Ein antikapitalistischer Doppelmord. Vom Tode des Mitgefühls und der Sachlichkeit in der Israel-Frage – VON GEORG KOLLER

Angesichts der prekären Lage im Nahen Osten analysiert Georg Koller die globalen Zusammenhänge der antisemitischen Weltverschwörung, wie manche linke Propagandist*innen sie, in einer langen Tradition der Terror-Apologetik, sehen wollen. Auch die jüngsten Verbrechen der Hamas, der Zivilisationsbruch von 07/10, der sich eigentlich als das radikal Böse ins Gedächtnis der Menschheitsgeschichte einschreiben sollte, wird hier mit Heuchelei und Doppelmoral zum Widerstandsakt umdekoriert. Kollers Plädoyer für die Aufklärung ist dabei mit einer nachdrücklichen Verteidigung der einzigen Demokratie im Nahen Osten verbunden.

I. Einleitung

Wer gegenüber einer Person, die sich für links hält, den Terror seitens Hamas & Co. gegenüber Israel anspricht, betritt in den meisten Fällen sehr dünnes Eis. Eines sei vorweggenommen: Selbst wenn wir hier ein soziales Experiment fingieren würden, quasi ein Dramolett schrieben, wäre der Inhalt von einer allenthalben anzutreffenden Realität praktisch ununterscheidbar. Wer Israel verteidigt oder auch nur Mitgefühl für seine Bevölkerung äußert, liegt oft außerhalb jedes grünen Bereichs. Und kommen Sie bloß nicht mit Fakten! Jeder Verweis auf solche, ganz egal wie verbrieft sie sein mögen, sind entweder reine „zionistische Propaganda“ oder lassen den Widerstandsaspekt gegen die „Kolonisierung“ Palästinas außer Acht.

Was ist der beste Fall, den Sie sich in solch einem Gespräch einhandeln können? Einen mildtätigen Akt der Aufklärung, der zum Mitdenken anregen will: „Das, was die Palästinenser den Israelis antun, ist nicht wirklich Terror!“. Auf Nachfrage, was das sonst sein soll, wird man dann mit tiefsinniger Geste in jenes ethische Geheimnis eingeführt, das besagen soll, dass diese Terrorakte anders zu verstehen seien als andere extremistische Terrorakte. Terrorakte illegitimer Natur sind nämlich nicht Produkte schierer Notwehr und somit zumindest tendenziell verwerflich, aber hier reden wir von überlebensnotwendigem Widerstand!

Die Palästinenser*innen können nämlich gar nicht anders. Schon vor dem 07.10.2023 mussten sie Autobusse in die Luft sprengen und Qassam-Raketen abschießen, weil sie sonst … der Rest dieser vermeintlichen Aufklärung verliert sich dann in inhaltlich marode Auskünfte über zugeschüttete Brunnen, abgeholzte Olivenhaine, Apartheitsanklagen, die an Südafrika erinnern sollen, und Genozidfantasien. Alles andere wäre nämlich Schwarzweißmalerei zugunsten Israels.

Bemerkenswert ist, dass wir uns hier noch im Vorstadium des typischen antisemitischen Diskurses bewegen. Zwar werden gröbere Anschläge auf israelische Zivilist*innen als US-imperialistische Israel-Kapitalistenpropaganda abgetan, aber so ein bisschen Terror – das Leckerli für den kleinen, widerständigen Bluthund – das darf schon sein. Da kann man schon ein blutrotes Auge zudrücken. Sie als Fragende*r kommen dabei sogar noch gut weg. Der oder die Gemäßigte muss Sie bloß noch besser informieren. Mit einigen fadenscheinigen Argumenten und etwas Gehirnwäsche gehören sie nämlich vielleicht bald zum erlauchten Kreis der allwissenden Israelhasser*innen.

