Der Beitrag von ARMIN PFAHL-TRAUGHBER untersucht aus ideologiekritischer Perspektive die polit(olog)ische Rolle und Funktion der deutschen Neuen Rechten und analysiert dabei die oft bedenkliche Rolle von Intellektuellen als Teilsegment der Extremismusforschung.
I. Einleitung und Fragestellung
Seit einigen Jahrzehnten lässt sich ein politischer Rechtsruck in demokratischen Staaten konstatieren. Als rechtsextremistisch oder rechtspopulistisch geltende Parteien konnten und können hohe Wahlzustimmung mobilisieren, mitunter hatten und haben sie auch direkten oder indirekten Einfluss auf die jeweilige Regierungspolitik. Die Alternative für Deutschland (AfD) ist es in der Bundesrepublik, die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) ist es in Österreich, der Rassemblement National (RN) ist es in Frankreich, die Sverigedemokraterna (SD) sind es in Schweden. Dafür werden unterschiedliche Bedingungsfaktoren genannt, trägt doch eine monokausale Erklärung nicht, um ein so komplexes Phänomen zu erklären. Einige soziologische Ansätze stellen etwa auf die Globalisierung und Modernisierung ab, politologische Deutungen verweisen auf Elitenkritik und Souveränitätsverluste. Es gibt darüber hinaus noch andere Bedingungsfaktoren, die in der Gesamtschau nicht so entscheidend sein mögen, denen aber eine gewisse Relevanz zukommt.
Die folgende Analyse blickt auf einen solchen Bereich, der sich auf das um eine solche Partei herum bestehende Umfeld bezieht. Gemeint sind damit allgemein bestimmte Aktivistengruppen,[1] Bewegungen, Kulturorganisationen oder Medien. Sie befördern mit ihren politischen Handlungen den gemeinten Rechtsruck, ohne in einer direkten Anbindung an die jeweilige Partei zu stehen. Mitunter existierten derartige Akteure schon vor der Gründung einer solchen, bildeten sie doch für einschlägige ideologische Auffassungen die organisatorische Basis. Besondere Aufmerksamkeit soll hier ein solches politisches Segment finden: die rechtsextremistischen Intellektuellen der Neuen Rechten. Die folgenden Ausführungen gehen dazu folgender Frage nach: Welche Bedeutung und Funktion haben solche Intellektuellen für eine rechtsextremistische Partei? Antworten soll eine kleine Fallstudie liefern, hier bezogen auf die AfD in Deutschland und die dortige Neue Rechte. Es geht dabei auch um das aus dieser Beziehung folgende Gefahrenpotenzial.
Bevor auf damit einhergehende Aspekte eingegangen werden kann, bedarf es aber zweier Begriffserläuterungen, um mögliche Missverständnisse zu vermeiden: „Extremismus“ gilt hier als Sammelbezeichnung, die auf alle Einstellungen und Handlungen bezogen ist, welche die Basiswerte einer modernen Demokratie negieren wollen: Gewaltenteilung und Individualitätsprinzip, Menschenrechte und Pluralismus, Rechtsstaatlichkeit und Volkssouveränität. Dies kann auf unterschiedlicher ideologischer Grundlage geschehen, hier geht es nur um die politisch rechte Prägung. Nach dieser Definition muss den Gemeinten keine Gewaltorientierung eigen sein, Extremisten können auch eine legalistische Praxis beim eigenen Vorgehen bevorzugen. Und dann geht die Bezeichnung „Intellektuelle“ hier mit einem formalen Verständnis einher. Die gemeinten Autoren und Denker müssen keine humanistische Prägung aufweisen, es kann sich eben auch um die Befürworter „ethnisch-kultureller“ Homogenitätspostulate und autoritärer Ordnungsmodelle handeln.
