Editorial ZUKUNFT 08/2025: Frauen und Gewerkschaft VON VIKTORIA KRIEHEBAUER, MARLIES ETTL UND ALESSANDRO BARBERI

Nachdem die Redaktion der ZUKUNFT mit der letzten Ausgabe 07/2025 und dem Schwerpunktthema Gleichstellung braucht Zukunft nachdrücklich auf Gleichheitsfragen im Bereich der Frauenpolitik einging, bleiben wir auch mit unserer Ausgabe 08/2025 unserer feministischen Agenda treu. In diesem Heft haben wir Frauen und Gewerkschaft als Thema gewählt. Denn in einigen europäischen Ländern ist der Wandel unübersehbar: Frauen stehen an der Spitze mächtiger Gewerkschaften und prägen die Arbeitswelt mit neuer Perspektive. In Frankreich etwa ist mit Sophie Binet erstmals eine Frau zur Generalsekretärin der traditionsreichen Gewerkschaft CGT gewählt worden. Auch in Deutschland ist Bewegung erkennbar: Mit Yasmin Fahimi an der Spitze des DGB oder Christiane Benner bei der IG Metall rücken Frauen in zentrale Führungspositionen vor.

Doch in anderen Ländern, wie etwa Österreich, bleibt dieser Aufstieg bislang die Ausnahme. Woran liegt das? Warum gelingt es in manchen Ländern, Frauen in höchste gewerkschaftliche Funktionen zu bringen, während in anderen Strukturen bestehen, die sie daran hindern? Die ZUKUNFT geht in Kooperation mit Terre des Femmes Österreich (TDFÖ) diesen Fragen nach: Welche Förderprogramme gibt es, um Frauen an der Basis für gewerkschaftliche Funktionen zu interessieren? Verändert sich etwas, wenn Frauen Gewerkschaften führen? Werden andere Frauen dadurch besser motiviert, ebenfalls Führungsrollen zu übernehmen? Wird die Konferenzkultur frauen- und familienfreundlicher gestaltet, sodass auch Mütter aktiv teilnehmen können? Und vor allem: Werden dadurch bestehende Barrieren abgebaut, die Frauen bislang den Zugang zur politischen und gewerkschaftlichen Arbeit erschwert haben?

Im Gespräch mit Barbara Teiber, Vorsitzende der GPA – einer der größten Einzelgewerkschaften Europas – diskutieren Marlies Ettl und Viktoria Kriehebauer von Terre des Femmes Österreichzentrale Fragen rund um die Rolle von Frauen in der Gewerkschaftsbewegung. Im Fokus stehen strukturelle Barrieren in Politik und Arbeitswelt ebenso wie neue Strategien für Gleichstellung, Sicherheit und sozialen Fortschritt. Was dieses Interview besonders macht, ist die konsequente Verbindung von betrieblicher Realität mit gesellschaftspolitischem Engagement. Die Gesprächspartnerinnen zeigen auf, wie eng die Themen von Terre des Femmes und der GPA miteinander verwoben sind – insbesondere bei der Gewaltprävention und in der gemeinsamen Forderung nach ökonomischer Unabhängigkeit als Grundlage für ein gewaltfreies Leben. In diesem Kontext wird auch deutlich, dass die Gewerkschaft die Lohnnebenkosten-Debatte verstärkt führen sollte. Denn in den Medien ist die Senkung der Lohnnebenkosten die vorherrschende konservative Forderung geworden. Die Sozialdemokratie trommelt das Thema indes viel zu wenig und kommt damit auch nicht in den Medien vor.

„Frauen dürfen nicht auf Netzwerke warten – sie müssen gefragt werden.“ Im Gespräch mit der ZUKUNFT spricht Evelyn Regner, EU-Abgeordnete und langjährige Kämpferin für Frauenrechte, über die gläserne Decke, politische Verantwortung in den Gewerkschaften und die Kraft von klaren gesetzlichen Regelungen – von Lohntransparenz bis zu Frauenquoten. Sie erklärt, warum Gleichstellung nicht verhandelbar ist, wie europäische Sozialpolitik Frauen stärkt – und warum Schweigen keine Option mehr ist. Dabei hält sie auch Gefahren für Frauenrechte fest: Es gibt die erschreckende Entwicklung der sogenannten „Trad Wives“ (Traditional Wives, engl. für traditionelle Hausfrauen), also die Vorstellung, dass der Platz der Frauen am besten zu Hause sei. Konservative und rechte Kräfte beschwören dabei eine romantische Vorstellung der „alten Zeit“ herauf, die indes eine erfundene Vergangenheit darstellt, denn in Wahrheit waren Frauen wirtschaftlich durchwegs von ihrem Partner abhängig.

