Digitale Basistechnologien als kritische Infrastruktur

VON PHILIP BIRKNER

In seinem Artikel analysiert PHILIP BIRKNER die Abhängigkeit Europas von der digitalen Wirtschaft und deren Auswirkungen auf Souveränität und Demokratie im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz. Dabei beleuchtet er die zugrunde liegenden Ursachen sowie die weitreichenden Folgen für den Sozialstaat und die demokratische Ordnung. Gleichzeitig skizziert er im Einklang mit progressiven Werten stehende mögliche Auswege aus der Abhängigkeit.

I. Europa im Rückstand

Abb. 1: Amazon Maintains Dominant Lead
in the Cloud Market © statista

Die digitale Ökonomie wird weitgehend von Unternehmen außerhalb Europas dominiert. Dies zeigt sich eindrucksvoll anhand der Marktkapitalisierung der führenden Technologieunternehmen und betrifft alle Sektoren: von Mikrochips (NVIDIA, TSMC) über Plattformen (Apple, Meta) und Marktplätzen (Alibaba, Amazon) bis hin zum Vertrieb digitaler Inhalte (Netflix). Europäische Unternehmen spielen, mit wenigen Ausnahmen wie der Digitalisierung von Geschäftsprozessen (SAP) oder der Zulieferung in der Halbleiterindustrie (ASML), eine untergeordnete Rolle. Sobald sie relevant werden, werden sie oft entweder von US-Konzernen aufgekauft oder verlassen den europäischen Kapitalmarkt, um weiteres Wachstum zu finanzieren – Beispiele hierfür sind Spotify und Klarna.

Die weltweiten Umsätze mit Cloud-Services beliefen sich laut Gartner im Jahr 2024 auf rund 600 Milliarden US-Dollar, davon rund 25 % in Europa, eine Summe, die das Bruttoinlandsprodukt (BIP) Österreichs übersteigt. Analyst*innen prognostizieren zudem ein jährliches Wachstum von über 20 % bis 2030, womit das derzeitige BIP Italiens, der achtgrößten Volkswirtschaft der Welt, erreicht wird. Gerade im Bereich der Bereitstellung digitaler Infrastruktur und Dienstleistungen über das Internet, den sogenannten Cloud Infrastructure Services, dominieren amerikanische Anbieter den Markt. AWS, Google und Microsoft halten zusammen einen Marktanteil von etwa 65 % und nehmen damit eine führende Rolle ein. Europäische Anbieter wie die Deutsche Telekom, OVHcloud oder Orange agieren hingegen fast ausschließlich auf lokaler Ebene und weisen eine geringere Wertschöpfungstiefe auf.

II. Cloud Services als Grundlage der (digitalen) Ökonomie

Das Zusammenspiel von Daten, Algorithmen, technischer Infrastruktur und institutionellen Rahmenbedingungen bildet die zentralen Bausteine jeder digitalen Wertschöpfung. Im Zentrum stehen die Daten, deren Verarbeitung durch Algorithmen und technische Infrastruktur maßgeblich vom zugrunde liegenden Geschäftsmodell beeinflusst wird. Diese Verarbeitung und Bereitstellung erfolgt zunehmend über cloudbasierte Infrastrukturen und Services, die von externen Anbietern, sogenannten „Cloud Service Providern“, bereitgestellt werden.

Dieses Betriebsmodell bietet zahlreiche Vorteile: Es ist skalierbarer, sicherer und zuverlässiger als der Aufbau und Betrieb einer eigenen Infrastruktur. Zudem wird die Auslagerung durch den zunehmenden Fachkräftemangel besonders attraktiv. Während größere Unternehmen häufig noch in der Lage sind, eigene IT-Strukturen zu betreiben, ist die Nutzung externer Cloud-Dienste für Start-ups sowie kleine und mittelständische Unternehmen mittlerweile oft die einzig praktikable Lösung. So gaben in einer 2024 durch KPMG durchgeführten Befragung bereits 78 % der deutschen Unternehmen an, Cloud Services extern zu beziehen.[1]

III. Hyperscaler als Grundlage der digitalen Infrastruktur

Anbieter, die auf Skalierbarkeit und Automatisierung ihrer Dienstleistungen spezialisiert sind, werden als Hyperscaler bezeichnet. Diese Unternehmen betreiben weltweit verteilte Rechenzentren mit Millionen von Servern und sind in der Lage, enorme Rechenkapazitäten innerhalb kürzester Zeit bereitzustellen – beispielsweise für das Training von KI-Modellen. Dank ihrer Größe erzielen Hyperscaler erhebliche Skaleneffekte in den Bereichen Einkauf, Betrieb und Forschung. Zu den führenden Akteuren in diesem Bereich zählen Amazon Web Services (AWS), Microsoft Azure und Google Cloud.

