In seinem Beitrag fragt SIMON MAIER nach den Spezifika des Technofeudalismus und schlägt vor, den Begriff der Klasse zu rehabilitieren, um eine Legitimation für die Daseinsberechtigung der Vorsilbe Techno- zu liefern. Dabei geht es darum, nicht nur die ökonomischen Entwicklungen, die mit den neuen Feudalismen verbunden sind, im Blick zu haben, sondern auch die politischen Entwicklungen mit all den verknüpften Akteur*innen und Ideologien stärker miteinzubeziehen.
I. Technofeudalismus quo vadis?
Die Wiederkehr des Feudalen tritt uns schon bei einem Blick in die Tages- und Wochenzeitungen entgegen.* Mitgeteilt in Form von Ideen und Ideologien wie z. B. der CEO-Monarchie von Curtis Yarvin und durch Personen wie Mark Zuckerberg, Peter Thiel, Elon Musk usw. Letzterer formulierte in seinem Gastbeitrag in der Welt am Sonntag (Dezember 2024) eine positive, geradezu unverrückbare Affinität gegenüber der AfD, die für ihn die einzige politische Kraft sei, um Deutschland zu retten. Im damaligen Wahlkampf wurden seine Aussagen als Affront gegenüber der Demokratie gedeutet. Georg Diez ging in ZEIT ONLINE noch weiter und proklamierte in diesem Zusammenhang: „Der Feudalismus ist zurück“ (Diez 2024).
Der zurückgekehrte Feudalismus fächert sich entlang verschiedener Konnotationen auf. Einerseits geht es um das Feld der Ökonomie: um die Tech-Riesen des Silicon Valley und die Verschiebung „[v]om Neoliberalismus zum Neofeudalismus“ (von Prollius 2022) als dominanter wirtschaftlicher Entwicklungstendenz der Gegenwart. Andererseits kreisen diese Betrachtungen immer wieder um den Nucleus der realpolitischen Auswirkungen. Die mediale Aufarbeitung der neuen Feudalismen greift verschiedenste Bereiche auf, in denen sich die Konsequenzen der gegenwärtigen politischen und wirtschaftlichen Trends manifestieren, und spiegelt den Anspruch auf einen universellen Eingriff in sämtliche Bereiche des gesellschaftlichen Lebens wider.
Interessant und zugleich etwas verwirrend ist die Vielzahl der Begriffe, die die Wiederkehr des Feudalen beschreibt – etwas das Neo-Feudale „in Elon Musks […] Unternehmensraum“ (Žižek 2025), der Digitale Feudalismus (Pörksen 2025) und auch der Begriff des Technofeudalismus, dessen Ambitionen Titus Blome in seiner Besprechung des unlängst erschienen Buches von Douglas Rushkoff (2025) wie folgt pointiert: Die Bestrebungen jener Vertreter eines Technofeudalismus würden „Kolonialismus, Eroberung und Wachstum mit Fortschritt, Allgegenwärtigkeit und Ausweitung“ kombinieren. Eine derartige Tendenz, sämtliche Bereiche des öffentlichen und auch privaten Lebens zu vereinnahmen und zu verwalten sowie die wirtschaftliche der politischen Sphäre peu à peu anzunähern, ist hierbei charakteristisch.
Das Voranschreiten der Vermischung von Wirtschaft und Politik spitzt sich mit Hinblick auf die mediale Berichterstattung oftmals in der Person Elon Musk und seiner Übernahme des sozialen Netzwerks Twitter (inzwischen X) zu. Doch auch abseits der Person Musk erfährt der Begriff des Technofeudalismus eine breite Rezeption in der Medienlandschaft: So beschreibt beispielsweise Paul Feigelfeld in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung, inwiefern die Plattformmonopole einzelner sozialer Medien einen immer stärkeren Einfluss auf „Vernetzungen sowohl staatlicher, geheimdienstlicher und privater Infrastrukturen“ ausüben und somit „einer neuen Kaste von ultrareichen Tech-Oligarchen“ (zit. n. Kreye 2025) zu einer neuen Herrschaftsform verhelfen würden – dem Technofeudalismus. Auch die Übernahme des Internets durch derartige Plattformmonopole werden ähnlich kritisch begutachtet: In einem Interview mit dem Standard erkennt bspw. Bernhard Pörksen, dass sich ebenjene „gigantische Öffnung des Kommunikationsraumes“ in eine „totale Vermachtung eben dieses Raumes“ verkehre. Der „Drift in Richtung des digitalen Feudalismus“ zeitige den Umstand, dass der „Journalismus […] einem Großangriff ausgesetzt“ sei (zit. n. Mark 2025).