II. Von der Meinungsdiktatur

Schätzen Sie sich glücklich! Denn wesentlich wahrscheinlicher ist ein anderer Fall: Sie haben, was Sie sagen wollten, noch gar nicht wirklich ausgeführt. Nicht einmal ihr letzter Satz ist noch zu Ende und schon sind Sie ein bornierter Vollidiot mit grenzenlosem Ignoranztalent. Obendrein sind Sie beispielsweise ein „Kriegspropagandist“‚ „Meinungsdiktator“ und selbstverständlich „Israel-Faschist“.

Wie verbrieft Ihre Bildung auch immer sein mag, Sie haben sich gerade zum von Kapital und Kolonialismus dressierten Pawlowschen Hund gemacht. Eine kritiklose Existenz. Irgendetwas, das zwischen Nietzsche, Madame Blavatsky und Alfred Rosenberg oszillierend den Untermenschen ausmacht, denn dies ist das Eck der Denkungsgeschichte aus dem Sie ihr Urteil empfangen werden, auch wenn ihre Richter*innen nichts davon wissen.

Leider ist Obiges nicht als Overstatement zu verstehen, sondern blanke Realität. Nicht mit einer Rechtskonservativen, nicht einmal mit einem Neonazi kann Ihnen so etwas passieren, den letztere bewegen sich (im privaten Rahmen nach außen hin) mit schmieriger Geschicklichkeit. Der Pawlowsche Hund ist dann leider den linken Israelkritiker*innen zuzusprechen, die Dinge inhibiert haben, gegen die sie doch angeblich kämpfen. Der Grund für diese Diagnose ist einfach: Der israelische Staat, mitsamt seiner „zionistischen“ Vergangenheit, hat sich von seinen Anfängen bis heute nie so bestialisch verhalten wie allenthalben diagnostiziert wird. Wer anderes behauptet, dem stehen die Archive offen. Man muss nur hineinsehen wollen. Wie kann es sein, dass man das nicht will? Woher die völlig disproportionale Israelkritik, die freilich zur bloßen Annahme degradiert ist, solange man die historische Realität ignoriert? Das Zauberwort heißt Kapitalismus. Genauer gesagt, ein Mythos der dieser Wirtschaftsform anhängt. Und dieser Mythos ist der des „schachernden Geld-Juden“!

III. Antisemitismus als (scheinbarer) Antikapitalismus

Mythologisch aufgeladene Kapitalismuskritik ist die Grundursache einer Israelkritik, die diese zum Antisemitismus macht, denn andernfalls wäre die Schweiz, deren BIP mit 800,6 Milliarden USD bei 8,7 Mio. Einwohner*innen, gegenüber Israel mit 488,5 Milliarden bei 9,3 Mio. Einwohner*innen (Stand 2021) ein lohnenderes Ziel. Ganz zu schweigen von der Londoner City, dem eigentlichen Molloch der Weltwirtschaft, der auch dem was man Kolonialismus nennt, historisch wesentlich nähersteht als Israel. Israel ist ein prosperierender Staat mit tollen Start-ups. Aber in der weltkapitalistischen Liga spielt es keine Rolle. Es steht nur stärker im Lichte der Weltöffentlichkeit, weil es ein moderner Rechtsstaat ist, der in Gegensatz zu totalitären Regimen unabhängige Berichterstattung zulässt. Gänzlich schamlos schreibt etwa Der Funke:

„Aber unsere Differenzen mit der Hamas, wenn sie auch fundamental sind, sind nicht so fundamental wie unsere Differenzen zum US-Imperialismus – der reaktionärsten Macht auf der Welt – und ihren Komplizen, der herrschenden Klasse von Israel.“ (Der Funke 12.10.2023)

Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Kritik am US-Imperialismus gibt es allenthalben zu Recht und zu Unrecht. Man könnte fast sagen, dass die unbestrittene Großmacht USA seit dem zweiten Weltkrieg hauptsächlich Niederlagen erlitten hat, wenn man das Ende der Sowjetunion nicht als Sieg darstellen will, und zweifellos ist die USA ein Verbündeter Israels. Aber Israel bzw. die „herrschende Klasse Israels“ – was immer das auch sein mag – als Metastase des US-Imperialismus darzustellen, ist unredlich und gerade im aktuellen Kontext brutalster Antisemitismus. Und was ist von Leuten zu halten, die mit Hamas-Schlächter*innen weniger Differenzen haben als mit Israel?