Neben der reinen Datenhaltung und -verarbeitung (Infrastructure & Platform as a Service) bieten Hyperscaler eine breite Palette an zusätzlichen Werkzeugen, die eine Weiterverarbeitung von Daten oder deren Integration in bestehende Anwendungen erleichtern (Software as a Service). Diese Dienstleistungen reichen vom Training und Abruf künstlicher Intelligenzen über die Analyse und Visualisierung von Daten bis hin zur Integration in Geschäftsanwendungen. Ein Beispiel ist die Azure Cloud von Microsoft, die eine nahtlose Verbindung zu den KI-Modellen von OpenAI sowie den eigenen Office-Produkten ermöglicht.

Darüber hinaus agieren Hyperscaler zunehmend als Marktplätze für Drittanbieter-Dienstleistungen. Dies führt zur Entstehung geschlossener Ökosysteme, in denen viele Services exklusiv verfügbar sind. Ein Wechsel zurück zu einer eigenen Infrastruktur oder der Umstieg auf einen anderen Anbieter wird dadurch erheblich erschwert – ein Phänomen, das als „Lock-in“ bezeichnet wird.

IV. Künstliche Intelligenz als Motor fundamentaler Veränderungen

Geschäftsmodelle und Anwendungen auf Basis künstlicher Intelligenz (KI) erleben derzeit ein explosionsartiges Wachstum und werden in naher Zukunft zu weitreichenden Umwälzungen in der Wertschöpfung führen. Analog zur Automatisierung während der ersten industriellen Revolution sorgt KI für erhebliche Produktivitätssteigerungen, indem sie manuelle und intellektuelle Tätigkeiten zunehmend durch Kapital ersetzt.[2] Doch im Gegensatz zur Vergangenheit stehen heute weniger niedrig qualifizierte Arbeitsplätze im Fokus der Substitution, sondern vielmehr Tätigkeiten in Wissens- und Kreativberufen.

DIGITALER KAPITALISMUS
MARKT UND HERRSCHAFT IN DER
ÖKONOMIE DER UNKNAPPHEIT
Berlin: Suhrkamp
345 Seiten | € 17,99
(Gebundenes Buch)
ISBN: 978-3-518-07515-9
Erscheinungstermin:
1. November 2019

Die technologische Grundlage dieser Transformation bilden hochentwickelte KI-Modelle, die oft mithilfe fragwürdig erworbener Daten trainiert und von leistungsstarken Rechenzentren betrieben werden. Hier wird die Macht der Hyperscaler besonders sichtbar. Mit ihren spezialisierten Hardware-Infrastrukturen, die für das Training und die Bereitstellung von KI-Modellen unerlässlich sind, haben sie eine marktbeherrschende Position aufgebaut. Eine zentrale Rolle spielen dabei sogenannte GPU-Cluster – Verbünde aus Hunderten oder sogar Tausenden von Grafikprozessoren, die für rechenintensive Aufgaben optimiert sind. Diese Cluster bilden heute das Rückgrat moderner KI-Anwendungen.

Für kleinere Organisationen oder Anbieter ist der Betrieb solcher hochspezialisierten Infrastrukturen kaum realisierbar, da die notwendigen Investitionen und Betriebskosten in keinem Verhältnis stehen. Der Zugang zu diesen Ressourcen wird daher fast ausschließlich über einen der Hyperscaler bereitgestellt, die durch ihre schiere Größe und technologischen Fortschritte den Markt dominieren.

