I. Einleitung
Wie recht Konrad Paul Liessmann im Kurier vom 8. Jänner dieses Jahres doch hatte, als er davon sprach, dass es heute bei etlichen Themen so etwas wie medial verfestigte Mainstream-Positionen gibt, denen man besser nicht ungestraft widerspricht. Eines davon ist mit Sicherheit die Wiedereinführung der in Österreich in ihrer damaligen Form vom Verfassungsgerichtshof als verfassungswidrig erklärten und daher mit Wirkung vom 01.08.2008 aufgehobenen Erbschaftssteuer. Weil es, da wird es wohl kaum Widerspruch geben, erheblich leichter ist, in breiten Bevölkerungskreisen – Stichwort „Häuslbauer“ – Ängste vor einer solchen Steuer zu schüren, als sich mit den Vorteilen ihrer Wiedereinführung ernsthaft auseinanderzusetzen. Dabei passt es auch gut ins Bild, dass jene, die eine Erbschaftssteuer sowieso von vornherein verteufeln, seither auf Ideen zu ihrer Wiederbelebung nur mehr mit einer penetranten reflexartigen Ablehnung reagieren. Oder gleich mit einem Füllhorn an Killerargumenten auffahren, sodass man sich ernsthaft fragen muss, ob das Verhalten bestimmter Parteien nicht bereits Züge einer fortgeschrittenen politischen Paranoia aufweist.
Tut man dies trotzdem, d. h. will man die gesellschaftliche Funktion einer Erbschaftssteuer einfach nur auf Herz und Nieren überprüfen oder erhebt man seine Stimme sogar pro Erbschaftssteuer, führt in der Regel kein Weg daran vorbei, flugs in ein bestimmtes politisches Eck gestellt zu werden. Und bei vielen seiner Gesprächspartner*innen im Rekordtempo unten durch zu sein – wer will das schon? Aber Klientelpolitik und intellektuelle Redlichkeit, gepaart mit einem Gefühl für Gerechtigkeit, sind immer noch zwei verschiedene paar Schuhe! Ein guter Grund also, den Stier bei den Hörnern zu packen und zu versuchen, den Nebel um die Erbschaftssteuer ein wenig zu lichten. Gibt es übrigens einen besseren Zeitpunkt dafür als im Alter mit seinem immensen Vorteil, in seinem Denken und Handeln unabhängig zu sein? Na eben! Noch dazu, wenn man sich in der Argumentation für die Wiedereinführung der Erbschaftssteuer – vielleicht sogar wider Erwarten – in mehr als guter Gesellschaft befindet: z. B. in jener der OECD, von Gabriel Felbermayr, WIFO-Chef, oder von Christoph Badelt, Präsident des Fiskalrates. Oder, um auch international zu werden, in jener von Prof. Jens Beckert, Universität Köln, den ich vor Kurzem in einem profunden und vielbeachteten Referat in der Österreichischen Nationalbank gehört habe, veranstaltet von Bernd Marin, Wiener Gesellschaft für Soziologie.
Doch lassen wir es bei diesen „polit-klimatischen“ Vorbemerkungen zur Erbschaftssteuer-Debatte in einer Zeit multipler Krisen. Was spricht anhand von fünf Thesen – vielleicht doch klarer als erwartet – dafür, in Österreich wieder eine verfassungskonforme Erbschaftssteuer einzuführen? Und zwar unabhängig davon, dass die Erlöse aus einer eventuellen Erbschaftssteuer unter Umständen auch dafür eingesetzt werden könnten, die zur Krisenbewältigung aufgehäuften Schuldenberge langsam wieder abzubauen.
II. Die große Kluft zwischen Arm und Reich
Während die Einkommen der privaten Haushalte in Österreich im internationalen Vergleich recht gleich verteilt sind, sieht das Bild bei den Vermögen anders, nämlich deutlich ungleicher aus. So besitzt das vermögendste Prozent der Haushalte, etwa 40.000 an der Zahl, fast die Hälfte des gesamten Vermögens, während die zwei Millionen Haushalte der unteren Hälfte mit einem Anteil von 3,6 % fast vermögenslos sind (vgl. Marterbauer/Schürz 2022): Begonnen hat die Entwicklung dieser wachsenden Ungleichheit in den Achtzigerjahren parallel zum Aufstieg des Neoliberalismus zur dominierenden Wirtschaftsdoktrin. Und verstärkt wurde sie zuletzt durch die Pandemie sowie den Krieg in der Ukraine mit allen bekannten Verwerfungen, vor allem für von vornherein sozial Schwächere. Dass sich dieser Trend in der nächsten Zeit umkehren könnte, ist nicht absehbar – eher wird das Gegenteil eintreten.