Seit 2022 steht mit Yasmin Fahimi erstmals eine Frau an der Spitze des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) – ein längst überfälliger, historischer Schritt. Heute ist sie eine der wichtigsten Stimmen für die Interessen der Arbeitnehmer*innen in Deutschland und Europa. Fahimi warnt eindringlich vor einer drohenden De-Industrialisierung, fordert massive Investitionen in den Wirtschaftsstandort und setzt sich konsequent für die Stärkung von Frauenrechten im Berufsleben ein. Im Interview mit EMMA-Redakteurin Chantal Louis – das die ZUKUNFT mit freundlicher Genehmigung wiederveröffentlichen kann – spricht Fahimi über ihren Weg von der Chemie zur Gewerkschaft, über Gewalt gegen Frauen als Hindernis für berufliche Selbstbestimmung und über die Notwendigkeit, Frauen in der Gewerkschaftsarbeit endlich stärker in den Mittelpunkt zu rücken. Damit liegt uns ein präzises Portrait einer entschlossenen Gewerkschafterin vor, die an der Spitze eines Bündnisses im Wandel steht.

Im Gespräch mit der ZUKUNFT zieht dann Leni Breymaier, langjährige Gewerkschafterin und SPD-Bundestagsabgeordnete (2017–2025), Bilanz: Sie spricht über strukturelle Barrieren für Frauen in Politik und Gewerkschaften, über notwendige Veränderungen einer männlich geprägten politischen Kultur – und über Prostitution als System von Gewalt und Ausbeutung. Breymaier bezieht klar Stellung: gegen die Legitimierung von Prostitution als Arbeit und für ein Sexkaufverbot nach dem Nordischen Modell. Gewerkschaftliche Prinzipien wie Solidarität und Schutz vor Ausbeutung seien hier nicht anwendbar, sagt sie – zu stark sei die (neoliberale) Vereinzelung, zu groß die Macht der Profiteure. Ihr Appell: Die gesellschaftliche Realität anerkennen, statt sich von wohlklingenden Narrativen einlullen zu lassen. Frauenpolitik, so Breymaier, muss konsequent sein – auch wenn sie aneckt. Und dies hat direkte Auswirkungen auf Fragen der Demokratie-, Gleichstellungs- oder auch Rüstungspolitik.

Wer über die Zukunft der Gewerkschaftsbewegung nachdenkt, kommt an der Frage der Geschlechtergerechtigkeit nicht vorbei. Alexandra Weiss zeigt in ihrem Beitrag Frauen in Gewerkschaften: Hürden und Herausforderungen eindrucksvoll, wie tief der Ausschluss von Frauen und ihren Interessen in der Geschichte und Struktur gewerkschaftlicher Organisationen verankert ist – und dass feministische Perspektiven nicht nur Korrektiv, sondern Treiber einer emanzipatorischen Erneuerung sein können. Ihr Beitrag erinnert daran, dass gerechte Arbeit nicht ohne gerechte Verteilung von Care-Arbeit gedacht werden kann – und dass eine Gewerkschaft, die auf die prekären Lebensrealitäten vieler Frauen nicht antwortet, die Spaltung der Arbeitswelt mitproduziert, statt sie zu überwinden. Traditionelle gewerkschaftliche Politik kann diese Problematik nicht einfangen, sie muss dafür die engen Grenzen der Interessenpolitik verlassen und sich „in alles“ einmischen, wie es die Tradition feministischer Politik ist.

Sophie Binet hat als erste Frau an der Spitze der renommierten Confédération générale du travail(CGT) eine tiefgreifende Erneuerung eingeleitet: politisch klar, kämpferisch und kompromisslos solidarisch. Im Interview mit der ZUKUNFT spricht sie über ihren Weg vom Schüler*innenprotest zur Gewerkschaftsführung und über ihr Ziel, die zersplitterte französische Gewerkschaftslandschaft zu einen. Dabei verliert sie nie den Blick für die Gleichstellung der Geschlechter: Ihr feministisch geprägter Kurs verbindet sozialen Wandel mit innergewerkschaftlicher Erneuerung. Im Interview mit MARGIT EISL, das im Februar 2025 geführt wurde, rekapituliert Binet ihren Werdegang und erläutert die derzeitige Lage der gewerkschaftlichen Frauenpolitik in Frankreich. Auf jeden Fall war die Wahl einer Frau an die Spitze der CGT auch aus österreichischer Perspektive eine wichtige Botschaft, die sich an die gesamte internationale Arbeitswelt richtet. Sie steht damit auch für die Inkarnation der Idee, dass wir im feministischen Kampf nicht nachgeben werden.