Es sind diese Verzerrungen, die Israelkritik zum Antisemitismus machen und ein historisches Fundament haben, das z .B. auf die Protokolle der Weisen von Zion zurückgeht. Irgendwie ist es verständlich, wenn eine Israelkritiker*in und selbsternannte Palästinenserfreund*in das als absurde Unterstellung zurückweist. Aber diese spezifische Israelkritik ist nicht logisch, sondern eine sich tradierende linke Folklore. Andernfalls wäre Greta Thunberg beim Klimaproblem geblieben, das für sich wohl groß genug ist. Diese Leute kennen die Genese ihrer eigenen Meinung nicht. Israel ist ein Fetisch der linken Kapitalismuskritik und nicht Gegenstand einer maßvollen und verhältnismäßigen Debatte. Hier schließt sich der Kreis zwischen uraltem antisemitischem Gedankengut und manichäischem Antikapitalismus, der das Problem im Bereich der Zirkulation und nicht in dem der Produktion ausmacht. Also genau das, was schon die nationalsozialistische Propaganda mit der Unterscheidung von „raffendem“ und „schaffendem Kapital“ gemacht hat.

IV. Lechts und Rinks: Ein Teufelskreis

Natürlich kann man es auch billiger haben, denn es gibt weniger unbewusste Gründe. Etwa die verhältnismäßig große militärische Stärke Israels. Sehr dominant ist auch der Irrglaube, dass die große Masse israelsolidarisch wäre, weil Israel der Staat der Opfer sei. Viele Israelkritiker*innen halten sich in ihrer Israelkritik für auserwählter als das „außerwählte Volk“, denn sie denken, dass vergleichsweise wenige begreifen würden, dass hier die historischen Opfer zu aktuellen Täter*innen geworden wären. Das ist ein Argument, das schon die RAF bediente und eine lange extremistische Geschichte hat.

So sonnen sich die Antisemit*innen verschiedenster Couleur in ihrer vermeintlichen Kritikfähigkeit und halten sich für etwas Besonderes, obwohl sie einen großen Teil derer stellen, die überhaupt eine Meinung zu diesem Thema haben. Die Israelkritiker*innen sind stets einen vermeintlichen Gedankenschritt voraus und renaturieren dabei einen Sermon, an den schon die Vorläufer Hitlers geglaubt haben. Auch wenn sie Schmierereien auf Synagogen angeblich ablehnen, sind solche auf einem Uni-Campus vollkommen legitime Kritik.

Antisemitismus ist eben eine sehr komplexe Sache und wer behauptet, dass dieser nichts mit Israelkritik zu tun hätte, der sehe sich an, was in Friedhöfen und an Universitätsfassaden Mitteleuropas passiert, wenn die israelische Armee wieder einmal gezwungen ist, im Rahmen eines Verteidigungskrieges Terrorismus zu bekämpfen. Man ist natürlich oben zitierter Trottel, wenn einem da eine Koinzidenz auffällt. Und freilich ist das kein völker- und kriegsrechtlich abgesicherter Verteidigungskrieg, sondern völlig überzogener „Genozid“, denn wir würden doch niemals zur Waffe greifen, bloß weil man unsere Kinder abschlachtet, lebendig verbrennt oder als Geiseln entführt.

Machen wir es so einfach und unbestreitbar wie möglich: Knapp eineinhalb Monate nach dem Eingreifen der israelischen Armee im Gazastreifen fliegen der israelischen Zivilbevölkerung tagtäglich und immer noch Raketen um die Ohren. Dies aus einem Gebiet, welches etwa die zehnfache Größe des 10. Wiener Gemeindebezirkes hat. Wie ist das eigentlich möglich, wenn die Israel Defense Forces (IDF) wieder einmal ihren geballten Vernichtungswillen zeigt? Eine moderne Armee könnte diesen Flecken Land innerhalb weniger Tage derart umpflügen, dass dort kein Tunneleingang mehr offen stünde. Stattdessen riskiert Israel weitere zivile Opfer in den eigenen Reihen und verteidigt als einzige Demokratie im Nahen Osten auch unsere Freiheit. Das Argument, dass Israel sich nur mäßigen würde, weil internationaler Druck Zurückhaltung gebietet, behauptet auch, dass es diese Zurückhaltung gar nicht gäbe.

