Editorial 03/2025: Künstliche Intelligenz & Sozialdemokratie VON JOHANNES PFAUNDLER-SPIEGEL UND ALESSANDRO BARBERI

Angesichts der dritten industriellen Revolution prägt und verändert die rasante Entwicklung Künstlicher Intelligenz (KI) unsere Gesellschaft in vielerlei Hinsicht. Inmitten dieser technologischen Transformation steht die Sozialdemokratie, deren grundlegende Werte Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit und Solidarität auch im digitalen Zeitalter eine zentrale Rolle spielen. Das Zusammenspiel von KI und Sozialdemokratie birgt sowohl immense Chancen als auch Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt. Die Einführung und der Einsatz von KI-Technologien bieten die Möglichkeit, Arbeitsprozesse zu optimieren, neue Arbeitsplätze zu schaffen und die Lebensqualität zu verbessern. Gleichzeitig wirft der technologische Fortschritt Fragen nach ethischen Standards, Datenschutz und sozialer Gerechtigkeit auf. Wie können wir sicherstellen, dass die Vorteile von KI allen Gesellschaftsschichten zugutekommen? Welche Maßnahmen sind notwendig, um den Zugang zu digitalen Technologien und Bildung für alle zu gewährleisten?

Darüber hinaus stellt sich die Frage, wie KI dazu beitragen kann, demokratische Prozesse zu stärken und Bürger*innenbeteiligung zu fördern. In einer Zeit, in der populistische Strömungen und politische Polarisierung zunehmen, könnten KI-gestützte Plattformen und Tools ein Mittel sein, um den Dialog zwischen Bürger*innen und politischen Entscheidungsträgern zu intensivieren und die Transparenz von politischen Prozessen zu erhöhen. Im Zuge dieser rasanten Entwicklungen und diesen entscheidenden Fragen unserer Zeit haben sich im Rahmen dieser Ausgabe der ZUKUNFT Autoren verschiedenster Disziplinen, Erfahrungen und Lebensrealitäten des Themas angenommen und Aspekte dieses vielfältigen Feldes betrachtet. Sie ziehen verschiedenste Schlüsse zur Frage nach dem Verhältnis von Digitalisierung und sozialdemokratischer Gesinnung.

So untersuchen Martin Lackner und Jan Maly in ihrem Artikel Künstliche Intelligenz und Demokratie, wie Künstliche Intelligenz (KI) genutzt werden kann, um demokratische Prozesse zu stärken und die Bürger*innenbeteiligung zu verbessern. Die beiden Autoren sind Experten auf dem Gebiet der Computational Social Choice, einem Teilgebiet der KI, das sich intensiv mit der Entscheidungsfindung von Gruppen beschäftigt. Deshalb heben sie hervor, wie KI dazu beitragen kann, Demokratie in den Alltag zu bringen und die Teilnahme an demokratischen Prozessen zu erleichtern. Die Autoren argumentieren, dass KI das Potenzial hat, die Repräsentation zu erhöhen und Bürger*innenbeteiligungsprozesse effizienter zu gestalten. Sie nennen Beispiele wie partizipative Budgets in Städten wie Wien, Zürich und Paris, die es den Bürger*innen ermöglichen, Hunderte von Millionen Euro demokratisch zu verteilen. Auch neue deliberative Prozesse – wie die Beteiligung von Bürger*innen an der Erstellung einer neuen Verfassung in Chile und Island – werden hervorgehoben.

Lackner und Maly zeigen jedoch auch die Herausforderungen auf, die mit der Nutzung von KI in der Demokratie verbunden sind. Sie betonen, dass die Teilnahme an Bürger*innenbeteiligungsprozessen oft mühsam und zeitaufwendig ist, was viele Menschen davon abhält, sich zu engagieren. Durch ihre fundierten Analysen und praktischen Beispiele zeigt unser einleitender Beitrag, wie KI soziale und demokratische Prozesse unterstützen und die Bürger*innenbeteiligung fördern kann, ohne dabei die damit verbundenen Risiken zu vernachlässigen.