Insgesamt kann zum Ende hin auch Wolfgang Markytan betonen, dass Frauen zentrale Trägerinnen der Arbeitswelt sind, es aber vielerorts in demokratischer Perspektive an gerechter Repräsentation fehlt. Der Beitrag beleuchtet historische Errungenschaften, gegenwärtige Herausforderungen und notwendige strukturelle Veränderungen, um gewerkschaftliche Gleichstellung zu stärken. Aus persönlicher Perspektive eines Betriebsrats wird so deutlich aufgezeigt, warum Frauenvertretung kein „Nice-to-have“, sondern eine demokratiepolitische Notwendigkeit ist – und was es braucht, damit Gewerkschaften zu feministischen Akteurinnen werden können. Es ist also Zeit, das gewerkschaftliche Selbstverständnis neu zu definieren: als Ort der Gleichstellung, der Mitgestaltung und der gelebten Solidarität. Die ZUKUNFT der Arbeit ist nur dann sozial, wenn sie auch geschlechtergerecht ist.

Durchaus in diesem Sinne hat der Verein „Demokratie – Kultur – Dialog“ im Frühling 2025 die Vortragsreihe „Nur Utopien sind realistisch“ mit den Themen „Lebenswerte Städte für alle. Nachhaltige Lösungen für Wohnen, Bildung & Gesundheit“ und „Das Ende des Unsozialen: Eine Sozial-Utopie!? Wie der Sozialstaat hilft, die Rezession zu überwinden“ begonnen und setzt im kommenden Herbst mit Fragen zur Mobilitätswende nach. Alexandra Weiss stellt diese Bogengespräche vor und betont u. a., wie Betriebsdemokratie und Strategien zur Zähmung eines finanzmarktgetriebenen Kapitalismus angesichts der derzeitigen weltweiten Lage mehr als nötig sind.

Last but not least bringen wir ein Positionspapier von Terre des Femmes Österreich (TDFÖ) zum Verbot des „Kinderkopftuchs“ in öffentlichen Bildungseinrichtungen für minderjährige Schülerinnen. Denn die öffentliche Schule muss ein Bildungs- und Erfahrungsraum sein, wo alle Kinder und Jugendlichen gleichberechtigt lernen können – frei von demonstrativen Religionsbekundungen und vormodernen, patriarchal geprägten Sittsamkeitsvorstellungen, die letztlich auf kulturelle und geschlechterbezogene Segregation hinauslaufen. Die Tradition der Verschleierung von Mädchen bereits in jungen Jahren widerspricht aber den Kinderrechten und damit auch dem in der österreichischen Verfassung klar verankerten Gleichheitsgrundsatz zwischen Frauen und Männern.

Des Weiteren danken die Herausgeber*innen dem ÖGB-Archiv für eine mehr als passende Bildstrecke, die das Thema Frauen und Gewerkschaft mehrfach bebildert. So sehen wir eine Arbeiterin mit Bunsenbrenner, eine Kellnerin mit Schnitzeltablett, eine Taxifahrerin und Frauen im Krankenhaus, vor dem Computer bzw. an Maschinen … Woman power at work!

Zusammenfassend wollen wir betonen, dass eine schlagkräftige Gewerkschaftspolitik immer auch Frauenpolitik sein muss. In diesem Sinne ist auch die SPÖ geschlechterübergreifend aufgerufen, sich ihrer besten feministischen Traditionen zu besinnen.

Es senden herzliche und freundschaftliche Grüße

Viktoria Kriehebauer, Marlies Ettl und Alessandro Barberi

VIKTORIA KRIEHEBAUER

hat 1982 die Hertha Firnberg Schulen für Wirtschaft und Tourismus (HFS) gegründet. Sie engagiert sich derzeit als Vorstandsmitglied der Frauen-NGO Terre des Femmes Österreich (www.terredesfemmes.at), um alle Formen der Gewalt an Frauen zu bekämpfen. Sie ist Trägerin des Käthe-Leichter-Preises und der Otto-Glöckel-Medaille.

MARLIES ETTL

war langjährige Schulleiterin der Hertha Firnberg Schulen (HFS). Seit vielen Jahren engagiert sie sich auf verschiedenen Ebenen der Frauenpolitik und ist eine profiliert auftretende Feministin. Sie ist Mitgründerin sowie stellvertretende Vorsitzende der NGO Terre des Femmes Österreich. Sie wurde mit dem Wiener Frauenpreis, dem Grete-Rehor- und dem Anton-Benya-Preis ausgezeichnet. Weitere Informationen finden Sie unter: www.terredesfemmes.at & www.firnbergschulen.at.

ALESSANDRO BARBERI

ist Chefredakteur der ZEITSCHRIFT FÜR HOCHSCHULENTWICKLUNG (www.zfhe.at) sowie der Diskussionszeitschrift ZUKUNFT (www.diezukunft.at) und des Fachjournals MEDIENIMPULSE (www.medienimpulse.at). Er ist Zeithistoriker, Bildungswissenschaftler, Medienpädagoge und Privatdozent. Er lebt und arbeitet in Magdeburg und Wien. Politisch ist er im Umfeld der SPÖ Bildung und der Sektion 32 (Wildganshof/Landstraße) aktiv. Weitere Infos und Texte online unter: https://medienbildung.univie.ac.at/.