II. Basisinformationen: „Alternative für Deutschland“
Bevor die eigentliche Analyse beginnt, sind einige Basisinformationen nötig, welche sich auf die gemeinte Partei und das intellektuelle Umfeld beziehen: Bei der Alternative für Deutschland (AfD) handelt es sich um jene Neugründung in der bundesdeutschen Parteiengeschichte, die sich binnen weniger Jahre am schnellsten flächendeckend als Wahlpartei etablieren konnte. Öffentlich ist man um das Image einer bürgerlich-konservativen Kraft bemüht, während nicht nur Aussteiger von dominierenden rechtsextremistischen Entwicklungen sprechen. Emotionalisierung und Polarisierung prägen das öffentliche Wirken, soll doch breitere Aufmerksamkeit durch Provokationen ausgelöst werden. Der anfänglich dominante liberal-konservative Flügel ist durch den identitär-nationalistischen Flügel abgelöst worden. Es lässt sich in der Gesamtschau daher folgender Trend konstatieren: Aus einer ursprünglich rechtsdemokratischen Partei mit rechtsextremistischer Minderheit entwickelte sich eine rechtsextremistische Partei mit einer rechtsdemokratischen Minderheit.
Gegründet wurde die AfD 2013, wobei die handelnden Akteure insbesondere die von der Bundesregierung umgesetzte Europa-Politik kritisierten und ihr politisch-konservative und ökonomisch-liberale Positionen entgegensetzen wollten. So erklärt sich auch die selbst gewählte Bezeichnung für die neue Partei. Einerseits gelang fortan der Aufbau von handlungsfähigen Strukturen, andererseits kam es bei der internen Entwicklung zu heftigen Kontroversen. Diese erklärten sich durch ideologische und strategische Differenzen, aber auch durch machtpolitische und persönliche Interessen. Insbesondere die Aufnahme und der Einflussgewinn von politisch weit rechts stehenden Mitgliedern führten dazu, dass die als gemäßigt geltenden liberalkonservativen Akteure immer mehr an Bedeutung in der Partei verloren. Diese Entwicklung lässt sich gut anhand des Führungspersonals aufzeigen: Gleich drei Bundessprecher der Partei verließen sie aufgrund des dortigen Rechtsrucks. Als gemäßigt Geltende passten sich der politischen Neuorientierung an.
Gleichwohl schadete diese Entwicklung der Partei nicht bei Wahlen, lässt sich doch in der Gesamtschau der noch kurzen Geschichte eine zwar schwankende, aber steigende Zustimmung konstatieren. Die Bundestagswahlergebnisse veranschaulichen diesen Trend: 2013 erhielt man noch 4,7 %, 2017 waren es bereits 12,6 % und 2021 dann noch 10,3 % der Stimmen. Bundesweit prognostizieren Forschungsinstitute für 2024 jeweils über 20 % und im Osten gar über 30 % der Wählerstimmen. Insbesondere die mittlere Altersgruppe, formal mittel bis niedrig Gebildete, weniger Frauen und mehr Männer votierten in diese Richtung. Auch Arbeiter und Arbeitslose sind bei der Partei in der Wählerschaft überproportional vertreten. Insbesondere Elitenkritik und Migration gelten als wichtige Motive wie Themen. Gleichwohl erfasst eine Erklärung, die auf Protestverhalten fixiert ist, nur teilweise die Wirklichkeit. Erkennbar prägt auch eine besondere Einstellung die konkrete Wählerschaft, steht sie doch im ideologischen Einklang mit der Partei.
III. Basisinformationen: die deutsche Neue Rechte
Die oben angesprochenen Intellektuellen sollen hier mit „Neue Rechte“ als Terminus gekennzeichnet werden. Es lässt sich damit eine inflationäre Begriffsnutzung in den Medien und in der Politik konstatieren, was hier eine trennscharfe Definition zur Erfassung des Gemeinten nötig macht. Dabei handelt es sich um eine informelle Gruppe von Intellektuellen, die sich insbesondere auf das Gedankengut der Konservativen Revolution der Weimarer Republik beziehen. Gemeint sind damalige Denker, die einerseits die bestehende parlamentarische Demokratie überwinden, andererseits aber nicht zu dem gescheiterten wilhelminischen Obrigkeitsstaat zurückkehren wollten. Bekannte Akteure waren Ernst Jünger, Edgar Julius Jung, Arthur Moeller van den Bruck, Carl Schmitt oder Oswald Spengler, alles Anhänger eines „antidemokratischen Denkens in der Weimarer Republik“ (Kurt Sontheimer). Diese sollte durch eine autoritäre Herrschaft mit pseudodemokratischer Legitimation ersetzt werden, entsprechend dem italienischen Faschismus unter Mussolini.