Mit seinem Artikel Digitale Basistechnologien als kritische Infrastruktur analysiert Philip Birkner die tiefgreifende Abhängigkeit Europas von ausländischen Technologieunternehmen und die damit verbundenen Auswirkungen auf Souveränität und Demokratie. Er beleuchtet, wie KI-basierte Anwendungen diese Abhängigkeit weiter verstärken und die Kontrolle über digitale Basisinfrastrukturen entziehen, was letztendlich zu einer Gefährdung von Sicherheit und Wohlstand führt. Birkner geht detailliert auf die monopolostische Marktdominanz von US-amerikanischen und asiatischen Technologieunternehmen ein, die in Europa nahezu konkurrenzlos agieren. Er beschreibt die schwindende Rolle europäischer Firmen und wie bedeutende europäische Unternehmen oft von ausländischen Konzernen aufgekauft oder aus dem europäischen Markt verdrängt werden. Ein eindrucksvolles Beispiel ist der Bereich der Cloud-Services, wo amerikanische Anbieter wie AWS, Google und Microsoft den Markt dominieren, während europäische Anbieter wie die Deutsche Telekom und OVHcloud auf lokale Nischen beschränkt bleiben. Deshalb betont Birkner gerade im Umfeld der Sozialdemokratie die Notwendigkeit einer proaktiven Steuer- und Industriepolitik, die gezielte Investitionen in digitale Technologien und eine faire Verteilung der digitalen Wertschöpfung fördert. Nur so kann Europa seine digitale Autonomie zurückgewinnen und langfristig Stabilität sichern. Birkner argumentiert, dass es neue Institutionen braucht, um die digitale Souveränität zu gewährleisten und die Abhängigkeit von globalen Technologiegiganten zu reduzieren. Damit liegt eine kritische und zugleich konstruktive Analyse vor, die die Notwendigkeit eines grundlegenden Wandels in der europäischen Digitalpolitik betont.

Auch Sebastian Kehrer beleuchtet in seinem Artikel das Verhältnis von KI und Ökonomie. Er analysiert die tiefgreifenden Auswirkungen und Herausforderungen, die die Adaption von Künstlicher Intelligenz (KI) für die österreichische Wirtschaft mit sich bringt. Der Artikel betont, dass die kleinstrukturierte Wirtschaft Österreichs – geprägt von Klein- und Mittelständischen Betrieben (KMU) – vor großen Herausforderungen steht. Der Kapitalbedarf für Forschung und Entwicklung, der Fachkräftemangel und internationale Abhängigkeiten sind bedeutende Hürden. Kehrer beschreibt diese Hindernisse sowie die Chancen, die der Einsatz von KI bieten kann, und hebt die diesbezüglich maßgebliche Rolle der Sozialdemokratie hervor. Der Artikel beginnt mit der Vorstellung von ChatGPT Ende 2022, einem Meilenstein in der Zugänglichkeit von Large-Language-Models (LLM) für die breite Masse. Kehrer zeigt auf, wie die rasanten Entwicklungen der KI viele Menschen überfordern und unsere Gesellschaften vor große Herausforderungen stellen. Er beleuchtet strukturelle Herausforderungen, die KMU gegenüber Großkonzernen benachteiligen, insbesondere in der Digitalisierung und der Nutzung von KI. In diesem Kontext geht es u. a. um eine Erhebung der Statistik Austria, die zeigt, dass nur 11 % der Unternehmen in Österreich KI-Technologien einsetzen, wobei hauptsächlich größere Unternehmen in den Bereichen Forschung, Entwicklung und Innovation tätig sind. Deshalb plädiert Kehrer für eine stärkere Unterstützung von KMU durch die Sozialdemokratie, um die digitale Kluft zu schließen und die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Ganz in diesem Sinne ist dieser Beitrag von einer ausgewogenen Darstellung und einer tiefgehenden Analyse der Problematik geprägt, wodurch die ZUKUNFT der österreichischen Wirtschaft in ihrem Verhältnis zur KI vor Augen steht.

