„Manchmal muss man sich selbst überlisten, damit das Unbewusste zutage treten kann“ – Interview mit LUKAS JOHANNES AIGNER

Hemma Marlene Prainsack: Nach der Schule hast Du begonnen, in Salzburg Bühnenbild zu studieren. Was war Deine Intention, ans Theater zu gehen?

Lukas Johannes Aigner: Nach der Waldorfschule, wo ich selbst schon viel Theater gespielt habe, und nach dem Zivildienst, wusste ich nicht wirklich, in welche Richtung es gehen soll. Malerei war zwar immer schon ein Teil meines Lebens, ich habe mich zuerst jedoch für das Bühnenbild-Studium entschieden, da man sich dabei in ganz viele Richtungen weiterbilden kann. Ob das jetzt vom Kostümzeichnen zur Architektur ist, oder der Literatur im Schauspiel; Theater hat auch viel mit bildender Kunst zu tun. Das Aktzeichnen wurde großgeschrieben, ebenso waren Fotografie, Farbtheorie und Prospektmalerei Bestandteil meines Studiums in Salzburg. Diese Stadt mit ihrem dörflichen Charakter und internationalen Charme, wo viele Student*innen aus allen Kontinenten zusammentreffen, hat mich geprägt. Nicht zuletzt hatte mein Professor Herbert Kapplmüller einen erheblichen Anteil daran, dass ich gegenüber verschiedenen Kunstströmungen aufgeschlossener wurde. Er war sehr bemüht, uns die Kunst in ihren vielfältigen Formen bei zahlreichen Studienreisen näher zu bringen.

Es gibt einen Satz, den er zu mir gesagt hat und den sich auch mein späterer Professor Wolfgang Herzig, nachdem ich an die Universität für Angewandte Kunst Wien gewechselt bin, nicht verkneifen konnte: „Der Aigner, der will es nicht verstehen!“. Da habe ich bemerkt, dass ich doch einen ziemlichen Dickschädel hatte. Auch mein neuer Professor Wolfgang Herzig hatte einen sehr gestalterischen und analytischen Zugang zur Kunst: Was bedeutet Bildaufbau? Was ist Farbtheorie? Wie entstand die Moderne, in der man begann, sich auch wissenschaftlich mit allen möglichen Aspekten zu befassten. Diese Beschäftigung hat mir sehr gutgetan, ich war zu dieser Zeit noch sehr im Naturalismus verhaftet.

Mit den Jahren habe ich dann begonnen, Malerei mit neuen Augen zu betrachten und konnte so feststellen, dass die Form dem Inhalt überlegen ist. Das Handwerk und die Technik zu Malen habe ich von der Pike auf gelernt – ich komme ja aus einer Künstler*innenfamilie. Die Abnabelung war ein längerer Prozess. Das Mozarteum und die Angewandte haben mir dabei geholfen, mich zu lösen und meinen eigenen Stil zu finden, welcher weder in der kompletten Abstraktion noch im absoluten Naturalismus mündet. In beiden Extremen löst sich die Persönlichkeit auf, die Malerei wird austauschbar und ausdruckslos.

Metamorphose VIII. Pigmente-Mischtechnik auf MDF, 145x100cm © Lukas Johannes Aigner 2022

H. M. P.: Das Malen von Blumen hat Dir dazu verholfen, Deinen ganz eigenen Stil zu finden?

L. J. A.: Genau, wenn ich mir eine Blume ins Atelier hole und sie male, dann bin ich ganz in der Betrachtung, wo ich ihr Sinn und Bedeutung gebe. Durch meinen freien Zugang lasse ich den Pinsel laufen. Die Formen und Farben sprechen zu mir. Ich antworte nicht mit Imitation, sondern interpretiere neu. Sie bekommen sozusagen einen „human touch“ und werden dadurch subtil. Eine Art Aneignung findet statt, wo sich meine Gefühle und Gedanken mit den hochabstrakten Formen der Natur verbinden. So erschaffe ich meinen eigenen Stil. Über viele Jahre hinweg habe ich sie studiert und mir dadurch ein eigens Vokabular zugelegt. Ich kann nun alles in meine Bildsprache übersetzen. Ich nenne das „Floralisieren“. Theoretisch könnte ich nun meine Malerjacke, die an der Wand hängt, als Motiv nehmen und sie floralisieren – das ist unverkennbar mein Stil und meine Ausdrucksform.