Ebendiese Bewegung hin zu einer Monopolisierung von Kommunikationsplattformen wird auch im Hinblick auf die gegenwärtige Regierung der USA kritisch kommentiert: „das informelle Bündnis zwischen Big Business und Big Government“ (von Prollius 2022) allgemein, sowie dezidiert die Investitionen von Seiten der Krypto-Branche in den Wahlkampf der Republikaner (Häfner 2024).Wenngleich die journalistische Berichterstattung ebenso umfangreich in ihrer Menge wie auch mannigfaltig in den behandelten Thematiken rund um den Begriff des Technofeudalismus erscheint, so veranschaulicht sie dennoch, dass ein zentraler Aspekt das Feld der Ökonomie, sowie der Macht- und Einflussausübung ihrer Akteur*innen ist.
II. Technofeudalismus und die neuen Feudalismen
Interessanterweise sind die Diskussionen um die neuen Feudalismen keineswegs in einem politischen Milieu zu verorten. Mit Yanis Varoufakis, Mariana Mazzucato, Cédric Durand und Jodi Dean u. v. m. sind es zwar einige linksgerichtete Autor*innen, aber auch ‚Wokeness‘-Kritiker wie Joel Kotkin finden sich darunter. Dass diese Diskurse eine längere Geschichte haben, die bis zur Refeudalisierungsthese von Jürgen Habermas zurückreicht, die dieser in seiner Habilitationsschrift zum Strukturwandel der Öffentlichkeit (1962) entwickelt hat, soll hier lediglich erwähnt sein.
Die Debatte um Techno-Feudal Reason (Morozov 2022) dreht sich vielmehr um die Frage, ob es bei gegenwärtig beobachtbaren Phänomenen das Heranziehen neuer feudal(istisch)er Formen braucht oder ob es Formen des Kapitalismus sind. Für Evgeny Morozov sind alle Entwicklungen, die gegenwärtig unter neo-feudalen Vorzeichen gedeutet werden, allein mit der Idee und Form des Kapitalismus begründbar. Das heißt nicht, dass er allen laufenden Entwicklungen, die unter dem Label des Feudalen firmieren, kritisch gegenübersteht. So erkennt auch er einen Refeudalisierungsprozess an, zieht aber zeitgleich die analytische Kraft und das Werden des Neo-Feudalismus in Zweifel. Seine Kritik ist nicht unwidersprochen geblieben. Sowohl Jodi Dean (2022) als auch Cédric Durand (2022, 2024) sprechen sich für die Verwendung der neuen feudalen Formen aus.
Zur Klärung der Frage nach den spezifischen Charakteristika des Technofeudalismus trägt die Debatte wenig bei. Vielmehr wird klarer, dass es eine Flut an Begriffen gibt, die ähnliche Phänomene aus unterschiedlichen Blickwinkeln beschreiben. So kommt auch eine aktuelle Analyse vom Juni 2025 zu dem Schluss, dass
„[w]ir […] kein Bild des Feudalismus (in keiner seiner zahlreichen Varianten oder Formen) [brauchen], um die anhaltenden Probleme unserer heutigen Staaten und Systeme zu erklären. […] Wir fallen derzeit nicht in das System zurück, aus dem der Kapitalismus einst hervorgegangen war. Vielmehr erleben wir eine neue und gefährliche Transformation innerhalb des Kapitalismus selbst“ (Addison/Eisenberg 2025).
