Wir wählen oder wir wählen nicht, aber wen oder was wählen wir eigentlich? Wer sind die Personen, die uns alle repräsentieren? Welche Geisteshaltung verkörpern sie? Und können wir durch politische Bildung mehr Vertrauen – vor allem im Hinblick auf die Fraktion der Nichtwähler*innen – schaffen? Dario Wohlmuth untersucht das Verhältnis von Demokratie und politischer Verantwortung.
I. Einleitung
Der November 2020 in den USA hat gezeigt, dass sich die Menschen in den Vereinigten Staaten von egozentrischen Blender*innen und Populist*innen wie dem erneuten Amtsinhaber der amerikanischen Präsidentschaft weiter führen lassen möchten. Andernorts stellt sich die Frage, ob das Modell eines Jair Bolsonaro in Brasilien, eines Erdogan in der Türkei und viele andere aktuelle Erscheinungsbilder der Postdemokratie in dieser Form zukunftsfähig sein werden oder ob nicht vielleicht doch der Diskurs einer konsensbasierten Politik wiederaufleben wird. Es bedarf einer zukunftsfähigen neuen Form gesamtgesellschaftlich orientierter Politik, bei der sich die politischen Akteur*innen ernsthaft mit den Problemen und den Herausforderungen unserer Gesellschaft auseinandersetzen. Schließlich wählen wir bei der Wahl unsere gesellschaftlichen Entscheidungsträger*innen und politischen Repräsentant*innen in der Erwartung, dass sie die erforderlichen, notwendigen und verantwortungsreichen Handlungen auch kompetent umsetzen.
II. Ein mediales Theater und blendendes Feuerwerk?
Derzeit ist vielerorts ein sich wiederholendes politisches Schema zu beobachten, wie der Diskurs über die US-Wahl zeigt. In der Debatte des amtierenden US-Präsidenten Donald Trump und dem Herausforderer Joe Biden fiel auf, dass Trump den Diskurs eigentlich gar nicht auf der sachbezogenen Ebene führen wollte. Seine Kommunikation läuft darauf hinaus, dass er immer wieder nur seinen persönlichen Standpunkt darstellt und sich gar nicht mit der Sichtweise anderer auseinandersetzen möchte. Aber genau darin läge das Wesen der Politik und die Aufgabe demokratischer Politiker*innen. Die politisch Handlungstreibenden einer Demokratie müssen sich mit Problemen und divergierenden Ansichtsweisen beschäftigen, um vernünftige und gesellschaftlich tragfähige Lösungen für die Menschen zu finden. Denn die Menschen haben gerade in dieser aktuellen Zeit schon genug Probleme, Ängste und Sorgen und dieses ständige, auch durch diverse Medien angeheizte Theater voller Inszenierungen macht die Bürger*innen politikverdrossen und politikmüde. Dabei ist diese Tendenz sehr gefährlich und ebenso anfällig für eine zunehmende Radikalisierung und Spaltung unserer Gesellschaft.
Es gehört daher zu einer politischen Grundhaltung und einem ethischen Anforderungsprofil, dass Politiker*innen die ihnen zugeschriebene Aufmerksamkeit eben nicht für die Erfüllung persönlicher Interessen missbrauchen. Wenn dies der Wunsch mancher politischer Akteur*innen ist, so gibt es hierfür zahlreiche andere Bühnen in Boulevardmagazinen und diversen (auch sehr unterhaltsamen) Showformaten. Selbstverständlich lebt auch die Politik heutzutage von Inszenierungen und Selbstdarstellungen, aber es ist wie mit einem kurzen Feuerwerk zu vergleichen, welches unsere Aufmerksamkeit weckt. Und dabei stellt sich die Frage: Nutzen Politiker*innen diese Aufmerksamkeit, um den Menschen zu helfen oder missbrauchen sie das Vertrauen, das ihnen gegeben wurde? Sollte nicht vermehrt gerade in der Politik darauf geachtet werden, unsere Gesellschaft so zu gestalten, dass die Menschen, mit denen wir unsere Zeit verbringen, gesund und sicher sind, anstatt ein andauerndes mediales Blendfeuerwerk zu veranstalten?