Zusammen mit der immensen Herausforderung durch den Klimawandel, unsere Wirtschaft und Gesellschaft in relativ kurzer Zeit komplett transformieren zu müssen, um unseren Planeten halbwegs lebenswert zu erhalten, ist zumindest nicht von vornherein auszuschließen, dass derartige Vermögensungleichheiten eines Tages auch zu großen sozialen Spannungen führen können. Von den Wechselwirkungen dieser beiden Faktoren, die das Ganze – ohne den Teufel an die Wand malen zu wollen – noch deutlich verschlimmern könnten, gar nicht zu reden. In Wirklichkeit weiß niemand, auch die klügsten Zukunftsforscher*innen nicht, vor welchen Zerreißproben wir in den nächsten Jahrzehnten stehen werden. Aber andenken wird man das schon dürfen, oder? Und wir sollten das auch, um rechtzeitig die richtigen Weichen stellen zu können. Womit auch die Frage erlaubt sein muss, wohin es in künftig vielleicht sehr turbulenten Zeiten weltweit mit der Demokratie gehen könnte. Werden sich solche „Super-Reiche“, für die das Gemeinwohl ein Fremdwort ist, dann z. B. leichttun, sich jene Regierungen zu halten, die sie für ihre Zwecke brauchen? Fragen über Fragen …
III. Vermögenssteuer? Auch auf lange Sicht kaum zu erwarten!
Zur Verringerung dieser Kluft, zu etwas weniger Ungleichheit, aber auch zur Erhaltung des Mittelstandes, wäre an sich eine Vermögensbestandssteuer prädestiniert. Doch angesichts der schon bei der Erbschaftssteuer total verhärteten Positionen der politischen Parteien ist eine stärkere Vermögensbesteuerung in Österreich in einem überschaubaren Zeitraum kaum vorstellbar. Nur „linke Träumer“, um es drastisch auszudrücken, mögen das vielleicht anders sehen. Anzunehmen ist eher, dass wohl noch endlose Wassermassen die Donau stromabwärts fließen werden, bis es zu einer „echten“ österreichischen Vermögenssteuer kommen könnte. Auch wenn Arbeitseinkommen in Österreich bekanntlich sehr hoch und Vermögen, von der Grunderwerbssteuer abgesehen, auch im internationalen Vergleich kaum oder gar nicht besteuert werden. Ist das gottgegeben? Nein! Aber wo es keinen politischen Willen gibt, gibt es auch keinen Weg, wodurch diese beträchtliche Imbalance im Steuersystem und die damit verbundene Begünstigung von Vermögenden auf Jahrzehnte hinaus einzementiert werden. Realistisch gesehen, bleiben daher also nur die Erbschaftssteuer oder eine verstärkte Besteuerung des Vermögenszuwachses übrig, um die Kluft zwischen Arm und Reich wenigstens marginal zu verringern.
