Die Digitalisierung verändert unsere Arbeitswelt rasant. WOLFGANG KATZIAN und SEBASTIAN KLOCKER zeigen, wie technologischer Fortschritt genutzt werden kann, um bessere Arbeitsbedingungen zu schaffen – statt Kontrolle, Stress und Arbeitsplatzverlust zu fördern. Digitaler Humanismus bedeutet, dass Technik den Menschen dient, nicht umgekehrt. Es geht dabei immer auch um Mitbestimmung, soziale Sicherheit und faire Arbeitsbedingungen.
I. Einleitung
Unsere Welt ist durchdrungen von digitaler Technik. Sie beeinflusst, wie wir kommunizieren, lernen, reisen und sogar Kunst und Kultur erleben. Im Zentrum dieser technologischen Revolution steht die Arbeitswelt. Technologischer Fortschritt hat die Arbeitswelt schon immer stark beeinflusst. Der rasante Fortschritt durch die Digitalisierung und die Entwicklung der Produktivkräfte birgt enorme Potenziale, aber auch Risiken.
Im Zentrum des Digitalen Humanismus steht die Idee, dass Technik zum Wohle des Menschen eingesetzt werden soll. Der Mensch soll nicht zum Sklaven der Maschine werden, sondern die Maschine soll ein Werkzeug für den Menschen sein, das seine Fähigkeiten erweitert und ihn bei seinen Aufgaben unterstützt. Digitale Technologien müssen daher so gestaltet und eingesetzt werden, dass der Mensch im Mittelpunkt steht und seine Interessen, Rechte und Freiheiten respektiert werden.
Im Kontext der Arbeitswelt bedeutet Digitaler Humanismus, Technologie so zu nutzen und zu gestalten, dass sie die Arbeitsbedingungen verbessert, die Arbeit sicherer macht und letztlich die Lebensqualität der Arbeitnehmer*innen erhöht. Digitaler Humanismus in der Arbeitswelt zielt darauf ab, gute Arbeit zu schaffen. Gute Arbeit ist Arbeit, die den Mitarbeiter*innen Mitbestimmung, gerechte Bezahlung, nachhaltigen Arbeits- und Gesundheitsschutz, soziale Sicherheit und ein diskriminierungsfreies Umfeld bietet. Digitaler Humanismus hilft uns, das Wesentliche – den Menschen – nicht aus den Augen zu verlieren.
Es geht darum, Arbeitsprozesse so zu gestalten, dass sie den Menschen stärken und seine menschlichen Qualitäten zur Geltung bringen, statt ihn zu entmenschlichen. Diese Sichtweise gewinnt gerade in Zeiten zunehmender Automatisierung und dem Aufkommen Künstlicher Intelligenz an Bedeutung. Der technologische Fortschritt führt dazu, dass Maschinen immer mehr menschliche Aufgaben übernehmen, wodurch sich die Rolle des Menschen in der Arbeitswelt verändert.
In dieser sich schnell verändernden digitalen Landschaft ist es wichtiger denn je, die menschlichen Aspekte unserer Arbeit zu erhalten und zu stärken. Wir müssen sicherstellen, dass wir auf dem Weg in eine zunehmend digitalisierte Arbeitswelt den Menschen im Zentrum unserer Politik verorten. Die betriebliche Mitbestimmung durch Betriebsräte, Personalvertreter*innen und Belegschaften ist dabei der wichtigste Aspekt. Die Gestaltung der digitalen Transformation muss immer die Beschäftigten als Subjekte in den Mittelpunkt stellen und sie von Anfang an in den Transformationsprozess einbeziehen. Nur so können die Potenziale der Digitalisierung zum Wohle aller ausgeschöpft werden.
II. Risiken der Digitalisierung ernst nehmen
Obwohl die digitale Transformation das Potenzial birgt, das Wohlbefinden und die Produktivität der Arbeitnehmer*innen zu steigern, können wir nicht ignorieren, dass die Digitalisierung auch erhebliche Risiken und Herausforderungen mit sich bringt. Eines der drängendsten Probleme ist der potenzielle Verlust von Arbeitsplätzen durch Automatisierung. Viele Aufgaben in allen Branchen können zunehmend von Maschinen übernommen werden. Das disruptive Potenzial, das sich aus der rasanten Entwicklung der Künstlichen Intelligenz ergibt, wird massive Auswirkungen auf die Zahl der Beschäftigten haben.