H. M. P.: Viele Deiner Blumenbilder sind Metamorphosen. Beispielsweise das Porträt eines Gesichts, das sich in eine Blüte verwandelt.

L. J. A.: Oder umgekehrt, es können überraschenderweise manchmal auch Gesichter auftauchen, die nicht geplant waren. Mit meinem Selbstporträt habe ich mich jahrelang geplagt, damit ich den richtigen Ausdruck, die Perspektive finde, das hat viel Zeit gekostet. Glücklich haben mich meine Selbstdarstellungen am Ende dann doch nicht gemacht. Erst durch das Floralisieren konnte ich zu einem allgemein gültigen Ausdruck finden, wo ich mich von meinem Ego lösen konnte und die Betrachter*innen dadurch leichter Zugang findet. Was wird erkannt, eine Blüte, ein Mensch – oder beides?

Mit dieser Wechselwirkung und der Formensprache habe ich eine neue, meine eigene Welt erschaffen. Diese Symbiose zwischen Mensch und Natur soll aber auch ein Sinnbild dafür sein, dass wir – zumindest in den Werken – wieder im Einklang mit der Natur sind. In der Realität ist dieser Weg wohl ein längerer …

H. M. P.: Es bewährt sich also immer wieder, dass der Weg das Ziel ist?

L. J. A.: Ja, das stimmt. Will man das Maximum an Lebendigkeit in der Kunst erreichen, ist es ratsam, selbst in Bewegung zu bleiben. Sich in Frage zu stellen und neue Grenzen auszuloten, sich neu zu erfinden, wie ich es mit meinen Floralisierungen gemacht habe, ist Teil des künstlerischen Werdegangs. Beharren und bewahren, den Standpunkt zu finden, die Position als Gegengewicht zu einer vorherrschenden Meinungsgesellschaft auszumachen, ist aber ebenso wichtig. Wandlungsfähigkeit ist manchmal ein Balanceakt und sollte nicht als „sich an den immer wieder wechselnden Zeitgeist anzupassen“ verstanden werden.

H. M. P.: Wie sieht deine eigene Weiterverwandlung konkret aus?

L. J. A.: In der Kunst ist es ab einem gewissen Zeitpunkt so, dass das Bild mir sagt, was ich zu tun habe. Im malerischen Prozess, bei dem ich mir selbst ein Ziel gesteckt habe, ergeben sich neue Ebenen, die man nicht eingeplant hat. Sie tauchen wie aus dem Nichts auf, wollen sich behaupten und sagen einem, wo es lang geht. Es passiert fast zufällig, wo ich dann überrascht bin und mich dafür entscheide, dem Bild zu folgen. Da wird die Malerei richtig spannend! Es ist immer eine Gratwanderung zwischen den Möglichkeiten, die sich auftun. Manchmal muss man sich selbst überlisten, damit das Unbewusste zutage treten kann: Intuitive Entscheidungen, das Bauchgefühl sprechen lassen, den Kopf ausschalten – das alles kann dazu beitragen, dass das Werk magisch wird und die Menschen auf eine seltsame Art und Weise berührt.

Es kann aber auch passieren, dass das Gegenteil stattfindet, und ich übersehe die verborgenen Botschaften. Das kommt manchmal vor, wenn ich zu sehr abgelenkt bin und die Konzentration fehlt. Auch ein Übermaß an Optimierungswut kann ein Werk zerstören. Betriebsblind und übereifrig, mit dem Wunsch, gefallen zu wollen, habe ich leider schon das eine oder andere Gemälde totgemalt. Zum Glück kommt das aber immer seltener vor, beziehungsweise habe ich Strategien entwickelt, ein Bild retten zu können. Bin ich an dem Punkt angelangt, wo schon alles verloren scheint, ergibt sich die Möglichkeit, ohne Angst – und Angst ist wirklich ein schlechter Ratgeber beim Malen – das Bild ohne Rücksicht auf Verluste neu zu bearbeiten.

