Vertretung braucht Vielfalt – Ein Plädoyer für mehr Frauen im Betriebsrat VON WOLFGANG MARKYTAN

Vertretung braucht Vielfalt – Ein Plädoyer für mehr Frauen im Betriebsrat VON WOLFGANG MARKYTAN

WOLFGANG MARKYTAN analysiert in seinem Beitrag die Rolle von Frauen in der Gewerkschaftsbewegung – historisch, gegenwärtig und zukunftsorientiert. Er verbindet persönliche Erfahrungen als Betriebsrat mit einem klaren Plädoyer für mehr Gleichstellung, strukturellen Wandel und eine gelebte Solidarität am Arbeitsplatz.

Frauen leisten tagtäglich Enormes – am Arbeitsplatz, zu Hause, in der Gesellschaft. Dennoch stoßen sie noch immer auf strukturelle Benachteiligungen, gerade in der Arbeitswelt. Diese Ungleichheit spiegelt sich auch in der gewerkschaftlichen Vertretung wider. Obwohl Frauen ein wesentlicher Teil der Arbeiter:innenschaft sind, fehlen sie oft dort, wo Entscheidungen getroffen werden. Der Zugang zu demokratischer Mitbestimmung ist noch immer nicht für alle gleichermaßen geöffnet. Eine gerechte Arbeitswelt braucht mehr weibliche Perspektiven. Gewerkschaften spielen dabei eine Schlüsselrolle. Doch damit sie ihrer Rolle gerecht werden können, muss es zu Veränderungen kommen – strukturell, kulturell und personell.

I. Historische Perspektive: Frauen und die Arbeiter*innenbewegung

Schon im frühen 20. Jahrhundert kämpften Frauen in der Arbeiter*innenbewegung für Gleichberechtigung – gegen viele Widerstände. Mutterschutz, Karenzregelungen, das Gleichbehandlungsgesetz oder das Verbot der Diskriminierung am Arbeitsplatz wurden hart erkämpft – oft durch gewerkschaftliche Mobilisierung. Doch Gleichstellung ist kein abgeschlossener Prozess, sondern eine Daueraufgabe. Die Geschichte der Frauen in der Gewerkschaft ist geprägt von Kämpfen, die sich auch heute noch spiegeln – in Debatten um Lohntransparenz, faire Arbeitsbedingungen oder angemessene Repräsentation.

II. Frauenarbeit heute: Realität und Mehrfachbelastung

Frauen sind in vielen Branchen überproportional vertreten – im Handel, im Pflegebereich, in der Elementarpädagogik. Gerade diese Berufe gelten als „systemrelevant“, sind aber oft unterbezahlt, belastend und prekär. Hinzu kommt: Viele Frauen stemmen zusätzlich unbezahlte Sorgearbeit – von Kinderbetreuung über Pflege bis zum Haushaltsmanagement. Diese Mehrfachbelastung führt auch schon gelegentlich dazu, dass ihnen die Zeit fehlt, sich gewerkschaftlich zu engagieren oder politische Funktionen zu übernehmen. Demokratische Beteiligung setzt Zeit und Ressourcen voraus – und diese fehlen vielen Frauen. Wer das ändern will, muss Sorgearbeit politisch und wirtschaftlich neu denken.

III. Frauen in der Gewerkschaft: Zwischen Präsenz und Unterrepräsentation

In Wien sind Frauen in der Arbeiter- und Arbeiter:innenschaft stark vertreten. Renate Anderl als Präsidentin der Arbeiterkammer Wien und Korinna Schumann als langjährige Vizepräsidentin des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB) und derzeitige Österreichische Bundesministerin für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz zeigen, dass Frauen Führungspositionen in der Arbeiter*innenbewegung einnehmen können und sollen. Auch Silvia Hruška-Frank, Direktorin der AK Wien, ist ein Beispiel für weibliche Kompetenz und Führung im gewerkschaftlichen Kontext. Diese Vorbilder sind wichtig – aber sie dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass auf betrieblicher Ebene die Realität oft anders aussieht.