III. Zwischen Ego und Gemeinschaft
Gerade in dieser schwierigen Zeit, in der wir im gesamten Jahr 2020 die COVID-19-Pandemie auch mit einem zweiten Lockdown überstehen müssen und die Menschen – weit über das normale Maß hinausgehend – ständig unter Druck und enormen Belastungen stehen, ist es die Aufgabe der Politik zu helfen, zu verbinden und Lösungen für die gesamte Gesellschaft zu suchen. Dazu gehört allerdings eine Haltung, die eine Selbstverständlichkeit sein sollte: denn es geht darum, sich selbst und sein Ego hintanzustellen und etwas für die Gemeinschaft zu tun. Genau das ist die Aufgabe von politischen Repräsentant*innen und „Volksvertreter*innen“. Bei uns in Österreich zeichnet sich zwar ein nicht ganz so drastisches Bild wie in anderen Ländern ab, aber wir sind auch nicht abgekoppelt vom Rest der Welt. Es sind auch bedenkliche Tendenzen zu beobachten, die eine politische Darstellungsform symbolisieren, welche nicht mit den Grundprinzipien eines demokratischen Selbstbildes vereinbar ist.
Vor allem dann nicht, wenn man ein öffentliches Amt bekleidet … und ich wähle dieses Wort „bekleidet“ im Hinblick auf manche modischen Erscheinungsformen unserer Volksvertreter*innen, die auf Festivitäten des gehobenen Mittelstandes mit teuren Maßanzügen herumlaufen und sich so beispielhaft und durchaus die Frage stellt, wie weit sie – im Sinne der Volkssouveränität – noch einen Bezug zur eigenen Bevölkerung haben. Dabei müssen wir keine Gegner*innen von Maßanzügen sein, ich finde es sogar gut, wenn jemand Geschmack hat, aber ich würde sehr gerne diese politischen Handlungsträger*innen auch in anderen Bevölkerungsschichten präsent und aktiv mithelfen sehen und nicht nur bei jenen Eliten, zu denen sie anscheinend dazu gehören möchten. Es ist nämlich ein Unterschied, ob jemand den Wert der Arbeit seiner Mitmenschen kennt, und weiß, was es bedeutet, in den Schuhen anderer zu stecken. Außerdem wirft es die Frage nach der Qualität von Entscheidungen und der Einflussnahme gerade durch die im Umfeld von politischen Entscheidungsträger*innen stehenden Interessen auf. Dieser Wertekanon ist immer wieder erkennbar, wenn es um die politisch handelnden Akteur*innen geht. Dabei muss man sich auch die Frage stellen, ob Volksvertreter*innen nicht eher bescheiden auftreten sollten, solange auch nur eine Person in unserem Land Hunger leidet, in der Nacht friert oder kein Dach über dem Kopf hat.
IV. Transparenz, Vertrauen und Solidarität
In diesem Sinne hat die Sozialdemokratie schon immer eine ihr zu Recht auch zugewiesene politische Rolle eingenommen und auf soziale und ökonomische Ungleichgewichte hingewiesen. Dabei reicht es aber nicht aus mit dem Finger auf andere zu zeigen und den Moralapostel zu spielen. Eigentlich müssten die von den anderen geforderten Haltungen auch selbst gelebt werden, um ein gutes und solides Vorbild für die gesamte Gesellschaft abzugeben. Genau das fehlt aber bei vielen Spitzenpolitiker*innen und (auch) in der SPÖ. Dies beginnt mit der eigenen Präsentation in der Öffentlichkeit, der Art und Weise, wie Politiker*innen bewusst wahrgenommen werden und es endet bei den Handlungen, die Entscheidungsträger*innen schlussendlich setzen. Demgemäß wäre es auch die Rolle und Funktion einer gelebten Demokratie in einer sich sozial und ökonomisch gut entwickelnden Gesellschaft, eine ethische Grundhaltung auch von den politischen Vertreter*innen einzufordern und in diesem Sinne immer wieder die konstruktive und kritische Stimme zu erheben. Denn Sicherheit und Vertrauen in unser durchaus in Konkurrenz zu anderen Systemen stehendes Gesellschaftssystem schaffen wir durch Transparenz.