Angesichts einer derartigen ideologischen Ausrichtung können auch deren heutige Bewunderer als rechtsextremistische Intellektuelle gelten. Einschlägige Ansätze kamen übrigens bereits im Frankreich der 1960er-Jahre auf, wo junge Anhänger des dortigen traditionellen Rechtsextremismus auf einen entsprechenden Wandel setzten. Entsprechend einer Ausrichtung auf eine von Intellektuellen getragene „Kulturrevolution“ entstanden dort Think Tanks und Zeitschriftenprojekte. Als bekanntester Akteur gilt Alain de Benoist bis in die Gegenwart hinein, prägte er doch überall in Europa einschlägige Gesinnungsfreunde und Publikationsprojekte, die sich gern als „Neue Rechte“ mit einem damit werbenden Selbstverständnis bezeichneten. Gemeint war damit für Deutschland kein ideologisch homogener und organisatorisch geschlossener Kreis, bewegten sich diese Intellektuellen doch in unterschiedlichen publizistischen Kontexten. Dazu zählten zunächst Criticon und später die Junge Freiheit als für die Neue Rechte wichtige Publikationsorgane.
Erst 2000 entstand mit dem Institut für Staatspolitik (IfS) ein organisatorisches Zentrum. Entgegen des durch die Bezeichnung möglichen Eindrucks handelt es sich um ein privates Institut, eine Anbindung an eine wissenschaftliche Einrichtung wie etwa eine Universität gibt es nicht. Das IfS hat im ländlichen Raum auf einem früheren Rittergut in Sachsen-Anhalt seinen Sitz. Dort finden regelmäßig Konferenzen und Schulungen statt, womit auch persönliche Kontakte zwischen den jeweiligen Teilnehmer geknüpft werden können. Bedeutsamer ist aber die breitere Außenwirkung durch die Herausgabe der Sezession als Theorieorgan, durch Interneteinstellungen von Kommentaren und Videos oder unterschiedliche Buchpublikationen vom Roman bis zu Themenwerken. Und dann ist bezüglich des IfS für den hier zu erörternden Kontext wichtig, dass es sich um eine Begegnungsstätte für Gleichgesinnte handelt. Und dies gilt auch für AfD-Politiker und die gemeinten Intellektuellen, jeweils bezogen auf Ideologie wie Strategie.
IV. Bedeutung von Intellektuellen für Politik
Welche Bedeutung und Funktion haben nun aber Intellektuelle für die Politik? Antworten auf diese Frage sollen den Rahmen für die folgenden Reflexionen markieren. Ganz allgemein lässt sich von einer kritischen oder legitimierenden Funktion sprechen, wobei die erstgenannte Ausrichtung historisch betrachtet konstitutiv mit dem intellektuellen Selbstverständnis verbunden war. Eher liberal oder links politisch orientierte Denker wurden mit dem Terminus in Verbindung gebracht, gleichzeitig ging damit das Bild eines Engagements für die Schwächeren einher. Es gab aber auch nicht wenige Intellektuelle, die sich autoritärer politischer Herrschaft unterwarfen. Derartige Ausrichtungen ließen sich nicht nur unter rechten, sondern nach 1917 auch unter linken Intellektuellen konstatieren. Hier soll es aber um die delegitimierende Funktion gegenüber einer politischen Ordnung gehen, wobei die gemeinten Denker bewusst oder unbewusst grundlegende politische Veränderungen vorantrieben. Gedanken sollten dabei Handlungen vorwegnehmen.
Diesbezügliche Auffassungen entwickelte insbesondere Antonio Gramsci, ein italienischer Marxist mit undogmatischen Reflexionen. Er fragte sich in den 1920er-Jahren, warum es eine erfolgreiche Revolution in Russland, aber nicht im Westen gab. Seine Antwort lautete: Ein gesellschaftlicher Konsens für die Zarenherrschaft habe nicht mehr bestanden, was eben Lenins politischen Umsturz erleichtert hätte. Demgegenüber sei das bürgerliche Denken in den westlichen Ländern in der Zivilgesellschaft verankert; dessen geistige Delegitimation sei für eine erfolgreiche Revolution eine wichtige Voraussetzung. Und genau diese Aufgabe schrieb Gramsci den Intellektuellen zu. Sie sollten durch ihr Engagement eine kulturelle Hegemonie erlangen, wonach die politische Macht der kommunistischen Partei schrittweise selbst zufalle. Damit einhergehenden Ansätzen bedienten sich später Intellektuelle von links, indessen meist ohne direkten Bezug auf die von Gramsci dazu entwickelten Positionen. Dies geschah aber durch Benoist und die französische Neue Rechte.