Ich bin selbst Betriebsrat in meinem Betrieb. Viele Jahre war ich Teil eines engagierten Teams, in dem auch eine erfahrene Kollegin ihre Perspektiven eingebracht hat. Seit ihrem wohlverdienten Pensionsantritt bin ich als Betriebsrat wieder allein. Diese Alleinvertretung stellt mich vor große Herausforderungen – insbesondere im Hinblick auf frauenpolitische Agenden. Ich sehe täglich, wie sehr es an spezifischem Wissen fehlt, wenn Frauenanliegen nicht mehr direkt vertreten werden. Mir ist bewusst, dass ich als Mann nicht dieselbe Erfahrungsperspektive einbringen kann. Ich bemühe mich um Sensibilität und solidarisches Engagement, aber ich wünsche mir dringend eine weibliche Unterstützung im Betriebsrat. Denn viele Themen – von Teilzeitfallen über Mutterschutz bis zu Belangen von Alleinerzieherinnen – können glaubwürdiger und fundierter von Frauen selbst vertreten werden.

IV. Demokratische Beteiligung braucht alle – vor allem Frauen

Mitbestimmung lebt davon, dass möglichst viele mitgestalten. Wenn Frauen fehlen, fehlen auch ihre Anliegen – und damit Gerechtigkeit. Deshalb müssen Organisationen der demokratischen Mitbestimmung Strukturen schaffen, die weibliche Beteiligung erleichtern. Flexible Sitzungszeiten, Kinderbetreuung bei Veranstaltungen oder gezielte Ansprechpersonen sind nur einige Beispiele. Beteiligung darf nicht vom Lebensmodell oder der Familienkonstellation abhängen. Wer Demokratisierung ernst nimmt, muss Hürden abbauen – auch in der eigenen Organisation.

V. Bildung als Schlüssel: Gewerkschaftliche Frauenförderung in der Praxis

Bildung ist ein zentrales Werkzeug, um Frauen zu stärken. Die GPA-Frauenakademie der Gewerkschaft der Privatangestellten bietet fundierte gewerkschaftliche Bildung für Frauen an – mit Fokus auf Empowerment, Vernetzung und strategischer Arbeit. Ebenso wichtig ist der Frauen-Politische Lehrgang des Verbandes Österreichischer Gewerkschaftlicher Bildung (VÖGB), der feministische Politik im gewerkschaftlichen Kontext vermittelt. Die Wiener Betriebsrät:innen-Akademie unter der pädagogischen Leitung von Mag.a Pia Lichtblau legt großen Wert auf Diversität und Chancengleichheit.

In den gewerkschaftlichen Bildungseinrichtungen – insbesondere der Gewerkschaftsschule, der Betriebsräteakademie (BRAK) und der Sozialakademie (SOZAK) – wird eine Frauenquote von 50 % angestrebt. Diese Quote ist kein Selbstzweck, sondern ein Instrument, um eine gerechtere Zusammensetzung zu erreichen. Paritätische Beteiligung bedeutet, dass Frauen nicht nur mitgemeint, sondern sichtbar, hörbar und entscheidend mitgestalten.

VI. Quoten, Rechte, Realität: Wo wir stehen – und wohin wir müssen

In Österreich gibt es für Aufsichtsräte börsennotierter Unternehmen seit 2018 eine 30 %-Quote. Für staatsnahe Betriebe wurde 2025 eine 50 %-Quote beschlossen. Für Betriebsräte hingegen existiert keine verpflichtende Quote, wohl aber ein sogenannter Minderheitenschutz: Das jeweils unterrepräsentierte Geschlecht muss dem zahlenmäßigen Anteil entsprechend im Betriebsrat vertreten sein. Die Umsetzung ist jedoch oft schwierig – in der Praxis fehlt es an Kandidatinnen, an Strukturen, an Bewusstsein.

Laut einem Beitrag des A&W-Blogs ist Betriebsratsarbeit ohne Frauen weder zeitgemäß noch repräsentativ. Mehr Frauen im Betriebsrat zu haben, ist keine freiwillige Frage, sondern eine demokratiepolitische Notwendigkeit. Doch dafür braucht es klare Regeln, institutionelle Unterstützung und eine Kultur der Anerkennung. Es geht nicht nur um Gerechtigkeit, sondern um die Qualität der Vertretung.