Gleichzeitig investieren diese Anbieter massiv in die Weiterentwicklung eigener KI-Modelle, die sie auf ihren Plattformen anbieten. Dies stärkt nicht nur ihre Marktposition, sondern erweitert auch kontinuierlich ihren technologischen Vorsprung. Dies führt zu einer paradoxen Situation: Europäische Daten bilden die Basis für Dienstleistungen, die von amerikanischen Anbietern entwickelt und auf europäischen Märkten angeboten werden – während gleichzeitig die europäische Wirtschaft unter Druck gerät. Überspitzt formuliert, lässt sich von einer schleichenden „Kolonialisierung“ Europas durch amerikanische Tech-Konzerne sprechen. Auch hier sind Cloud Services wiederum im Herzen der Wertschöpfung, so beziehen, laut der bereits genannten Studie von KPMG, mehr als die Hälfte der deutschen Unternehmen ihre KI-Lösungen aus der Azure Cloud von Microsoft.

V. Eine Frage der Souveränität

Der Zugang zu diesen Schlüsseltechnologien ist daher zentrale Voraussetzung für die Wettbewerbsfähigkeit und Stabilität moderner Volkswirtschaften und der sicherheitspolitischen Autonomie eines Staates.[3] Europa jedoch hat sich in einem der bedeutendsten Technologiefelder – der digitalen Infrastruktur – nahezu vollständig von amerikanischen Anbietern abhängig gemacht.

Diese Abhängigkeit birgt erhebliche Risiken, besonders in Zeiten angespannter transatlantischer Beziehungen. Ein mögliches Exportverbot von Technologien und Patenten, die für den Betrieb essenziell sind, könnte europäische Unternehmen innerhalb kürzester Zeit lahmlegen. Auch der Verlust des Marktzugangs wäre eine fatale Folge.

Zudem unterliegen amerikanische Anbieter dem Cloud Act. Selbst wenn Daten in europäischen Rechenzentren gespeichert und verarbeitet werden, können US-Behörden den Zugriff auf diese Informationen einfordern. Für europäische Unternehmen, deren Daten oft Betriebsgeheimnisse und den Kern ihrer Wertschöpfung darstellen, ist dies ein nicht zu unterschätzendes Sicherheitsrisiko.

In Kombination mit den sich abzeichnenden politischen Veränderungen in Washington wird die Abhängigkeit von US-Technologie zu einer strategischen Schwachstelle. Europa muss dringend handeln, um technologische Souveränität zurückzugewinnen und sich gegen potenzielle Erpressbarkeit zu wappnen.

VI. Gefahr für Sozialstaat und Demokratie

Die digitale Transformation birgt enorme Chancen, stellt jedoch gleichzeitig unseren Sozialstaat und die Demokratie vor gewaltige Herausforderungen. Besonders die Verteilungsfragen, die durch den vermehrten Einsatz von KI-gestützten digitalen Dienstleistungen aufgeworfen werden, erfordern dringende politische Antworten.

Ein zentrales Problem ist der drohende Verlust gutbezahlter Arbeitsplätze. Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz und Automatisierung könnte in vielen Branchen Arbeitsplätze überflüssig machen. Die Folge: Der Sozialstaat wird durch höhere Kosten für Umschulungen, Arbeitszeitverkürzungen und andere Maßnahmen zur Abfederung des Wandels erheblich belastet.

Gleichzeitig bleiben die Effizienzgewinne der großen Tech-Konzerne, die von der Digitalisierung profitieren, oft weitgehend unversteuert. Ursache dafür sind Steueroptimierungsmechanismen und die immaterielle Natur digitaler Dienstleistungen.[4] Beispielhaft dafür ist die Standortpolitik internationaler Tech-Giganten: Während Amazon Web Services (AWS) seinen europäischen Hauptsitz in Luxemburg hat, residieren Microsoft und Google in Irland – Länder mit besonders günstigen Steuerregimen.

Abb. 2: Kennzahlen amerikanischer Unternehmen in ausgewählten Ländern © Eigengrafik

Die Dimension dieser Gewinnverschiebungen wird deutlich, wenn man die durchschnittlichen Gewinne pro Mitarbeiter*in vergleicht. 2021 erwirtschafteten amerikanische Unternehmen in Österreich und Deutschland durchschnittlich 40.000 USD Gewinn pro Mitarbeiter*in, während in Irland rund 675.000 USD pro Mitarbeiter*in verzeichnet wurden.