IV. Was hat das Erben mit Leistung zu tun? Rein gar nichts!
Arbeiten und leisten ist das eine, erben ist das andere! Beim Erben ist die Frage „Wo isch do mei Leischtung ?“ also besonders angebracht! Ebenfalls am 8. Jänner hat übrigens Bundeskanzler Karl Nehammer in einem Interview für die Krone erklärt: „Wenn sich Leistung wieder lohnt, wird man sehen, dass man durch Arbeit und nicht durch Sozialleistung den Lebensunterhalt schaffen kann.“ Ja, das ist richtig, aber das ist wirklich nur die halbe Wahrheit! Nach Schätzungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) werden nämlich jährlich zwischen 2012 und 2027 bis zu 400 Mrd. € vererbt und verschenkt. Und aktuellen Berechnungen zufolge kann man davon ausgehen, dass der kumulierte Bestand an geerbtem Vermögen bereits über 50 % des gesamten Privatvermögens ausmacht. Der naheliegende Schluss daraus ist daher der, dass Deutschland damit kaum mehr eine Leistungsgesellschaft ist, sondern eher schon eine Erbschaftsgesellschaft (vgl. Gosepath/Berenika Linartas 2022):
Vielleicht sind wir gerade hier beim springenden Punkt angelangt, wohlgemerkt ohne jene Leistungen in irgendeiner Weise schmälern zu wollen, die jemand einmal in der Vergangenheit erbracht und sich damit ein Vermögen aufgebaut hat. Vielleicht durch die Schaffung vieler Arbeitsplätze auch zum Wohl der Allgemeinheit, das soll hier auch betont werden. Kann es aber trotzdem sein, dass sich aus einem historisch entstandenen Vermögen, auch wenn es rechtmäßig erworben wurde, dann über Jahrzehnte oder Jahrhunderte eine für eine Gesellschaft vielleicht sehr ungesunde Vermögenskonzentration entwickelt? Was kann z. B. ein/e neugeborene(r) Burgenländer(in) heute dafür, dass seinerzeit die Esterhazys zufällig zur richtigen Zeit am richtigen Ort waren? Oder, vielleicht noch etwas drastischer, wird die bekanntlich nicht ganz besitzlose Kirche (für die natürlich eine Vermögenssteuer aus guten Gründen eher in Frage käme als eine Erbschaftssteuer) jemals in den Himmel kommen, wenn eher ein Kamel durch ein Nadelöhr geht als ein Reicher in das Himmelreich?
Noch absurder wird das Ganze dann, wenn man bedenkt, dass Vermögen – vermutlich auch nicht ganz selten – ja auch unter autokratischen oder gar korrupten Verhältnissen angehäuft werden kann. Ein ganz aktuelles länderübergreifendes Beispiel gefällig? Der gelernte Gasinstallateur und heutige ungarische Oligarch Lörinc Mészáros gibt sogar selbst zu, seinen Aufstieg Viktor Orban (und damit auch nach Ungarn geflossenen, vermutlich fehlgeleiteten EU-Fördergeldern) zu verdanken.
Doch zurück zu Österreich: Hier werden die von Gosepath und Linartas für Deutschland beschriebenen Verhältnisse wohl kaum grundlegend anders sein. Was logischerweise zur Folge hat, dass – Stichwort Chancengleichheit – in der Regel auch bei einem guten Einkommen nicht mehr aufzuholen ist, was man beim Erben mangels vermögender Eltern versäumt hat. Vergleichbar ist das mit einem 100 m-Lauf, bei dem man, wenn man kein nennenswertes Erbe erwarten kann, 10, 20, 30 oder gar 50 Meter hinter die Startlinie zurückversetzt wird.
Mit anderen Worten: Für eine Leistungsgesellschaft einzutreten und gleichzeitig gegen eine Erbschaftssteuer zu sein, ist nichts anderes, als bewusst Nebelgranaten zu werfen. Und folgerichtig muss daher jemand, der die Leistungsgesellschaft hochhält, konsequenterweise auch für die Besteuerung von Erbschaften sein. Weil insbesondere große Erbschaften vermutlich eher Rentiers fördern als Leistung. Was falsche, auf dem Motiv der Besitzstandswahrung beruhende konservative Erzählungen, deren es etliche gibt, eher entlarvt als bestätigt. Gibt es übrigens in sich anbahnenden Erbengesellschaften, wie dem deutschen Beispiel zu entnehmen ist, Erhebungen darüber, wie viele Menschen von ihrem Erbe leben, ohne selbst einer Erwerbstätigkeit nachzugehen? Wäre vermutlich nicht uninteressant!
