorgegangen wird. Und in meinem Fall wird es gerne absurd, wenn etwa nicht-muslimische, akademische Linke, die selbst keine Kirche und keine Moschee von innen erkennen würden, sich anmaßen, mir Islamfeindlichkeit vorzuwerfen. Diese Chuzpe überrascht mich jedes Mal aufs Neue. Doch so absurd es erscheinen mag, so wirkmächtig ist diese Taktik, wenn ein geballter, digitaler Mob, an dem sich auch Journalisten, Politiker und Aktivisten beteiligen können, plötzlich auf einen einzelnen Kritiker losgeht. Das oft zitierte „Canceling“ ist nicht so neu, wie man glauben mag. Ein Anruf bei der Chefredakteurin, eine Mail beim Ressortleiter und schon gibt es kritische Gespräche, die einen auf Dauer zermürben und die Energie nehmen, um wichtige gesellschaftliche Debatten fortzusetzen. Es wäre im Übrigen eine gute und vernünftige Idee, gegen Rassismus und Spaltung aufzutreten. Gerade junge, akademische Linke wie auch konservative, muslimische Aktivisten schreiben sich das ja gerne auf die Fahne. Doch wie so oft ist der Weg zur Hölle mit guten Absichten gepflastert.

III. Ein Teufelskreis

Denn was die linke Seite dieser unheiligen Allianz nicht weiß, beziehungsweise nicht wissen will, ist, dass sie sich mit einer repressiven Mehrheit verbündet hat, die inner-muslimisch jede Kritik, jedes Infragestellen von konservativen Dogmen mit brutaler Wut unterdrückt und ahndet. Jene akademische Linke also, die für sich in Anspruch nimmt, gegen die Mächtigen zu sein, hat sich blenden lassen und ist heute die beste Verbündete des konservativen, muslimischen Mainstreams. Das Ergebnis? Das konservative, reaktionäre Element innerhalb der muslimischen Gemeinde wird stärker und stärker, was wiederum den Rechtspopulismus nur stärker und stärker macht. Ein Teufelskreis, in dem sich nicht nur unser Land, sondern viele westliche Gesellschaften befinden. Während ich diese Zeilen schreibe, lese ich gerade eine Meldung aus Deutschland:

Die Präsidentin der TU Berlin beschwerte sich über einen Islamismus-Vortrag an ihrer Hochschule. Sie sah die Gefahr, dass „antimuslimische Ressentiments propagiert werden könnten“. Wenn man sich den Namen der Präsidentin – Geraldine Rauch – ansieht und auch bedenkt, dass die TU Berlin nun wahrlich keine rechtsextreme Hochburg ist, dann ahnt man wohl, wie sehr der Kotau vor islamistischen Framings und Talking Points bereits fortgeschritten ist. Denn die Haltung, die diese nicht-muslimische Präsidentin eingenommen hatte, könnte eins zu eins von einem reaktionären, muslimischen Aktivisten stammen.