V. Vom (nicht vorhandenen) Mitgefühl

Die ethische Absurditätsblase, die sich seit dem 07.10.2023 auftut, ist ein Doppelmord an Mitgefühl und Aufklärung. Davon zeugt allein schon der Zeitpunkt, zu der sich diese Kritik manifestiert – nämlich genau nach dem Pogrom an der israelischen Zivilbevölkerung. Wer sachliche, legitime Kritik an Israel üben will, der hat jederzeit das demokratische Recht diese zu äußern, aber zum Zeitpunkt dieser Untaten müsste er entweder die Partei des angegriffenen Israels ergreifen oder schweigen. Was bitte annihiliert das Argument, dass sich Hamas-Terrorist*innen in und unter Krankenhäusern und Schulen verschanzt haben, was seit langer Zeit mehr als bekannt ist und auch in den letzten Wochen mehrfach faktisch belegt wurde? Wie kann man das ignorieren?

Selbst wenn viele Schauermärchen über Israel stimmen würden, kann man die Sache doch nicht einfach umdrehen und so tun, als hätte Israel am 07. Oktober 2023 den Gazastreifen überfallen, in welchem 2005 die letzten israelischen Siedlungen aufgelöst und alle Truppen abgezogen wurden. Kritisiert man etwa in sozialen Medien den Antisemitismus vieler Formen der gegenwärtigen Israelkritik, erfüllen zahlreiche Wortmeldungen und Postings mit großem Aplomb die bekannte 3D-Regel des israelischen Wissenschaftlers Nathan Sharansky (vgl.: https://tinyurl.com/2rn9sbyc).

VI. 3D – Doppelstandards, Delegitimierung oder Dämonisierung

Kurz gesagt: Doppelstandards, Delegitimierung oder Dämonisierung gegenüber dem Staat Israel werden neben den brutalsten antisemitischen Ausschreitungen in ungeahntem Ausmaß auch in den Medien und damit in der Öffentlichkeit les- und hörbar. Anhand des Schemas der 3D können indes gerade diese Artikulationen auf einen Gehalt untersucht werden, nach dem Israelkritik mit Antisemitismus identisch sein kann und es oft genug ist. Ob diese Regel im gegenwärtigen Diskurs nach dem 07.10.2023 alle Problemlagen abdeckt, mag dahingestellt sein, anwendbar ist sie aber allemal:

Doppelstandards: Ganze Landstriche werden von mordenden Terrorist*innen heimgesucht. Mehr als 1400 Israelis sterben, weitere 239 wurden verschleppt und als Geiseln festgehalten. Welchem Land außer Israel wird de facto und de jure das Recht abgesprochen, in solch einem Fall militärisch zu intervenieren, um sich zu verteidigen? Es ist keinerlei Übertreibung, wenn ich sage, dass nach den Maßstäben und Dimensionierungen einiger linker Propagandist*innen allenfalls eine kleine Einheit der Kriminalpolizei gestattet gewesen wäre. Das Selbstverteidigungsrecht des Staates Israels wird angeblich nicht bestritten, aber (staatlich und militärisch) wirkungsvoll darf es nicht sein. Was ist das anderes als ein systematischer Doppelstandard?

Delegitimierung: Ein Staat, dem das Recht abgesprochen wird, seine Bevölkerung zu verteidigen, wird offensichtlich nicht als legitimes Staatsgebilde angesehen, gerade so, als hätten Jüdinnen und Juden nur in der Diaspora eine Existenzberechtigung. Dabei beziehen viele Linke in gewohnter Weise gegen „den Staat“ und im Namen einer wie auch immer gefassten „Opposition“ Stellung, als ob Israel keine (relativ) stabile und wehrhafte Demokratie wäre, die sich auch im Namen eben dieser „westlichen Demokratie“ gegen dschihadistischen Terror legitimerweise zur Wehr setzt. Was ist das also anderes als eine systematische Delegitimierung?