Auch diejenigen, die den Begriff Technofeudalismus ins Zentrum ihrer Analyse rücken, bieten keine tiefere Begründung für die Verwendung an. In Technofeudalism: What Killed Capitalism (2023) spricht Varoufakis u. a. davon, dass die Prinzipien des Marktes, wie sie in der klassischen Ökonomie als Modell angenommen werden, im Zuge des Technofeudalismus abgeschafft werden. Beispielsweise von Personen wie Jeff Bezos mit Hilfe seines Plattformmonopols,
„wo alles und jeder nicht durch die gleichgültige unsichtbare Hand des Markts vermittelt wird, sondern durch einen Algorithmus, der für Jeffs Bilanz arbeitet und ausschließlich seinen Anweisungen gehorcht“ (Varoufakis 2024: 107).
Einen ähnlichen Gedanken hatte Philipp Staab bereits 2019 geäußert, als er
„[in] [s]einer Theorie des digitalen Kapitalismus […] insbesonder[s] die Veränderung der Marktform durch führende Anbieter digitaler Plattformen ins Zentrum gestellt [hat]“ (Staab 2023: 307).
Er nennt das, was auch Varoufakis beschreibt, proprietäre Märkte (Staab 2019: 222 ff.). Varoufakis spricht hier schon gar nicht mehr von Märkten, sondern von Cloud-Lehen (Varoufakis 2024: 109), die die Märkte ersetzen. Das ist ein interessanter Punkt, weil er nochmal zur Ausgangsfrage zurückführt: Es geht darum, gleiche Phänomene mit verschiedenen Begriffen zu fassen und dabei die Auseinandersetzung Kapitalismus vs. Neo-/Technofeudalismus in den Fokus zu rücken. Folglich existieren also keine eklatanten Unterschiede zwischen dem was die Begriffe Neofeudalismus, Digitaler Feudalismus und Technofeudalismus jeweils bezeichnen. Daher stellt sich die berechtigte Frage: Brauchen wir den Begriff des Technofeudalen überhaupt? Und falls dem so sein sollte: Unter welchen Bedingungen wäre dieser eine Bereicherung des Diskurses und kein simpler Abklatsch? Demzufolge ist vielleicht die Frage zielführender, welche handelnden Akteure hinter den beschriebenen Phänomenen stehen und wie es sich mit deren Ambitionen im Feld des Politischen verhält? Denn die Hypostase des Technofeudalen entzündet sich mitunter erst an der technopolitischen Realität, die er (als Begriff) nur zaghaft anzudeuten vermag.
III. Technofeudalismus – Die Klasse als Rettungsanker?
Der soziologische Klassenbegriff, der jüngst auch wieder gegenwartsdiagnostischen Aufwind erfahren hat, soll den Rettungsanker für das Präfix Techno- darstellen (Graf/Lucht/Lütten 2022). Klassen werden für gewöhnlich mit diversen Attributen versehen, so wird zwischen der besitzenden Klasse, der herrschenden Klasse, der politischen Klasse usw. differenziert – die Klasse an sich meint diejenigen, die noch nicht das Bewusstsein über ihre missliche Lage erfasst haben. Diejenigen, die sich noch finden müssen, um gemeinsam gegen ihre Unterdrückung aufzubegehren. Diese muss zu einer Klasse für sichwerden, die sich ihrer gleichen Interessen gewahr ist (Vester 2018).
Nun beginnt man bei der Analyse von Klassenkonflikten eher bottom-up – dennoch soll hier top-downrichtungsweisend sein: Denn man könnte beim Technofeudalismus von einer Klasse von Tech-Unternehmern sprechen, denen ihre ökonomische Macht bereits eine immense Einflusssphäre geschaffen hat – weit ab von dem, was man als klassischen Lobbyismus bezeichnet (von Alemann 2023). Diese Klasse sieht ihre Aufgabe aber nicht darin, weiterhin über die ökonomische Macht ihre Vorstellungen und Interessen durchzusetzen, sondern strebt nach politischer Macht. Die schöpferische Zerstörung(Schumpeter) verlässt die ökonomische Sphäre, um sich in der politischen Sphäre einzunisten. Wie sich dieser Prozess gestaltet, ist bisher noch offen, da wir uns gegenwärtig mitten in politischen Disruptionsprozessen befinden, die in den USA stärker als andernorts beobachtet werden können.
