Wissenschaft, Zukunft, Freiheit – Sozialdemokratische Perspektiven für ein gerechtes Österreich VON HEINRICH HIMMER

Der Artikel von HEINRICH HIMMER beleuchtet aus sozialdemokratischer Perspektive die zentrale Rolle von Wissenschaft, Bildung und technologischer Entwicklung für eine gerechte, freie und zukunftsfähige Gesellschaft. Er fordert eine demokratische Gestaltung des Wandels – durch gut finanzierte öffentliche Forschung, soziale Bildungspolitik, faire Digitalisierung und eine ökologisch wie sozial gerechte Transformation. Wissenschaft wird dabei als Motor gesellschaftlichen Fortschritts und als Garant demokratischer Freiheit verstanden.

I. Politische Herausforderung braucht klare Haltung

Wissenschaft, Zukunft und Freiheit – drei Begriffe, die wie kaum andere für den Zustand und die Entwicklungsrichtung einer Gesellschaft stehen. In Zeiten multipler Krisen, wachsender globaler Unsicherheiten und technischer Umbrüche stellen sie aber auch eine große politische Herausforderung dar. Die Sozialdemokratie hat traditionell eine klare Haltung dazu: Fortschritt ist kein Naturereignis, sondern muss demokratisch, solidarisch und zum Nutzen der Vielen gestaltet werden. Das gilt besonders für ein Land wie Österreich, dessen Potenzial in seiner klugen Bevölkerung, seinem leistungsfähigen Bildungssystem und seinen öffentlichen Institutionen liegt. Doch dieses Potenzial muss politisch geschützt und gefördert werden – gegen neoliberale Verwertungslogik und autoritäre Tendenzen. Beispiele für diese negativen Tendenzen sind rund um den Globus zu finden.

II. Wissenschaft als öffentliches Gut und demokratischer Auftrag

Sozialdemokratische Wissenschaftspolitik begreift Forschung und Erkenntnis nicht als Selbstzweck, sondern als gestaltende Kraft in der Gesellschaft. Wissen schafft Grundlagen für Fortschritt – in Medizin, Klimaschutz, Arbeitswelt oder unserem allgemeinen Demokratieverständnis. Aber dieses Wissen entsteht nicht aus dem leeren Raum: Es braucht gut finanzierte öffentliche Hochschulen, langfristige Forschungsperspektiven und stabile Beschäftigungsverhältnisse für Wissenschafter*innen.

Die aktuelle Realität ist jedoch noch eine andere: Befristungen, Drittmittelabhängigkeit, Leistungsdruck und eine zunehmende Orientierung an kurzfristiger Verwertbarkeit dominieren den wissenschaftlichen Alltag. Diese Prekarisierung untergräbt nicht nur die Qualität, sondern auch die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft. Eine sozialdemokratische Antwort muss hier mit klarer Programmatik gegensteuern: durch strukturelle Grundfinanzierung, faire Arbeitsbedingungen und eine Stärkung des öffentlichen Sektors in Forschung und Entwicklung.

Gleichzeitig ist Wissenschaft nicht neutral. Sie ist Teil des gesellschaftlichen Diskurses – und trägt Verantwortung. Der Anspruch auf Objektivität bedeutet nicht, sich aus politischen Fragen herauszuhalten. Im Gegenteil: Die Verteidigung demokratischer, inklusiver, aufklärerischer Werte ist Teil einer wissenschaftlichen Ethik, die sich nicht der Marktlogik unterordnet.

III. Bildungsgerechtigkeit als demokratischer Imperativ

Der Zugang zu Bildung ist ein entscheidender Indikator für gesellschaftliche Gerechtigkeit. Doch noch immer entscheidet in Österreich die soziale Herkunft maßgeblich über den Bildungsweg und letztlich auch über den eigenen Bildungserfolg. Eine umfassende sozialdemokratische Bildungspolitik muss diese strukturelle Ungleichheit aufbrechen – durch frühkindliche Förderung, eine gemeinsame ganztägige Schule, inklusive Pädagogik, kostenlose Bildung auf allen Ebenen und eine Studienförderung, die Potenziale unabhängig vom Einkommen stärkt.

Wissenschaftliche Erkenntnisse über soziale Mobilität, Bildungsbiografien und Ungleichheiten liegen längst vor – es fehlt an ihrer politischen Umsetzung. Hier liegt auch eine Aufgabe für die Wissenschaft selbst: evidenzbasierte Politikberatung, sozialwissenschaftliche Analyse, kritische Bildungsforschung. Sozialdemokratie und Wissenschaft sind traditionell Verbündete in der Aufklärung – diese Beziehung muss politisch gestärkt und institutionell verankert werden.

IV. Technik und Digitalisierung: Fortschritt für alle – nicht für wenige

Die technologischen Umwälzungen der letzten Jahrzehnte – von der Digitalisierung über Künstliche Intelligenz bis hin zur Plattformökonomie – haben nicht nur neue Möglichkeiten eröffnet, sondern auch neue Ungleichheiten geschaffen. Eine sozialdemokratische Wissenschafts- und Technologiepolitik setzt hier an: Sie will nicht bloß verwalten, sondern gestalten.

Das bedeutet: demokratische Kontrolle über digitale Infrastrukturen, transparente Algorithmen, Datenschutz als Grundrecht und digitale Bildung für alle. Folglich braucht es Digitalen Humanismus als zentrale Orientierung für technologischen Wandel. Dieser darf eben nicht auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung gehen. Arbeitsrechtlicher Schutz, soziale Absicherung und Qualifizierungsmöglichkeiten müssen mit der Technologieentwicklung zusammen gestaltet werden. Dazu braucht es nicht nur politische Regulierung, sondern auch eine kritische, interdisziplinäre Technikforschung, die gesellschaftliche Folgen mitdenkt und Alternativen entwickelt.