Ein weiteres ernst zu nehmendes Risiko der Digitalisierung ist die zunehmende Kontrolle und Überwachung am Arbeitsplatz. Viele unserer digitalen Werkzeuge bieten erhebliches Potenzial, die/den gläsernen Arbeitnehmer*in zu schaffen, deren/dessen Aktivitäten bis ins letzte Detail aufgezeichnet und protokolliert werden. Die rasante Entwicklung der Informationstechnologie hält immer mehr Einzug in den betrieblichen Alltag. Die eingesetzten Systeme sind oft komplex und intransparent, der Ausbau und die Weiterentwicklung schreiten rasch voran. Der Einsatz von Systemen, die die Menschenwürde berühren, ist in Österreich zustimmungspflichtig. In Betrieben mit Betriebsrat ist darüber eine Betriebsvereinbarung abzuschließen. In Betrieben ohne Betriebsrat ist die Zustimmung der einzelnen Arbeitnehmer*innen einzuholen. Dies ist eine in der Praxis lang bewährte Methode, um den Interessensausgleich zwischen Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innen zu gewährleisten.
Der Schutz der Privatsphäre am Arbeitsplatz muss ein zentrales Anliegen sein. KI-gestützte Überwachung erhöht den Stress für Arbeitnehmer*innen und stellt eine Gefahr für Grund- und Freiheitsrechte dar. Die Durchsetzung der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) muss hier stärker fokussiert und die Rechte der Arbeitnehmer*innen gestärkt werden. Um diesem Umstand Rechnung zu tragen, braucht es eine europäische Richtlinie für den Einsatz von KI-Systemen am Arbeitsplatz, die sicherstellt, dass Transparenz, menschliche Kontrolle und Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer*innen gewahrt bleiben.
Digitalisierung führt auch zu Arbeitsverdichtung. Die ständige Erreichbarkeit kann dazu führen, dass Freizeit und Arbeit verschwimmen und das Gefühl entsteht, ständig erreichbar sein zu müssen – abschalten ist damit kaum noch möglich und die Ruhe- und Erholungsphasen sind nicht mehr gewährleistet. Durch die Digitalisierung von Arbeitsprozessen steigt auch die Arbeitsdichte, d. h. es wird mehr in der gleichen Zeit produziert. Damit steigt auch das Stresspotenzial und damit die gesundheitliche Belastung.
Ein weiterer Aspekt, den wir nicht aus dem Blick verlieren dürfen, ist der erhöhte Bedarf an Fachkräften und die Gefahr einer Marginalisierung von Arbeitnehmer*innen, die nicht über die notwendigen digitalen Kompetenzen verfügen. Hier besteht die Gefahr einer wachsenden „Digitalen Kluft“, in der einige wenige weiterhin von der technologischen Entwicklung profitieren, während andere immer weiter zurückfallen.
Nicht zuletzt müssen wir den globalen Kontext berücksichtigen: Ein Großteil der Datenverarbeitung, die dem Training von KI-Modellen zugrunde liegt, findet unter schlechten Arbeitsbedingungen im globalen Süden statt. Zudem hat KI erhebliche Auswirkungen auf unsere Umwelt und steht oft etwa wegen des hohen Energieaufwandes im Widerspruch zu den Klimazielen der EU. Wir brauchen Transparenz über den ökologischen Fußabdruck von KI und regulatorische Maßnahmen, um diese Belastungen zu reduzieren.
All diese Risiken erfordern erhöhte Wachsamkeit und eine umsichtige, proaktive Politikgestaltung. Wir müssen sicherstellen, dass die Digitalisierung der Arbeitswelt nicht zu Lasten der Arbeitnehmer*innen geht. Ein humanistischer Ansatz zur Digitalisierung kann uns helfen, diese Herausforderungen zu bewältigen und sicherzustellen, dass die Vorteile der Digitalisierung allen zugänglich sind.
III. Chancen der Digitalisierung nutzen
Es geht also nicht nur darum, die Risiken zu minimieren, sondern auch darum, die Chancen der Digitalisierung zu erkennen und zu nutzen. Die Digitalisierung bietet die Möglichkeit, die Arbeitsbedingungen durch flexible Arbeitszeiten und Telearbeit zu verbessern. Die Corona-Pandemie hat zu einer massiven Beschleunigung digitaler Technologien geführt. Videokonferenzsysteme, gemeinsame Dokumentenbearbeitung und Projektmanagement-Tools ermöglichen es vielen Beschäftigten, unabhängig von Ort und Zeit zu arbeiten.
Dies erhöht potenziell die Autonomie der Arbeitnehmer*innen. Es bietet ihnen die Möglichkeit, ihre Arbeit an ihre persönlichen Bedürfnisse und Lebensumstände anzupassen. Dies kann in vielen Fällen zu einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben und so zu weniger Stress führen. Gerade Pendler*innen haben hierbei enorm von der Einsparung von Wegzeiten profitiert.
Darüber hinaus haben digitale Technologien das Potenzial, die physischen und psychischen Belastungen der Arbeitnehmer*innen zu verringern. Dies kann durch die Automatisierung gefährlicher oder repetitiver Tätigkeiten erreicht werden. Dabei soll die Maschine den Menschen nicht ersetzen, sondern eine Unterstützung sein, die Tätigkeiten sicherer und befriedigender macht.