Davon zeugte eine einschlägige Buchveröffentlichung mit Kulturrevolution von rechts. Antonio Gramsci und die Nouvelle Droite als Titel. Benoist vertrat darin die Deutung, dass es zunächst um die „kulturelle Macht“ gehe und dieser eben die „politische Macht“ folge. Er erinnerte dabei an die Französische Revolution, welche ohne die Aufklärung und deren Einfluss nicht zustande gekommen wäre. Auch die von den Achtundsechzigern ausgehende Dynamik in den 1970er-Jahren wurde auf eine solche „Kulturrevolution“ zurückgeführt. Genau eine solche Entwicklung sollte nun auch von rechts erfolgen, was die Formulierung des gemeinten Konzepts erklärt. Benoist interpretierte dabei Gramsci rein formal und strategisch, dessen politische Positionen interessierten ihn bei seiner Rezeption nicht. Fortan fanden derartige Auffassungen bei Intellektuellen und Parteien im Rechtsextremismus gewisse Verbreitung. Bezeichnungen wie „Kampf um die Köpfe“ oder „Metapolitik“ wurden die dafür wichtigen Schlagworte für eine neue Strategie.
V. Kontakte und Kooperationen beider Sphären
Angesichts dieser Ausrichtung sollen nun Kontakte und Kooperationen von politischer Partei und intellektuellem Umfeld untersucht werden. Die seinerzeitige AfD-Gründung wurde vom IfS interessiert wie skeptisch zur Kenntnis genommen. Ersteres erklärt sich durch die Beobachtung der Intellektuellen, wonach erstmals eine „Rechtspartei“ bedeutende Wahlerfolge erzielen konnte. Demgegenüber galt die von der AfD zunächst artikulierte bürgerliche Mäßigung der Neuen Rechten eher als Opportunismus. Gleichwohl erkannte man die Dynamik in der Partei, gab es dort doch diverse Flügel und unterschiedliche Optionen. Daher bemühte sich Götz Kubitschek, der organisatorische IfS-Kopf, 2015 noch um eine Parteimitgliedschaft. Diese wurde ihm aufgrund der Intervention von Bernd Lucke verwehrt, sollte doch die Mitgliedschaft erklärten Rechtsextremisten noch verwehrt bleiben. Der AfD-Bundessprecher trat aber angesichts deren Rechtsrucks bald aus der Partei aus, womit sich deren kommende Entwicklung hin zum Rechtsextremismus bereits andeutete.
Zwischenzeitlich hatte der rechte Flügel um Björn Höcke, Landesvorsitzender von Thüringen, immer größere Relevanz erlangt. Zwischen dessen jeweiligen Angehörigen und der Neuen Rechten entstanden immer stärkere Verbindungen. Aufgrund des damit einhergehenden Einflusses sah es Kubitschek offenbar als unnötig an, als Mitglied in die Partei einzutreten. Er konnte ohnehin dort seinen politischen Einfluss über Höcke und dessen Mitstreiter entfalten. Der ehemalige Bundessprecher Lucke erklärte gar, dieser sei „Kubitscheks Lakai“ geworden. Diese Auffassung mag übertrieben sein, veranschaulicht aber den gemeinten Einfluss. Denn immer mehr AfD-Funktionäre ließen sich auf den Konferenzen der Neuen Rechten blicken, wurde das IfS doch zu einer Pilgerstätte für diese Politiker. Der Einfluss ist auch daran erkennbar, dass angeblich Gemäßigte ebendort präsent waren. Denn nicht nur ein Alexander Gauland oder ein Hans-Thomas Tillschneider, sondern auch ein Jörg Meuthen oder eine Alice Weidel fanden sich ebendort ein.