V. Sowohl für Jung als auch für Alt könnte eine kreativ gestaltete Erbschaftssteuer große Chancen eröffnen
Für junge Menschen z. B. in Form eines sog. Grunderbes, das als Modell schon länger auf dem „Ideenmarkt“ ist, vermutlich aber noch nirgends umgesetzt wurde. Dazu der leider schon verstorbene Schöpfer dieser Idee, der britische Ökonom Anthony Atkinson 2015: „Wenn alle den gleichen Betrag erben würden, wäre das Spielfeld gleich.“ Die Grundidee dieses Modells ist nämlich die, jungen Menschen zu einem bestimmten Stichtag, z. B. bei Erreichung der Großjährigkeit oder zum 25. Geburtstag, einen aus den Einnahmen der Erbschaftssteuer finanzierten Betrag X als Startkapital zum Aufbau einer eigenen Existenz auszuzahlen. Ein Startkapital (das zumindest teilweise auch mit einer gewissen Zweckbindung für Bildung versehen werden könnte) von beispielsweise € 30.000 würde bei etwa 90.000 Anspruchsberechtigten in einem Jahrgang jährliche Einnahmen aus der Erbschaftssteuer von 2,7 Mrd. € erfordern. Der paradelinke französische Ökonom Thomas Piketty, dessen Analysen und Thesen für großes Aufsehen gesorgt haben, geht sogar von einem wünschenswerten Startkapital von € 125.000 aus. Aktuell wird in Deutschland der Betrag von € 20.000 diskutiert. Welcher Betrag tatsächlich als Startkapital für junge Menschen ausgezahlt werden könnte, hängt natürlich von der konkreten Ausgestaltung einer neuen Erbschaftssteuer ab.
Neben einer derartigen Starthilfe für junge Menschen könnte es übrigens die Pflege älterer Menschen sein, die aus den Einnahmen einer Erbschaftssteuer substanziell mitfinanziert werden könnte. Damit ist auch schon ein zentraler Punkt für die Akzeptanz einer künftigen Erbschaftssteuer angesprochen, nämlich dass sie einen klar erkennbaren und konkreten Nutzen für die Bevölkerung haben muss. Wer von diesem profitiert, hätte natürlich Grund zur Freude, während die Besteuerten durch eine Zweckwidmung vielleicht etwas mehr Verständnis für die Steuer aufbringen könnten. Ihnen würde ja genau genommen auch gar nichts weggenommen werden, sondern sie hätten als Erben bloß etwas weniger zu erwarten als ohne Besteuerung. Es ist so, auch wenn das vielleicht landläufig nicht so gesehen wird.
Zurück zum Grunderbe: Dieses hätte sowohl einen direkten Nutzen für jene Generationen, die das künftige Rückgrat der Gesellschaft bilden, als auch einen indirekten für die Gesellschaft als Ganzes. Einerseits durch eine größere, auch den Wirtschaftsstandort stärkende soziale Stabilität und andererseits durch zu erwartende Prosperitätsimpulse. Einfach weil sich jüngeren Menschen durch ein Grunderbe spürbar bessere Bildungs-, Start- und damit Lebenschancen eröffnen. Je besser es eine Gesellschaft ihren Mitgliedern ermöglicht, ihre Talente zum Wohle aller zu entwickeln, desto besser steht sie da. Eine mit einem Grunderbe verknüpfte Erbschafts- oder besser Reichensteuer brächte somit allen etwas – also auch den Besteuerten.
VI. Last but not least: Eine Erbschaftssteuer stabilisiert die Demokratie! Und zwar sowohl von oben als auch als auch von unten
Wie man weltweit mitunter sehr drastisch sehen kann, ist die Demokratie vielerorts nicht oder nicht mehr das vorherrschende Regierungsmodell, kann – Stichwort illiberale Demokratie – bis zur Unkenntlichkeit ausgehöhlt werden oder gar zu einer Art demokratischer Fassade verkommen. Eine Erbschaftssteuer könnte daher letztlich auch dazu führen, dass die offenbar auf manche Eliten besonders verführerisch wirkende Macht (sich etwas umzusehen auf der Welt genügt als Beweis) zumindest ein wenig eingebremst werden kann. Andererseits können auch sozial besonders benachteilige Gruppen am unteren Ende der Skala (die sich von der Demokratie nichts mehr erwarten und sich aus dieser vielleicht sogar ausklinken) vielleicht doch ermutigt werden, sich wieder am demokratischen Prozess zu beteiligen. Sprich, sie könnten wieder verstärkt von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen. So gesehen kann eine Erbschaftssteuer auch dazu beitragen, die große Errungenschaft Demokratie, eine jetzt durchaus auch wieder gefährdete Staatsform, wieder stärker zu festigen.