Auch auf kommunaler Ebene zeigt sich diese Problematik: Städte wie München, ein attraktiver Tech-Standort und Sitz mehrerer amerikanischer Technologieunternehmen, leiden unter einer zunehmenden Belastung der öffentlichen Infrastruktur und angespannten Wohnsituationen. Gleichzeitig fehlen jedoch die nötigen Einnahmen aus der Gewerbesteuer, da diese auf den Unternehmensgewinnen basiert – Gewinne, die aufgrund von Steuerverlagerungen andernorts verbucht werden.

Diese Entwicklungen gefährden nicht nur die Finanzierung des Sozialstaats, sondern schwächen auch die demokratische Handlungsfähigkeit. Es besteht daher ein dringender Handlungsbedarf, um sicherzustellen, dass die Früchte der digitalen Transformation gerecht verteilt und soziale Spannungen vermieden werden.

VII. Regulierung ist nicht die Ursache

Europas Rückstand in der technologischen Entwicklung wird häufig auf eine vermeintlich übermäßige Regulierung zurückgeführt. Eine tiefere Analyse zeigt jedoch, dass diese Erklärung nicht standhält. Besonders im Bereich der KI-basierten Geschäftsmodelle wird deutlich, dass andere Faktoren eine weitaus größere Rolle spielen.

Der sogenannte KI-Act, der die Entwicklung und Nutzung von Künstlicher Intelligenz in Europa regelt wurde soeben in Kraft gesetzt. Dennoch dominieren außereuropäische Anbieter längst den Markt. Dies legt nahe, dass die Ursachen für Europas Rückstand tiefer liegen: in einem fragmentierten Binnenmarkt, fehlendem Kapital und einem Mangel an unternehmerischem Wagemut.[5]

Die Entwicklung innovativer Plattformen erfordert erhebliche finanzielle Ressourcen. Doch die Hegemonie neoliberaler Wirtschaftsideen hat dazu geführt, dass eine aktive Industriepolitik in Europa weitgehend abwesend war – sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene. Die Finanzierungslücken, die private Investoren nicht schließen konnten oder wollten, blieben bestehen.

Auch der kürzlich veröffentlichte Draghi-Report[6] benennt die strukturellen Probleme Europas klar, dennoch bleibt der Bericht weitgehend bei Empfehlungen für regulatorische Anpassungen stehen und schreckt vor einer aktiven Industriepolitik zurück. Zwar können regulatorische Maßnahmen bis zu einem gewissen Grad den Zugang zu Schlüsseltechnologien sicherstellen, sie verhindern jedoch nicht den Abfluss von Wertschöpfung an außereuropäische Unternehmenszentralen.

VIII. Nachahmung nicht die Lösung

Die Frage, ob Europa die Unterschiede zu anderen Technologiestandorten – etwa durch die Bereitstellung von Kapital aus den Rücklagen von Pensionsgesellschaften – ausgleichen sollte, bedarf einer sorgfältigen Abwägung. Aus sozialdemokratischer Perspektive ist hier besondere Vorsicht geboten: Das wirtschaftspolitische Modell, das hinter solchen Vorschlägen steht, wird oft als „Silicon Valley Consensus“ bezeichnet. Es kombiniert Deregulierung mit der massiven Bereitstellung von Risikokapital. Doch diese Strategie hat gravierende Nachteile: Sie führt zu einer innovationshemmenden Konzentration von Marktanteilen und begünstigt die Entstehung von Monopolen und Oligopolen im Rahmen eines ungehemmten „Techno-Feudalismus“[7].

Die daraus resultierenden Monopolgewinne verbleiben bei wenigen Großunternehmen und tragen bereits heute zu einer historisch beispiellosen Vermögenskonzentration und Ungleichheit bei. Besonders bedenklich ist auch der damit einhergehende wachsende Einfluss, den die Milliardäre und Profiteure der digitalen Wirtschaft auf Politik und öffentliche Meinung ausüben – ein Phänomen, das sich in den USA derzeit besonders deutlich zeigt. Gleichzeitig ist eine demokratische Kontrolle der Künstlichen Intelligenz (KI) unverzichtbar. Die potenziellen Auswirkungen dieser Technologie auf unsere Gesellschaft sind noch nicht vollständig abzusehen, aber sie betreffen weitaus mehr als den Arbeitsmarkt. Sicherheitspolitische und ökologische Fragen spielen ebenfalls eine zentrale Rolle.