Diese Offenheit und die Möglichkeit zur Ausgestaltung werfen drei Fragen auf:
1. Handelt es sich bei der angestrebten Herrschaftsform um Feudalismus oder um Faschismus? Welche Implikationen hat das zugleich?
In seinem Buch über Künstliche Intelligenz und der neue Faschismus benennt Rainer Mühlhoff drei Aspekte des neuen Faschismus, der wiederum „nicht als Rückführung der Gegenwart auf die Vergangenheit, sondern als Interpretationsangebot mit Blick auf die Zukunft“ (Mühlhoff 2025: 13) angewendet werden soll. Für Mühlhoff ist der neue Faschismus erstens antidemokratisch, zweitens durch eine digitale wie reale Gewaltbereitschaft und drittens durch „die Aneignung und Einhegung von Technologie als Machtinstrument“ (Ebd.: 15) gekennzeichnet.
Mit Sicherheit kann bei den Akteur*innen aus der Techno-Klasse ein tiefes Misstrauen gegenüber der Demokratie lokalisiert werden, wenn z. B. Peter Thiel 2009 davon spricht, dass „I no longer believe that freedom and democracy are compatible“ (Thiel 2009). Die Gewaltbereitschaft, die Mühlhoff benennt, äußert sich auch in Desinformationskampagnen, der gezielten Förderung von Ressentiments gegenüber gesellschaftlichen Gruppen, Hate-Speech usw. – diese Gewaltbereitschaft findet man auch in der Techno-Klasse. Man denke zum Beispiel an die Übernahme von Twitter (heute: X) durch Elon Musk und die Freischaltung von Freunden alternativer Wahrheiten; man denke ebenso an Mark Zuckerberg, der zu Beginn des Jahres angab, die Faktenchecks von Content auf seinen Plattformen (Facebook und Instagram) nicht mehr durch Dritte prüfen zu lassen (o. A. 2023; o. A. 2025).
Dass Technologie hier eine zentrale Rolle als Instrument zur Macht- und Herrschaftssicherung einnimmt, ist ebenfalls ein charakteristisches Merkmal der Techno-Klasse. Daher müsste man auch hier abwarten, wie stark sich unsere Welt umgestaltet, denn beide Begriffe scheinen ein gutes analytisches Potenzial dafür zu haben, den Ist-Zustand herzuleiten und zu beschreiben, aber beide werden am Soll-Zustand scheitern, da Wissenschaftler*innen für gewöhnlich nicht die Glaskugel konsultieren.
2. Was folgt aus Begriffen wie Klassenkampf für die Nutzung des Begriffs Klasse?
Varoufakis prescht in Anlehnung an die marxsche Diktion vor und fordert: „Cloud-Leibeigene, Cloud-Proles und Cloud-Vasallen der Welt, vereinigt euch! Wir haben nichts zu verlieren als die Ketten in unseren Köpfen!“ (Varoufakis 2024: 244). Marx und Engels hatten ihre Forderung: „Die Proletarier haben nichts zu verlieren als ihre Ketten. Sie haben eine Welt zu gewinnen. Proletarier aller Länder, vereinigt Euch!“ (Marx/Engels 2007 [1848]: 56) vor einem anderen Hintergrund entwickelt. Sowohl zu anderen historischen Zeiten (inklusive anderer vorherrschender Technologien) als auch mit einer weitreichenderen Vision ausgestaltet: Für Marx und Engels ist das Optimum durch den Eintritt in die klassenlose Gesellschaft erreicht – keine Ausbeutung, kein Eigentum und die Gleichheit aller. Der gegenwärtige Klassenkonflikt scheitert nicht daran, dass die Techno-Klasse nicht wüsste, was sie wollte oder nicht ausbeuterisch genug wäre – es scheitert an dem Bewusstsein, dass die Beherrschten von sich entwickeln müssten, um zur Klasse für sich zu werden. Ein markantes Beispiel sind die diversen Influencer*innen, die sich in Freiheit wiegen, aber als Teil eines ausbeuterischen Systems fungieren. Zudem ist die Digitalisierung der Lebenswelt massiv vorangeschritten, sodass der digitalen Teilhabe nur schwerlich zu entkommen ist – ganz gleich, ob nun Content Creator oder User.