IV. Digitale Souveränität als Grundvoraussetzung für Digitalen Humanismus
Eine Grundvoraussetzung des Digitalen Humanismus ist die Fähigkeit von Individuen, Unternehmen und Staaten, digitale Technologien selbstbestimmt und unabhängig zu nutzen, zu gestalten und zu kontrollieren. Ohne digitale Souveränität droht die Abhängigkeit von monopolistischen Technologiekonzernen oder autoritären Strukturen, die digitale Infrastrukturen dominieren und damit den Zugang zu Wissen, Innovation und wirtschaftlicher Teilhabe einschränken. Digitale Souveränität erfordert transparente und demokratisch kontrollierte Technologien, faire Zugangsbedingungen und die Förderung offener und sicherer digitaler Infrastrukturen. Dazu gehört auch die Schaffung europäischer Alternativen zu marktbeherrschenden Plattformen und Softwaremonopolen. Nur wenn Menschen und Gesellschaften die Kontrolle über ihre digitalen Werkzeuge behalten, kann die Digitalisierung im Sinne des Humanismus gestaltet werden – zum Wohle aller und nicht nur einiger weniger globaler Akteure.
V. Die Rolle der Gewerkschaften
Der Digitale Humanismus bietet uns in der Gewerkschaftsbewegung einen guten Rahmen, um diese Veränderungen so zu gestalten, dass sie den Interessen und Bedürfnissen der Menschen dienen. Die Digitalisierung ist kein Selbstzweck, sondern ein Instrument zur Erweiterung menschlicher Fähigkeiten, zur Förderung menschlicher Werte und zur Verbesserung des menschlichen Wohlergehens. Als Gewerkschaften spielen wir in diesem Prozess eine entscheidende Rolle und werden konstruktiv dazu beitragen, die Vorteile der Digitalisierung zu maximieren und ihre Risiken zu minimieren. Wir stellen sicher, dass die Stimme der Arbeitnehmer*innen in Debatten und Entscheidungsprozessen gehört wird – sei es auf betrieblicher, nationaler oder europäischer Ebene. Wir bringen unsere Expertise sowohl im Großen, in der Politik, als auch im Kleinen, im Betrieb, ein.
Die digitale Transformation ist kein Naturgesetz – sie ist gestaltbar. Am Ende geht es um eine Grundsatzentscheidung: Lassen wir zu, dass die Digitalisierung eine treibende Kraft für Überwachung, Arbeitsplatzverlust und soziale Spaltung wird? Oder nutzen wir ihre Möglichkeiten, um eine ZUKUNFT zu gestalten, in der der Mensch im Mittelpunkt steht?
Der Digitale Humanismus gibt uns dabei die notwendige Orientierung: Technik muss dem Menschen dienen, nicht umgekehrt. Technik, die den Menschen stärkt, seine Rechte schützt und seine Würde wahrt, ist der einzige Weg in eine digitale ZUKUNFT, die wir verantworten können.

Wolfgang Katzian © Christina Schön
WOLFGANG KATZIAN
geboren 1956 in Stockerau, ist Präsident des Österreichischen Gewerkschaftsbundes sowie des Europäischen Gewerkschaftsbundes. Nach seiner Lehre in einer Bank begann er seine gewerkschaftliche Karriere als Jugendsekretär in der Gewerkschaft GPA. Nach zahlreichen weiteren Funktionen innerhalb der Gewerkschaft wurde er 2005 zum Vorsitzenden der GPA gewählt. Parallel zu seiner gewerkschaftlichen Arbeit war Wolfgang Katzian über zehn Jahre lang Abgeordneter zum Nationalrat, wo seine Schwerpunkte in den Bereichen Arbeit und Soziales, Wirtschaft, Industrie, Digitalisierung und Energie lagen. Katzian ist eine treibende Kraft bei der Integration digitaler Agenden und Themen der Künstlichen Intelligenz in die Gewerkschaftsbewegung und setzt sich dafür auf nationaler sowie europäischer Ebene ein.

Sebastian Klocker© ÖGB_Julia Berndl
SEBASTIAN KLOCKER
geboren 1984 in Lienz, ist Fachreferent der Stabstelle Digitalisierung und Technik im ÖGB. Er war von 2010 bis 2017 als parlamentarischer Mitarbeiter und Referent für Netzpolitik tätig. Ab 2017 arbeitete er in der Datenschutzberatung mit Schwerpunkt Datensicherheit und technischem Datenschutz. Seit 2022 ist er in der Abteilung Arbeit und Technik der Gewerkschaft GPA beschäftigt und baute seit 2023 das Kompetenzzentrum Arbeit und Technik des ÖGB mit auf. Im Grundlagenbereich beschäftigt er sich mit den Themen Digitalisierung, Automatisierung, Safety & Security und Künstliche Intelligenz sowie deren Auswirkungen auf die betriebliche Mitbestimmung und den Beschäftigtendatenschutz. Er hält Vorträge, Workshops und bietet Datenschutz- und Technikberatung für Gewerkschaften und Betriebsräte an.