VII. Fazit
Die Einführung einer Erbschaftssteuer löst nicht alle Probleme und rettet für sich genommen auch nicht die Welt. Sie wäre aber nicht nur ein Plädoyer für etwas mehr Gerechtigkeit, sondern auch ein sehr gutes Signal für mehr Zuversicht und Optimismus in unserem Land. Eine Erbschaftssteuer hält die Gesellschaft eher zusammen und fördert die Integration, das Fehlen einer solchen spaltet sie und fördert die Ausgrenzung. Vielleicht wäre diese These ein guter Ausgangspunkt dafür, über eine neue Erbschaftssteuer trefflich zu streiten, um sie dann bestenfalls doch wieder einzuführen.
So gesehen, kann sich eigentlich keine einzige politische Partei einer Erbschaftssteuer in neuer Form ernsthaft verschließen. Jene Parteien, die auf Grund ihrer Historie und ihres Selbstverständnisses schon seit jeher für größere Chancengleichheit eintreten, sowieso nicht. Aber auch nicht jene, die sich zwar immer seltener, aber doch noch – wenn nötig auch in mit religiösen Symbolen geführten Wahlkämpfen – auf ihre christlich-sozialen Wurzeln berufen. Weitblickend und staatsmännisch agierenden Regierungen, die eine neue Erbschaftssteuer-Diskussion eröffnen, winkt als Lohn für ihren Mut eine um einen Deut gerechtere, stabilere und nachhaltigere Gesellschaft.
Abschließend noch zu meinen Motiven und Zielen für diesen Artikel, zu Reaktionen auf eine erste Veröffentlichung zu diesem Thema sowie, angesichts der derzeitigen politischen Konstellation, zur Einschätzung der Chance für eine Wiedereinführung der Erbschaftssteuer in Österreich. Zunächst zu den Zielen, die ich damit verband, mich zuletzt mit der Erbschaftssteuer etwas näher auseinanderzusetzen.
Hier möchte ich ganz klar festhalten, dass es mir primär nicht darum ging, ein konkretes Modell für eine neue Erbschaftssteuer vorzulegen. Abgesehen davon, dass jede Konkretisierung ohnehin gleich Gefahr läuft, postwendend zerpflückt zu werden, sehe ich diese Aufgabe bei jenen politischen Parteien angesiedelt, die sich in einer dafür geeigneten Regierungskonstellation überhaupt vorstellen können, sich mit der Wiedereinführung einer Erbschaftssteuer zu befassen. Und ihr grundsätzlich auch zustimmen zu können. Mein bescheidenes Ziel war es daher, vorerst einmal zur Bewusstseinsbildung beizutragen, dass eine derartige Steuer notwendig ist, um die ungleiche Behandlung von Arbeits- und Erbeinkommen im Steuersystem zu beseitigen. Und um wirksam entgegenzusteuern, dass die Kluft zwischen Arm und Reich nicht noch größer wird. Woraus folgt, dass diese Steuer nicht den Mittelstand treffen dürfte, sondern jene, die man getrost als Reiche oder Super-Reiche bezeichnen kann.
Zweitens zu den Reaktionen auf die Veröffentlichung eines publizistischen „Versuchsballons“ in dieser Frage in der Tageszeitung Der Standard am 31. Jänner: Dass die Erbschaftssteuer ein Reizthema sondergleichen ist, war mir von Beginn an klar. Nicht gerechnet habe ich aber damit, dass der Artikel auf www.derStandard.at mehr als 2.000 Reaktionen hervorrufen könnte. Erwartungsgemäß war der Großteil davon ablehnend, weil das Weitervererben nach wie vor als eine Angelegenheit gesehen wird, die nur die jeweilige Familie etwas angeht, nicht aber den Staat. Dass es dabei auch jede Menge unsachlicher bis böswilliger Kommentare gab („Er hat Erbschaftssteuer gesagt – hängt ihn!“), versteht sich von selbst. Mir schien es aber, dass nach Abebben der ersten großen Flut an negativen Kommentaren die Zustimmung zur Erbschaftssteuer stetig stieg und sich viele Kommentatoren auch viel Zeit dafür genommen haben, ihre Meinungen ausführlich zu begründen. Der besagten Tageszeitung, die diese Veröffentlichung ermöglicht hat, gefiel es jedenfalls, dass es ihr gelang, mit meinem Kommentar der Anderen ihre Leser*innenschaft in so hohem Maße zu teilweise sehr intensiv geführten Debatten anzuregen.