Bone-Head, Pigment-Mischtechnik auf MDF, 60x80cm © Lukas Johannes Aigner 2023

H. M. P.: Wie wichtig ist es für die Kunst, es sich selbst nicht leicht zu machen?

L. J. A.: Darauf würde ich gerne mit einem Zitat des Fußballers Christiano Ronaldo antworten: „Talent without working hard is nothing“. Es reicht nicht aus, nur begabt zu sein. Wenn einem etwas in die Wiege gelegt wurde, dann ist das schön und gut, es wird dich aber nicht weit bringen, weil dein Schaffen unreflektiert beleibt. Sich an etwas abarbeiten, bis es wirklich anstrengend wird, bedeutet aber auch, dass du über dich hinauswachsen kannst. Picasso hat schon gesagt: „Die Muse küsst dich nur bei der Arbeit“. Kreativität entsteht erst im Prozess, wo scheinbare Fehler passieren. Diese Fehler sind der Schlüssel zur Erkenntnis. Mit den Jahren muss man aber auch lernen mit seinen Energien ökonomischer umzugehen. Das Scheitern wird dann auch ein Teil der Persönlichkeit, wo die eigene Unzulänglichkeit akzeptiert werden sollte. Auch das macht die Malerei aus, sie ist menschlich und nicht perfekt. Ich sage gerne zu Kolleg*innen: „du bist der Leinwand nichts schuldig“, du trägst jedoch Verantwortung für dein künstlerisches Schaffen, welches in der Welt mit Sinn und Bedeutung erkannt werden möchte. An einem Thema über Jahre dranbleiben ist nicht immer einfach. Aber nur so kann es zu einer Stilbildung kommen.

H. M. P.: In Deinen Blumenbildern, in denen Du Mensch und Natur miteinander verbindest, bringst Du den Menschen in seiner ursprünglichen Natur, seiner Nacktheit auf die Leinwand. Die Frauenkörper sind für manche Betrachter*innen sogar anstößig – wie erlebst Du das?

L. J. A.: Meine Frau ist in den letzten Jahren als das „Weibliche an sich“ in meinen Bildern aufgetaucht. Ich habe sie bewusst anonymisiert, indem sie den Rücken zu den Betrachter*innen kehrt. Ein florales Rankenwerk davor schafft zusätzlich Distanz. Für manche ist ihre Haltung zu passiv, zu objekthaft dargestellt. Vielleicht auch berechtigt, aber wie heißt es so schön: Schlecht ist, wer Schlechtes denkt. Interessanterweise haben Menschen, die sich über diese Nacktheit in meinen Bildern aufregen, selbst einen sexistischen Blick.

Gerade die Kunst sollte doch frei sein und sich nicht immer auf die Trennung von Mann und Frau beziehen. So schränkt man sich eigentlich nur ein. Es ist wichtig, dass Frauen gleichberechtigt sind und die gleichen Möglichkeiten wie Männer haben. Aber das ist eine politische Debatte. Letztendlich glaube ich, dass die Kunst über dem Geschlecht steht, also geschlechtslos ist. Kunst ist Alles und Nichts. Sie lebt durch die Betrachtung und Deutung und die verändert sich – auch durch den gesellschaftlichen Diskurs – ständig …

H. M. P.: Deine Frau Oksana Kuzo ist Pianistin und kommt aus der Ukraine. Du kennst daher das Land sehr gut. Die Ukraine ist Teil deiner Familie geworden. Selbst jetzt in der Kriegszeit sind viele florale Bilder entstanden und Du hast den Blick für das Schöne, das Friedliche nicht verloren – andererseits betrifft Dich der Krieg unmittelbar. Was macht das mit Deiner Innen- und Gedankenwelt, wie drückt sich das in Deiner Arbeit aus?

L. J. A.: Der Kriegsausbruch war für uns alle ein großer Schock! Es hat Zeit gebraucht, diesen Irrsinn real zu begreifen. In den ersten Monaten war nicht an Malen zu denken. Viele Ideen sind mir aber schon in den Sinn gekommen, wie man auf diese Verbrechen künstlerisch antworten kann. Ich habe sie aber alle verworfen, da ich mit meinen Bildern, die ja für Frieden und Glück stehen, immer schon ein klares Statement setze, welches gegen das Destruktive in der Welt ist.