INFLUENCER.DIE IDEOLOGIE DER WERBEKÖRPER VON OLE NYMOEN UND WOLFGANG M. SCHMITT
Berlin: Suhrkamp 192 Seiten | € 15,00 (Klappenbroschur) ISBN: 978-3-518-07640-8 Erscheinungstermin: 7. März 2021
Der Klassenkonflikt bekommt eine weitere Dimension, wenn das Planetarische als existenzielle Grundlage für die Ausfechtung von Ungleichheitsverhältnissen angesehen wird. Das ist vor allem vor dem Hintergrund der schier unbegrenzten (politischen und ökonomischen) Macht der Techno-Klasseeine schwierige Herausforderung. Denn gerade diese Klasse hat so viel Kapital angehäuft, dass sie Vorkehrungen für den Weltuntergang treffen kann. Ob das nun Mark Zuckerberg ist, der auf der hawaiianischen Insel Kauai eine Festung namens Ko’olau Ranch errichtet; ob das Elon Musk ist, der gerne interplanetar leben möchte und ein gewisses Faible für den Mars entwickelt hat, oder ob es ein Peter Thiel ist, der in Seasteading-Projekte investiert hat (Slobodian 2023; Rushkoff 2025; Kemper 2022).
3. Welche Rekonzeptualisierung anderer soziologischer Begriffe zieht die Verwendung des Klassenbegriffs nach sich?
Wie bereits die Frage nach Feudalismus vs. Faschismus gezeigt hat, ist es schwierig, in einer schnelllebigen Gegenwart Anhaltspunkte zu finden, um Analysen beginnen und enden zu lassen – daher sei hier lediglich darauf verwiesen, dass der Klassenbegriff (auch in Bezug zum Klassenkonflikt und Klassenkampf) immer wieder in Relation zu anderen soziologischen Begriffen gesetzt worden ist. Daraus würde folgen, dass auch die relationierten Begriffe in neuem Licht erscheinen würden, sodass ein Nachdenken über die Techno-Klasse auch immer ein Nachdenken über Sozialstrukturen und Milieus, (globale) Ungleichheiten & Verteilungsfragen, sowie Eliten und Oligarchien im digitalen Kapitalismus sind. Somit wird es wohl in naher Zukunft schon möglich sein, umfassender über die Techno-Klasse zu berichten, da das Material hierfür täglich produziert und über die sozialen Netzwerke potenziert wird. Wie [dabei] eine „Klasse an sich“ zu einer „Klasse für sich selbst“ (4/181) bzw. vom Objekt zum Subjekt der Geschichte wird, ist nicht aus einer sozio-ökonomisch beschreibbaren Klassenstellung allein „abzuleiten“, sondern muss an den wirklichen historischen Bewegungen „studiert werden“ (Engels an C. Schmidt; 37/436f)“ (zit. n. Vester 2018).