Der Artikel Innovation und Verantwortung: Wie KI unser Bildungssystem auf den Kopf stellt von Jörg Neumayer und Alexander Petrovic beleuchtet dann die tiefgreifenden Veränderungen und Herausforderungen, die durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) im österreichischen Bildungssystem entstehen. Unsere Autoren argumentieren, dass es höchste Zeit ist, Schulen und Kindergärten auf die digitale ZUKUNFT vorzubereiten. Sie betonen die Dringlichkeit einer umfassenden Integration von KI, um Schüler*innen auf eine sich schnell verändernde Welt vorzubereiten und sicherzustellen, dass das Bildungssystem nicht den Anschluss verliert. Dabei geht es auch um ethische, gesellschaftliche und technische Fragen, die eine kohärente, zukunftsweisende Strategie der politischen Führung erfordern. Denn es geht auch um die Wichtigkeit der Förderung von Medienkompetenz und die unverzichtbare menschliche Interaktion, insbesondere in der frühkindlichen Bildung. Damit wird die Notwendigkeit deutlich, KI als Werkzeug zu nutzen, das den Menschen unterstützt, ohne ihn zu ersetzen. Neumayer und Petrovic kritisieren deshalb deutlich die langsame Anpassung des Bildungssystems an die digitalen Realitäten. Sie führen anschauliche Beispiele an, um die Grenzen aktueller KI-Anwendungen aufzuzeigen und unterstreichen die Notwendigkeit, Lehrkräfte besser auf die Digitalisierung vorzubereiten. Abschließend plädiert der Artikel für eine zukunftsfähige Bildungspolitik, die technische Ausstattung und methodische Innovation vereint, um eine Bildung zu schaffen, die den medienpädagogischen Anforderungen der Gegenwart und der ZUKUNFT gerecht wird.

Alexander Petrovic, ein erfahrener IT-Experte und Politikwissenschaftler, beleuchtet in der Folge die transformative Kraft der Künstlichen Intelligenz (KI) auf unsere Arbeitswelt. Er zieht dabei historische Parallelen zu vergangenen technologischen Revolutionen und zeigt, dass neue Technologien häufig ganze Berufszweige auslöschen. Petrovic illustriert dies anschaulich anhand von Beispielen wie Telefonvermittlerinnen und Schriftsetzern, deren Berufe durch Automatisierung und Digitalisierung verschwanden. Er betont, dass der technische Fortschritt nicht nur Arbeitsplatzverluste, sondern auch erhebliche gesellschaftliche Herausforderungen mit sich bringt. Insbesondere hebt er hervor, dass die ungleiche Verteilung der Produktivitätsgewinne durch Digitalisierung zu sozialer Ungleichheit führt. Petrovic argumentiert, dass es einer aktiven politischen Gestaltung bedarf, um auf den Wandel sozial gerecht zu reagieren und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken. Petrovic’ Ansatz ist es, nicht nur die negativen Folgen der technologischen Disruption zu beleuchten, sondern auch die Chancen aufzuzeigen. Er verweist auf Visionen wie kürzere Arbeitszeiten und eine bessere Work-Life-Balance, die durch technologische Fortschritte ermöglicht werden können. Dabei unterstreicht er die Notwendigkeit einer solidarischen Gesellschaft, die den technologischen Fortschritt für das Gemeinwohl nutzt.