Als ich 2012 meine ersten floralen Werke malte, war es mir damals schon wichtig, dass ich etwas Krisenresistentes und Zeitloses erschaffe, mit dem die Menschen Trost finden können. Unsere Welt wird momentan leider immer komplizierter. Es gibt viele Ängste und Verunsicherungen, die damit einhergehen. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, wieso ich auch so „einfache“ Bilder male. Aber nur so kann ich die Menschen ganz unmittelbar und direkt erreichen. Letztendlich ist Kunst immer politisch, da sie an die Zeit, das Umfeld und Geschehen, in der sie entsteht, gebunden ist. Diese Einstellung für Freiheit, Frieden und Demokratie hatten die Künstler*innen schon im Jugendstil. Nach den beiden Weltkriegen griff die Flower-Power-Bewegung diese Werte wieder auf. Wie wir gerade sehen können, wiederholt sich die Geschichte leider immer wieder …

Metamorphose Nr. III. Mischtechnik auf MDF, 200x140cm, © Lukas Johannes Aigner 2017

H. M. P.: Mit Deiner Frau hast Du den Verein Point of Ukraine gegründet. Was genau macht Ihr?

L. J. A.: Unmittelbar nach dem Überfall auf die Ukraine hat meine Frau begonnen, Demonstrationen gegen den Krieg zu organisieren. Ein Infopoint wurde von ihr und der ukrainischen Community in den ersten Tagen für die Flüchtlinge eingerichtet, da die offiziellen Organisationen wegen strukturellen Problemen und sprachlicher Barrieren nicht so schnell reagieren konnten. Ich habe den Ukrainer*innen geholfen, wo ich konnte. Wir haben viele verschiede Veranstaltungen organisiert, Spenden gesammelt und vieles mehr.

Aus dem Infopoint entstand dann der „Verein Point of Ukraine“. Ein lieber Freund hat uns kostenlos eine Webseite aufgebaut und ich habe das Logo dafür designt. Die Linzer Kunstuniversität konnte uns für ein paar Monate Räumlichkeiten zur Verfügung stellen. Danach sind wir zum Linzer Südbahnhofmarkt übersiedelt, wo es nun eine Kooperation mit der Caritas gibt. Ein buntes volles Wochenprogramm verschafft den Müttern mit ihren Kindern zwischenzeitlich glückliche Momente.

Ich habe den Verein auch mit meiner Malerei unterstützt: Pappteller, worauf ich Farben gemischt hatte, wurden von mir neu eingerahmt und zur Kunst erhoben. Über hundert Bilder sind so für eine freiwillige Spende veräußert worden. Später entwickelte ich aus den abstrakten Farbmischungen „Palette Heads“ und in weiterer Folge wurden sie wiederum floralisiert. Diese Hilfsaktion hat mir selbst auch dabei geholfen, mich künstlerisch weiterzuentwickeln.

H. M. P.: Hier in Linz hast Du das „Floralisieren“ unverkennbar unter Beweis gestellt, auch in Kooperationen mit Unternehmen.

L. J. A.: Ja, denn die Sprache meiner Bilder ist so aufgebaut, dass viele sie verstehen können, unabhängig von Religion oder Herkunft. Verknüpfungen aller Art haben sich dadurch wie von selbst ergeben: 2020 habe ich für den Linz-Tourismus die Linzer Tortendose designt. Auch das Etikett für den Linzer-Siegerwein für 2021 habe ich gestaltet. Eine Kooperation mit der Caritas und dem Modedesigner La Hong war in diesem Jahr eine schöne Aktion, in deren Rahmen T-Shirts mit meinem Logo bestickt wurden.

Das größte Projekt war allerdings das im Frühjahr 2023 eröffnete ART-INN Hotel. Für die komplette Ausstattung der Zimmer wurden meine Motive verwendet. Nicht nur die Wände in den Zimmern und Gängen, sondern auch der sanitäre Bereich mit den Glas-Duschkabinen wurden in einem Spezialverfahren bedruckt. Vom Außenbereich bis zum Seifenspender – alles wurde floralisiert! Über die positiven Bewertungen des Hotels freue ich mich, das Konzept wird angenommen.