Die offenkundige Annäherung von der genannten Partei und dem intellektuellen Umfeld darf aber nicht als Verschmelzung verstanden werden. Denn die AfD und die Neue Rechte bewegen sich dabei in unterschiedlichen Sphären, einmal der Parteipolitik, einmal der Publizistik, woraus sich auch ein später noch zu thematisierendes Spannungsverhältnis ergibt. Gleichwohl kam es bezogen auf bestimmte Personen zu symbolträchtigen Überschneidungen. Denn einige AfD-Mitarbeiter im Bundestag entstammen dem IfS-Kontext, womit sich eine direkte Einflussnahme auf die dortige Fraktionsarbeit ergibt. Ein Beispiel dafür ist Benedikt Kaiser, ein jüngerer Akteur der Neuen Rechten, der insbesondere zu strategischen Fragen immer wieder einige Vorstöße unternahm. Darüber hinaus bekundeten Funktionäre auf Nachfrage, wie hoch der Einfluss des IfS auf die Partei ist. Man rezipiere die Auffassungen der Neuen Rechten, hätten diese doch einschlägige Auffassungen schon vor der Partei entwickelt. So formulierte etwa der erwähnte Landtagsabgeordnete Tillschneider.
VI. Funktion der Intellektuellen für die Partei
Welche Funktion haben aber nun die Intellektuellen für die Partei? Zunächst dienen sie als Anreger und Stichwortgeber, da sie durchaus früh auf entsprechende Entwicklungen durch Thematisierungen verwiesen. Der „Große Austausch“ darf als Beispiel dafür gelten. Gemeint ist damit die Auffassung, wonach die einheimische durch eine migrantische Bevölkerung ersetzt werden soll und es dazu offenbar einen Plan gibt. Entwickelt wurde die Bezeichnung von Renauld Camus, einem französischen Publizisten. Sein Buch dazu erschien im IfS-nahenVerlag Antaios. Dadurch fand die Bezeichnung im deutschsprachigen Kontext, aber auch in anderen Ländern große Verbreitung. Viele AfD-Funktionäre nutzten auch in ihren Reden den Terminus, sodass er in diesem politischen Milieu zu einem geflügelten Wort wurde. Das Beispiel steht exemplarisch für eine Funktion: Angebliche oder tatsächliche Gegebenheiten werden aufgegriffen und mit einer diskursiven Interpretation versehen, womit man dann an die breitere Öffentlichkeit mit scheinbaren intellektuellen Weihen tritt.
Darüber hinaus wirkt die Neue Rechte aber auch in die Partei selbst hinein. Insbesondere die Ideologisierung über Konferenzen und Publikationen ist dabei relevant, fehlt es doch vielen Funktionären nach wie vor an einer systematischen Grundposition. Sie ist zwar auch bei der Neuen Rechten nicht als eigene Theorie vorhanden, gleichwohl kommen dazu von dort Bausteine in einem solchen Sinne. Damit soll die interne geistige Bindung erhöht werden, fürchtet man doch einen informellen Opportunismus. Gemeint ist eine indirekte Integrationswirkung, die etwa mit Parlamentsarbeit verbunden ist. Die notwendige Einhaltung formaler Regeln kann auch zu innerer Überzeugung führen. Man will selbst nicht innerhalb der bestehenden Ordnung wirken, sondern strebt ein anderes System an. Die Entwicklung dorthin dürfte aber nicht durch eine Revolution erfolgen, eher wäre für eine solche Entwicklung ein längerfristiger „Stellungskrieg“ realistischer. Dazu bedürfe es einer ideologischen Festigkeit bei den jeweiligen Mitgliedern.