Die AK Wien betont in ihrer Informationsplattform IFAM (Informationsplattform für Arbeitnehmer*innenvertretungen) klar: Mehr Frauen in Betriebsräte zu bringen, ist eine Verpflichtung, keine Option. Die bestehenden gesetzlichen Regelungen reichen nicht aus – es braucht gezielte Fördermaßnahmen, Coachings, Sichtbarkeit und Mentoringprogramme.

VII. Es braucht strukturelle Veränderungen – und Bewusstseinsarbeit

Gewerkschaften und Betriebsratskörperschaften stehen vor der Herausforderung, einer immer diverseren Arbeitswelt gerecht zu werden. Die klassische Arbeitsidentität ist heute komplexer: Migrantinnen, queere Frauen, ältere Arbeitnehmerinnen, Frauen mit Behinderung – ihre Stimmen müssen Platz bekommen. Intersektionale Perspektiven sind daher keine akademische Spielerei, sondern Voraussetzung für wirksame Interessenvertretung.

Ich selbst nehme wahr, wie schwer es ist, als einzelner Betriebsrat all diesen Anforderungen gerecht zu werden. Ich bemühe mich, zuzuhören, zu lernen, Netzwerke zu nutzen. Doch ohne weibliche Kolleginnen bleibt das eine unvollständige Repräsentation. Ich wünsche mir nicht nur persönlich Unterstützung – ich wünsche mir eine strukturelle Lösung: eine gerechte Aufteilung der Repräsentationsarbeit, bessere Rahmenbedingungen für weibliche Beteiligung und eine verbindliche Förderung von Frauen im Betriebsratswesen.

VIII. Eine gerechte Arbeitswelt ist weiblich – aber nicht von selbst

Frauen verändern die Arbeitswelt. Ihre Perspektiven machen Betriebe menschlicher, gerechter, zukunftsfähiger. Doch diese Veränderungen geschehen nicht von selbst. Sie müssen erkämpft werden – durch Bildung, Beteiligung, Solidarität und mutige strukturelle Reformen. Demokratische Mitbestimmungs-Organisationen haben das Potenzial, zu feministischen Akteurinnen zu werden – wenn sie Frauen nicht nur mitdenken, sondern aktiv fördern, hören und stärken. Demokratie am Arbeitsplatz beginnt beim Betriebsrat – und endet nicht bei der Frage, wer den Vorsitz führt. Es ist Zeit, das gewerkschaftliche Selbstverständnis neu zu definieren: als Ort der Gleichstellung, der Mitgestaltung und der gelebten Solidarität. Die Zukunft der Arbeit ist nur dann sozial, wenn sie auch geschlechtergerecht ist.

WOLFGANG MARKYTAN

ist Bundesbildungsgeschäftsführer der SPÖ und seit über zwei Jahrzehnten in der politischen Erwachsenenbildung aktiv. Nach einer Ausbildung zum Kellner und zehn Jahren im internationalen Tourismus studierte er ab 2001 Politikwissenschaft in Wien und übernahm ab 2003 leitende Funktionen in der Bildungsarbeit, insbesondere in der Wiener Bildungsakademie. Seit 2016 ist er Betriebsrat der Wiener Bildungsakademie.

Onlinequellen

Arbeiterkammer Wien: Mehr Frauen in die Betriebsräte: Eine Obliegenheit, online unter: https://wien.arbeiterkammer.at/service/betriebsrat/ifam/diversitaet_und_nachhaltigkeit/Mehr_Frauen_in_die_Betriebsraete-_Eine_Obliegenheit.html (letzter Zugriff: 01.07.2025).

Mendel, Marlies (2021): Wir, die Gewerkschaftsfrauen, online unter https://www.oegb.at/themen/geschichte/wir–die-gewerkschaftsfrauen (letzter Zugriff: 01.07.2025).

Schabl, Celine (2025): Frauen machen Zukunft – Mehr Frauen in die Arbeitnehmer:innenvertretung, online unter: https://www.voegb.at/lehrgaenge/frapol (letzter Zugriff: 01.07.2025).

Steiner, Sandra (2022): Betriebsratsarbeit braucht Frauen!, online unter: https://www.awblog.at/Arbeit/betriebsratsarbeit-braucht-frauen#:~:text=Eine%20Geschlechterquote%20wurde%20angestrebt%2C%20im,im%20Betriebsrat%20vertreten%20sein%20muss (letzter Zugriff: 01.07.2025).