H. M. P.: Das klingt sehr vielversprechend und vielseitig und es braucht jede Menge Inspiration dafür. Es heißt, dass man als Künstler von der Muse geküsst wird. In der Antike waren die Musen eine göttliche Inspirationsquelle. Kunst entsteht demnach nicht nur aus dem menschlichen Denken heraus, sondern aus etwas Überirdischem, Göttlichem. Was ist eine Inspirationsquelle für Dich?

L. J. A.: Zu Beginn meiner künstlerischen Laufbahn habe ich alles wie ein Schwamm aufgesaugt, verarbeitet, überprüft, widerlegt und verworfen, mich mit allen Dingen des Lebens und der Kunst auseinandergesetzt. Museen besucht, Kunstbände gesammelt. Studiert, gefeiert und viele Länder bereist. Das war alles inspirierend und hat meine Malerei beeinflusst. Mit den Jahren nimmt das aber ab, da ich nun immer mehr meiner eigenen Logik folge, mich sozusagen gefunden habe. Es braucht nicht mehr so sehr das Außen, damit im Inneren etwas passiert. Das Überirdische und auch Göttliche finde ich möglicherweise in meinen Träumen, wo ein Ereignis in allen seinen Aspekten, in verschiedenster Art und Weise verarbeitet wird. Ein paar Träume haben es sogar geschafft, dass ich durch sie ganz bewusst Entscheidungen getroffen habe, die mein Leben und meine Kunst verändert haben. Das Unbewusste gibt wohl öfters den Ton an, als ich denke.

H. M. P.: Was macht deine Kunst so einzigartig, welche Technik verwendest Du?

L. J. A.: Meine Malweise ist grundsätzlich so, wie schon die Alten Meister gemalt haben, nur mit dem Unterschied, dass ich wasserbasierende Medien verwende. Alle möglichen Acryl-Farben, Bindemittel und Farbpigmente, aber auch Airbrush, Filzstifte und Buntstifte kommen zum Einsatz. Wenn ich auf MDF-Platten male, baue ich die Motive in einer Weiß-Untermalung auf, wo ich wie ein Bildhauer die Formen dreidimensional heraus moduliere. Mit den Lasur-Farben bekommen die Objekte anschließend ihr Kolorit und Kontraste werden verstärkt. Durch diese Schichten-Malerei bekomme ich eine Tiefenwirkung, die eine besondere Leuchtwirkung hervorbringen kann. Ausschlaggebend ist aber auch das Material, bei dem ich nicht spare.

Cover Metamorphose Nr. I. Mischtechnik auf MDF, 200x140cm © Lukas Johannes Aigner 2017

H. M. P.: Bei Materialien und auch Zuhilfenahme digitaler Techniken hat sich in der Malerei sehr viel getan. Wie siehst Du den Umgang mit Künstlicher Intelligenz in der Kunst?

L. J. A.: Soweit ich diese Entwicklung beobachte, wird es wohl soweit kommen, bzw. sind wir schon mitten darin, dass der Malerei im Netz nicht mehr so vertraut wird. Viele fragen mich in den Sozialen Medien, ob meine Werke KI-generierte Bilder sind. Manche Malereien von mir wirken ja zum Teil sehr künstlich, was durchaus gewollt ist. Grundsätzlich ist es aber so, dass jedes Foto von einem Gemälde, nachdem es mit Photoshop optimiert und anschließend ins Netz hochgeladen wird, keine Malerei mehr ist, sondern nur noch das Abbild von Malerei. Wenn sich dieses Misstrauen verschlimmert, habe ich da einen ganz einfachen Lösungsvorschlag: Handy weglegen, sich mit Freund*innen treffen und Galerien, Kunstmessen und Museen besuchen. Gemalte Bilder sind eben auch Objekte, die im Raum eine Ausstrahlung haben. Die digitalen Medien können das nicht ersetzen.