Nehmen wir doch die folgende Frage als Beispiel einer kritischen Auseinandersetzung: Woher kommt das Geld einer Partei und welche Interessensverbände bezahlen wen und wofür? Diese Frage kann in unserer politischen Landschaft nicht oft genug gestellt werden und muss auch öffentlich beantwortet werden. Wir fördern das Vertrauen in unser demokratisches System vor allem durch Offenheit und Ehrlichkeit. Also etwa durch die (öffentliche) Beantwortung der simplen Fragen:Wieso setze ich mich für die Ziele ein, für die ich stehe? Was ist mein politisches Interesse?Fragen, die sich alle politisch Handelnden, also im Grunde jede und jeder Staatsbürger*in, stellen muss.
Weiters schaffen wir Vertrauen auch durch den ehrlichen Umgang mit vergangenen Taten und – gerade in Österreich und angesichts der Wiederholungsgefahr und der Kontinuität zum Faschismus – generell mit einer kritischen Aufarbeitung der Vergangenheit, die künftig auch zu einem aufgeklärten kollektiven Gedächtnis geführt werden muss. Last but not least entstehen ein soziales und demokratisches Bewusstsein sowie Transparenz und Vertrauen gerade durch eine Demokratisierung des bestehenden Machtgefüges. Veranschaulicht werden kann diese Demokratisierung angesichts der Frage, wie wir mit den Schwächsten in unserer Gesellschaft umgehen. Um also politisches Vertrauen zu festigen und wiederherzustellen, brauchen wir in vollem Umfang eine politische, ethische und d. h. solidarische Grundhaltung.
V. Verschwiegene Öffentlichkeit?
Auch schaffen wir kein Vertrauen durch Verschwiegenheitsvereinbarungen, wie sie beispielsweise nach einem Gespräch über die Stadtregierungsverhandlungen mit der ÖVP getroffen wurde, nur um verhandlungstaktische Ziele zu erreichen. Freilich dient Derartiges auch der Selbstdarstellung und eine solche Haltung entspricht anscheinend dem politischen Zeitgeist mancher Politiker*innen. Dieser Umstand zeigt sich auch in der Haltung eines Bundeskanzlers, der an auf ihn wartenden Journalist*innen vorbeigeht, ohne auf deren berechtigte und legitime Fragen einzugehen. So als ob das öffentliche Interesse ein Wunschkonzert wäre, bei dem die Politiker*innen sich aussuchen könnten, welche Inhalte sie der Bevölkerung präsentieren und welche sie ihr vorenthalten. Dementgegen hat die Öffentlichkeit ein Grundrecht auf transparente und verständliche Information und diese sollte nicht durch die Medien- und Kommunikationspolitik einer kleinen Elite bestimmt werden, die nur ihre Klientel bedienen möchte und den Rest der Bevölkerung außen vorlässt. Oft betreiben politische Akteur*innen ihre eigene private Kommunikationsagentur, die eher ihren persönlichen Interessen dient und nicht dem öffentlichen Wohl. In diesem Fall sollten diese dann auch keinesfalls mit Staatsgeldern und öffentlichen Mitteln betrieben werden und der Rechnungshof sollte diese Ausgaben jährlich überprüfen.