Ein Beispiel ist der Energieverbrauch: Rechenzentren verbrauchen heute bereits rund 2 %des gesamten Energiebedarfs in der EU. Mit der steigenden Nachfrage nach KI-basierten Anwendungen dürfte dieser Wert weiter zunehmen. Ohne klare politische Vorgaben und eine nachhaltige Strategie riskieren wir, dass die digitale Transformation zu einer Belastung für Klima und Umwelt wird.

Europa darf sich daher nicht darauf beschränken, das Silicon-Valley-Modell zu kopieren. Stattdessen braucht es einen eigenständigen Ansatz, der Innovation fördert, soziale Gerechtigkeit wahrt und die demokratische Kontrolle über Schlüsseltechnologien sicherstellt.

IX. Neue (und alte) Wege für eine digitale Souveränität

Angesichts der aktuellen Rahmenbedingungen müssen Cloud-Infrastrukturen daher als kritische Infrastruktur eingestuft werden. Ihre Bereitstellung sollte unter demokratische Kontrolle gestellt und an den Maßstäben des Gemeinwohls ausgerichtet sein. Dies ist nicht nur eine technische oder wirtschaftliche, sondern vor allem eine ethische, demokratiepolitische und verteilungspolitische Frage. Europa kommt daher nicht darum herum, eine eigenständige digitale Infrastruktur zu entwickeln und dabei verhindern, dass ein weiterer privater digitaler Oligopolist entsteht, der die ohnehin bestehende Marktkonzentration nur weiter verstärkt.

Die Vergangenheit bietet Inspiration: In den 1970er- und 1980er-Jahren sah sich Europa mit der erdrückenden Übermacht der US-amerikanischen Luftfahrtindustrie konfrontiert. Damals gründeten europäische Staaten auf Initiative der Politik Airbus – ein Zusammenschluss privater und öffentlicher Unternehmen, der Europas Souveränität sicherte und langfristig Wachstum sowie Arbeitsplätze schuf. Ein vergleichbarer Ansatz könnte auch im digitalen Bereich verfolgt werden.

Ergänzend oder alternativ könnte die öffentliche Hand eine europäische digitale Basisinfrastruktur schaffen, die als Marktplatz und Plattform dient.[8] Diese könnte durch staatliche Abnahmegarantien in der Anfangsphase gestützt werden, um später auch privaten Unternehmen Zugang zu bieten. Die Finanzierung einer solchen Initiative ließe sich durch verschiedene Maßnahmen sicherstellen, so z. B.:

  • Eine höhere Mindestbesteuerung von Unternehmensgewinnen im europäischen Wirtschaftsraum.
  • Ein Sondervermögen, etwa im Zusammenhang mit den steigenden Wehretats („Europäische Defence Cloud“).
  • Eine Digitalsteuer auf Cloud Services.

Darüber hinaus ist es an der Zeit, den institutionellen Rahmen der digitalen Sphäre neu zu denken. Progressive Politik hat stets darauf hingewirkt, Leistungen der Daseinsvorsorge und öffentliche Infrastruktur unter demokratische Kontrolle zu stellen.[9] Beispiele reichen vom Aufbau des Sozialstaats und öffentlicher Universitäten bis hin zu großen Infrastrukturprojekten wie Eisenbahn, Elektrizität und Telekommunikation.

Die Idee einer öffentlichen generativen KI, analog zu den öffentlichen Bibliotheken, ist in diesem Kontext nicht weit hergeholt.[10] Digitale Infrastruktur und Services als „Common Good“ – ein Gemeingut für alle Bürgerinnen und Bürger – könnte die Grundlage für eine gerechtere, nachhaltigere und demokratisch kontrollierte digitale Zukunft schaffen.