Hier sind sozialdemokratische Wissenschaftsinitiativen gefragt: Forschungsprogramme, die ökologische, soziale und technologische Fragen zusammendenken. Partizipative Innovationspolitik, die Bürger*innen nicht ausschließt, sondern einbindet. Und institutionelle Strukturen, die Kooperation statt Konkurrenz fördern – in Universitäten, Fachhochschulen, Pädagogischen Hochschulen und außeruniversitären Einrichtungen.

V. Klimawandel und die Verantwortung der Wissenschaft

Kaum ein Bereich macht die Relevanz wissenschaftlicher Erkenntnisse für gesellschaftliches Überleben so deutlich wie die Klimapolitik. Die ökologische Transformation ist eine Herausforderung, die ohne Wissenschaft nicht bewältigt werden kann – aber auch nicht ohne Gerechtigkeit. Denn Klimapolitik, die soziale Fragen ignoriert, vertieft Ungleichheiten und gefährdet den gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Die Sozialdemokratie steht daher für eine ökologisch und sozial gerechte Transformation. Das heißt: Wissenschaftliche Expertise muss eingebunden werden – aber in einem politischen Rahmen, der Teilhabe, Verteilungsgerechtigkeit und Solidarität sicherstellt. Energiewende, Mobilitätswende, Agrarwende – all das erfordert technologische Innovation, aber auch sozialwissenschaftliche Analyse, politische Steuerung und kulturellen Wandel.

Ein starker, öffentlicher Wissenschaftssektor ist hier nicht nur Beiwerk, sondern unabdingbare Voraussetzung: von der Grundlagenforschung in der Energietechnologie bis zur Stadt- und Regionalforschung, die soziale Auswirkungen des Wandels analysiert. Es braucht gezielte Investitionen – und eine klare politische Haltung gegen jene, die Klimaschutz mit den Schlagworten „Elitenprojekt“ oder „Verlustangst“ diskreditieren.

VI. Freiheit verteidigen – durch Wissenschaft und Solidarität

In autoritären Gesellschaften wird die Wissenschaft zur Zielscheibe – weil sie kritisch ist, weil sie Fragen stellt, weil sie sich dem Populismus entzieht. In pluralen Demokratien ist sie ein Bollwerk gegen Desinformation, Polarisierung und Ideologisierung. Doch auch in Österreich sind Wissenschaftsfeindlichkeit, Verschwörungstheorien und ein antiaufklärerisches Klima in manchen politischen und gesellschaftlichen Gruppen vorhanden. Sie bedrohen die Grundlagen der offenen Gesellschaft – und damit auch unsere Freiheit.

Eine sozialdemokratische Wissenschaftspolitik versteht die Freiheit nicht bloß negativ – als Abwesenheit von Zwang –, sondern positiv: als Möglichkeit zur Entfaltung, zur Mitsprache, zur Selbstbestimmung. Freiheit ist nicht vom Markt, sondern vom Zugang zu Bildung, Information und Teilhabe abhängig. Sie ist nicht individuell, sondern sozial.

Gerade deshalb muss Wissenschaft politisch geschützt und gesellschaftlich gestärkt werden. Sie braucht Autonomie, Ressourcen, Öffentlichkeit – aber auch Verantwortung. Denn wissenschaftliche Erkenntnis allein schafft keine Demokratie. Aber sie ist eine ihrer wichtigsten Voraussetzungen.

VII. Fortschritt gestalten – im Interesse der Vielen

Die Geschichte der österreichischen Sozialdemokratie ist eng mit der Geschichte des wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritts verbunden – vom Roten Wien über die Bildungsoffensive der 1970er-Jahre. Auch im aktuellen Regierungsprogramm ist eine klare sozialdemokratischen Handschrift in den Bereichen Bildung und Wissenschaft erkennbar. So sind Ausbaupfade ganztägiger Schulen, Projekte zu gemeinsamen Schulkonzepten oder mehr Schulsozialarbeit wichtige Inhalte im Bildungskapitel. Mit der Strategie zur Hochschulentwicklung 2040, der Stärkung der Erwachsenenbildung, mehr unbefristeten Verträgen von Mitarbeiter*innen an Hochschulen oder der Evaluierung der Zugangsbeschränkungen bis 2026 werden in den nächsten Monaten zentrale politische Meilensteine gesetzt. Diese Tradition verpflichtet: zur Gestaltung, nicht zur Verwaltung. Zum Mut zur Veränderung, nicht zur Angst vor Komplexität.

Wissenschaft, Zukunft und Freiheit sind keine abstrakten Begriffe. Sie stehen für konkrete politische Entscheidungen: Wie finanzieren wir Universitäten? Wer hat Zugang zu Bildung? Wie steuern wir Technologie? Wie sichern wir Teilhabe und Demokratie in einer sich wandelnden Welt?

Die Antworten darauf dürfen wir nicht dem Markt, der Bürokratie oder dem Populismus überlassen. Sie müssen demokratisch, gerecht und solidarisch sein. Denn die Zukunft gehört nicht denen, die sie aussitzen – sondern denen, die sie gestalten.

Heinrich Himmer © Heinrich Himmer

HEINRICH HIMMER

ist Nationalratsabgeordneter aus Wien und Bereichssprecher für Bildung und Wissenschaft. Er ist auch ehemaliger Bildungsdirektor und Stadtschulratspräsident