Und dann kommt den Intellektuellen für die Partei auch eine Relevanz hinsichtlich der Wählerbasis zu. Betrachtet man sich deren soziale Besonderheiten, so fällt ein gewisses Defizit auf. Insbesondere die formal höher Gebildeten wählen nur unterdurchschnittlich die Partei. Es ist der AfD auch nicht gelungen, breiter in das Bildungsbürgertum hineinzuwirken. Außerdem verschreckt das polternde Gehabe mancher Mandatsträger potenzielle Sympathisanten und Unterstützer. Demgegenüber bieten die Einrichtungen der Neuen Rechten wie deren Publikationen hier attraktive Zusammenhänge. Die Angesprochenen können sich einer geistigen Elite zurechnen, welche auch innerhalb der AfD eine größere Rolle spielen würde. Bislang werden Listenplätze auf Parteitagen aber mehr danach vergeben, wer mit Aggressionen und Polemiken zu begeistern weiß. Akademisch Gebildete sollen über die Neue Rechte an die Partei gebunden werden. Und genau diese Funktion haben die gemeinten Intellektuellen in diesem Kontext.
VII. Intellektuelle Interessen an der Partei
Umgekehrt bestehen aber auch bei diesen Intellektuellen gewisse Interessen gegenüber der Partei. Ein konstitutiver Gesichtspunkt ergibt sich aus der strategischen Orientierung, soll doch eine „Kulturrevolution von rechts“ von der Neuen Rechten vorangetrieben werden. Diesem Ansatz geht es darum, einen politischen Umsturz geistig zu prägen. Einschlägige Auffassungen von „ethnisch-kultureller Identität“ und gegen den politischen Liberalismus sollen einen hegemonialen Status erlangen. Danach bedarf es lediglich eines politischen Aktes, um das angestrebte Ziel zu erreichen. Indessen besteht hier wohl kein Automatismus, wie auch der Neuen Rechten bewusst ist. Es bedarf eines politischen Akteurs, der eben den erhofften Prozess vollzieht. Dies kann in einer mit gesellschaftlicher Akzeptanz verbundenen parlamentarischen Demokratie verständlicherweise nur eine entsprechende Partei mit hoher Wählerzustimmung sein. Ihr soll die ideologische Ausrichtung von der Neuen Rechten ebenso wie die strategische Orientierung vorgegeben werden.
Dieses Ansinnen erklärt bezogen auf die Handlungen auch, warum die deutsche Neue Rechte um entsprechende Verbindungen bemüht ist. Dabei ist sie anders als das französische Original von größerem Realismus geprägt, hielt dieses doch eine solche Entwicklung eher für einen Selbstläufer. Demgegenüber sollte die AfD entsprechend der Neuen Rechten bereits früh eine besondere Positionierung einnehmen. Dieses politische Ansinnen erklärt auch, warum der gemäßigte Flügel unbedingt geschwächt werden sollte. Auch eine Anpassung an die öffentliche Meinung galt als unerwünscht, würde diese taktische „Selbstverharmlosung“ doch zu einer tatsächlichen Selbstverharmlosung führen. Stattdessen ist man an der Ausrichtung auf eine „Fundamentalopposition“ orientiert, um sich nicht mit dem verachteten System in seiner behaupteten Untergangsphase gemein zu machen. Diese Grundausrichtung erklärt auch die Kooperation, die zwischen Höcke und Kubitschek eben nicht nur als Personen besteht. Sie ist Ausdruck der Strategie zugunsten einer Umwälzung.
Es gibt darüber hinaus bezogen auf die AfD eher profane Interessen aus der Neuen Rechten: Dazu muss zunächst noch einmal auf die ökonomische Dimension des IfS geblickt werden, tragen sich doch die vielfältigen Aktivitäten bezogen auf Buchverkäufe oder Kongressteilnahmen nicht von allein. Offenkundig muss es Geldgeber im Hintergrund geben. Gleichwohl ermöglichen deren finanzielle Mittel es nicht, die IfS-Mitarbeiter angemessen zu entlohnen. Demgegenüber kann die AfD attraktive Arbeitsplätze anbieten, etwa die von Mitarbeitern in den Parlamenten. So kommt es zwischen beiden Akteuren, der Partei und dem intellektuellen Umfeld, auch zu einem Konkurrenzverhältnis um Personal. Derartige Entwicklungen hatten bereits in den 1980er-Jahren die französische Neue Rechte geschwächt, wandten sich doch seinerzeit einige ihrer führenden Akteure dem Front National als damals erfolgreich startender Partei zu. Insofern bestand und besteht hier auch in der Gegenwart ein Spannungsverhältnis.