Dabei geht es aber nicht nur um eine Partei, weil es genügend andere Fälle in den Spektren unserer politischen Farbenpalette gibt, die ebenso politische Verantwortung vermissen lassen. Wenn wir z. B. aktuell von jenen regierenden Volksvertreter*innen sprechen, die sich selbst „Volkspartei“ nennen, dann kann man sich – auch angesichts des Prozesses von Karl Heinz Grasser – fragen, wo bei all dem Geld die Leistung ist, die den Menschen zugute hätte kommen sollen? Haben wir angesichts der immensen derzeitigen Kosten und einer Situation, in der viele Familien nicht einmal mehr wissen, wie sie das nächste Monat überstehen können, wirklich das Geld, um es Leuten in den Rachen zu werfen, für die genug niemals genug ist? Diese Frage entspricht darüber hinaus einem unternehmerischen Leistungsprinzip und sollte danach gemessen werden. Denn auch Unternehmer*innen müssen sich jeden Tag überlegen, welche Leistung zu erbringen ist, um das Unternehmen zu erhalten. Damit stehen auch sie in der Verantwortung gegenüber ihrer Belegschaft. Dieselbe Verantwortung tragen auch die politischen Handlungsträger*innen.
VI. Schluss
Aber welche Leistung für die Bevölkerung erbringt eine Regierung, die so handelt wie oben beschrieben? Machen wir zum Ende hin einen kurzen Faktencheck: Wie viele Probleme stehen denn aktuell auf der Agenda unserer Gesellschaft und wie viele wurden von den politischen Entscheidungsträger*innen gelöst? Hier gibt es viele Beispiele aus der Zivilgesellschaft, die mehr bewegt hat als so manche politischen Funktionär*innen. Dabei wären Leistung und Verantwortung die wichtigsten Anforderungen an diese politischen Handlungsträger*innen, wobei es immer auch darum gehen müsste, der Bevölkerung die Komplexität von zukunftsweisenden Verhandlungen zu erklären.
Was wenn nicht dies, ist die Aufgabe der Politiker*innen, die aus einer wichtigen Sitzung über zukunftsweisende Themen kommen und sich den Fragen eines kritischen Journalismus stellen, um die Öffentlichkeit zu informieren? Dabei gehört es zu ihrer Aufgabe Komplexität zu reduzieren, Verständigung und Konsens zu erzielen und den Menschen, denen sie verpflichtet sind, bei der Orientierung ihres alltäglichen Lebens zu helfen und sie nicht noch mehr zu verwirren. Insofern bedarf es einer fakten- und evidenzbasierten Kommunikation, welche die Menschen nicht für Zweifel anfällig macht und sie auch nicht durch falsche und intransparente Informationen in die Irre führt oder verunsichert.
Alle Staatsbürger*innen unseres demokratischen Systems, egal ob in Österreich oder in Amerika angesichts der soeben durchgeführten Wahlen, müssen sich überlegen, welche Art von politischer Repräsentation sie wählen möchten und es gibt in einer Demokratie bedauerlicherweise nicht immer die beste Auswahl. Aber man kann an allem mit diskurs- und lösungsorientieren Menschen arbeiten. Solche Menschen gibt es in unserer Zivilgesellschaft sowie überall auf der Welt, wo wir das Glück haben Menschen kennenzulernen, die das Wort Solidarität auch tatsächlich leben. Denn Solidarität ist die grundlegende Ethik jeder demokratischen und politischen Verantwortung.
In diesem Sinne bekommt vor allem die politische Bildung eine immer wichtigere Bedeutung. Denn nur durch eine umfassende (politische) Bildung und eine konstruktive kritische Stimme können wir einen allgemeinen demokratischen Rahmen schaffen, in dem die politische Verantwortung durch Transparenz, Vertrauen und Solidarität alle Staatsbürger*innen auf den öffentlichen Weg in eine wirkliche Demokratie führt, die für alle Menschen ein besseres Leben schafft. Schließlich geht es dabei immer auch um das Vertrauen in unsere eigene ZUKUNFT.
Dario Wohlmuth ist Politik- und Kommunikationswissenschaftler und arbeitet seit neun Jahren in der Luftfahrtindustrie.