Die Linke stand einst für eine sehr kritische Auseinandersetzung mit (politisierter) Religion. Noch lange nach der Zeit der apostolischen Majestäten der Habsburger Dynastie hat Österreich viel Erfahrung mit dieser Form von Religion machen müssen. Das Phänomen des politischen Katholizismus hat dieses Land noch bis vor wenigen Jahrzehnten geprägt. Natürlich waren es linke Kräfte, die etwa die ÖVP in diesem Kontext klar zu kritisieren wussten. Die linke Tradition ist auch eine antiklerikale und doch sehen wir mittlerweile, dass junge, akademische Linke und reaktionäre Muslime Seite an Seite marschieren können. Nach dem Massaker der Hamas am 07. Oktober 2023 gingen diese beiden Gruppen gemeinsam auf die Straßen. Dabei fanden aber nicht nur Sympathiebekundungen für die palästinensischen Zivilisten statt, sondern auch immer wieder und ohne jedwede Scheu anti-israelischer Hass wie auch antisemitische Agitation. Wir debattieren zu Recht über importierten Antisemitismus unter Migranten, doch spätestens seit dem 07. Oktober ist für mich auch klar geworden, dass wir eine sehr klare Debatte über jenen Antisemitismus brauchen, der in sozial- und geisteswissenschaftlichen Studien grassiert und nur notdürftig von einer „anti-kolonialen“ Haltung übertüncht wird. Die akademische Linke, die an den Universitäten besonders stark verankert ist, läuft Gefahr, sich selbst ins gesellschaftspolitische Aus zu stellen. Wer mit totalitären Ideologien wie dem Islamismus im Schulterschluss marschiert, hat ein Glaubwürdigkeitsdefizit auch im Hinblick auf die Bekämpfung von (rechts-)extremen Ideologien. Wer Burschenschaften in aller Deutlichkeit kritisieren kann, aber etwa Islamverbände, die überspitzt formuliert auch nur reaktionäre Männerbünde sind, aufgrund eines falsch verstandenen Anti-Rassismus-Gedankens nicht angehen kann, hat sich selbst aus der gesellschaftlichen Debatte entfernt.

Unsere Demokratie kann auf eine vernünftige Linke nicht verzichten. Das ist keine Frage von Weltanschauung, sondern eine Erkenntnis aus dem immensen Rechtsruck, den viele westliche Demokratien durchmachen. Die Frage nach der Stärke des Rechtsrucks kann nicht beantwortet werden, ohne die selbst verschuldete Schwächung der Linken mitzudenken.

IV. Conclusio: Ein fataler Irrtum

Identitätspolitische Debatten sind für die unteren und mittleren Einkommensschichten von geringerer Bedeutung als es die akademische Jung-Linke wahrhaben will. Im Windschatten konservativer Muslime zu sein, die das Kopftuch als eine Art „Befreiung der Frau“ framen wollen, ist nicht nur eine Schande, sondern macht die Linke schwer wählbar für all jene Menschen, die das Erstarken des konservativen Islams nicht als Bereicherung, sondern als grimmige Bürde für das Zusammenleben sehen. Aber am wichtigsten ist für mich diese sehr klare Botschaft an all jene Akteure innerhalb der Linken, die annehmen, der erstarkende konservative bis islamistische Islam würde sich dankbar zeigen: Ein fataler Irrtum. Denn Islamisten sind im Gegensatz zu Linken viel machtbewusster, wenn es darum geht, ihre eigene Agenda voranzutreiben, Zweckbündnisse zu schließen, doch diese bei Bedarf auch sofort wieder zu annullieren.

Das Schicksal der iranischen Linken kurz nach der sogenannten „islamischen Revolution“ lässt keinen Platz für Illusionen. Und es ist ja auch nicht so, dass die Linke keine Verbündeten unter muslimischen Menschen hätte. Im Gegenteil. All jene säkularen, linken und liberalen Muslime brauchen genau die Unterstützung der Linken in Politik, Medien und Zivilgesellschaft, damit die Übermacht des konservativen Islam gebrochen werden kann. Und wer jetzt einwenden will, dass der Kampf gegen Rassismus nun einmal schwierige Allianzen auch mit konservativen Muslimen nötig mache, macht es sich zu leicht. Es ist möglich, Rassismus anzuprangern, ohne dabei das Geschäft reaktionärer Muslime zu erledigen.

Rassismus zu bekämpfen und gleichzeitig auch extremistische Gesinnung innerhalb der muslimischen Gemeinschaft klar zu kritisieren, wird keine andere politische Bewegung hinbekommen. Nur die Linke hätte das wertetechnische Rüstzeug einerseits Diskriminierung anzuprangern und andererseits den Islamismus zu dekonstruieren.

RUŞEN TIMUR AKSAK

arbeitete für den Standard und ATV, war Pressesprecher der Islamischen Glaubensgemeinschaft und lebt als Medienberater in Wien. Er vertritt derzeit als FALTER-Kolumnist Melisa Erkurt während einer längeren Auszeit.