VI. Schluss
Wenn wir eine Rettungsmission für den Begriff des Technofeudalismus starten wollen, so ist klar, dass es nicht über reine Begriffsarbeit funktioniert. Im Zentrum muss die Sphäre der politischen Einflussnahme der Techno-Klasse stehen, die sich gegenwärtig gerade stärker zeigt, als es in den letzten Jahren der Fall war. Aus dieser Übersetzungsbewegung von schier unbegrenzter ökonomischer Macht in die politische Sphäre hinein scheinen sich auch Konturen freilegen zu lassen, die Klassenkonflikte und mögliche Klassenkämpfe des 21. Jahrhunderts analytisch fassbarer machen. Denn klar sollte sein, dass wir es nicht mehr mit dem Manchesterkapitalismus zu tun haben, sondern mit einer kapitalistischen Form, deren Ideologien tief im Tech-Bereich verwurzelt sind und damit auch Technologien (wie z. B. Künstliche Intelligenz, Quanten-Computing, Blockchain oder das Internet der Dinge) in den Fokus rücken, die zu Zeiten des Manchesterkapitalismus lediglich als Science-Fiction in Romanform vorhanden waren.
Literatur
- Addison, David/Eisenberg, Merle (2025): Der Kapitalismus wandelt sich – aber nicht zum „Neofeudalismus“, online unter: https://jacobin.de/artikel/neofeudalismus-musk-bezos-zuckerberg-kapitalismus (letzter Zugriff: 01.10.2025).
- Dean, Jodi (2022): Same As It Ever Was?, online unter: https://newleftreview.org/sidecar/posts/same-as-it-ever-was (letzter Zugriff: 01.10.2025).
- Diez, Georg (2024) Der Feudalismus ist zurück. Sein Gastbeitrag in der „Welt am Sonntag“ zeigt: Elon Musk will auch international Politik formen. Sein Reichtum wird zur Rechtfertigung, sich wie ein Fürst aufzuspielen, online unter: https://www.zeit.de/kultur/2024-12/elon-musk-afd-wahlwerbung-techno-feudalismus (letzter Zugriff: 01.10.2025).
- Durand, Cédric (2022): Capitals Frontiers. Reply to Morozov’s ‘Critique of Techno-Feudal Reason’, in: New Left Review 136, 29–39.
- Durand, Cédric (2024): How Silicon Valley Unleashed Techno-feudalism: The Making of the Digital Economy, London/New York: Verso Books.
- Graf, Jakob/Lucht, Kim/Lütten, John (Hg.) (2022): Die Wiederkehr der Klassen. Theorien, Analysen, Kontroversen, Frankfurt/New York: Campus.
- Habermas, Jürgen. (1990 [1962]): Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft, Frankfurt am Main: Suhrkamp.
- Häfner, Nathanael (2024) Wie die Bitcoin-Lobby den US-Wahlkampf beeinflusst. Kaum eine Branche lobbyiert mehr im US-Wahlkampf als Kryptovertreter. Mit wem die Geldgeber sympathisieren und warum Donald Trump eine nationale Bitcoin-Reserve fordert, online unter: https://www.zeit.de/geld/2024-07/krypto-usa-wahlkampf-donald-trump-bitcoin-republikaner (letzter Zugriff: 01.10.2025).
- Kemper, Andreas (2022): Privatstädte. Labore für einen neuen Manchesterkapitalismus, Münster: Unrast.
- Kreye, Adrian (2025): „Eine irrsinnig gute Droge“. Der Medientheoretiker Paul Feigelfeld über den Reiz des digitalen Raums, Technofeudalismus und darüber, wie man sich im Netz schützen und wehren kann, online unter: www.sueddeutsche.de/medien/interview-paul-feigelfeld-digitale-sucht-hilfe-li.3223874?reduced=true (letzter Zugriff: 01.10.2025).
- Mark, Oliver (2025): „Ohne wirkliches Zuhören ist alles nichts“. Der deutsche Medienwissenschafter Bernhard Pörksen widmet sich in seinem neuen Buch der Kunst des Zuhörens. Der Journalismus sei derzeit einem „Großangriff“ ausgesetzt, warnt er, online unter: https://www.derstandard.de/story/3000000254672/poerksen-journalismusverachtung-das-ist-die-situation-leider (letzter Zugriff: 01.10.2025).
- Marx, Karl/Engels, Friedrich (2007 [1848]): Manifest der Kommunistischen Partei, Ditzingen: Reclam.