Johannes Pfaundler-Spiegel beleuchtet abschließend in seinem Artikel Der EU AI Act die Entstehung dieses Gesetzesvorhabens und dessen Bedeutung für die europäische Sozialdemokratie. Der EU AI Act ist eine präventive Maßnahme der Europäischen Union, um den Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) zu regulieren und sicherzustellen, dass Sicherheits-, Transparenz- und ethische Standards eingehalten werden. Pfaundler-Spiegel zeigt, wie dieses wegweisende Gesetz gesellschaftliche Bereiche beeinflusst und im Einklang mit sozialdemokratischen Prinzipien wie Gerechtigkeit, Transparenz und sozialer Verantwortung steht. Er betont, dass der Act sowohl Chancen als auch Herausforderungen bietet, und analysiert, wie die Sozialdemokratie in der ersten Reihe der KI-Regulierung mitgestalten kann. Durch die Unterscheidung verschiedener Kategorien von KI-Systemen wird die Komplexität der Regulierung verdeutlicht. Der Autor vermittelt nachdrücklich, dass der EU AI Act kein Allheilmittel ist, jedoch als Lehrstück für eine proaktive und professionelle Sachpolitik dienen kann. Die Entstehung und der Regulationsansatz bieten Inspiration, wie mit disruptiver Hochtechnologie umzugehen ist und wie Europa im globalen Wettbewerb bestehen kann. Pfaundler-Spiegel appelliert schlussendlich mit allem Nachdruck an die Sozialdemokratie, die Chancen des EU AI Act zu nutzen und weiterhin aktiv an der Gestaltung der KI-Regulierung mitzuwirken.

Unabhängig von unserem Schwerpunkt danken wir auch Ortrun Gauper für ihren Beitrag Allgemeines Impfprogramm für Alle: Impfen ist ein öffentliches Gut! Der Artikel informiert in pointierter Art und Weise die Leser*innen der ZUKUNFT von den derzeitigen Impfprogrammen in Österreich. Am Beispiel von Herpes Zoster („Gürtelrose“) hebt Gauper – ganz im Sinne der Sozialdemokratie – hervor, dass der aktuelle Zustand die Zwei-Klassen-Medizin verstärkt, weil viele Menschen sich die Impfung schlicht nicht leisten können. Österreich sollte daher dem Beispiel anderer Länder wie Deutschland, Schweiz oder Griechenland folgen, wo Impfkosten bereits erstattet werden.

Insgesamt steht mit dieser Ausgabe wohl ein abgerundetes Bild des Verhältnisses von KI und Sozialdemokratie vor Augen, weshalb wir unsere Leser*innen erneut darauf hinweisen wollen, dass auch unsere Bildstrecke dieser Themenvorgabe entspricht. Denn angesichts der massiven Herausforderung durch KI haben sich die Herausgeber entschlossen, ChatGPT und DALL-E 3 mit Prompts zu KI und Sozialdemokratie herauszufordern. Die künstlichen und intelligenten Ergebnisse können sich in allen Wortbedeutungen sehen lassen und fordern uns heraus, die Grenze von Maschine(n) und Mensch(en) angesichts aktueller Problemlagen zu reflektieren.

Insgesamt hoffen wir, dass unsere Ausgaben zu Künstlicher Intelligenz – und auch jene zu Digitalem Humanismus – eine eingehende Diskussion der digitalen Produktionsbedingungen unserer Gegenwart ermöglichen, um die Sozialdemokratie programmatisch und ideologisch auf die digitale ZUKUNFT der künstlichen, aber immer auch menschlichen Intelligenz vorzubereiten.

Es grüßen im Namen der Redaktion Johannes Pfaundler-Spiegel und Alessandro Barberi.

JOHANNES PFAUNDLER-SPIEGEL

beschäftigt sich seit Längerem mit den gesellschaftlichen Einflüssen von Künstlicher Intelligenz und engagiert sich politisch für die Integration von KI nach sozialdemokratischen Grundsätzen.

ALESSANDRO BARBERI

ist Chefredakteur der ZEITSCHRIFT FÜR HOCHSCHULENTWICKLUNG (www.zfhe.at) sowie der Fachzeitschriften ZUKUNFT (www.diezukunft.at) und MEDIENIMPULSE (www.medienimpulse.at). Er ist Zeithistoriker, Bildungswissenschaftler, Medienpädagoge und Privatdozent. Er lebt und arbeitet in Magdeburg und Wien. Politisch ist er im Umfeld der SPÖ Bildung und der Sektion 32 (Wildganshof/Landstraße) aktiv. Weitere Infos und Texte online unter: https://medienbildung.univie.ac.at/.