VIII. Schlusswort und Zusammenfassung
Es ergibt sich aus den objektiven Ambivalenzen, die zwischen einer Intellektuellengruppe und einer Partei im jeweiligen Selbstverständnis bestehen. Die Erstgenannten können fern von der politischen Realität in ihren Publikationen ihre Vorstellungen entwickeln, wobei es gerade aus dieser besonderen Blickrichtung leicht fällt, radikale Forderungen zu formulieren. Man kann sich auch in vagen Auffassungen ergehen, wird doch nicht nach der konkreten Umsetzung gefragt. Und daher steht das Gedankengut der Neuen Rechten für ein von Unverbindlichkeit durchzogenes Weltbild. „Erfahrung“ oder „Ethnie“ erweisen sich als ähnliche Leerformeln wie „Nation“ oder „Tradition“. Gleichwohl soll damit ein grundlegender Bruch mit dem politischen Liberalismus eingefordert und legitimiert werden. Diese Ausrichtung mag ein einschlägiges Milieu begeistern, hilft aber schwerlich bei der Parlamentsarbeit einer entsprechenden Partei. Insofern leben die Intellektuellen und die Mandatsträger in einem durchaus spannungsreichen Verhältnis in unterschiedlichen Welten.
Denn die AfD hat im Gegensatz zu den Intellektuellen ein anderes Publikum, ist es doch nicht nur die eigene Gesinnungsgemeinschaft, sondern die allgemeine Öffentlichkeit. Dort könnten die Akteure bezüglich einer Konkretisierung ihrer Positionen herausgefordert werden, auch wenn dies durch Journalisten mangels einer inhaltlichen Vorbereitung häufig nicht geschieht. Darüber hinaus entstehen in einer bürokratischen Einrichtung wie einem Parlament bestimmte Sachzwänge. Sie erlauben es gerade Absolutheitsansprüchen nicht, konkrete Praxis zu werden. Derartige Erfahrungen führen gelegentlich zu einer gar nicht gewollten Mäßigung, die wiederum als Anpassung oder gar Verrat erscheint. Eine solche Dynamik wird noch befördert, sofern parlamentskonforme Politik gemacht werden soll. Dies führt in der Gesamtschau zu dem erwähnten Spannungsverhältnis, das indessen nicht einen Bruch zwischen den beiden Spektren bedeuten muss. Dieser Kontext von rechtsextremistischer Partei und intellektuellem Umfeld sollte indessen wahrgenommen werden.
Angesichts der gemeinsamen Absichten zugunsten eines politischen Bruchs dürfte sich die Kooperation weiter fortsetzen, bestehen doch bei den Akteuren gegenseitige Interessen aneinander in einem grundlegenden wie längerfristigen Sinne. Die Intellektuellen bilden gegenüber der Partei hier ein Umfeld. Es handelt sich dabei aber nicht um den einzigen Akteur in einem solchen Kontext, lassen sich dem doch auch Aktivistengruppen, Bewegungen, Internetseiten, Jugendgruppen, Kulturorganisationen oder Verlage zuordnen. In Anlehnung an einen linken Gewerkschaftler, der von einer „Mosaik-Linken“ sprach, ist dort von einer „Mosaik-Rechten“ die Rede. Die ganze Breite des politischen Engagements zeichnet sich in der Metapher ab, womit auch die begrenzte Bedeutung einer Partei in einem solchen Spektrum veranschaulicht werden kann. Die Intellektuellen der Neuen Rechten bilden dabei nur ein Teilsegment. Es sollte als Akteur in einem politischen Entwicklungskontext stärker mittels der Extremismusforschung und Ideologiekritik wahrgenommen werden.
ARMIN PFAHL-TRAUGHBER
ist Politikwissenschaftler und Soziologe und hauptamtlich als Lehrender an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in Brühl (Deutschland) tätig. Er gibt ebendort das Jahrbuch für Extremismus- und Terrorismusforschung heraus. Letzte Buchveröffentlichung zum Thema: Intellektuelle Rechtsextremisten. Das Gefahrenpotential der Neuen Rechten, Bonn 2022: J. H. W. Dietz-Verlag.
[1] Alle maskulinen Funktions- und Personenbezeichnungen meinen Menschen unterschiedlichster geschlechtlicher Identität in gleicher Weise.