- Morozov, Evgeny (2022): Critique of Techno-Feudal Reason, in: New Left Review 133/134, 89–126.
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- Pörksen, Bernhard (2025): Der digitale Feudalismus auf dem Marktplatz der Ideen. Wie Big-Tech-Unternehmer den unabhängigen Journalismus verhöhnen und den öffentlichen Diskurs zerstören, online unter: https://www.diepresse.com/19642585/der-digitale-feudalismus-auf-dem-marktplatz-der-ideen (letzter Zugriff: 01.10.2025).
- Rushkoff, Douglas (2025): Survival of the Richest. Warum wir vor den Tech-Milliardären noch nicht einmal auf dem Mars sicher sind, Berlin: Suhrkamp.
- Slobodian, Quinn (2023): Kapitalismus ohne Demokratie. Wie Marktradikale die Welt in Mikronationen, Privatstädte und Steueroasen zerlegen wollen, Berlin: Suhrkamp.
- Staab, Philipp (2019): Digitaler Kapitalismus. Markt und Herrschaft in der Ökonomie der Unknappheit, Berlin: Suhrkamp.
- Staab, Philipp (2023): Der Konflikt um den digitalen Kapitalismus – Kein Jenseits von Markt und Technokratie, in: Carstensen, Tanja/Schaupp, Simon/Sevignani, Sebastian (Hg.): Theorien des digitalen Kapitalismus, Berlin: Suhrkamp, 307–326.
- Thiel, Peter (2009): The Education of a Libertarian, online unter: https://www.cato-unbound.org/2009/04/13/peter-thiel/education-libertarian/ (letzter Zugriff: 01.10.2025)
- Varoufakis, Yanis (2024): Technofeudalismus. Was den Kapitalismus tötete, München: Verlag Antje Kunstmann.
- Vester, Michael (2018): Klasse an sich/für sich, online unter: https://zeitschrift-luxemburg.de/artikel/klasse-an-und-fuer-sich/ (letzter Zugriff: 01.10.2025).
- von Alemann, Ulrich (2023): Lobbyismus – Eine Geschichte der Begriffe und Formen von Interessenpolitik, in: Polk, Andreas/Mause, Karsten (Hg.): Handbuch Lobbyismus, Wiesbaden: Springer, 3–21.
- von Prollius, Michael (2022): Vom Neoliberalismus zum Neofeudalismus, in: Wirtschaftswoche 31, 42–43.
- Žižek, Slavoj (2025) Wir sind Leibeigene in Elon Musks neo-feudalem Unternehmensraum, online unter: https://www.freitag.de/autoren/slavoj-zizek/slavoj-zizek-musk-will-einwanderung-bannon-weisse-arbeiter-und-die-linke (letzter Zugriff: 01.10.2025).
SIMON MAIER
studierte Soziologie, Philosophie, Geschichte und Politikwissenschaft an der Universität Konstanz. Er arbeitet in der Industrie im Bereich der Automatisierungstechnik und finalisiert parallel dazu eine Dissertation zum Thema „Vom Protest zur gesellschaftlichen Praxis. Eine Dispositiv Analyse von Technik in den Gegenkulturen, 1967–1987“, die zwischenzeitlich durch Stipendien gefördert wurde. Kontakt: simon.3.maier@uni-konstanz.de
* Der vorliegende Artikel entstand in Zusammenarbeit mit Philipp Ferstl und konnte aus Zeitgründen nicht gemeinsam finalisiert werden. Einige Textpassagen stammen von Philipp Ferstl, der mir freundlicherweise genehmigt hat, diese zu verwenden und unter meinem Namen zu publizieren. Ihm sei an dieser Stelle sehr herzlich hierfür und für die gute Zusammenarbeit gedankt. Darüber hinaus wird der vorliegende Artikel in einer stark erweiterten Fassung in der Zeitschrift Artis Observatio erscheinen. Argumentativer Verlauf und viele Formulierungen gleichen denen im erscheinenden Text.