Dämonisierung: Israel (nach den Mullahs im Iran der „kleine Satan“) ist angeblich nichts als der kolonialistische Außenposten des kapitalistischen US-Imperialismus (der „große Satan“). Darüber hinaus ist Israel vorgeblich nichts anderes als ein Apartheitsstaat. Israel scheint mithin gleichzeitig eine Kolonie der Vereinigten Staaten zu sein, andererseits aber selbst Kolonialismus zu betreiben. Mindestens 20 % der israelischen Staatsbürger*innen sind aber arabischer Herkunft und haben politische Organisationen mit Sitz in der Knesset. Was sind diese illegitimen und faktisch nicht belegbaren Behauptungen anderes als Täter-Opfer-Umkehr und systematische Dämonisierung?

VII. Marx, die Sklaverei und Israel

Und genau darauf berufen sich so manche Linke, um angesichts des 07.10.2023 Israelkritik zu legitimieren, obwohl sie damit den übelsten Antisemitismus bedienen. Freilich könnte man noch hinzufügen, dass ein Großteil der Landfläche des heutigen Staates Israel nicht durch Vertreibung entstanden ist, sondern durch Kauf erworben wurde und sehr vieles mehr. Man könnte in eine nicht allzu weit zurückliegende Geschichte blicken, in der Jüdinnen und Juden mit Araberinnen und Arabern mitunter zusammengearbeitet haben und eine Zweistaatenlösung möglich schien. Und man könnte etwas machen, dass beiden Seiten dienen würde: Nämlich die tatsächlichen Verbrechen israelischer Staatsbürger*innen an Palästinenser*innen kenntlich machen, um sie rechtsstaatlich auszujudizieren, wie es in Israel auch geschieht. Dies gäbe den palästinensischen Opfern eine Stimme und den Anklagen gegen Israel eine Relation. Beides ist für unsere linken Propagandist*innen, die sich dabei auch noch auf Karl Marx und Lew Dawidowitsch Bronstein (sic!) berufen, nicht von Interesse. Sie schreiben:

„Die Palästinenser wurden auf einen Status reduziert, der sich kaum von einer Art Sklaverei unterscheidet. Und Sklaven können, wenn sie aller anderen Rechte beraubt wurden, nur auf ein Recht zurückgreifen, das ihnen bleibt: das Recht zum Aufstand.“ (Der Funke 12.10.23)

Will man dem Brechreiz widerstehen und solch ein Statement analysieren, kommt man auf die Frage, wie man gerade in diesem Kontext den Sklavenbegriff einführen kann? Dient die (scheinbar „schwarze“) Bevölkerung des Gazastreifens denn als Baumwollpflücker*innen (angeblich „weißer“) israelischer Großgrundbesitzer? Freilich steht das so nicht da, wird aber im Rahmen des Postkolonialismus immer wieder behauptet. Was soll also in diesem Zusammenhang der Begriff der „Sklaverei“ unter Berufung auf Karl Marx? Woher diese absurde Analogie? Wenn hier jemand der Sklaverei schuldig zu befinden ist, dann ist es die Hamas und ihre Handlanger (etwa der Iran), die ihre Zivilbevölkerungen auf das Übelste unterdrücken und ihrer Rechte berauben. Denken wir dabei doch nur an Frauen- und Homosexuellenrechte, die in Israel durchwegs garantiert sind.

VIII. Täter-Opfer-Umkehr

Aber es kommt schlimmer! Der Funke schreibt wörtlich:

„Der von der Hamas am Samstag, den 7. Oktober, gestartete Blitzangriff hat auf der ganzen Welt Schockwellen ausgelöst. Er wurde sofort mit einem Chor der Verurteilung von Seiten westlicher Regierungen beantwortet.