Und last but not least, wie schon erwähnt: Welche Reaktionen gab es seitens der drei politischen Parteien, nämlich der SPÖ, der Grünen sowie der Neos, mit denen ich Kontakt in dieser Frage hatte? Bzw. wie kann man aus heutiger Sicht die Chance einschätzen, dass in absehbarer Zeit in Österreich tatsächlich wieder eine Erbschaftsteuer eingeführt werden könnte? Zunächst zur ersten Frage: Geantwortet auf meine Mails haben alle drei Parteien, die Grünen sogar innerhalb von 24 Stunden, die Neos innerhalb weniger Tage. Die SPÖ hingegen erst nach Umwegen, nach notwendigen Urgenzen und nach einer Zeitspanne, die man sich in der schnelllebigen Zeit von heute nicht mehr leisten kann – aber das ist eine ganz andere Frage. Dann gab es allerdings eine substanzielle Antwort – natürlich mit einem Ja zur Erbschaftssteuer, aber, etwas überraschend für mich, mit keiner wahrnehmbaren Begeisterung für ein Grunderbe. Hat man die Chancen, die sich mit einem Grunderbe für junge Menschen eröffnen könnten, nicht erkannt? Vermuten kann man das schon. Dass weiters auch die Grünen für die Wiedereinführung der Erbschaftssteuer sind, war zu erwarten, während es bei den Neos schon anders aussieht. Hier gab es die an sich bekannten Argumente wie „wir haben ohnehin schon eine zu hohe Abgabenquote“, „Österreich ist schon ein Hochsteuerland“, „keine neuen Steuern ohne deutliche Senkung bestehender“ oder „Es ist ein Irrtum, dass durch eine zusätzliche Steuer etwas besser würde.“ Schwieriges Terrain also, wobei die Aussage „Es geht niemandem besser, wenn man einem anderen etwas wegnimmt“ vermutlich schon als eine sehen kann, die sich mehr oder weniger von selber disqualifiziert.
Mein persönliches Resümee also: Ob die ÖVP bereit wäre, in einer großen Koalition zwischen SPÖ und ihr selbst ihr notorisches, bereits an eine Paranoia erinnerndes „Nein“ zu einer Erbschaftssteuer aufzuweichen, wage ich zu bezweifeln. Bliebe aus heutiger Sicht daher nur eine ev. Dreierkoalition zwischen SPÖ, den Grünen und den Neos, in der es zumindest eine gewisse Chance gäbe, über dieses heikle Thema wenigstens einmal zu diskutieren. Ob es bei der nächsten Nationalratswahl eine solche Konstellation überhaupt geben könnte, wird man sehen. Aber vielleicht gibt es eines Tages auch noch andere Parteien, die soziale Ungleichheit erkennen und benennen und die daher das derzeitige ziemlich starre Parteiengefüge aufbrechen könnten, was unserer Gesellschaft vermutlich ganz guttäte.
Komprimierte Versionen dieses Artikels erschienen als Kommentar der Anderen am 31.01.2023 in Der Standard und am 15.02.2023 auch in der Wiener Zeitung. Die Redaktion der ZUKUNFT dankt Josef Redl herzlich für die informative Erweiterung seines Beitrags und die Erlaubnis zum Wiederabdruck.
Literatur
Gosepath, Stefan/Berenika Linartas, Martyna (2022): Deutschland auf dem Weg zur Erbengesellschaft. Wie Erbschaften und Schenkungen gegen Prinzipien der Gerechtigkeit verstoßen und unsere Demokratie gefährden, Friedrich-Ebert-Stiftung.
Marterbauer, Markus/Schürz Martin (2022): Angst und Angstmacherei. Für eine Wirtschaftspolitik, die Hoffnung macht, Wien: Zsolnay.
JOSEF REDL ist Betriebswirt und hat sein Berufsleben mit den Schwerpunkten Marketing und Vertrieb im Bank- und Versicherungsbereich verbracht. Danach war er lange Zeit ehrenamtlich im Finanz-Marketing Verband Österreich tätig und betätigt sich nun hin und wieder publizistisch.