H. M. P.: Apropos Museen: Was hältst Du von den Klimaprotestaktionen, bei denen sich Aktivist*innen an Kunstwerken in Museen festkleben oder diese anschütten?

L. J. A.: Da gibt es andere Mittel, wie man diesem großen Problem der Klimaerwärmung begegnen kann – es ist keine Lösung, sich an einem Kunstwerk oder auf Straßen festzukleben. Ich selbst habe nie einen Führerschein gemacht und führe daher ein autofreies Leben. Menschen, die sich selber beschäftigen können, bescheidener und achtsamer leben, werden zwar auch nicht die Welt retten, aber wenn jede*r bei sich selbst anfängt, rücksichtsvoller zu leben, würde uns das ein Stück weiterbringen.

Unser Wohlstand ist leider sehr eng mit der Zerstörung der Natur verbunden. Das bedeutet aber nicht, dass Menschen, die jetzt im Wohlstand leben, Verbrecher*innen sind. Und auch die Kunst, welche in den Museen hinter einem Panzerglas beschützt werden muss, hat damit nichts zu tun. Da finden völlig falsche Verknüpfungen statt. Gerade Gustav Klimt war für die Natur, er war der Künstler, der mit dem Jugendstil die Natur dem Menschen wieder nahegebracht hat.

Was ich feststellen kann ist, dass es eher eine Art Ohnmacht gegenüber dem kapitalistischen System gibt. Der Kampf zwischen Arm und Reich, die sozialen Probleme, die Ungerechtigkeiten, korrupte Politiker*innen usw. spielen da ebenso eine Rolle, da geht es nicht nur um das Klima, welches sich letztendlich nicht vorschreiben lassen möchte, wie es sich zu verhalten hat.

H. M. P.: Du hast in der Corona-Pandemie eine Galerie eröffnet, in der du im Obergeschoß arbeitest und dich selbst vermarktest – wie ist es dazu gekommen, wie funktioniert das?

L. J. A.: Ich hatte zehn Jahre lang ein Atelier, welches ich „den Kunstversorger“ nannte, mitten im Zentrum von Linz. Da war viel Platz, 350 Quadratmeter zum Arbeiten, aber auch zahlreiche Veranstaltungen fanden da satt. In dem Atelier habe ich meine Werke präsentiert und verkauft. Um die Eigenvermarktung kümmerte ich mich damals schon selbst. Durch den direkten Kontakt zu den Käufer*innen entstanden auch Freundschaften. Die Bildübergaben waren oft mit einem schönen gemeinsamen Abend verbunden, wo bei einem Glas Wein philosophiert und über alles Mögliche gesprochen wurde. Viele spannende Begegnungen sind mir da noch in Erinnerung. Das Gebäude selbst musste aber einem Neubau weichen. Ich habe dann in guter Nachbarschaft zum Ars Electronica Center und gegenüber dem neuen Rathaus meine neue Galerie in Urfahr gefunden und aufgebaut. In die eigene Kunst zu investieren, war mir immer schon wichtig. Daher habe ich keine Kosten und Mühen gescheut, einen Schritt nach vorne zu machen. Die daraus resultierende Freiheit und Selbstbestimmung, sich nicht unterordnen zu müssen, bedeutet für mich sehr viel.

H. M. P.: Das ist ein wirklich erstrebenswerter und schöner Zustand, den Du Dir damit geschaffen hast, herzliche Gratulation! Im Namen der ZUKUNFT danke ich Dir für Deine Gedanken und die einmaligen Einblicke in Dein Atelier und Deinen Schaffensprozess.

HEMMA MARLENE PRAINSACK

ist Theater- und Filmwissenschaftlerin mit Forschungsschwerpunkt Filmgeschichte zwischen Kaiserzeit und Nationalsozialismus. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kulturstudien. Davor arbeitete sie in der Generaldirektion des Österreichischen Rundfunks und bei zahlreichen Produktionen am Burgtheater Wien im Bereich Regie und Video, u.a. bei Andrea Breth und Christoph Schlingensief.

LUKAS JOHANNES AIGNER

Online unter: https://www.ljaigner.com/

Galerie © Lukas Johannes Aigner 2023