X. Conclusio: Nationalstaaten sind gefordert

Obwohl die Herausforderungen der digitalen Transformation zu groß sind, um sie allein auf nationaler Ebene zu bewältigen, besteht dringender Handlungsbedarf – insbesondere für kleinere Länder wie Österreich. Gerade sie sollten sich aktiv für eine supranationale oder zwischenstaatliche Lösung einsetzen. Ihre stärkere Abhängigkeit und ihr geringeres strategisches Gewicht machen es notwendig, Initiativen für eine faire Besteuerung und die Entwicklung digitaler Alternativen voranzutreiben. Andernfalls drohen sie, von der Gestaltung ausgeschlossen zu werden und lediglich einem weiteren Anbieter ausgeliefert zu sein.

Auch auf lokaler Ebene müssen die Risiken der digitalen Abhängigkeit klar benannt und möglichst entschärft werden. Das betrifft sowohl den Einsatz von Hyperscalern in der öffentlichen Verwaltung als auch die Entwicklung von Handlungsempfehlungen für Wirtschaft und Gesellschaft.

Angesichts der enormen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedeutung der digitalen Sphäre ist es zudem kaum nachvollziehbar, warum diese Themen bisher nicht prominenter behandelt werden – etwa durch die Einrichtung eines eigenständigen Ministeriums für Digitalisierung ausgestattet mit den entsprechenden Ressourcen und Kompetenzen. Eine strategischere Herangehensweise ist jedenfalls dringend erforderlich, um digitale Souveränität zu stärken und künftige Herausforderungen zu bewältigen.

PHILIP BIRKNER
ist seit vielen Jahren als Führungskraft in der IT-Industrie in den Bereichen Finanz, Operation und Vertrieb tätig und studierter Betriebswirt. Nebenberuflich engagiert er sich in Initiativen für eine progressive Digitalpolitik. Kontakt: philip.birkner@posteo.de


[1] KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (2024): Cloud-Monitor 2024, online unter: https://info.kpmg.at/cloudmonitor2024/ (letzter Zugriff: 01.02.2025).

[2] Eloundou, Tyna/Manning, Sam/Mishkin, Pamela/Rock,Daniel (2023): GPTs are GPTs: An Early Look at the Labor Market Impact Potential of Large Language Models, https://doi.org/10.48550/arXiv.2303.10130 (letzter Zugriff: 01.02.2025).

[3] Buchanan, Ben/Imbrie, Andrew (2022): The New Fire – War, Peace and Democracy in the Age of AI, Cambridge: The MIT Press.

[4] Saez, Emmanuel/Zucman, Gabriel (2019): The Triumph of Injustice: How the Rich Dodge Taxes and How to Make Them Pay, New York: W.W. Norton & Company.

[5] Bradford, Anu (2024): The False Choice Between Digital Regulation and Innovation, online unter: https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=4753107 (letzter Zugriff: 01.02.2025).

[6] Draghi, Mario (2024): The future of European competitiveness, online unter: https://commission.europa.eu/topics/strengthening-european-competitiveness/eu-competitiveness-looking-ahead_en (letzter Zugriff: 01.02.2025).

[7] Durand, Cédric (2024): How Silicon Valley Unleashed Techno-feudalism: The Making of the Digital Economy, Brooklyn: Verso.

[8] FEPS Foundation for European Studies (2024): Time to build a European Digital Ecosystem, online unter: https://feps-europe.eu/wp-content/uploads/2024/12/Time-to-build-a-European-digital-ecosystem.pdf (letzter Zugriff: 04.01.2025)

[9] Rikap, Cecilia/Durand, Cédric/Paraná, Edemilson/Gerbaudo, Paolo/Marx, Paris (2024): Reclaiming digital sovereignty: A roadmap to build a digital stack for people and the planet, online unter: https://www.ucl.ac.uk/bartlett/public-purpose/sites/bartlett_public_purpose/files/reclaiming-digital-sovereignty.pdf (letzter Zugriff: 01.02.2025).

[10] Morozov, Evgeny (2024): Can AI Break Out of Panglossian Neoliberalism? What Big Tech has done to our institutional and infrastructural imagination, online unter https://www.bostonreview.net/articles/can-ai-break-out-of-panglossian-neoliberalism/ (letzter Zugriff: 01.02.2025).