Der Angriff wurde von den Medien sofort in den grauenvollsten Farben dargestellt. Die westliche öffentliche Meinung wurde von dem, was bei uns ironischerweise als „freie Presse“ bezeichnet wird, gründlich darauf vorbereitet, in diesem Konflikt Partei zu ergreifen, der wie üblich als einer zwischen den Kräften des Guten vs. den Kräften des Bösen dargestellt wird.

In dieser Komödie der Irrungen sind die Rollen bequemerweise vertauscht. Die Opfer werden zu Aggressoren und die Aggressoren werden zu Opfern.“ (Der Funke 12.10.23)

Angesichts der Tatsachen braucht es fast körperliche Resilienz, um solch einem Statement noch analysierend begegnen zu können, denn à la lettre gibt es keine deutlichere und brutalerer Täter-Opfer-Umkehr im Sinne einer Solidarisierung mit den antisemitischen Terrorist*innen. Da wurden auf barbarische Weise Geiseln genommen, Babys verbrannt, Frauen vergewaltigt und zerstückelt. Und dies sind nur wenige Tatsachen des Grauens, welches sich mit dem Zivilisationsbruch von 7/10 auch in unser Gedächtnis einschreiben sollte. Dieses antisemitische Massaker ist also nur von den „westlichen Medien“ in den grauenvollsten Farben dargestellt worden? Es handelt sich also nur um ideologische Inszenierungen und Fake News zugunsten der „zionistischen Propaganda“? Die Redaktion von Der Funke möge doch bitte darlegen, was hier nicht grauenvoll und barbarisch gewesen sei? Der Funke macht also buchstäblich aus den („westlichen“) Opfern Aggressoren und aus den („östlichen“) Aggressoren Opfer. Dass dies auch im Blick auf den Nationalsozialismus und die Shoah ein probates Mittel der Schuldumkehr ist, fällt dann wohl niemandem mehr auf. Was soll man dazu sagen? Offensichtlich hat den Tatsachen vollkommen gemäß ein israelischer Kindergarten in Kooperation mit einem Kibbuz die Hamas angegriffen.

IX. Conclusio: Ein Doppelmord

Im Blick auf zahlreiche abgesicherte Fakten ist offensichtlich komplett egal, was im Nahen Osten tatsächlich passiert. Auch eine derartige populistische Verdrehung der Mediensachlage, ist falsch, denn bei Israel wurde niemals an Kritik gespart. Im Gegenteil: Kein anderes Land sieht sich jährlich so vielen Verdächtigungen im Blick auf Menschenrechtsverletzungen seitens der UNO ausgesetzt, wobei die iranischen Mullahs (und damit auch die Hamas) derzeit in den Vereinten Nationen tatsächlich für Menschrechtsfragen zuständig sind. Die Annahme, dass der Zionismus angeblich Rassismus sei, wird dabei auf das Widerwärtigste wiederholt und zementiert. Die Erkenntnis, dass dementgegen gerade der Zionismus eine logische Antwort auf den nationalsozialistischen Staatsrassismus und Antisemitismus ist, bleibt außen vor. Auch so werden die wahren Täter zu Opfern und die wirklichen Opfer zu Tätern gemacht. Und wer diese extremistischen Drehungen der Täter-Opfer-Umkehr kritisiert, wer sich erlaubt, der antiisraelischen und antisemitischen Propaganda auch nur zu widersprechen, der wird oft genug ausgegrenzt, stigmatisiert und inhaltlich eliminiert. Das ist ein Mord an der Sachlichkeit, ein Mord an der Ethik und ein Mord an eben jenen gesetzlichen und ethischen Standards, um die „linke Genoss*innen“ eigentlich wissen müssten. Schalom!

DIE ISRAEL-BOYKOTTBEWEGUNG
ALTER HASS IN NEUEM GEWAND
Berlin: Hentrich und Hentrich
196 Seiten | € 20,46
ISBN: 978-3955653965
Erscheinungstermin: November 2020